Persien 2006
Montag, 21. August

Wir fuhren wieder zurück in die Gegend des ersten Hotels. Die Streckenführung war ziemlich bescheuert, so daß man um die halbe Stadt geführt wurden, wenn man einmal falsch abbog. Das nervte mich nun langsam.
Als eine Weile keine Fahrtrichtungsanweisungen kamen, bellte ich los: "Fuck! Wo sind wir denn jetzt? Verdammt!"
Michl: "Ah. Weitergefahren. Ich hab doch gesagt: An dem großen Platz die zweite rechts."
"Dann sag das auch bitte so, daß ich es versteh. Und vor allem wart nicht bis ich frage, wenn wir uns verfahren haben, sondern sag's gleich. Hab keinen Bock, die ganze Nacht hier rumzugurken. Von Dir will ich bloß 'links' oder 'rechts' hören. Alles andere interessiert mich nicht. Behalts für Dich. Welcher Platz überhaupt? Ich hab keinen gesehen."
"Der Platz, wo die ganzen Taxis standen, an dem wir mittlerweile schon tausend mal vorbeigefahren sind."
"Den hab ich nicht erkannt. Und wenn ich nicht ein Orientierungsidiot wäre, bräuchte ich Dich nicht zum Navigieren."
"Ah, dann fahr halt, wo ich sag."
Ich wurde immer lauter: "Dann sag halt, wo ich fahren soll und nuschel nicht vor Dich hin. Das, was Du als reden bezeichnest, ist für mich ein ungleichmäßiges Gekrächze. Die Fenster sind offen, da draußen sind andere Autos. Die sind nicht nur im Weg beim Abbiegen, sondern sie machen auch Lärm, also red so, daß ich was versteh. Und sag mir wenn ich falsch fahr, statt zu warten, bis wir in der Pampa sind und ich nachfragen muß."
Zwei, drei Anweisungen in normaler Lautstärke, dann wieder lautes Denken und schon verschwimmt beides zu einem unverständlichen Gemurmel. "Du, Michl. Tust mir einen Gefallen? Schreib die Richtung, in die ich fahren soll auf einen kleinen Zettel und halt den zum Fenster raus."
"Hä? Wieso?"
"Alter, Du bist so behindert..."
Schlußendlich erreichten wir dann doch das Hotelviertel. Dort waren neben dem de Londres noch mehrere gewesen und dort in der Nähe war ein bewachter Parkplatz. Wir fuhren hin, Almut und Michl gingen in das Hotel Troya, ich ging in ein anderes und fragte nach. 80 € wollten sie haben. Wieder beim Auto kamen auch schon die anderen beiden. Nachdem die halbe Nacht bereits rum war, war es Almut gelungen, den Preis auf 60 € herunterzuhandeln. Wir packten das Zeug aus und während die anderen eincheckten, fuhr ich auf den Parkplatz. An der Einfahrt war der Wächter, aber keine Preisliste. Ich wollte wissen wieviel es bis morgen um 10 Uhr kosten würde. Erstaunlicherweise konnte er, im Gegensatz zu 90% seiner Landsleute kein Deutsch, also beschränkten wir uns auf Zeichensprache. Wir einigten uns auf 10 YTL. Er fuhr mit mir hinunter, stellte mich dem unteren Parkplatzwächter vor. Ich wollte wissen, ob er auch gescheit aufpaßt. Mit Handzeichen und ein paar Brocken Arabisch dachte ich weiterzukommen. Türken, Araber, Kurden... ist doch alles das gleiche. Manchmal hilft diese "Denk"-Weise. Wie zum Beispiel in dieser Situation, denn der untere Parkplatzwächter war tatsächlich Araber und er verstand zumindest, was ich wollte, nachdem ich meine vier Wörter, die mir aus dem Arabischen bekannt sind, so ordnete, daß er sie verstand. Auch den Preis ließ ich mir nochmals bestätigen.

