Wir fuhren noch 42 km, um einen geeigneten Nachtplatz zu finden, aber auf Asphalt war das eine Sache von einer halben Stunde. Sowohl die Piste kann ungewollt für Unterhaltung sorgen, als auch Gabi. Wir kamen, als wir wieder auf Asphalt waren, an einem Kilometerstein vorbei, auf dem stand ganz oben eine Sieben, darunter eine Sechs und darunter, wiederum zwei lateinische Schriftzeichen: Links ein kleines K und rechts ein kleines M. "Sechsundsiebzig Kilometer noch", sagte ich, als ich ihn sah. "Du meinst siebenund sechzig", berichtigte mich Gabi, "sonst wäre die sechs ja oben gestanden. Die stand aber unten." "Deswegen ja. Sechsundsiebzig (=76)", sagte ich, ganz unschuldig. "Bist jetzt blöd? Wenn die sieben oben steht und die sechs unten, dann ist es Sieben", sie zeigte nach oben, "und Sechzig", und zeigte nach unten. "Aber wir haben doch gelernt, daß man von links nach rechts und von oben nach unten liest", wandte ich ein. "Ja, also. Warum liest Du dann von unten nach oben?" "Hä? Oben steht die Sieben, darunter die sechs, also erst die sieben lesen, dann die sechs und das ergibt meiner Meinung nach 76 (Sechsundsiebzig)". "Sieben und sechzig, check's halt", bestand sie drauf. Aber ich checkte es einfach nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach nur zu blöd. Zwei Minuten und drei Kilometersteine weiter stand oben immer noch die Sieben, unten eine Drei. Hieß wohl dann siebenunddreißig - logisch. Dreißig Kilometer in guten zwei Minuten. Das macht, grob gerechnet, 900 km/h - und das mit einem 200D auf peruanischer Landstraße bei Nacht. Das schafft niemand außer Gabi.
Auf der Piste hätten wir für die Strecke in jedem Falle die halbe Nacht dafür gebraucht, doch auf Asphalt und mit solch schier unglaublichen Geschwindigkeiten standen wir kurz vor der Stadt. Erst fuhren wir auf einen Rastplatz neben der Straße und stellten das Auto ab. Nachdem der Motor schwieg - schweigen mußte - hörten wir etwas seltsame Geräusche auf dem Gepäckträger und an der Bordwand. Ich wollte ansetzen: "Kennst Du schon die eine Geschichte, wo der eine mit seiner Frau unterwegs ist und mitten im Wald mit dem Auto liegen bleibt, weil Benzin aus? Dann geht der Mann Benzin holen und sagt zu seiner Frau: 'Verriegle fei bloß die Türen, ich komm gleich wieder'..." "Halt's Maul!" kam es da von Gabi, gerade, wo die Geschichte anfing, spannend zu werden. Na gut, schon verstanden, ich wollte ja nur sagen, daß uns das nicht passieren kann, weil wir kein Benzin brauchen. "Wir fahren weiter..." Was sollte ich darauf antworten? "Jawohl, Herr Kaleu..." Motor an, wieder auf die Straße. Um 2:00 Uhr fanden wir dann eine Piste und einen Hügel. Auf dem stellte ich den Daimler ab und wir schliefen sofort ein. Man könnte ihn auch einfach laufen lassen, um das Anlaßtheater am nächsten Morgen zu vermeiden, aber das hieß dann die ganze Nacht lang diskutieren, bzw. wachbleiben um Gabi daran zu hindern, mir den Schlüssel abzunehmen. Dämlich...
Am nächsten Morgen. |
Nach den ersten drei Umdrehungen des Motors stellte ich fest, daß er doch wieder sehr schlecht anspringen würde, wenn überhaupt. Ich ließ den Wagen anrollen und als er genug Schwung hatte, zweiten Gang rein und Kupplung loslassen. Nichts. Dafür standen wir jetzt in der Ebene. "Kruzifix!" Der Karren ist immer 1a angesprungen, auch im tiefsten Prager Winter hat er keine Zicken gemacht, ist immer aufs erste Mal angesprungen, wieso das jetzt? Doch die Höhe? Kann nicht sein, die von Mercedes wußten ja, daß es so hohe Straßen gibt, das werden die schon bedacht haben. Ich erinnerte mich an den alten Rußlandkrieger Trick: "Herr Major, der Vogel springt nicht an, es ist zu kalt!" -"Dann zünden sie gefälligst ein Feuer darunter an, Sie Bottich, Sie!" Könnte klappen. Ich versuchte es also. Es brannte eine Weile, doch als es langsam nach verschmortem Plastik roch, startete ich einen letzten verzweifelten Versuch, die Karre mit Batteriepower anzukriegen. Er orgelt und orgelt und... springt an! "Du, ich glaub... Ich glaub, der läuft. ICH GLAUB DER LÄÄÄUUUFT!!! ER LÄÄÄÄUUUFT!!!"
