11. bis 17. August 2003

Catarina war im Lande. Das ist jener Typ, den ich in Brasilien zufällig kennengelernt hatte, als ich durch das Haus lief. Er war mit mir mitgefahren, als ich Brasilien verließ um nach Mexiko zu fahren. In Equador flog er dann zurück. Damals hatte er schon den Plan zum 100. Geburtstag von Harley-Davidson in die USA zu kommen und hatte damals schon sein Visum beantragt. Nun war er hier, schickte mir ein paar eMails aus Chicago, daß er auf dem Weg nach Los Angeles sei. Er käme dann irgendwann am Dienstag oder Mittwoch. Am Mittwoch hatte ich frei, den ganzen Tag, aber kein Catarina weit und breit. Als ich abends vor dem Rechner saß klingelte das Telephon. "Servus, ich steh vorm Roten Löwen, wo bist Du?" Ich ging hinunter und stellte fest, daß der Typ immer noch genauso aussah, wie beim letzten mal, als ich ihn gesehen hatte. Er hatte sich in Chicago für 350 US$ eine Yamaha gekauft und mit der war er jetzt unterwegs. "Jetzt gibt es erstmal ein gescheites Deutsches Bier." Er hatte die Wüste durchquert und seine Beschreibung davon war typisch. Zum totlachen. Jetzt hatte er Angst vor der Rückfahrt. "Bestimmt muß ich sterben." Kein Wunder, er hatte auch einen besonders heißen Tag erwischt und auf dem Motorrad ist eine Klimaanlage nun mal unsinnig. Und dann hatte der Held natürlich auch kein Wasser dabeigehabt und wundert sich auch noch, daß das Bild anfängt zu schwanken. Die heißen Seitenwinde machten ihm auch das eine oder andere Mal zu schaffen. "Haltet die Erde an, ich will aussteigen. Irgendwas hat ich da nicht mitbekommen, davor hat mich keiner gewarnt, so heiß war es nicht mal im Nordosten gewesen..." Sich die heißeste Gegend auf dem Kontinent zur heißesten Jahreszeit ausgesucht.
Ich gab ihm noch 40 Dollar, damit er sich in einem Motel einquartiert. Wollte er nicht haben, ich sollte ihm nur einen netten Platz aufstellen, wo er übernachten könnte und ihm das "Bettzeug" leihen. Spontan fiel mir da nur der Parkplatz des Internet-Cafés ein. Wir bauten ihm aus Daimler und Motorrad einen Sichtschutz und es paßte alles bestens. Am nächsten Morgen lag er jedenfalls noch da. regnen tut es hier ja so gut wie nie, insofern braucht man sich da keinen großen Kopf wegen Zelt und dergleichen machen. Aber Schlafstörungen gab es für ihn dennoch. Er erzählte, er sei kurz nach der Morgendämmerung aufgewacht, weil es scheinbar doch regnete. Es sah aber keine Wolke am Himmel und nachdem er festgestellt hatte, daß es eine dieser dummen Sprinkelanlagen war, die hier auf jedem grünen Fleck zu finden sind, verlegte er sein "Bett" ein paar Meter in die andere Richtung und schlief weiter, aber nur, um nach ein paar Minuten wieder aus dem gleichen Grund wach zu werden. Der andere Sprinkler hatte eingesetzt. Und während er sich noch überlegte, ob er nun weiterschlafen sollte, kam ich schon auf den Plan, um in die Arbeit zu fahren. "Ich glaub das nicht!", begrüßte er mich. "Als Du gestern sagtest, Du würdest heut früh in die Arbeit fahren, dachte ich, es sei Geschwätz. Was ist denn mit Dir eigentlich im letzten Jahr passiert? Findest Amerika geil, Frau in der Schweiz, Hund im Auto, frühes Aufstehen, und das auch noch, um in die Arbeit zu fahren. Als nächstes fährst Du wahrscheinlich Deinen geliebten Mercedes auf den Schrott und kaufst Dir so 'ne Amikiste." Stimmte, da hatte sich wohl in dem Jahr bei mir mehr verändert, als in den vorangegangenen 27 Jahren. Wo der Besold hin ist, der sofort den schwätzenden Subjekten in die Parade fuhr, wenn das Thema auf Amerika kam, der nichts, aber auch gar nichts von Weibern wissen wollte, der Hunde haßte wie die Pest, der äußerst selten am Vormittag aus den Federn kam, der Arbeit verabscheute, wie der Teufel das Weihwasser, das wußte ich ihm nicht zu sagen. Hat wohl gerade Urlaub. Aber ich tröstete ihn damit, daß ich Hunde zwar inzwischen mag, aber nur, wenn sie plattgefahren auf der Straße lägen. Und natürlich damit, daß das Auto bleibt, und wenn die Erde aufhört, sich zu drehen, der geht mir über alles. Am elegantesten drückt man es so aus:

Der Daimler zeigt mir täglich neu
Was ich beim besten Weib nicht finde
.
Er bleibt dem Mann im Sturme treu,
Die Frau nicht mal im Winde
...