Ich latschte zum Hotel zurück und fand Almut und Michl in der "Loby" sitzend vor. "Ja, seid ihr wahnsinnig geworden? Warum seid ihr nicht auf dem Zimmer? Soll ich Euch hochtragen lassen?" Man lehnte dankend ab und wies mich darauf hin, daß es vollkommen ausreichen würde, ihnen die Pässe auszuhändigen. Hoppla. Stimmt. Die hatte ja ich. Wir checkten also ein. Ob am Parkplatz alles klarging, wollte Almut wissen. "Klar. Da war einer, der konnte Arabisch, dadurch ließ sich alles im Handumdrehen regeln. Bis morgen früh um zehn kostet es 10 YTL. Und es gibt kein Problem." "Die Angestellten hier sind auch alles Araber", bemerkte Almut. Das konnten wir uns nicht erklären. Im Südosten wäre das verständlich gewesen, aber hier?

Das Zimmer war für diesen Preis wirklich erstklassig. Sehr sauber, Klimaanlage, fein bezogene Betten. Beruhigend zu wissen, daß das Auto auch ein Dach über dem Dach hatte. So kann man es durchaus eine Weile aushalten. Almut machte uns noch ein paar Minutos, während Michl und ich uns die Nachrichten ansahen. Vorwiegend interessierte uns natürlich, was im Iran so ging. Aber im Irak war die Lage wohl interessanter. Über den Iran kam nichts, was uns irgendwie anbelangte. Das übliche Gequengel über die Atompolitik. Weiß gar nicht, was der Aufstand soll. Die reichern jetzt ein ein bißchen Urin an, und wenn es soweit ist, daß die Sache interessant werden könnte, dann schicken die Israelis ein paar Jagdbomber rüber und der Iran kann wieder von vvorne anfangen. Die alte Leier halt.
Wir löffelten unsere Suppen aus, ich tippte noch eine Weile und kam schnell zu der Erkenntnis, daß Onlineberichte unmöglich zu bewerkstelligen sind. Wenn man das tun wollte, wäre man nur noch am Tippen und hätte keinen Stoff, über den man schreiben könnte. Man hinkt immer weiter hinter den Ereignissen her, je länger man unterwegs ist. Hinzu kommt, daß man einen gewissen Abstand braucht, da sich Dinge unterwegs zu schnell ändern. Entscheidungen, die bei der Ausführung schon wieder geändert werden mußten, Zufälle, auf die man trifft und die wieder alle vorgefaßten Pläne über den Haufen werfen und dem ganzen eine andere richtung geben. Das passiert stündlich, und wenn man ein paar oder Monate später das, was tatsächlich geschah mit dem vergleicht, was sein hätte sollen, dann hat man zwei vollkommen unterschiedliche Berichte, von denen einer überflüssig ist. Wichtig ist das strategische Vorhaben: Wir wollten nach Teheran. Die taktischen Züge, die man unternimmt, um auf das strategische Ziel hinzuarbeiten sind eigentlich immer uninteressant, egal, ob man mit dem Auto, zu Fuß oder mit der TUI unterwegs ist. Man muß eben das tun, was gerade opportun erscheint. Im Moment tun sich zig Wege vor einem auf, man schlägt aber den, den man für den besten hält ein. Der führt dann zum nächsten Punkt. Über die anderen Wege zu berichten ist vollkommener Quatsch, aber wenn man eben noch nicht weiß, welcher davon letztendlich genommen wird, steht man da und tippt und tippt und tippt und kommt am Ende zu keinem Ergebnis. Reine Zeitverschwendung. Ich genoß es in dem weichen Federbett zu schlafen. Wer weiß, wann wir diesen Luxus wieder haben würden.