Nachdem der
gestrige Tag so stressig gewesen war, beschlossen wir eigentlich erst mal nach
Juliaca zum Frühstücken und zum Tanken hinein zu fahren und uns im
50 km entfernten Puno in der Touriinfo nach einem Campingplatz mit Dusche
zu erkundigen.
Doch wir merkten schon in Juliaca, daß dieser Plan wohl nicht so ganz funktionieren
würde. Juliaca ist nämlich ein einziges Gewusel von Marktfrauen und
Rikschafahrern und es war natürlich mal wieder unmöglich irgendwo
zu parken.
Juliaca. |
Das höchste
der Gefühle war schon, daß wir vor einer Bäckerei kurz anhalten und
uns Semmeln, irgend so ein Maiszeugs mit Hackfleisch drin und Alfajores holen
konnten.
Trotzdem ist Juliaca meiner Meinung nach ein recht nettes Städtchen, zumindest
im Zentrum - der Außenbezirk ist etwas zugemüllt - in dem mir vor allem
die geschäftigen Indiofrauen sehr gut gefallen haben mit ihren hübschen
bunten Wickeltüchern auf dem Rücken, in denen sie neben ihren Kindern
und den Nahrungsmitteln für ein halbes Jahr auch noch ihre komplette Hauseinrichtung
transportieren können, wenn's nötig ist.
Nun gut, jedenfalls mit Semmeln und frischem Diesel bewaffnet, ging's weiter
in Richtung Puno. Wir können ja schließlich auch da einen Kaffe trinken
gehen, oder? Außerdem müssen wir da irgendwo parken, weil wir ja auch zur
Touriinfo wollen. Und außerdem habe ich im Reiseführer gelesen, daß es
in Puno neben einem total tollen Markt mit Silberschmuck, Lamapullis, etc. und
auch ein Internet-Café gibt. Ja, also es kam uns schon irgendwie SPANISCH
vor, daß so kurz vor dem Ortseingang von Puno vermehrt Steine und Glasscherben
auf der Fahrbahn lagen. Bis zum Ortskern nahm die Steine-Glasscherben-Dichte
noch um etwa 500% zu... geil!
"Was ist denn bitte hier los?" Ein freundlicher Polizist, den wir genau das
fragten, klärte uns umgehend auf: "Generalstreik." Außerdem hätte
hier bis vor ca. 15 Minuten eine Demo stattgefunden, bei der die "tollen" Einwohner
von Puno ihren Unmut über "keine-Ahnung-was" mit dem Werfen von Steinen,
sowie dem Zerdeppern von Glasflaschen bekundet hatten. Super... Da wir uns nun
natürlich im "herrlichen" Puno nicht auskannten, fuhren wir etwas sehr
planlos herum, und ich meine ich will ja jetzt nicht darauf rum reiten, daß
ich von Anfang an zu Besold gesagt habe, daß wir versuchen sollten die Stadt
auf dem schnellsten Weg zu verlassen, bevor wir noch einen Platten fahren.
Markus meinte immer nur: "Ach was, von Glasscherben fährt man keinen Platten!", aber natürlich passierte genau das. |
Also in einem, zu einem Parkplatz umfunktionierten, Hinterhof erst mal den Reifen gewechselt. Eine Minute nachdem Besold damit fertig war, kam dann auch mein gestern so heiß ersehnter Regen... Toll, den brauch ich jetzt auch nicht mehr.
