Südamerikatour 2001
Samstag, 18. August

Der Nachtplatz war wirklich Perfekt. Er lag mitten in einer Hochebenen, die links und rechts von Bergen gesäumt war. Kann es ruhig öfter geben, solche Plätzchen.

Unser Nachtplatz.

Wir setzten unseren Weg fort. Vorerst blieb die Straße hervorragend und führte uns durch das schöne zentranbolivianische Altiplano in Richtung Potosí. Man mußte es genießen, fahren und die Landschaft betrachten zu können, denn wir hatten die Befürchtung, daß es sich bei der Sache mit der asphaltierten Strecke bis Sau Paulo um ein Gerücht handeln müsse. Der Zucker war aus. Das ist fast schlimmer, als wenn das Diesel aus ist, weil ohne Zucker macht das Leben keinen Spaß. Tod der Süßstoffindustrie! - bei der Gelegenheit. Irgendwo mußten wir also anhalten, um den Vorrat aufzustocken und es wäre auch eine Überlegung wert, ob wir die Kocherei nicht da abhalten, wo Asphalt herrscht, damit man nicht bei jedem vorbeifahrenden Auto eine dicke Staubschicht vom Essen abwischen muß, bevor man es ißt. Aber ist nur eine Überlegung, schließlich enthält Staub viele Mineralien. Rüdiger Nehberg empfiehlt sogar, in der Not Sand in's destilierte Wasser zu mischen. Außerdem wäre da noch das alte Sprichwort "Dreck macht fett..." Dies müssen sich übrigens besonders die Amerikaner zu Herzen genommen haben.

Wieder ein Andendorf, diesmal in Bolivien.

Wir schafften es dann in einem Kaff, den Zucker zu ergänzen und ich entdeckt noch Süßigkeiten in dem Laden. Man erlaubte mir, eines von diesen Teilen, die aussahen, wie Hartplastik, zu probieren und ich biß mir fast einen Zahn aus. Hart wie Stein. Der erste Geschmack war nur süß, der Nachgeschmack nur bitter. Muß wohl Dekoration sein, sowas kann doch kein Mensch nicht essen.
Da nach dieser Ortschaft der Asphalt das Regiment an den Schotter übergeben würde, stellten wir uns am Ortsausgang hin, um das Kochen zu erledigen. Was bitter nötig. Draußen ging der Wind und da wir festgestellt hatten, daß man auch im Auto kochen kann, taten wir das.

So um 16:00 Uhr haben wir dann die Teerstraßen verlassen und fuhren ab sofort mal wieder auf einer unserer "heißgeliebten" Pisten. Teerstraßen sind auch in Bolivien Mangelware, wenn auch besser in Schuß als in Peru.
Jedenfalls brauchten wir für die nächsten 300 km abgesehen vom restlichen Samstag, auch noch den ganzen Sonntag und ein Stück vom Montag. Am Samstag jedenfalls meldete sich mal wieder die Gelenkwelle mit heftigem Scheppern... also am Pistenrand anhalten und bei einer Affenkälte so gut wie möglich wieder zusammengebappt.

Milchreis sollte es eigentlich werden, doch nach zwei Stunden hatten wir Reismilch. Das wurde zwecks Geschmacksaufbesserung mit "Dulce de Leche" vermischt. Das ist so ein Art Karamel. Sehr zu empfehlen. Hat jedenfalls auch gepaßt...

Die Gelenkwelle hatte gerade angefangen zu scheppern als wir durch ein Dorf fuhren, und das im Schrittempo. Nun begann ich, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Wenn das Teil den Geist aufgibt, hier am Arsch der Welt, dann kann ich nicht viel mehr tun als den Sitz zurückschrauben und mich zum Sterben hinzulegen. Das alles schien die Welle nicht mehr zu stören, denn die hatte sich bereits zum Sterben hingelegt, es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis der Tod eintritt. Ihr dumpfes, langsames, mahlendes "TUK - TUK - TUK - TUK - TUK" zehrte an meinen Nerven.

Wenn sie reißt, dann besser nicht im Dorf. Elektrisches Licht gibt es hier nicht, geschweige denn Telephon. "Geh mal in den Laden und frag, ob die Isolierband haben", meinte Gabi. Wieso um alles in der Welt sollten die hier oben ein verdammtes Isolierband haben? Kann genausogut fragen, ob sie nicht vielleicht eine gebrauchte Gelenkwelle für'n 123er haben, oder, wie ein Arbeitkollege Meines Vaters in so einer Situation sagen würde: "Da kann man sich genausogut einen Knopf an die backe nähen..." Ich ging aber hinein, vielleicht, um mir später, wenn wir mit gerissener Gelenkwelle in den Anden erfrieren nicht vorwerfen lassen zu müssen, ich hätte nicht wenigstens gefragt. Also ging ich in den Laden, der ausschließlich von Kerzen beleuchtet war, und fragte die Verkäuferin: "Gibt es hier Isolierband?" Sie sagte "Ja, gleich da..." und zeigte auf die Theke. Ich machte mir nicht die Mühe, nach dem Isolierband zu sehen und wiederholte sehr deutlich "Cinta Islante", also Isolierband. Darauf stand sie auf, sagte auch sehr deutlich "Jahaa! Das Zeug hier!" und hält mir das Isolierband unter die Nase. Ich reiße ihr das Zeug aus der Hand, inspiziere es aus der Nähe. Tatsächlich... Isolierband. Echtes Isolierband. "Was kostet das?", egal, ich nehm's eh, "Und wieso habt ihr hier oben Isolierband?" Sie erklärte dann, daß man das doch immer brauchen könne und da hat sie verdammt Recht. Zurück am Auto, mußte ich mir anhören: "Ha! Ich hab's gewußt, daß die Isolierband haben." Ach, was, reiner Zufall, woher denn? "Weibliche Intuition..."