Frisch ausgeruht und munter gingen wir am nächsten Tag zum Frühstücken. Das war inklusive, aber Fleisch gab es geines. Nur so gesundes Zeug für übergewichtige Leute. Doch ich war zufrieden, denn wir hatten es zeitlich genau hingekriegt. Heute war Montag, die Osmanen gehen nach dem europäischen Kalender und haben am Sonntag ihren Ruhetag. Heute konnten wir losziehen und erledigen, was zu erledigen war. Nach dem Frühstück packten wir zusammen. Ich hackte noch ein wenig auf der Tastatur, las und beantwortete eMails, während die anderen die Sachen runterbrachten. Hier hatten wir Wireless LAN. War auch im Preis mit eingeschlossen. Danach war Almut dran. Sie mußte mit der Bodenleitzentrale, also mit Joe das Versenden ihres Passes koordinieren. Den brauchte sie schließlich für den Sprachkurs. Michl und ich suchten derweil eine Wäscherei und eine Bank. Der Rezeptionist war sehr hilfsbereit. Eine Bank gibt es 200m rechts vom Hotel, eine Wäscherei 200m links davon. Wir gingen erst zur Wäscherei. Als sie anfing, die Klamotten einzeln auseinanderzuklamüsern kam mir der Verdacht, daß es sich um eine Reinigung handelte. Erst setzte ich fast alle Extremitäten ein, um nachzufragen, ob das nicht alles einfach in die Waschmaschine geworfen und der Kilopreis berechnet werden könnte, bis mir einfiel, daß ich doch vier Wörter Türkisch konnte: Vorderrad, Hinterrad, Soldat und Waschmaschine. "Çamasir Makinasi". Nein, hatten sie nicht. Wir packten alles wieder ein und rumpelten wieder zum Hotel zurück. Ich ging hoch und holte Almut, denn Checkout-Time war vor einer Stunde gewesen. Das Zimmer war gleich neben dem Aufzug. war hatte ich den Schlüssel dabei, ich zog es allerdings vor, in meiner vornehmen Art lieber laut "He!" zu schreien, und mit dem Stiefel unten gegen die Türe zu trappen. Gerade im Umgang mit Frauen ist es wichtig, charmant zu sein. Nur klappte es diesmal irgendwie nicht ganz, denn es kam weder eine Antwort, noch ging die Tür auf. "Blöde Zupfl", dachte ich mir, "machst nicht gleich die Tür auf?" Bestimmt war das wieder so eine Erziehungsmaßnahme. Ich zog den Schlüssel aus der Hosentasche und wollte aufsperren. Er paßte zwar, drehte sich aber nicht. Komisch. Ich verglich den Schlüssel mit der Tür: Auf dem Schlüssel stand 601, auf der Tür 701. "Oh... Blöd..." In so einem Fall hilft es nur, sich möglichst schnell und unauffällig zurückzuziehen. Der Aufzug war zum Glück noch da und die Tür ging auch gleich auf. In dem Moment hörte ich aber auch schon das Schloß klicken. Die Tür ging auf und ein völlig verschlafener Typ mit stark verärgertem Blick, zwei Metern Höhe und locker zwei Zentnern Kampfgewicht stand im Türstock und sah mich entsprechend an. "Sorry, ich hab' das falsche Knöpferl erwischt." Er stand nur da und starrte mich weiter an, verstand wohl kein Wort und war einfach nur beleidigt. "Ähm... Look... Sorry... Ähm... Go back to sleep", sagte ich, während die Aufzugtür schon wieder zuging. Also, sowas Blödes war mir zuletzt vor 19 Jahren passiert und da war ich 13.

Die Putzfrauen, die übrigens genauso aussehen, wie die in deutschen Hotels, waren schon vor der Tür, als ich kurz darauf ein Stockwerk tiefer angelangt war. Ich sagte ihnen, daß sie durchaus schon reinkonnten und zeigte aufs Zimmer, dessen Tür ich demonstrativ aufriß und offenließ: "Gehts weiter, könnts schon saubermachen. Ma fisch muschkila..." Ich ging auch ins Zimmer, packte den Rechner zusammen und ging mit Almut zum Aufzug. eine der Putzfrauen sah Almut an und sagte auf Deutsch "Ich liebe Dich". Ich sah sie an und sagte auf Türkisch "Waschmaschine". Die beiden lachen sich schief, die eine stammelt noch was von "automatik" hervor. Die spinnen, die Türken.