Das waren die besten Reifen, die der Daimler je aufgezogen hatte. Sie waren nun seit exakt 59.354 km ununterbrochen im Dienst und hatten nicht einmal versagt, und was die schon alles erdulden mußten. Freilich, irgendwann sind auch die besten Reifen runtergefahren und wenn dann noch Glassplitter hinzukommen, dann müßte ein Wunder geschehen, damit die das heil überstehen. Das hat passieren müssen. Es war der erste Platten, also waren noch vier von den Reifen da. Das Reserverad kam nun zum Einsatz zum ersten mal seit der Abfahrt. Aber nun nichts wie raus aus dem Kaff, bevor uns der nächste Reifen platzt, wir haben kein Geld für solche Späße, beim nächsten Platten wird es kritisch.
Puno. Polizei auf 12 Uhr. |
Egal, jedenfalls hatte das alles so oder so in Puno keinen Wert. Die Straßen waren unbefahrbar und alle Geschäfte und natürlich auch der Markt wegen des Streiks geschlossen. Also war der neue Plan, so schnell wie möglich in Richtung Bolivien weiter zu fahren. Nur leider war das nicht ganz so einfach, wie gedacht. Die tollen Demonstranten hatten nämlich den - angeblich - einzigen Weg in Richtung Bolivien mit Steinen und natürlich Glasscherben so gepflastert, daß ein Durchkommen unmöglich war. Wir erfuhren auf nachfragen, daß die Straßen mit viel Glück "mañana" gereinigt würden - vielleicht aber auch nicht. Aber da wir uns ja von so was nicht die Stimmung verderben lassen wollten, beschlossen wir einfach einen Trick anzuwenden. Wir hängten uns nämlich einfach an ein paar LKWs an, von denen wir - richtigerweise - annahmen, daß sie nach Bolivien wollten, aber komischerweise einen anderen Weg, als den "einzigen" nahmen. Markus mußte zwar auch auf diesem Weg zusammen mit den LKW-Fahrern eine ganze Menge Steine von der Fahrbahn schleppen, aber immerhin war uns irgendwann der Ausbruch aus Puno nach durchquerung einiger etwas unfeiner Vororte gelungen.
Flucht aus Puno. |
Bei den Massen von Glasscherben auf den Straßen fühlten wir uns übrigens irgendwie an das chilenische Pfandsystem erinnert... wahrscheinlich demonstrierten also die Bewohner von "Puto" (so taufte ich diese "wunderbare" Stadt in meinem Ärger um) für die Einführung eines gerechten Pfandsystems. Und ganz nebenbei wäre das, so wie die Landschaften manchmal zugemüllt sind, auch bitter nötig. OK, also, Puto verlassen und auf ins nächste Kaff... Ich wollte mir doch unbedingt noch in Peru einen Lamapulli kaufen und bis zur Grenze war's nicht mehr weit. In Ilave war dann auch sogar ein Markt, nur vor den Einkauf hat der liebe Gott die Parkplatzsuche gestellt. Diesmal konnten wir dieses Problem jedoch überraschend schnell und dazu elegant lösen. Wir fuhren nämlich zufällig an der hiesigen Polizeistation vorbei, und wollten eigentlich zunächst nur fragen, wo man den hier parken könne. Da aber die Polizisten Besolds Benz so klasse fanden, änderten wir den Plan, setzten ein "wir-kennen-uns-doch-hier-gar-nicht-aus-und-es-würde-auch-nicht-lange-dauern-also-können-wir-nicht-bitte-kurz-hier-parken-Gesicht" auf. "Na gut, wenn's wirklich nicht lange dauert..." Jiha... bester Schutz vor Dieben und dazu noch ganz kostenlos... auf zum Markt! Meinen Pulli hab' ich zwar nicht mehr gekriegt, aber immerhin hab' ich so ein peruanisches Wickeltuch erstanden und wir konnten uns mit etwas Essen, Spiritus und Cocablättern für lecker Tee eindecken.
Weiter geht es in Richtung Bolivien. |
Die kosteten nur ein paar Pfennige, kaum zu glauben, da sich Leute woanders
für sowas die Köpfe einschlagen.
Hier irgendwo muß es jedenfalls gewesen sein, daß ich an einen Zebrastreifen
kam. Ein Typ wollte über die Straße und ich wollte über die Kreuzung.