Dies war eine der lästigen Pfützen, die man zu durchqueren hatte.

Wir krochen ein paar Meter weiter und ich fand hangwärts eine Stelle, an der man die Piste verlassen konnte. Jetzt wird's unangenehm... Raus aus dem Auto, Norweger an und raus in die Affenkälte, 12V-Neonröhre und Isomatte unter das Auto legen und es ihnen anschließend gleichtun. Nur Beeilung, solange der Auspuff noch warm ist.

Als erstes schnitt ich die Manschette und etwa drei Tonnen Isolierband ab. Das dauerte ewig, weil das taschenmesser nun mal im lauf der Reise abgestumpft war. Darnach kam die alte Manschette wieder drauf und Schmierfett, original Mercedes-Benz - Schade darum, aber es war nichts anderes da - hinein und das Ganze wurde dann mit Isolierband umwickelt.

Nach dieser Aktion dachte ich, mir faulen Ohren und Hände ab. Lausig kalt ist's, wenn man da so am Boden liegt und der Wind einem um die Ohren pfeift. Nur schnell ins Auto, Motor an und sobald Betriebstemperatur erreicht, die Heizung auf AK laufen lassen. Der Motor lief, die Karre bewegte sich, zwei, drei mal hörte man die Gelenkwelle noch schlagen, doch dann war Ruhe.

Voraus ein Rinnsal, das die Piste querte.

An einem Hang vergaß ich, rechtzeitig Vollgas zu geben und als ich das nachholte war nichts mehr zu machen der Benz blieb stehen. Rückwärts den Hang hinunter, neuer Anlauf. Erster Vollgas, zweiter Vollgas, er geht hoch auf 60, kämpft gegen den immer steiler werdenden Hang an und geht langsam, immer schneller werdend wieder hinunter. Voch bevor er die 40er Marke erreicht, Kupplung, Gang raus, Kupplung loslassen, Vollgas geben, Kupplung treten und den Ersten wieder übernehmen lassen. Auch er verliert langsam die Kraft, aber diesmal hatte der Hang den kürzeren Atem. Er ging in eine normale Steigung über. Haben denn die Bolivianer einen Hau? Wie sollen denn die alten LKW hier hochkommen? Und wieso haben die Herrn bei Mercedes nicht an einen Kriechgang für den 200D gedacht? Kurz vor Potosí gab es eine Kampfpause in Form von einer Asphaltstraße. War leider nicht Lang, vielleicht 10 oder 15 km. Aber besser als nichts.

Um 0:30 Uhr hatten wir dann endlich Potosí erreicht. Hier gibt es Silberminen, die in der Vergangenheit einigen Leuten zu sehr viel Geld verholfen hatten. Den ersten Berg Postosi schafften wir im dritten Anlauf. Es ist ein witziges Städtchen, weil hier Samstagabend wirklich jeder besoffen ist. In Potosí war wohl an diesem Abend zufällig das Event des Jahres. Irgend ein Megafolklorefest, jedenfalls waren aufgrund dessen 98% der Einwohner von Potosí bei unserer Ankunft dem Kotzen nahe, oder sollte das in einem kausalen Zusammenhang... nein, also das Problem war nun eher, daß es bis jetzt immer am Besten geklappt hatte, sich durch Städte nach dem Weg durchzufragen. Da aber hier alle besoffen waren, war die Auswahl an Wegbeschreibungen die sich teilweise wirklich völlig wiedersprachen, aber zum selben Ziel führen sollten schon mehr als originell.

Das Altiplano in Bolivien.

Dazu kam noch, daß Potosí laut Reiseführer die höchste und gleichzeitig die steilste Stadt der Welt ist - das ganze Kaff liegt an einem wirklich steilen Hang und zudem auf 4.070 m Höhe. So, und wenn wir uns jetzt alle kurz an die Geschichte mit dem Parkhaus in La Paz erinnern wird schnell deutlich, daß wir einige Probleme hatten, die Steigungen zu überwinden, doch das mußten wir, da sich die Hinweise häuften, daß unser Weg auf der anderen Seite der Stadt weiterging. Also bis zu fünf mal Anlauf nehmen um (in Etappen) eine Straße hoch zu kommen. Das sah dann also folgendermaßen aus: mit Vollgas eine Straße hoch fahren so weit es geht. Wenn nichts mehr geht, seitlich einschlagen und auf der Horizontalen wieder genügend Anlauf für die nächsten paar Meter Steigung nehmen. Glücklicherweise war es Nacht und somit wenig Verkehr. Tagsüber wären wir da wohl niemals hoch gekommen. Eigentlich fand ich es ja sehr schade, daß wir nicht etwas in Potosí bleiben und das fest besuchen konnten. Aber für zwei Sandwiches blieb doch noch Zeit. Andererseits war ich so froh, als wir endlich den Rand von Potosí per Auto erklettert hatten, daß wir nicht riskieren wollte ein zweites mal vielleicht nicht mehr hoch zu kommen. Wir stellten uns neben eine geschlossene Tankstelle und schliefen trotz des Lärms der nahegelegenen Silberminen bestens ein.


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