In der "Loby" angekommen, beschlossen Almut und Michl zur Bank zu gehen. Ich blieb beim Gepäck, fuhr den Rechner wieder hoch und schrieb noch ein paar eMails. Die beiden brauchten eine Weile. Als sie um halb zwei wieder ankamen, löste mich Almut am Rechner ab und ich ging los zu, Parkhaus, um das Auto zu holen.
Man konnte bei diesem Parkhaus nicht wieder da hinaus, wo man hineingefahren war, sondern mußte hinten entlang zu den Hotels. Ich fand sogar alleine den Weg vor das Hotel, ohne mich zu verfahren, parkte genau davor und verlud das Gepäck. Dann löste ich Almut wiederum ab, tippte noch zu Ende, packte den Rechner ein und ging zum Auto. Es war schon ziemlich heiß und schwül hier. "Diese beschissene Meerenge, kann die nicht austrocknen?", fluchte ich für mich. natürlich konnte sie das nicht und wir mußten die Waschküche einfach ertragen.

Wir fuhren als erstes zum iranischen Konsulat. Es war nicht schwer zu finden, da wir bei unserer grandiosen Rumeierei gestern abend mindestens achzig mal daran vorbeigefahren waren. Ich hielt genau davor. Sicherheitabsperrungen brauchen die Iraner sicher nicht. Das gibt es nur vor amerikanischen, israelischen und britischen Botschaften. Ein Soldat stand Schildwach und wurde von Almut angesprochen. Das Gespräch dauerte nicht lange, schon kam sie zurück und erklärte, daß die Botschaft zuhatte. Das ging daneben. Und schon muß man den eigentlichen Plan weider über den Haufen werfen. Das ist aber normal und kein Grund zur Aufregung. Nächster Punkt: Wir hatten noch Wäsche. Almut und Ines haben vor acht Jahren wohl eine Weile im Sultan-Achmed-Viertel gewohnt, wie man zwischen den Zeilen heraushören konnte. Da soll es sowas geben wie Waschsalons. Wir gaben die Wäsche ab bei einer Wäscherei, die von einer lustigen Mamma geleitet wurde. Keiner verstand, was der andere sagte, aber wir amüsierten uns prächtig. Um sechs sollten wir wiederkommen. Ankara war heute sowieso nicht mehr drin. Zwar könnten wir es dorthin schaffen, aber die Botschaft würde bei unserer Ankunft längst geschlossen haben.

Es war zehn vor drei, also hatten wir mindestens dreieinhalb Stunden Leerlauf. Wir parkten das Auto an der Straße und zogen los. Nebenan war ein Elektrowarengeschäft und ich hatte eine türkische Lire in der Hemdstasche, die ich auf irgendeine intelligente Art und Weise loswerden wollte. Ich ging hinein und sah mich um. Ich hatte noch im Hinterkopf, daß ich im Goody's in Alexandroupolis nur eine Steckdose zur verfügung hatte, aber drei Geräte, die einer solchen bedurften, nämlich der Rechner, das Handy und die Kamera. Einen Dreifachstecker hatte ich zwar im Kofferraum, aber der stand in Kalifornien. Also handelte ich den Stecker auf eine Lire runter und nahm ihn mit. Nun konnte ich tippen und alles laden zur gleichen Zeit. Wahrscheinlich würden wir fortan nicht mehr in diese Situation kommen. Das weiß ich aus Erfahrung. Aber hätte ich den Stecker nicht gekauft, wäre dauernd entweder das Handy oder die Kamera lee gewesen, zumal kein Spannungswandler oder Autoladekabel an Bord waren.beides lag ebenfalls im Kofferraum des Braunen.
Nun auf durchs eigentliche Sultan-Achmed-Viertel, benannt nach der Sultan-Achmed-Moschee, die wiederum nach dem Erbauer Sultan Achmed II benannt ist und sich gegenüber der Hagia Sophia befindet, die ursprünglich eine Kirche war, dann zum Islam konvertierte und sich fortan wie eine Mosche benahm und mittlerweile ein Museum ist. Im Deutschen heißt die Sultan-Achmed-Moschee "Blaue Moschee", wegen ihrer blauen Färbung. Dazu gibt es auch wieder eine Legende: Diese Moschee besitzt sechs Minarette, weil die Architekten, die keine Türken waren, die türkischen Wörter für "Gold" und "Sechs" verwechselt hatten und statt den Minaretten goldene Kuppeln zu verpassen, bauten sie einfach sechs Minarette. Dadurch mußte der Sultan für die Obermoschee in Mekka zwei weitere Türme springen lassen. Und die 537 erbaute Hagia Sophia hat bereits sieben Erdbeben überstanden. Um das Jahr 1000 wurde sie wohl schwer beschädigt und bekam auf jeder Seite zwei Stützmauern mit Bögen dran, damit sie die alle weiteren Erdbeben übersteht. Dem war dann wohl auch so, wie man heute sehen kann. Wir waren natürlich nicht drin. Am Montag haben Museen geschlossen und Eintritt zahlen wir nur für Dinge, die unbedingt sein müssen.