Eine alltägliche Situation. Ich tat es so, wie ich es immer mache: Wenn
genug Platz da ist, dann fahre ich vor oder nach dem Fußgänger normal über
den Zebrastreifen. Das macht hier jeder so, ist auch vernünftig, denn:
Da ich den Fußgänger nicht absichtlich über den haufen fahre und der
Fußgänger mir nicht absichtlich ins Auto läuft, gibt es keine Probleme.
Aber ich bekam prompt einen Vortrag darüber, daß das eben ein Zebrastreifen
gewesen sei und daß ich da gefälligst anzuhalten hätte. "Hä?"
Bevor ich aber den Versuch unternehme, der Gabi diese erschütternd einfache
Logik beizubringen, versuche ich lieber einem Kamel das Flötespielen beizubringen.
Das hat mehr Aussicht auf Erfolg. Sie hat zwar eigentlich Recht, aber das ist
Regional begrenzt. Hier in Peru läuft und fährt man mit Verstand und
erwartet nicht, daß einem blinde Verkehrsregeln oder -einrichtungen, wie z.B.
Ampeln oder Zebrastreifen, das Denken abnehmen. Jede Wette, daß uns der Fußgänger
nicht mal Bemerkt hat, schließlich mußten weder er noch wir Kurs oder geschwindigkeit
ändern. Wobei ich verstehe, daß sowas für jemanden, der frisch aus
der völlig durchreglementierten BRD hier ankommt, völlig anders wirkt.
Bestens...
zürich zum Auto, raus aus Ilave und weiter in Richtung Bolivien... Da der
Plan mit dem Campingplatz ja - aus bereits beschriebenen Gründen - auch
gestorben war, entschieden wir uns in dem Kaff, das direkt an der bolivianischen
Grenze lag, ein Hostal zu beziehen, damit wir endlich mal wieder in den Genuß
einer Duschen kamen. Nach längerer Suche und Preisvergleich nahmen wir
das eine, statt des anderen. Wie soll ich das Zimmer beschreiben? Zunächst
war ich mal beruhigt, daß man sich aufgrund der Höhe auf der das Dorf liegt,
relativ wenig Sorgen über Ungeziefer machen mußte - redete ich mir zumindest
erfolgreich ein... Aber Fenster putzen, mal durchlüften und den Teppich
mal saugen, wären sicherlich Anregungen gewesen die der Hotelbesitzer sich
zu Herzen hätte nehmen können.
Am Abend unserer Ankunft funktionierten immerhin zwei von drei Etagentoilettenspülungen
- für's ganze Haus (ca. 40 Personen)... am nächsten morgen hatten
bereits alle aufgegeben. Die Duschen waren... na ja, Augen zu und durch, aber
immerhin zeitweise warm, wenn auch nur im unteren Stockwerk.
Schließlich beschlossen wir auf diesen Wahnsinnstag noch ein Bierchen trinken
zu gehen.
1. Kneipe: Besold versucht ein Sandwich zu bestellen. Die Bedienung meint, das
Sandwichs aus seien, da kein Brot mehr da sei. Besold zeigt auf einen gefüllten
Brotkorb und fragt, was das dann sei. Die Bedienung antwortet, daß dies Brot
sei.
Gut, erneuter Versuch: "Ein Sandwich bitte." Kein Widerspruch. Sandwich geht
also doch. na also. "Und zwei helle Bier bitte." "Helles Bier ist aus." "OK
dann eben zwei dunkle Bier." "Dunkles Bier ist auch aus." OK, OK, wir haben
verstanden. Vergiss das Sandwich. Tschüß.
2. Kneipe: "Gibt's hier Bier?"
"Nein"
"...und Tschüß"
3. Kneipe: "Gibt's hier Bier?"
"Ja"
"Gibt es hier wirklich Bier?"
"Ja!!!"
"Gut, dann nehmen wir zwoi." Daraufhin speucht der Bedienerich zur Tür
raus und kommt ungelogen 15 Minuten später mit zwei völlig verstaubten
Bierflaschen zurück. Na, immerhin. Der erste Blick galt dem Verfaulsdatum.
War im Juli. "Egal, die haben sicher ein paar Wochen Toleranz." Es schmeckte
gräßlich, aber stört nicht weiter. Zwei Stunden später fielen
wir dann todmüde ins Bett.
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