Catarinas Nachtplatz.

Hinzu kommt natürlich, wie gesagt, daß sich die "unbegrenzten Möglichkeiten" die dieses Land tatsächlich zu bieten scheint auf zwei reduzieren lassen: Friß oder stirb. Man muß sich da einfach anpassen, die Möglichkeiten nutzen. Das hat was. In Lateinamerika würde ich nach wie vor keinen Finger rühren, denn dort ist es egal, ob man arbeitet oder nicht, Geld bekommt man eh keines. Gleiches gilt für Deutschland, ob man arbeitet oder nicht, Geld bekommt man eh. Hier stimmt wieder alles. Tut man was, hat man was, tut man nichts, hat man nichts. Bedauerlich für die, die nicht können aber gut für alle anderen. Auch hier gibt es zwar eine Arbeitslosenunterstützung, aber das ist kein Sozialstaat im bismarckschen Sinne. Andererseits habe ich es hier schon ehemalige Junkies gesehen, die mittlerweile für Hollywood Filmbühnen bauen und nicht schlecht verdienen. Es liegt eben an einem selber, einem Junkie in Europa geht es verhältnismäßig gut, im Vergleich zu seinem amerikanischen Kollegen, denn hier wird er nicht aufgefangen und auf Staatskosten behandelt. Hier muß er sich selbst behandeln. Entweder ist er geistig noch so fit, daß er es anpackt und dann kann er es auch schaffen, oder er krepiert an einer Überdosis. Nobody gives a shit... Und das ist gleichzeitig eine wirkungsvollere und vor allem billigere Behandlung. Und genau dieser Typ sagte zu mir, daß man in Amerika immer wieder die Chance hat hochzukommen, solange man nicht anfängt zu flennen, sondern es anpackt. Es ist nicht leicht, aber man muß schon sehr viel Pech haben, damit es nicht klappt. Und so scheint es hier wirklich zu laufen, zumindest habe ich bisher keine Gegenteilige Erfahrung gemacht.
Ich hatte einst in Playa mit Nora telephoniert. Sie hatte ihrem ältesten Bruder von meinem Plan erzählt in die USA zu fahren. Er, mittlerweile Doktor der Medizin, war für einige Monate beruflich in San Francisco gewesen und riet mir dringend davon ab. Er kannte mich und meine Lebensweise und er hat damals gesagt, das sei das letzte Land, in das ich einreisen sollte, denn dort sei kein Platz für Leistungsverweigerer. Und er hat vollkommen Recht. Leistung verweigern kann man hier nur dann, wenn man vorher irgendwie zu sehr viel Geld gekommen ist.
Catarina ist in Brasilien Sicherheitstechniker bei der Firma, die das einzige Atomkraftwerk des Landes rennt. Deutsches Fabrikat, übrigens, deswegen steht heute Tschernobyl für Tschernobyl und nicht Angra. Aber die Brasilianer kriegen auch das noch hin, da bin ich mir sicher. Jedenfalls verdient er als Sicherheitstechniker im Monat umgerechnet 300 Dollar, je nachdem, wie der Real steht. Das sind keine Verhältnisse und es wundert mich immer wieder, wie er es schafft, damit Urlaub in Amerika zu machen, bedenkt man, daß er dort unten ja auch noch ein normales Leben führt, also Miete, Auto, Telephon und vieles andere mehr bezahlen muß. Und das alles auch noch ohne Englisch. Da kommt es ab und zu zu Mißverständnissen. Zum Beispiel, als er sich mit Wolfgang unterhielt und zu diesem Zwecke neben Händen und Füßen auch sein Portañol und seine drei Wörter Englisch zusammennahm. Da steht also dieser bärtige Harley-Typ da, sieht aus, wie man sich eben einen aggressiven Motorradrocker so vorstellt und sagt: "I want to know all the bitches in Los Angeles." Macht Sinn, wenn man ihn so ansieht, aber wenn man ihn kennt und weiß, daß er eben nur so aussieht, im Grunde genommen aber ein friedlicher Mensch ist, der primär an Landschaften und Sehenswürdigkeiten interessiert ist, dann erst kommt man drauf, daß er eben gern alle Strände von Los Angeles kennenlernen will und nicht die Nutten von L.A.