Interessanter fand ich persönlich den Brunnen, der in der Nähe der beiden Moscheen. Der hieß nämlich auf türkisch Deutscher Brunnen, auf Deustch Kaiser-Wilhelm-Brunnen. Der steht da mitten auf einem öffentlichen Platz und versorgt vorbeilaufende Einheimische bis zum heutigen Tag gratis mit frischem Trinkwasser.

WILHELM:II:DEUTSCHER:KAISER
STIFTETE:DIESEN:BRUNNEN:IN
DANKBARER:ERINNERUNG:AN
SEINEN:BESUCH:BEI:SEINER
MAIESTÄT:DEM:KAISER:DER
OSMANEN:ABDUL:HAMID II
IM:HERBST:DES:JAHRES:1898

Es fand sich auch gleich ein Einheimischer, der uns begeistert die Geschichte von diesem Brunnen erzählte, als wäre er selbst bei der Einweihung dabeigewesen. Zwei seiner Onkel leben in Deutschland und von der EU-Idee sei er nicht begeistert. "Ihr habt schon zuviel von Eurem Brot an andere verschenkt", also, mich konnte er sicherlich nicht meinen. Aus Almut sprach, wie gewohnt die 'Geschäftsfrau': "Vielleicht kommt es eines Tages retour..." Ich schüttelte den Kopf. "Genau wegen dieser beschissenen Einstellung wirst Du es nie zu Kohle bringen, das ganze Leben nicht", fuhr ich sie an. Wir könnten Jahrelang auf Achse verbringen, wenn die nicht eine auf Mutter Theresa machen müsste. Wenn sie auf irgendeinem Kongreß 100 € Fahrkostenvergütung bekommt, die Fahrt aber nur 10 € gekostet hat, dann besteht sie darauf, daß sie auch nur die ihr zustehenden 10 € bekommt. Daß das Verwaltungstechnisch viel teurer wäre, jeden einzelnen Fall zu prüfen, und, daß dann plötzlich jeder Fahrtkosten in Millionenhöhe gehabt hätte, das kommt ihr nicht in den Sinn.

Dann nimmt sie die überschüssigen 90 € und spendet sie an irgendeinen wohltätigen Verein, damit der Vorstand sich neue Anzüge schneidern lassen kann. Applaus gibt es dafür von mir nicht. Höchstens blöde Sprüche. "Wenn Du Deine Kohle unbedingt loswerden willst, dann schenk sie einfach mir." Die Logik haut aber nurbedingt hin: "Das ist nicht meine Kohle", sagt sie darauf, "ich habe nichts dafür getan, und Du auch nicht." Es ist einfach sinnlos. Die bringt's glatt fertig und Verzichtet auf die Erbschaft. "Ach, schaut her, ich bin so ein guter Mensch und komm bestimmt zum Allah in den Himmel. Moralapostel! Wächterin über Recht und Moral!" Darüber kann ich mich ja nun maßlos aufregen, über dieses Blödgetue. Unsereins kann nicht genug kriegen und die eigene Beifahrerin verschenkt unsere Reisekasse an irgendwelche Mistkinder, als wäre sie Krösus. Sollen doch die Eltern sich drum kümmern und neue machen, wenn die alten defekt sind.

In diesem Viertel läßt es sich relativ gut und sicher parken.

Wir liefen eine Weile in der Stadt umher, kauften Postkarten und ließen uns in einem Saftladen nieder. Michl und ich aßen eine Kleinigkeit, ich tippte wieder mal auf dem Computer wirres Zeug zusammen, während die anderen Karten schrieben. Unter anderem an Ines, die nachwuchstechnisch daran gehindert war, an dieser Fahrt teilzunehmen. Schade. Ich werd sie vermissen. Aber sie bekommt von uns dafür Postkarten als kleinen postnatalen, antehumen Nachruf, sozusagen.

Ich probierte nach und nach alle Säfte durch, die es gab. Der Wirt brüllte zwischendurch mal einen Taxifahrer zusammen, wie der Spieß auf dem Kasernenhof einen Rekruten zur Sau zu machen pflegt, der Mist baut. Dieses ständige gehupe, sobald die Ampel grün wird war ihm wohl auf den Senkel gegangen. Um dreiviertel Sechs bließ Almut zum Aufbruch. Ich machte sie zwar drauf aufmerksam, daß "um 18:00 Uhr" hier bereits bekanntlich soviel heißt wie "auf jeden Fall nach sechs Uhr". Das wußte sie zwar, aber so konnten wir wenigstens hinterher behaupten, pünktlich gewesen zu sein.
Natürlich war die Wäsche noch nicht fertig, als wir ankamen. Eine halbe Stunde, hieß es, als wir nachfragten. Wir gingen zum Auto, das ein paar Meter entfernt stand und beschäftigten uns mit dem, was wir jeweils gerade am besten tun konnten. Ich kontrollierte Öl- und Wasserstand.beides war OK, dann räumte ich ein wenig die Sachen wieder ein, die im Laufe der Fahrt verlegt wurden, zog die Gurte am Gepäckträger nach, füllte das Diesel vom Dach in den Tank um. Almut lernte ihre Persischvokabeln, Michl stierte auf den Boden. Nach einer halben Stunde ging Almut zur Wäscherei. Wie man nur so stur sein kann? Natürlich kam sie auch diesmal mit leeren Händen zurück. Aber es ist ja nicht so, daß sie es vorher nicht gewußt hätte. Es störte sie auch nicht im Geringsten. Das war keine Gabi, die sofort ausflippt, wenn es geheißen hat um sechs und die Wäsche ist um fünf nach immer noch nicht fertig. Das ist halt nun mal so. Uns störte es nicht - trotz Zeitdrucks, den wir nun mal hatten. Aber auch den nahmen wir eher auf die leichte Schulter. Almut wollte zwar einerseitz zum Sprachkurs, andererseits würde sie auch gern mit uns weiterfahren. "Es kommt, wie es kommen muß", sagte sie nur immer. Was immer passiert, ihr ist es recht. und Michl war sowieso alles wurscht. Ich war da nocht der Anspruchsvollste. Immerhin will ich haben, daß der Diesel läuft. Wohin, ist alerdings in diesen Breiten zweitrangig. Es gibt soviel zu sehen und solange wir nicht in Mitteleuropa sitzen ist die Welt in Ordnung.

Der Randstein, an dem wir standen, hatte einige Aussparungen für Kellereingänge, die in Deutschland völlig undenkbar waren. Kein Geländer drumherum, sondern stattdessen eine kleine Erhöhung ringsum und eine Treppe, die hinunterführte. Wenn man nachts im Suff bloß die Treppe hinunterkullerte konnte man noch von Glück reden, wenn man allerdings von der anderen Seite kam, über die Erhebung stolperte, muß das unweigerlich dazu führen, daß man kopfüber mit der Schnauze voraus gegen die unteren Stufen der Steintreppe fliegt und sich den Schädel in viele kleine Splitter bricht, alle Zähne wegfliegen und das Genick auch noch nach hinten abbricht. Und wer zahlt's? Ich komme nur darauf, weil ich die Erhöhung nicht sah und darauf einknickte und beinahe flugs in den Keller gegangen wäre. Deswegen laufen die Türken alle mitten auf der Straße.

Um sieben ging dann ich zur Wäscherei, sagte "Vorderrad". Sie gab mir den riesigen Wäschebeutel und ich stieffelte zum Auto zurück, wie so'n Weihnachtsmann. Die Wäsche war schnell verstaut, und es konnte losgehen. 19:05 Uhr, km 270.107: Durch die engen, verwinkelten Gassen der Altstadt versuchten wir auf die Große Straße Richtung Osten zu kommen. Irrsinnigerweise hieß die Kennedy-Boulevard. Mehr als einmal mußte ich den Rückwärtsgang einlegen, weil Gegenverkehr kam und die Straßenbreite gerade für ein Auto und einen Fußgänger reichte. Auch fuhren wir unter Brücken durch, bei denen ich Angst hatte, den Gepäckträger würde es wegreißen. Den Kratzspuren nach zu urteilen wäre ich nicht der erste gewesen, dem es so erging.

Durch einen relativ hohen Torbogen ging es dann direkt auf den Kennedy-Boulevard.

Und am Kennedy Cadesi angekommen standen wir erst mal im Stau. Es ging nicht viel voran. Feierabenverkehr. Wir standen ewig. "Das ist doch nicht mehr normal, oder?", begann ich mich aufzuregen, "haut alle ab, ich will jetzt da durch." Aber es half nichts, die Leute wollten einfach nicht aus dem Weg. Im Gegenteil. Wir standen sogar bis Izmit im Stau. Das ist die nächste Stadt, wenn man in Richtung Osten fährt. Erst nach Izmit konnte man wieder fahren. Mittlerweile war es viertel nach neun geworden.

Das Wetter war kurz hinter Ismit unerträglich schwül. Es stank wie an der Karibik, nach Abwasser, Fäulnis und stehender Luft, einfach ekelhaft. Die Lampen in den kleinen Ortschaft hatten diesen hellen Schein, der anzeigt, daß die Luft stand und mit Feuchtigkeit gesättigt war. Irgendjemand las aus dem Reiseführer, daß die Gegend hier die meiste Zeit über neblig war. Die Klamotten klebten am Leib, alles war klamm, langsam bekam ich Kopfschmerzen. Es lag an einer riesigen Pfütze, die sich aus dem Marmara-Meer gebildet hatte. Izmit Körfesi, oder so ähnlich hieß diese Brühe, in der meiner Theorie nach die Russen über Jahre ihren radioaktiven Müll abgeladen haben müssen, ein kleines Nebenmeer, sozusagen. "Dieses verdammte Drecksteil soll sich endlich verpissen!", regte ich mich auf und sah zu, daß wir möglichst schnell vorankamen. Weg von dieser Kloake. Das hielt etwa eine Stunde an, bis es wieder in die Höhe ging und die Temperatur wieder angenehmer wurde.

Um 22:40 Uhr machten wir eine kurze Pause in Kirkpinar (270.257). Dort war noch ales in alten Lira aufgezeichnet und wir genehmigten uns ene Flasche Cola Turka. Hinter der Tankstelle war so etwas wie eine Shopping-Mall, die allerdings zu hatte. Michl fragte, welche der beiden Routen nach Ankara wir nehmen sollten. Die nördliche war etwas kürzer, vermutlich besser ausgebaut, dafür auch stärker befahren. Dawir sowieso vorhatten, irgendwo auf dem Weg übernacht zu bleiben, statt nach Ankara hineinzutanzen, war uns eine wenig befahrene Strecke lieber, so entschieden wir uns für die südliche Route. Und wenn man ein paar Kilometer herausschlagen kann, bin ich auch nicht traurig.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold