Persien 2006
Samstag, 2. September

In der selben Straße, weiter im Norden, waren noch drei Hotels. Wir fuhren sie "systematisch" ab: Nach Norden, wenden, weil das Hotel auf der anderen Seite ist. Nachfragen. Voll. Wieder ins Auto, wieder wenden, erneut wenden, weil das Hotel etwas weiter nördlich ist, aber wieder an der Gegenfahrbahn. Wieder Voll. Dann zum Hotel Pars. Das war noch weiter im Norden, und wieder auf der Gegenfahrbahn. Einsteigen, losfahren, wenden, anhalten, fragen. Nicht voll. Gut. Wieviel? 18 US$. "Auch um die Uhrzeit noch?" Ja. Parkplatz? 100m weiter an der Gegenfahrbahn. Ich ging zum Auto. Nun war es mir zu blöd. "Raus aus der Stadt. Wir pennen draußen. Und tanken müssen wir auch noch.

Die Leuchte hatte schon als wir in die Stadt fuhren zu leuchten angefangen. Die Dieseltankstellen sind für gewöhnlich außerhalb der Ortschaften. In jeder Stadt gibt es ein Schild, das auf ein "Truck Terminal" hinweist. Ab da ist diese schwer zu finden. Wir fuhren Nordwestwärts aus der Stadt. "Da vorne war ein Busbahnhof, vielleicht gibt es da eine Tankstelle", schlug Michl vor. Ich fuhr die Ausfahrt hoch, fuhr zum Busbahnhof, aber da war irgendwie alles tot. Kein Licht, alles verlassen.. Wie in einer Geisterstadt. Papiermüll wehte über die leere Straße, wie, um das Bild noch zu vervollständigen. "Weg hier. Habe kein Diesel für solche Späße", sagte ich, wendete und fuhr weiter auf der Autobahn in Richtung Nordwesten. Am Horizont zeigte sich dann eine Tankstelle. Es brannte zwar wenig Licht, aber die LKW-Schlange war unübersehbar. Um diese Uhrzeit noch... Ich durfte wieder mal vor, stellte mich an die Dieselzapfsäule, stieg aus und stellte fest, daß starker Wind wehte. Als der Tankwart auch festgestellt hatte, daß das Auto tatsächlich Diesel bevorzugte, entfernte er sich wieder und ließ mich tanken. Längst hatte ich mir wieder abgewöhnt, den Motor abzustellen. Stromverschwendung. Mit vollem Tank drehte ich noch eine Runde in der Tankstelle. Nebelscheinwerfer an. "Wenn wir gar nichts finden, dann können wir uns da hinflacken."Nachtplatz Nordwestlich Isfahan (274.160) Ich hatte nur etwas Bedenken, daß uns in der Nacht einer dieser verrückten motorisierten Perser übersah und auf uns parkte, weil er seinerseits schlafen wollte. Das war auch der einzige Grund, warum ich weiterfuhr. Viel versprach ich mir davon allerdings nicht, denn überall waren gelbe Lichterreihen am Horizont zu sehen. Alle Atomkraftwerke, wenn es denn welche sind, die der Iran hat stehen im Kurdengebiet, was gar nicht so dumm ist, denn falls sie zusammengebombt werden, ist das primär das Problem der Kurden. Die sind eine Minderheit, die man sowieso gerne loswäre, soweit ich informiert bin. Die einzigen Ausnahmen bilden die Werke um Isfahan. Ob es sich um diese handelte oder nicht, das kann ich nicht sagen. Fest stand, daß es sich bei den Lichtern nicht um Ortschaften oder Vorstadt handelte, sondern um Anlagen, denn es waren immer nur kleinere Lichterinseln, die einen gelben Schein hatten, statt des für Sädte üblichen kalten Neonröhrenscheins. Aber wir fanden eine Piste, die von der Autobahn abzweigte. Ich befuhr sie, doch sie endete bald inmiten von Bauschutthäufen. Wieder auf die Straße zurück und weiter, immer nach Pisten Ausschau haltend. Da zweigte einige Kilometer weiter wieder eine von der Straße ab. Dieser Piste folgte ich, bis sich ein kleines Gebäude aus der Dunkelheit abzeichnete. "Scheißdreck!", fluchte ich los. "Ah, die Piste geht dran vorbei und weiter", stellte Michl fest. Ich folgte also der Piste weiterhin. Es ging über einen Wall und parallel zur Straße in südlicher Richtung weiter. Der Wall blieb und trennte uns somit vom Straßenlicht. An einer passenden Stelle verließ ich die Piste und stellte mich möglichst nahe an den Wall.
Erst rundhorchen. Alles still, keine Köter. Wir stiegen aus. Der Untergrund war gut, recht weich und eben. Ich sah über den Wall. Etwas, das ich für einen Schutthaufen hielt hob sich gegen die Lichter der Autobahn ab. Es sah etwas bizarr aus, für einen Schutthaufen. "Was ist denn das da?", fragte ich Michl, und deutete darauf. "Hm. Weiß nicht. Schutthaufen, vielleicht..." Da es sich nicht bewegte und auch kein Geräusch davon ausging, ging ich der Sache nicht weiter nach. Ich sah auf die Uhr. Zwanzig nach Zwei. Ich packte das Bettzeug neben das Auto und wir legten uns schlafen.

Am morgen standen wir um viertel nach Neun auf. Eine Viertelstunde später als üblich. Von Ferne sah man eine Staubfahne, die immer größer wurde. Es war ein motorrad. Darauf saß ein braun angezogener Mann, das Gesicht mit einem Palästinensertuch vermummt. Der hielt auf Höhe des Autos an und fragte nach, ob alles OK sei. "Ja, no problem" Wo wir herseien. Deutschland. "Welcome to Esfahan", sagte er, gab Gas und fuhr weiter. Wenige Minuten später taten wir das gleiche. Wir fuhren nach Isafahan hinein. Es war allerhand los, die Straßen waren verstopft. Links sah ich einen größeren Platz, auf dem Autos geparkt waren und an dessen Rand Geschäfte waren. Das sah aus wie in den Staaten, wenn Ralph's, Sav-on-Drugs und Ross sich ein Gelände teilen, vielleicht dezent noch mit einem McDonald's im Eck versehen. Keiner von diesen Läden war hier zu sehen. Klar. Aber laut Reiseführer war da noch ein Hotel. Ich dachte, das müßte eigentlich billiger sein, weil es außerhalb liegt. Leider hatten wir die Einfahrt auf den Platz verpaßt. Davor stand die Polizei und kontrollierte. Ich fuhr weiter, drehte bei der nächsten Gelegenheit um, fuhr daran vorbei und drehte erneut um, um auf die andere Seite zu gelangen. Als ich die Einfahrt sah, war ich schon wieder daran vorbei. Zurücksetzen wollte ich nicht, um nicht kontrolliert zu werden. Also das gleiche Maneuver noch mal. Zehn Minuten später schaffte ich es wieder, an der Einfahrt vorbeizubrettern. "Kruzefix!" "Was los?" "An der Einfahrt bin ich schon wieder vorbei, Du nutzloser Vollmongg! Vielleicht hast Du's noch nicht gemerkt, aber da draußen ist Verkehr. Kannst vielleicht aufwachen und auch ein wenig schauen?" Beim dritten Mal bog ich eine zu früh ab. Ich drehte um und mogelte mich wieder auf die Straße. Die, in die ich abgebogen war, war eine Einbahnstraße gewesen. Dann endlich traf ich die Einfahrt zum Platz. Ich ging hinein und erkundigte mich nach dem Preis. 30 US$, mit Parkplatz zwar, aber dennoch völlig indiskutabel. Das Geld für das Taxi mußte man hier ja noch dazurechnen, denn zum Zentrum waren es noch mindestens 10 Kilometer. Wir fuhren also weiter in die Gegend, in der wir schon in der Nacht zuvor nach Hotels gesucht hatten. Auf einem Parkplatz nahe der großen Brücke stellten wir das Auto ab, um die Hotels zu Fuß abzuklappern.

Die Überschrift sagt: Pizza - Hamburger
Der abgebildete Burger ist definitiv ein BigMac. Das weiß ich als McDonald's-Feinschmecker. Die angebotenen Burger sahen dem allerdings nicht im entferntesten ähnlich. Damit fängt es schon mal an: Im Iran scheint es keinen burgertauglichen Käse zu geben.