Während der Woche fuhr er nach San Francisco. Ob ich da was wüßte, was man photographieren müßte. "Ja, auf jeden Fall die Golden-Gate-Bridge..." Er sieht mich fragend an. "Was für ein Teil?" "Die Brücke, die kennst Du sicher, hast sie bestimmt schon eine Million male im Fernsehen gesehen." Er erkannte sie wieder, als ich ihm ein Bild davon zeigte. Es lief darauf hinaus, daß er hinfuhr, in einen Platzregen kam, sich nicht beirren ließ, die Brücke, die halb im Nebel lag, typte, und wieder zurückfuhr. Sein Quartier war nach wie vor auf dem Parkplatz. Eines Nachts liege ich friedlich auf der Couch und träum von der Liebsten in der Heimat. Ich wachte auf dadurch, daß jemand "Fucking Bastards!!!" brüllte. Ich erhob mich, griff nach dem Gewehr. Gewehr? Noch schlaftrunken, sah ich Hans an der Wohnungstür stehen. "Beese, bist wach worn?" "Hast Du gerade 'Fucking Bastards' geschrien?" Ob ich denn erst dadurch wachgeworden sie? Dann nahm ich auch nach und nach den Lärm draußen wahr. Geschrei, Polizeisirenen und - unverkennbar - Elkes Stimme. "Was ist denn da los?" "Wia soi ma do schlofn, bei dem Radau? Fucking Assholes" Er ging wieder ins Bett, ich zog meine Montur an und ging hinaus. Zwei Streifen, zwei Sankas und Elke im Nachthemd und völlig aufgeregt. "Der ist bestimmt tot, das ist das Schlimmste, was ich hier je erlebt habe." Was denn nun? Von vorn. "Mitten auf der Straße, auf der gelben Linie, da..." Ich sah hin und da war nichts. "Ja, was war denn da nun?" "Die haben sich gekloppt, aber brutal, der eine lag dran und der andere hat reingetreten." Ich sah mal hinunter zu Catarina. "He, wach auf!" "Schon wieder?" "Hast Du das da mitgekriegt?" "Alter, ich hab schon gedacht, die kommen wegen mir, aber als sie alle vorbeigefahren sind, war ich froh und hab weitergeschlafen. Hat sich so angehört, als würden sich da ein paar gegenseitig umbringen."

Silverlake, Los Angeles, 3:14 Uhr Nachts.

Am nächsten Tag, als ich nach der Arbeit in den Löwen ging, war Elke immer noch aufgeregt. Inzwischen war näheres Bekannt. Es war eine Schlägerei zwischen Armeniern und Mexikanern. "Ach, was regst Du Dich da auf? Laß das Gesocks sich doch gegenseitig totschlagen. Braucht das irgendjemand? Weiß man schon beiläufig, wer gewonnen hat?" Wußte man nicht.
Ich haute mit Catarina auf dem Hollywood-Boulevard noch ein paar Hunderter auf den Kopf. Wenn mir das einer in Mexiko erzähl hätte. Nur mit den Frauen mach ich was falsch. Catarina unterhält sich mit denen mit Händen und Füßen, stundenlang. Bei mir laufen sie immer weg. Dabei geb ich mir wirklich alle Mühe und sprech sie sogar an - hab ich nie gemacht, wo kommen wir denn da hin? Sollen gefälligst zu mir kommen. "Hello Madam, I need a greencard, do you want to merry me?" Und - schwupp - weg sind sie... Warum klappt es bei ihm und bei mir nicht? Er sieht genauso versifft aus... Die Weiber versteh, wer will. Aber es ist wohl auch hier so, wie Frank schon erklärte, die erste sagt nein, die zweite sagt nein, die dritte usw...

Der Hollywood Boulevard am Mittwochabend

Ich fuhr mit Catarina auch sonst noch ein wenig durch die Gegend. Zum Beispiel zu Fry's, um einen Schraubenzieher zu kaufen. Ich wollte den Speicher des Toshiba erweitern. Schon nach dem ersten Versuch gab ich auf. Der Schraubenzieher muß aus Wachs gewesen sein. Umtauschen, gar kein Problem. Nächster Versuch. "Wieso sind die Drecksschrauben so fest angezogen?", fragte ich beiläufig. Er antwortete in dem Ton, in dem er vielleicht ein Wochenbericht bei seinem Chef abgeben könnte, also ohne jede Mimik und ohne auch nur zu grinsen. "Die Vierbeiner, die die Teile zusammenschrauben sind es gewohnt, Räder an Lastwagen hinzuschrauben und die meinen halt, beim Computer muß man auch so anziehen, sonst fliegt vielleicht der Deckel weg..." Diese Aussage beschreibt exakt genau den Stil, in dem Catarina grundsätzlich redet. Manchmal frage ich mich, wie man überhaupt so schnell auf so einen Irrsinn kommen kann. Das müßte man glatt üben, das hat was.


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