Wir liefen die Straße (Chahar Bagh) in Richtung Norden ab. Immer noch hatte alles voll. Wir fanden schließlich eines für 20 €. Hotel Naghshe Jahan. Klima, Fernseher, Parkplatz nebenan, alles in Ordnung. Nun galt es, den Stützpunkt in Isfahan einzurichten. Das Gepäck aus dem Auto auf's Zimmer. Wir gingen zurück zum Parkplatz, holten das Auto und fuhren in Richtung Norden. Dazu mußte man, wie immer, umdrehen. Abgezählte vier Male fuhren wir am Hotel vorbei. "Alter, Du bist so unnütz, kannst Du vielleicht mal nach dem scheiß Hotel schauen, anstatt Dich in Gedanken mit dem Handschuhfach zu unterhalten? Ich hab keinen Bock, dauernd im Kreis zu fahren." Zurücksetzen war zwar nicht völlig unmöglich, dauert aber um diese Uhrzeit (es war gegen Mittag) ungefähr dreimal so lange, als eine Ehrenrunde zu drehen. Als ich beim fünften mal einige Meter daran vorbeischoß, blieb ich stehen und wir trugen das Zeug hinauf. Als wir zum Auto zurückkehrten sahen wir einen Hampelmann im gelben Pyjama auf dem Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen seinen Gebetsteppich ausbreiten. Daraufhin fing er an, demonstrativ zu beten, damit auch ja jeder sieht, daß er ein guter Moslem ist. Gerade in Isfahan, wo jedes zweite Gebäude eine Moschee ist. Vieleicht bin ich einfach zu intolerant, was Religion angeht. Nicht, daß ich es besser fände, wenn ein Christ auf der Straße zu beten anfinge, im Gegenteil. Aber komisch sieht es doch aus. Religion macht Menschen zu Affen, hüben wie drüben...
Auf den Parkplatz konnten wir das Auto nicht stellen, denn dazu war er einfach zu voll. Da wir das Auto heute nicht mehr brauchen würden, wollte ich es ganz an die Wand stellen, damit ich den Schlüssel nicht abgeben mußte. Erst am Nachmittag, hieß es. Also ließen wir das Auto vorerst vor dem Hotel im Parkverbot stehen. Wir gingen also los und suchten eine Wäscherei. Links gegenüber sollte laut Rezeptionist eine sein. "Go left. After twenty. Shop." Was auch immer er damit gemeint haben sollte leuchtete uns auch nach nochmaligem Nachfragen nicht ein. Als wir endlich ankamen, ging mit ein Licht auf. Vielleicht meinte er ja "Nach zwanzig Läden". Das Waschen hier war etwa doppelt so teurer als in Istanbul.

Nun mußten wir etwas essen. Wir liefen wieder in südliche Richtung die Chahar Bagh entlang. Vor dem Hotel machte der Beter immer noch seine Turnübungen, obwohl mitllerweile fast eine Stunde vergangen war. Wir stiegen ins Auto und fuhren zu dem Parkplatz zurück, aus dem wir es eben geholt hatten. Schließlich mußten wir uns noch mit Händen und Füßen mit dem Wäschereibesitzer über Mercedes unterhalten. Er hatte zwei riesige Mercedes-Poster im Laden hängen und spätestens, als er Michl sah, festgestellt, daß wir aus Deutschland waren. Das Land von Mercedes-Benz. Endlich mal ein gebildeter Mensch, der Deutschland nicht gleich als erstes mit Klinsmann oder Hitler verbindet.

Die Lokalsuche zog sich hin. Entweder sie hatten keine Klima, oder sie war nicht an, oder sie hatten nichts Gescheites zu Essen, oder sie schenkten kein Coca-Cola aus, sondern nur Imitate. Nach dem Essen suchten wir das im Lonely Planet angegebene Internet-Café. Als wir es nach längerer Suche im ersten Stock eines unscheinbaren Gebäudes fanden, hatte es geschlossen. Irgendwie schien der Reiseführer nicht mehr aktuell. Fast alles, was wir bisher gefunden hatten, hatte geschlossen. Aber wenigstens wurden wir daran erinnert, daß in den iranischen Städten ein Paralleluniversum existiert. Nämlich im ersten Stock. Wenn man nur das Parterre betrachtet entgeht einem die halbe Stadt.

Erstaunlicherweise ist kein dunkelweißer Paykan auf dem Bild. Das war der eigentliche Grund für die Aufnahme.

Auf dem Rückweg nahmen wir gleich das Auto mit, um es auf dem Parkplatz neben dem Hotel abzustellen. Das war nach kurzer Zeit erledigt. Ich stellte das Auto ins Eck neben einen verrosteten alten Renault, der allem Anschein nach schon seit Jahren nicht mehr bewegt worden war, und keiner wollte den Schlüssel. Er meinte, ich sollte mich vergewissern, daß das Auto abgesperrt sei. "Klar ist es das", dachte ich mir, ließ mich aber verunsichern und sah nach. Hinten rechts war offen. Ich änderte das. Den Tanks schloß ich absichtlich nicht ab. Wer klaut im Iran schon Sprit? Den gibt es an jeder Tankstelle fast geschenkt. Benzin kostet 800 Rial, umgerechnet 80¢. Und selbst wenn mir einer den Diesel aus dem Tank klaut. Der Gedanke, daß er hinterher einen kapitalen Motorschaden hat, ist mir den einen Euro durchaus wert. Im Iran fahren nämlich nur Laster mit Diesel. Alles andere braucht Benzin.

Wir zogen wieder los. Als wir an der Ecke ein Internet-Café sahen, gingen wir dort hin. Ich mußte wissen, was Almut so machte. Natürlich hatte sie geschrieben. Mehrfach. Da stand unter anderem zu lesen:
"Excuse my language, aber ich könnte in der Tat gerade kräfig mich uebergeben!
[...] Der erste Versuch, mein Visum zu verlängern, schlug fehl - und morgen läuft es ab. Aber es wird sich schon bis morgen verlängern lassen. Mich nimmt es jedoch wunder, dass Eure Visa bis zum 14.9. verlaengert wurden - ich habe eben mal nachgezaehlt, und eigentlich sind 20 Tage am 13.9. schon um, denn wir sind am 25.8. eingereist. Hm, hm. Ich vermute also, dass ihr am besten schon am 12.09. (mittags?) oder gar 11.9. (abends) hier sein müsstet? Die Prüfung zum Kursende wird mir netterweise erlassen - sie wäre am 16.9. oder so. Aber das ist ja nun ohnehin alles hinfällig. Ich hoffe, Euch geht es gut? Ich kann es nicht leiden, nicht herausgehen zu koennen. Gestern startete ich morgens einen Versuch - die Tür war nichtoeffnenbar verriegelt, und aus dem Fenster kann man auch nirgends klettern. Ich werde mir aber mal unseren Balkon ansehen, vielleicht kann man sich von dort abseilen. Hihi, eben musste ich noch Passbilder machen, da sie unverschleierte Bilder nicht akzeptieren. [...]"
"Auweh! Al-Qaed-Trainingslager. Wahrscheinlich machen sie nächste Woche Selbstsprengübung und wir können die Almut mit dem Löffel von der Wand abkratzen und im Kochgeschirr beerdigen...", sagte ich zu Michl. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Ich erzählte ihr, wie schön und süß die Freiheit hier draußen schmeckt und beließ es dabei, ihr darzulegen, was unsere nächsten Ziele waren. Priorität hatte in dem Fall nicht die Übereinstimmung mit der geplanten Strecke. Sie sollte nur die Gewißheit haben, daß die Entscheidung für den Sprachkurs eine Fehlentscheidung war.
In einem anderen eMail von Almut stand, daß Ines ihr geschrieben hätte. Ob wir ihr vielleicht einen Teetisch mitbringen können. "Jetzt soll ich der auch noch einen Teetisch hinterhertragen. Jetzt, wo sie trächtig ist, braucht sie einen Diener. Soll gefälligst selber mitfahren", trauerte ich meiner verlorengegangenen Beifahrerin hinterher. Auch ein eMail von Martia war angekommen. Die Adresse eines Neffen seines Vaters. Sehr gut.

Außenmauer Imam-Square. Außenrum läuft ein kilometerlanger Bazar.

Das Internet-Café verließen wir um fünf. Michl hatte inzwischen eine Telephonkarte besorgt. Ich wollte gleich bei Mohammed anrufen. "Telephonzelle hab ich allerdings auf dem ganzen Weg hierher nicht gesehen". meinte Michl. "Ist mir schon klar. Ich nehm die hier derweil", sagte ich in normalem Tonfall und bewegte mich zur Telephonzelle genau gegenüber des Ausgangs. Ich wartete, bis eine Frau fertigtelephoniert hatte. Eine andere kam heran.beide sahen gleich aus. Wie Nonnen oder Pinguine. Ich ließ der neu hinzugekommenen den Vortritt. "Sicher?", deutete sie an. Ich bat sie an das Gerät. Währenddessen beobachtete ich den Verkehr an der Kreugung. Als sie fertig war, sich bedankte und ging, schoß ein Typ zwischen uns hindurch und ergriff den Hörer. Auffällig war, daß es sich um einen Tamilen, Bangladeschesen oder irgendsowas handelte. Das würde nie im Leben einem Perser einfallen. Sie sah ihn geringschätzig an und entfernte sich. "Wo kommt jetzt der Idiot her?", wollte ich wissen, aber es ist völlig sinnlos, gerade Michl zu fragen. "Welcher Idiot?", wachte er auf. Ich suchte mir die nächste Zelle.

Nach dem Internet-Café gingen wir in die Stadt. Wir wollten uns Isfahan mal ansehen. Scheint ein nettes ruhiges Städchen zu sein - abgesehen vom Verkehr, aber den kann man nun mal nicht verbieten, auch wenn es vernünftig wäre. Wir bewegten uns in Richtung Imam-Platz. Die Straßen wurden immer voller. Auf meine Frage, warum es hier zuginge, wie auf einem Bazar, fiel Michl nichts anderes ein, als festzustellen, daß es sich um einen solchen handelt. Ich ging ihm hinterher. Er hatte den Reiseführer schon auswendig im Kopf und erklärte mir allerlei Sachen zu der Geschichte dieses Platzes. Kaum zu glauben, daß der Typ das draufhat, aber auf der anderen Seite zu blöd ist, seinen eigenen Schuh zu binden... Wir liefen erst einmal sinn- und ziellos durch den Bazar. Nirgendwo wurde gebrüllt, allenfalls grüßte man uns. Nirgendwo wurden wir in Läden gezerrt, keiner wollte uns einen Teppich andrehen.
Einige Euro wurde ich dennoch los, da ich ja meiner kleinen Schwester versprochen hatte, ihr etwas mitzubringen. Das strapazierte die Bargeldreserven allerdings etwas. Kreditkarte kann man hier schon von vornherein vergessen. "Teetisch für Ines", erinnerte mich Michl. Immerhin war es hier am wahrscheinlichsten, so etwas zu finden. Zusammenklappbar sollte er auch noch sein. "Was braucht die überhaupt noch 'nen Teetisch. Verreckt doch sowieso..." Wir fragten den Verkäufer, bei dem wir gerade dies oder jenes erstanden hatten, wo es einen Teetisch gibt. Er lief uns voran. Wir kamen an einen riesigen Platz und er deutete in den ersten Stock. Wir gingen hinauf und standen in einem Café. "Wo wir schon mal da sind...", ließen wir uns nieder. Man konnte draußen auf der Terrasse sitzen und hatte einen Blick über den gesamten Imam-Platz. Normalerweise beeindrucken mich Städte nicht besonders, aber hier gestattete ich mir eine Ausnahme.

Der Imam-Platz in Isfahan. Zweifellos von der Atmosphäre her der schönste Platz, den ich bisher besucht habe.

Doch. Hier gefiel es mir. Wir blieben sitzen und sahen dem bunten Treiben unten zu. Erinnert irgendwie ein wenig an den Wiener Heldenplatz. Und immer wieder war ich erstaunt, wie gesittet die Perser im Umgang sind - wenn sie sich außerhalb des Autos befinden. Sowas wäre in arabischen Ländern völlig unmöglich, daß man einfach ruhig dasitzt und dem Mond zusieht, wie er über der Kuppel der Imam-Moschee glänzt. Ganz anders war es hier. Nicht mal der Kellner kümmerte sich um uns. Sehr angenehm. Am Tisch nebenan rauchte jemand eine Schischa. Diese Wasserpfeifen heißen hier im Iran anders, aber ich kann mir das Wort nicht merken, also weiterhin Schischa. Das trug noch mehr zur urgemütlichen Atmosphäre bei. Ich saß nur da, trank meinen Tee und beobachtete das Geschehen dort unten, das hier oben überhaupt keine Bedeutung zu haben schien. Keine Spur von Eile oder gar von Hektik.

Michl las aus dem Reiseführer vor, was es Wissenswertes über den Platz gab. Hier wird bei bestimmten Anlässen das Freitaggebet abgehalten. "Und genau da werden die Amis oder die Israelis reinrotzen, wenn der Krieg losgeht und hinterher sich entschuldigen und behaupten, es wäre ein bedauerlicher Irrtum gewesen. Und wenn vorsichtige Fragen oder gar Vorwürfe kommen, dann wird man mit weit aufgerissenen Augen ganz empört gefragt werden, wie man nur auf so einen Gedanken kommen könnte", wie neulich, als jemand zu sagen wagte, die UN-Soldaten seien absichtlich beschossen worden. Dabei war es ein klares Versehen - die UN-Soldaten hatten die israelischen Streitkräfte lediglich zehn mal aufgefordert, den Beschuß einzustellen. Bei jedem Fünftkläßler wird nach der zweiten Aufforderung von Absicht ausgegangen. Aber gerade im Falle Israels ist man als Normalsterblicher gesetzlich zur Nachsicht verpflichtet, schließlich ist bei Menschen, die gleicher sind als die übrigen, die Unschuld genetisch bedingt.

Um Sieben gingen wir los. Viel Hoffnung hatte ich nicht, Postkarten oder gar den Teetisch für Ines zu finden, aber ein Spaziergang über den Imam-Platz lohnt sich immer. Wir liefen die Ostseite ab. Von Ferne sah ich schon einen Postkartenständer. Der Verkäufer kam auch gleich. Ich fragte, was eine kostet. 1500 Rial. "Was? Du spinnst ja. 1000 kosten sie in Teheran, wieso 1500?" "Neue Postkarten. Besser als alte." Die sahen hinten genauso bescheuert aus. Wir wählten 20 Stück aus. Ich drückte sie ihm in die Hand. Er begann zu zählen, fragte nach, wieviele es seien. "Twenty", sagte ich. Er wollt 30.000 Rial. "Vergiß es. Ich zahle 20.000. Ansonsten geh ich weiter und kaufe sie woanders." "Die kosten überall 1500" "Dann mal ich mir eben welche. 1500 ist völlig indiskutabel." Mitten in unserer Diskussion sprach mich plötzlich eine weibliche Stimme an. Ich drehte mich um. Da stand eine kleine hübsche Perserin und wollte wissen, wo wir herseien, wie lange wir in Isfahan bleiben wollten und was wir sonst noch im Iran so vorhatten. Ich begann mich, mit ihr zu unterhalten, und während ich damit beschäftigt war, sagte der Verkäufer. "OK, jetzt hast Du keine Zeit mehr. Gib mir 25.000" Ich gab ihm einen Zwanziger und einen Fünfer. Das Mädchen zog bald ihre Wege und wir gingen weiter, die Ostseite des Imam-Platzes entlang. Michl drehte sich um, doch statt loszugehen, blieb er stehen, deutete vor sich auf den Boden und sagte "Ah!". Ich sah nach, was er mir im restringierten Code andeuten wollte. Vor ihm stand ein Teetisch, der genauestens der Beschreibung im eMail entsprach, das mir Almut weitergeleitet hatte: Ein zusammenklappbares Gestell und darauf ein silbernes Tablett. "Wunderbar..." Ich ging in den Laden. "Was kostet das hier?" "250.00 Tomans", sagte er und zeigte mir die Zahl auf dem Taschenrechner. "Tomans hab ich keine. Preise bitte in Rial." Er drückte noch einmal auf die Null. Nun stand 250.000 da. Ich kramte genau zehn Zwanziger hervor. "200.000?", fragte ich und zog 50.000 von der Zahl im Rechner ab. Er lachte und nickte. In Ordnung. Kurz darauf standen wir wieder am Imam-Platz und hatten alle Erledigungen erfolgreich abgeschlossen. Allerdings war dadurch eine neue angefallen: Wir mußten wieder Geld wechseln, den wir hatten noch etwa vier Euro. Das würde zwar treibstoffmäßig würde es sogar für 2.500 km langen, aber abgesehen davon war nicht mehr viel drin. Wir gingen weiter, die Südseite entlang, dann auf der Westseite zurück.

Die Droschken dürfen in keiner Weltstadt fehlen.

Wir waren, als wir auf den Imam-Platz kamen, an einer Wechselstube vorbeigekommen. Zu der wollte ich wieder hin. Allein, die hatten einen schlechteren Kurs. Für 50 Euro bekamen wir normalerweise 590.000 Rials. Hier wollten sie uns nur 580.000 geben, hatten also einen Kurz von 11.600 statt 11.800. Klar, man kann nun sagen, es ginge um nicht ganz einen Euro. Stimmt. Aber damit geht es gleichzeitig um einen Tank voll Diesel. Und da nahm ich lieber die Latscherei zurück zum Hotel in Kauf, in dem wir heute bereits einmal gewechselt hatten.

Wir liefen die Straße unseres Hotels nach Süden entlang. "Wo ist denn das verdammte Hotel?", fragte ich genervt. "Das muß schon hier irgendwo sein", antwortete Michl. "Ach. Echt? Meinst nicht, daß sie es weggetragen haben, heut nachmittag?" "Halte ich für eher unwahrscheinlich." "Du bist der Navigator, also find das beschissene Hotel jetzt..." Plötzlich vor uns Tumult. Eine Meschnenmenge drängte sich um einen Typen, der Hustete, als hätte er Kampfgas eingeatmet. Zwei andere packten ihn und drehten ihn auf den Kopf. Hat sich wohl verschluckt und drohte zu ersticken, aber es funktionierte. Zwar reiherte er den Randstein voll, aber sterben mußte er nicht mehr. "Patente Lösung..." Wir gingen weiter. Nach dem dritten Anlauf, fand ich das Hotel. Und das auch nur, weil ich in letzter Zeit öfter Sachen fand, nachdem ich nach einer Möglichkeit zum umdrehen suchte, also, nachdem ich aufgegeben hatte, in der Richtung zu suchen, weil ich glaubte, das Ziel überfahren zu haben. Diesmal ging ich absichtlich noch weiter und siehe da, das Hotel tauchte auf. Ich ging an die Rezeption und legte einen Fünfziger hin. "Wollen Sie ein Zimmer?" "Nein. 590.000 Rial", sagte ich und schob ihm den Fünfziger hin. "Ich kann nicht wechseln." "Natürlich. Ging doch heute Vormittag auch." "Heute vormittag? Hier?"Chahar Bagh Street / Isfahan "Yes, Sir. 50 Euro gegen 590.000 Rial. Da, in der Schublade liegt das Geld." Ich duetete auf die Schublade am Tresen. Er machte sie auf und da war tatsächlich bündelweise Geld gestapelt." Aber er meinte, er Kónne das nicht entscheiden. Am Vormittag sei der Chef dagewesen. Der käme erst morgen wieder. Aber nebenan könnte ich wechseln. Na, gut. Ich ging hinaus, sah mir das Nebenan an, ging wieder in das Hotel und fragte nach, wo er genau meinte. Er ging mit mir hinaus und zeigte auf ein Geschäft. "Da." Ich sah allerdings nur ein Ledergeschäft. Er trug es mit einer solchen Entschlossenheit vor, daß ich fest davon überzeugt war, daß ich wieder mal den Wald vor lauter Bäumen nicht sah. Ich bedankte mich und ging los. Er verschwand wieder im Hotel. Ich sah mir alles genau an. Da war nichts.
Ich lief ein paar Geschäfte weiter, bis ich bei einem Juwelier ankam. Ich erinnerte mich, daß wir in Tripolis mal bei einem Juwelier gewechselt hatten. Dort fragte ich daher nach, ob ich wechseln könnte. Natürlich konnte der Typ keinen Fetzen Englisch. Ich zeigte mit der Linken auf mich, "Äuro", mit der Rechten auf ihn "Rial", und dann zog ich die Rechte an mich, während ich die Linke zu ihm wandern ließ. Eindeutiger geht es nun mal nicht. Er verstand nicht. Dafür allerdings ein Kunde, der mit seiner Freundin / Ehefrau in der Hand am Tresen stand. Er fragte mich auf Englisch, ob ich Geld wechseln wollte. "Ach, Sie sprechen ja ganz natürlich. Ja. Geldwechseln. Kann man das hier machen?" Er unterhielt sich kurz mit dem Ladenbesitzer auf Persisch, der in die Richtung zeigte, aus der ich gekommen war. Der Kunde ließ von seiner Frau ab, packte dafür meinen Ärmel und ging stracks zum Ledergeschäft. Seine Frau und Michl stolperten uns hinterher. Er sprach den Typen hinterm Tresen an, sagte mir dann, daß ich hier wechseln könnte. Ich solle allerdings vorsichtig sein. Womit, das blieb mir schleierhaft. Der Tresenmensch fragte mich, wieviel ich wechseln wollte. "Fünfzig Euro". Dann griff er zum Telephon. Nach einer Weile fragte er mich nach dem Kurs. "50 Euro 590.000 Rials", sagte ich. Er wählte erneut, da sich scheinbar unter der Nummer keiner meldete. Es dauerte ein wenig, dann begann er mit dem Gesprächspartner zu reden. Auf Arabisch, allerdings. Dann legte er auf und bestätigte den Kurs. Er bat einen anderen, mir 590.000 Rials zu geben, was der andere unverzüglich tat. Den 50er behielt ich. Ich zählte die Rial nach, indem ich jeden einzelnen Schein auf den Tresen legte und alle Scheine ordnete, so daß die lesbare Seite, also die mit lateinischen Schriftzeichen oben lag. In erster Linie mache ich das natürlich, damit der andere nicht meint, ich würde ihm nicht trauen. Auf die Weise glaubt er nur, ich hätte einen Schlag, weil ich alle scheine in deutscher Ordnung ausrichten muß. Dabei kann man allerdings dennoch wunderbar zählen. Ich gab ihm den Fünfziger, als ich fertig war, packte noch das übrige Geld aus dem Geldbeutel auf den Stapel und steckte den fein säuberlich in den Geldbeutel zurück, verabschiedete mich auf Arabisch, was ich hier im Iran sowieso immer tat und wollte gehen. Er fragte mich dann auf Arabisch, ob ich denn Arabisch spräche. Ich antwortete ihm auf Arabisch, daß nein, verabschiedete mich erneut und ging. Für heute war Feierabend angesagt. Ich tippte noch einige Zeilen auf dem Rechner, dann ging ich ins Bett.

Vorher brachte das WC, also diese für diese Länder typische Sinkgrube mitten im Raum, noch kurz einen Wutausbruch aus mir hervor, weil mir der Deckel von der Zahnpasta aus der Hand entglitt und darin verschwand. Diese idiotischste Erfindung der Menschheit. Es ist ja nicht einmal platzsparender, denn so ein Teil hat mindestens die Größe einer normalen abendländischen Kloschüssel, nur wird es im Boden versenkt, statt darauf installiert zu werden. Und dagegentrappen kann man in der Wut auch nicht. Nun hatte dieses Gebilde wenigstens einen Deckel - allerdings war dieser etwas zu klein. "Was haben die Leute nur gegen normale Schüsseln? Jetzt ist mir auch klar, warum hier mit den Händen vom Boden gefressen wird... Scheisse! Was mach ich jetzt mit der Zahnpasta?" Sinnlos, auf einen konstruktiven Vorschlag von Michl zu warten, der gerade von meinem Geschrei von der Tiefschlafphase zurück in die Halbschlafphase geholt wurde - in seinem Falle ist das der Wachzustand. Ich kramte die alte Zahnpastatube hervor, die ich zum Glück nicht weggeworfen hatte und schlachtete sie dahingehend aus, daß ich den Deckel abschraubte und ihn für die neue hernahm. Der Rest flog im hohen Bogen dem versenkten Deckel hinterher.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold