Persien 2006
Dienstag, 12. September

Um neun stand ich langsam auf - als Letzter. Auf das Frühstück beschloß ich, zu verzichten. Sollen sich die anderen beiden darum kümmern. Als ich gegen Elf hinunterkam, meldete man mir, daß die Wäsche noch nicht soweit sei. Die Hotelrechnung konnten wir aber im Gegenzug auch nicht begleichen, da wir keine Gelder mehr hatte. So zogen wir los, nachdem wir zusammengpackt hatten. Wir gingen bei der Botschaft vorbei, um uns eine Liste mit Zahnärzten au holen, aber auch, um uns von der netten Mitarbeiterin zu verabschieden. "So. Mannschaft wieder vollzählig, jetzt gehts wieder los, zurück in die Heimat", meldete ich. Sie wünschte uns eine gute Reise. Aber so schnell sollte es auch wieder nicht losgehen. "Können Sie vielleicht einen guten Zahnarzt empfehlen?" Sie fragte nach, ob sie einen raussuchen soll, oder ob wir gleich die ganze Liste wollten. "Was kostet die?" "Nichts", sagte sie, mit einer selbstverständlichkeit, als wäre es das normalste von der Welt, daß gerade deustche Behörden irgendwas umsonst machen würden. das mag in anderen Ländern normal sein, aber deutsche Beamte kosten schon, wenn sie auch nur ihren Platz verlassen müssen. Bearbeitungsgebühr. Dabei ist es ihre bezahlte Arbeit, wobei das Wort Arbeit im Zusammenhang mit deutschen Beamten schon wieder eine ziemlich großzügige Bezeichnung ist, wenn man bedenkt, daß sie ja nur auf ihren fetten Hintern sitzen und sich bemühen, nicht einzuschlafen, weil sie sich dabei das Auge an einem ungespitzten Bleistift verletzten könnten.

Eine Kreuzung in Teheran bei relativ ruhigem Verkehr.

Hier hatten wir jedenfalls eine Ausnahme vor uns. Nett, freundlich, überhaupt nicht fett und ganz offensichtlich nicht deutsch - wenn man es nicht genau wüßte, könnte man glatt meinen, man hätte einen Menschen vor sich. Wir gingen die Liste durch und, nachdem Michl ausgemacht hatte, wo welcher Zahnarzt sich befand, beschlossen wir, doch zu dem im Reiseführer erwähnten zu fahren. Der war am nächsten. Ich hielt ein Taxi an. "Do you speak english?" "No, no english..." "No english, no money. Thanks. Bye." Eines Taxis stiegen wir dann doch ein, wollten wir nicht Ewigkeiten warten. Schließlich brauchten wir einen Fahrer und kein Sprachgenie. So eines hatten wir ja. Ich hatte es nur vergessen. Almuts Persisch war, auch wenn sie es ständig bestritt, mittlerweile besser als das Englisch eines durchschnittlichen Persers. Meines allerdings auch, denn ich konnte immerhin vier Wörter - die allerdings für eine vernünftige Wegbeschreibung nicht ausreichten. Den Arzt fanden wir ohne Probleme, nachdem uns der Taxifahrer aussteigen ließ. Ich rannte zwar irrtümlicherweise erst in eine Tiefgarage, aber der Garagenwart schickte mich ins Nachbargebäude. Die Praxis sah aus, wie jede Zahnarztpraxis in Deutschland auch aussah. Anscheinend hatte Dr. Khodavandi (oder so) in London studiert. Man reichte mir die Formulare, in die ich mich eintragen sollte. Das tat ich auch. Ohne lange Warterei kam ich dran. "Hallo. Die deutsche Botschaft hat sie empfohlen, ich habe einen kaputten Zahn, können sie den irgendwie instandsetzen?" Er bat mich Platz zu nehmen und fragte mich, woher ich sei, was ich im Iran so machte usw. Die üblichen Fragen, eben. Deutschland habe ihn schon immer fasziniert, aber er hätte dort leider keinen Studienplatz bekommen. Das war kurz nach dem Sturz des Schahs. "Sie haben sehr gute Zähne, aber da ist ja alles entzündet! und wie es scheint, schon seit längerem. Wann waren Sie zuletzt beim Zahnarzt zur Untersuchung?" "Das muß 1999 oder 2000 gewesen sein. Seitdem habe ich keine Versicherung mehr... Dafür zwei Zähne zerbissen." "Ja, das sehe ich. Aber danke, daß sie mich darauf aufmerksam machen", meinte er sarkastisch. "Das kostet alles Geld, wissen sie? Und ich war bis vor einigen jahren noch der festen Überzeugung, daß meine Zähne so gut sind, daß ich keine Krankenkasse brauche. Immerhin hatte ich bis zu meinem letzten Zahnarztbesuch vor sechs Jahren keinen einzigen beschädigten Zahn, keine Plombe, nichts. Ich war immer umsonst beim Zahnarzt." "Das hätten sie weiter so machen sollen." "War nicht immer möglich. In Afrika oder in Brasilien sind Zahnärzte zwar erschwinglich, aber da gehe ich lieber in den Knast als zu irgendeinem Arzt." "Verstehe...", er beschrieb mir genau, was er machen würde, nämlich eine Wurzelbehandlung anfangen, schärfte mir aber ein, in einigen Tagen in Ankara, spätestens aber in Deutschland erneut einen Zahnarzt aufzusuchen. Das letzte, was ich spürte, war die Nadel der Spritze. Ungefähr eine Stunde später war er fertig. Ich tatschte auf meiner Backe herum, um zu erfühlen, ob sie noch da war. "Haben sie Schmerzen?", fragte er mich, als er mich sah. "Nein. Die kommen immer erst mit der Rechnung." Er zerriß meinen sorgfältig ausgefüllten Zettel, warf ihn in den Müll. "You don't pay anything", sagte er und machte eine Handbewegung, der eindeutig zu entnehmen war, daß er Führers Kreditkarte mit dem Betrag belasten würde... Ich bedankte mich recht herzlich und ging.

Ich ging wieder ins Wartezimmer. "Fertig?", fragte Almut. "Ja." "Wo soll ich zahlen?" "Gar nicht." "Wie?" "Kostet nichts." "Er hat doch mindestens eine dreiviertel Stunde an Dir rumgedoktert?" "Ja, Wurzelbehandlung angefangen." Ich winkte ab. "Des verstehsch Du ned, weil'd Italieen'r bisch...", zitierte ich Pater Stephan, den Almut nicht kanne. Michl aber. Wir gingen.

Wieder eine Kreuzung. Keine Ampel, kein Schild.

Wieder mit einem dieser verrückten Taxifahrer, die unentwegt Hupen und fahren wie die blöden zurück zum Hotel. Es ist ja nicht so, daß man Angst um sein Leben haben muß. Aber bei den wenigsten Taxis funktionieren die Gurte. In diesem speziellen Fall war der Gurt sauber abgeschnitten worden. Es ist nur so, daß man nicht entspannt die Landschaft oder die Blödheit der anderen Fahrer betrachten kann, weil man ständig damit beschäftigt ist, nicht dem Fahrer auf dem Schoß oder mit dem Schädel an Seiten- oder Windschutzscheibe zu kleben. Wenigstens beweist uns das, daß selbst Profis nicht unbedingt ihr Handwerk beherrschen müssen.

"Bin ich froh, wenn ich wieder selber am Steuer sitzen darf", sagte ich bei einem seiner blöden Manöver. "Ich auch", kam es von hinten. Gerade in diesem Moment kamm es mir wie ein Irrwitz vor, daß mir Martia noch vor kurzem in L.A. eine digitale Fahrweise vorhielt. Ich kapierte es nicht und mußte nachfragen. "Eins und Null, Vollgas oder Vollbremsung. Diesen beiden Zahlen, in wirrer Folge aneinandergereiht ergeben Deine Fahrweise, und die ist alles andere als angenehm. Und wenn Du Dich dann durch wilde und planlose Spurwechsel zehn Autos weiter nach hinten manövriert hast, regst Du Dich drüber auf, daß nichts vorangeht. Bleib auf Deiner Spur, denn auf der anderen geht's auch nicht schneller. Das weiß sogar ich und dazu mußte ich nicht um den halben Globus fahren. Im Gegenteil, ich kann mich erinnern, daß Du früher nicht so gefahren bist. Das muß irgendwie in Südamerika passiert sein." Bewußt achtete ich darauf, und es stimmte tatsächlich. Sobald es vor mir irgendwie ins Stocken gerät, ziehe ich hinüber auf die andere Spur. Ganz automatisch und unbewußt. Ein reiner Reflex. Ich versuchte, mir das abzugewöhnen, aber sobald ich auf Automatik schaltete, also dem Unterbewußtsein das Fahren überließ, ging es wieder los. Seltsam. Als wir dann in L.A. wieder mit dem alten Daimler umherfuhren, fiel ihm auf, daß ich das nur im Ford tat. Im Benz aber nicht. Und mir fiel es auch auf.
Das Perverse an dieser ganzen Geschichte ist, daß Martia aus einer persisch-deutschen Mischehe stammt und schon seine genetische Zusammensetzung allein Grund genug sein sollte, ihm und all seinen Nachfahren das Autofahren kategorisch zu verbieten. Daß er nicht schon eine schneise der Verwüstung hinterlassen hat, ist wohl nur der Tatsache zu verdanken, daß er nicht als Frau auf die Welt gekommen ist. Perser haben in den letzten paar Wochen bewiesen, daß es auf Erden keine schlechteren Fahrer gibt. An zweiter Stelle kommen gleich die Deutschen und dann kommt erst mal lange nichts. Und doch hatte er recht.
Als ich ihn per eMail von Esfahan aus darauf ansprach, was für einen Stiefel seine Landsleute zusammenfahren, bekam ich als Antwort: "Ja das mit dem verrückten Fahrverhalten bei den Teheranern kenne ich aus Erzählungen meines Vaters und Wehklagen meiner Mutter. Aber das es so schlimm ist, hätte ich nicht erwartet. Seltsames Phänomen - insbesondere weil sie ja sonst immer sehr nette bis sanfte Zeitgenossen sind. Wie ich fahre müßtest Du ja wissen und bei meinem Vater habe ich auch noch keine komischen Fahrmanöver erlebt. Wir scheinen da die Ausnahme zu machen. Aber ich bin ja auch verwaessert (halb arisch/halb echt-arisch) und mein alter Herr lebt seit 30 Jahren in Deutschland."
Als ich ihm später mal sagte, daß er einfach nur zu intolerant sei, was das Fahren anginge, meinte er nur: "Nein, ich glaube, es liegt einfach daran, daß die wenigsten Leute, bei denen ich mitfahre, je in einem Auto saßen, das gerade verformt wird, ansonsten hätten sie mehr respekt vor der Sache." Das mag wohl so sein, aber man darf nicht vergessen, daß eine Frau am Steuer saß, als der Golf in dem er saß vom Rad eines 123ers von der Autobahn gekickt wurde. Dieselbe Frau, die mir schon unzählige Male unaufgefordert den Schlüssel in die Hand drückte mit der Bemerkung 'Du fährst'. Dazu wäre er jedenfalls nicht gekommen, wenn einer der beiden Herren gefahren wäre.

Seit Jahren bekam ich wieder mal einen VW Gol zu sehen. Das ist die Light-Version vom VW Golf. Als in Deutschland die Produktion des legendären Käfers eingestellt wurde, ging man dazu über, stattdessen den Golf zu bauen. In Brasilien bauten man stattdessen den Gol. Vermutlich handelt es sich hier um ein brasilianisches Fabrikat. Sogar die Luxusversion mit 1.8 Litern. Rätselhaft blieb nur, wie er ausgerechnet hierher kam.

Am Hotel angekommen beglischen wir die Rechnung. "Was machen wir nun mit dem vielen Geld?", fragte ich Almut. Da sollte ich mir mal keine Sorgen machen. Entweder sie würde es in Bücher investieren oder irgendeiner Bekannten geben, die bald in den Iran fliegt. Was feststand war, daß wir es nicht auf türkischer Seite wechseln würden. Wir packten die Wäsche zusammen und trugen sie ins Auto. "Komm, heut noch", trieb ich Michl an, der am Kofferraum stehend einzuschlafen drohte. Almut räumte den Innenraum um. "Paß mir fei auf die Hisbollah poster auf. Die sind unter Umständen sehr hilfreich bei Polizeikontrollen, wie wir feststellen durften." Ich konnte es kaum erwarten, loszufahren. Endlich wieder raus auf die Straße. Da weiß man wenigstens, wo man hingehört. Wahrscheinlich ist auch das der Grund, daß ich es nie als besonders unangenehm empfand, wenn ich wieder mal irgendwo entlassen wurde, also auf der Straße saß. Nicht, solange ich den Führerschein noch hatte. Danach mußte ich mit halt andere Straßen suchen. Aber solange eine Straße in der Nähe ist und der Motor läuft, haat man noch lange keinen Grund zum Verzweifeln. Ich weiß bis heute nicht, warum sich die Leute ärgern, wenn man sie auf die Straße wirft.

Das typisch blöde Geschau, nachdem es gescheppert hat. Wir fuhren gegen drei Uhr gemütlich los in Richtung Alamut. Allein auf dem Weg vom Hotel zur westlichen Ausfallstraße sahen wir drei Auffahrunfälle. Wie sie es immer wieder schaffen. Und dann auch noch so blöd und unnötig. Zum Glück hatten wir eine Anhänngerkupplung, die hält Vieles aus bzw. ab. "Sollen wir eine Fähre nehmen oder über den Verhau am Balkan fahren?", fragte ich Almut. Aber da hätte ich genausogut das Handschuhfach fragen können oder gar Michl. "Ich dachte, wir hätten die Fähre deswegen genommen, weil sie billiger ist, als über Land zu fahren." "Schon", stimmte ich erst zu, "aber keineswegs schneller. Wenn wir über die ganzen Kackländer fahren, brauchen wir ungefähr so lange wie die Fähre. Mal abgesehen von Polizeikontrollen, die kann man nicht vorhersehen. Und mit unseren 'Fahrzeugpapieren' kann es schon passieren, daß wir einen unfreiwilligen Aufenthalt einplanen müssen. Aber ich weiß ja nicht, wie das mit Deiner Libyengeschichte ist. Wenn's recht pressiert, dann sollten wir es vielleicht riskieren." Das waren so meine überlegungen. "Ich muß am ersten Oktober in Frankfurt sein. Da geht der Flug." Das waren noch 18 Tage. Wenn wir also am 26. September spätestens in Griechenland sind, dann haben wir noch zwei Wochen in der Türkei. "Sollen wir es nicht über Land probieren? Notfalls mußt Du halt von Ägypten aus fliegen oder von Syrien." "Der Flug ist schon bezahlt und hat einen Batzen Geld gekostet", wandte Almut ein. "Na und? Mehr als nach Tripolis bringen kann Dich das Flugzeug auch nicht. Und was, wenn den Israelis einfällt, die müssen das Flugzeug abschießen, weil da ein Terrorverdächtiger drinsitzt? Dann planschst Du im Meer umeinander und kannst weiterschwimmen bis an die Küste. Das kann selbst bei Dir Wochen dauern." "Jetzt fahren wir erst mal in die Türkei und schauen, wie es da weitergeht. Vergiß nicht, daß das Diesel dort extrem teuer ist." "Ich hab doch gesagt, nimm die Transsilvanierin mit, aber nein. Du mußt ja wieder eine auf Mutter Theresa machen." "Halt's Maul und fahr...", beendete Almut die Diskussion, die ab der Hälfte einen leichten Hang zum Schwachsinn verzeichnen ließ. Fakt war, daß nur feststand, daß die nächste Notwendige Station die Grenze war. Natürlich vorher zur Alamut, damit die Frau Doktor auch etwas von diesem wunderschönen Land sieht - andernfalls hätte sie genausogut fliegen können und könnte sich dann sagen: "Außer Spesen nichts gewesen."

Wir fuhren einen Supermarkt an und tätigten Einkäufe. Das dauerte seine Zeit. Säfte in allen Farben und Formen wurden eingekauft, da sie hier besonders billig waren. Unterwegs kostetes sie immer um die 12.000, hier nur 9.000. Etwa zwanzig Stück gingen mit, verschiedene Gewürze, Safrankekse, dies und jenes, was in der Türkei entweder schlechter oder teurer war. Oder beides. Dann fuhren wir weiter stadtauswärts.
Noch einmal kamen wir an diesem Khomeini-Denkmal vorbei, das am Ortseingang von Teheran steht. Mir gelang sogar trotz Berufsverkehr eine halbwegs passable Gegenlichtaufnahme. "Das habe ich mir viel größer vorgestellt", sagte Michl. Es schien, als wäre das, was für mich eben aussah, wie ein Denkmal, für die anderen etwas war, das sie aus Büchern oder aus dem Fernsehen kannten. So war es dann wohl auch. Michl hatte eine Arbeit über Teheran, Kairo und Istanbul geschrieben. Wenn man ihn fragte, konnte man allerlei Informationen zu besagten Städten liefern. Was ihn besonders zu begeistern schien, war das "Schwarzbauen". In Istanbul wurden ganze Hochhäuser ohne Genehmigung gebaut und hinterher irgendwie legalisiert. Das wäre der Grund dafür, daß Istanbul aussieht wie Kraut und Rüben, während es in Teheran vergleichsweise ordentlich zuging. Das machen die Istanbulaner mit dem vergleichsweise vorbildlichen Straßenverkehr locker wieder wett...

Nicht ganz eine Viertelstunde später fuhr ich an einer Kreuzung geradeaus, an der ich eigentlich hätte rechts abbiegen sollen. "Ich hab doch gesagt rechts", meinte Michl. "Michl, wenn bei Dir ein Satz mit 'ich habe gesagt', anfängt, dann ist er schon gelogen, denn dazu müßtest Du erst mal das reden lernen. Schaut Euch mal die Deppen da vorn an", sagte ich in die Runde. Vor uns standen zwei Autos, vorne ein Peugeot "Pars" (oder Renault "Pars"? Mit dem Löwen drauf, jedenfalls französisch.), dahinter, leicht versetzt, ein Iran Khodro "Samand". Beide kamen aus der Straße, in die ich eigentlich hätte einbiegen sollen. Außerhalb der Autos eine Traube von Menschen, die sich gegenseitig anpöbelten. Wahrscheinlich hat einer mit seinem Auto das Auto des anderen berührt. Das herumgepöble, bei dem auch die Weiber mitmischten, artete noch zur Schlägerei aus.

"Denken, nicht schlägern!", sollte man in dem Alter eigentlich schon wissen.

Wir lachten und schief über die Opis, die sich mitten im Berufsverkehr in die Fresse schlugen. Ich wartete noch eine Weile. Vielleicht ließ sich noch jemand dazu animieren, da mitzumischen. Vielleicht einer aus ihrem rückwärtigen Verkehr, der nicht vorbeikam, weil ein anderer gleichzeitig versuchte, die Engstelle zu passieren. Ich fühlte mich wieder wie auf dem Schulhof, wenn sich zwei auf dem Pausenhof schlugen und alle ganz laut und rhythmisch "Heuja, heuja!" riefen, bis ein Lehrer kam und die beiden Streithähne auseinanderzog.
Im Anschluß schaffte ich es sogar, rückwärts über die Kreuzung zu fahren und dann rechts abzubiegen. Das dauerte etwa genau so lange, als durch den Berufsverkehr zu krebsen und bei der nächsten Möglichkeit umzudrehen. Wir fuhren die Straße entlang, der Verkehr wurde weniger. "Da vorne sind Raketenstellungen", bemerkte Almut. "Wo?", fragte ich blöd, zückte die Kamera und begann zu suchen. Tatsächlich, links neben der Straße hinter einem Zaun standen Luftabwehrstellungen. Eine Besatzung war auch dabei. "Hast Du mal Nachrichten gehört?", fragte ich Almut. "Nicht, daß wir jetzt losfahren und das ganze teuere Feuerwerk verpassen..." Hatte sie schon seit längerem nicht mehr. Ich wußte mangels Zeitung auch nicht viel, aber mir kam es komisch vor, daß Luftabwehrraketen mitten in der Stadt in Stellung waren. Die Gegend schien als Truppenübungsplatz ziemlich ungeeignet - höchstens als Schlachtfeld, aber das auch höchstens Straßenverkehrstechnisch.

Bald waren wir auf der Autobahn. Bereits kurz nach Sonnenuntergang war es Nacht. Die Dämmerung dauert auch hier nur ein paar Minuten. Das merkt man deutlich, je weiter man nach Süden kommt. Und man braucht dazu nicht einmal Europa zu verlassen. Auch der große Wagen stand hier bereits merklich tiefer, als man es gewohnt ist. Das sind die Kleinigkeiten, die einem weitaus eher auffallen, wenn man fährt, als wenn man sich mittels Flugzeug von A nach B transferieren läßt. Da tut es einen Schlag und man befindet sich in einer komplett anderen Welt. Mir leuchtet nicht ein, worin da noch der Reiz des Reisens an sich bestehen könnte. Das muß man doch erfahren. Den Ausdruck erfliegen kenne nur im Zusammenhang damit, daß man eine neue Maschine einfliegt.

...und solche Bilder sieht man in 10.000 m Höhe auch eher selten:
Ein Pars bei zugiger Fahrt auf der Autobahn Teheran - Tabris.

Der Aupuff hing immer noch auf halb Acht und mußte repariert werden, bevor wir die Hauptstraße verließen, um zur Alamut zu fahren. Qazven bot sich dazu an. Wir fuhren in die Ortschaft hinein. Schon entlang der langen Straße fanden wir mehrere Werkstätten. Dumm war nur, daß diese sich hinter einer Mauer befanden, die die Schnellstraße von der Straße, an der die Läden lagen, abtrennte. Zweimal umdrehen, dann wieder von vorne. Es war schon kurz vor acht und es war angenehm, daß hier noch alles offen hatte. Die lange Mittagspause hat eben doch ihre Vorteile. Bei der ersten Werkstatt fuhr ich auf den Randstein. Hinter mir blieb ein Taxler stehen und hupte, obwohl gerade mal die linke Ecke des Autos auf die Straße schaute. Weiter vor konnte ich nicht, da ich nicht Über Werkzeug und Schläuche fahren wollte, wenn es nicht unbedingt nötig war. Und da war genug Platz, daß zwei Autos nebeneinander vorbeifahren konnten, selbst wenn Perser an Steuer saßen. Er war nur so dicht aufgefahren, daß er nun das Lenkrad stark einschlagen mußte, um vorbeizukommen - oder eben zurücksetzen. "Fuck you", brüllte ich, als ich ausstieg und hinter dem Auto herumging, um einen Mechaniker zu suchen. Der Taxler regte sich auf, ich wiederholte den Satz noch mal in Zeichensprache, damit auch er es verstand. Der Mechaniker bemühte sich nicht, das Lachen zu unterdrücken und widerholte "fuck you", lachte und machte eine abschätzige Handbewegung. Gut. Jetzt konnte auch er ein wenig Englisch und verfügte über das gesamte Vokabular, das man im iranischen Straßenverkehr braucht. Sein Vokabular, was Reparaturen anging, war noch etwas mangelhaft. Sein Instrumentarium auch, wie ich kurz darauf feststellte. Er deutete auf die nächste Werkstatt und sagte "Hundred meter". Ich fuhr erst zu früh nach rechts und befand mich auf einem sandigen Restaurantparkplatz. Wieder zurück auf die Straße, wieder rechts und tatsächlich, nach hundert Metern war da eine Werkstatt. Ich stieg aus und zeigte einem der Mechaniker das Problem. Er sah es sich an, nickte und hieß mich in den Hof fahren. Dort winkte man mich auf eine Grube. Ich stellte das Auto rückwärts drauf. Während zwei Mechaniker sich am Auspuff zu schaffen machten, wechselte ich die Filter. Zwischendrin sprang Almut ein Auto an, das ein Mechaniker beinahe in unseres hineinmanövriert hätte. Ich schüttelte nur den Kopf, wobei ich nicht wußte, ob über den Mechaniker, weil er zu blöd zum fahren ist, wie alle anderen auch, oder über Almut, die bis zwei Sekunden vor Zwölf wartet, in der Meinung, man müßte nicht unnötig Wirbel machen. "Vielleicht hätte er es ja gesehen", hörte ich sie schon sagen. Beide Diesel- und den Luftfilter wechselte ich. Das empfiehlt sich, da es nun in luftige Höhen ging. Wir waren in etwa gleichzeitig fertig. Seltsamerweise brannte beim ersten Startversuch plötzlich die Vorglühleuchte wieder. Nach einigem Pumpen mit der Handpumpe, stand wieder Diesel im Filter und der Motor lief. 80.000 kostete die Reparatur. Wir hatten allerdings nur 70.000 übrig. "Wie kommt das? Wo ist das ganze Geld hin? Haben wir nicht wegen dem Zahnarzt gewechselt?" "Nein. Den wollten wir doch in Euro bezahlen", antwortete Almut in ihrer wohlerzogenen Art, die bei mir manchmal Magenkrämpfe verursacht. "Kannst Du Dich daran erinnern, daß wir heute in einer Wechselstube waren?", wäre zum Beispiel eine normale Antwort gewesen. Oder "Die paar 10er hatten nicht die Zeit, sich zu vermehren". Wie dem auch sei, ich ließ ihm erklären, daß wir in die Stadt wollten zum wechseln. Wir würden zurückkommen, und den Rest begleichen. "No Problem", er erklärte uns noch den Weg zur Wechselstube und so fuhren wir los.

Hier hatte sich ein Verkehrsteilnehmer selbst terminiert.Die Wechselstube zu finden dauerte allerdings seine Zeit. Nicht nur, weil wir den Weg nicht gleich fanden, sondern weil auch noch jede Menge Verkehr war. Ich fragte mich durch, versuchte, bei Juwelieren zu wechseln, bis wir schließlich an einer Wechselstube angelangt waren. Ich wechselte einen Zwanziger. Das sollte reichen. Auf dem Weg zurück zur Werkstatt machte Almut darauf aufmerksam, daß ich erstens noch nichts gegessen hätte, zweitens, daß wir in Venedig kein Eis gegessen hatten und drittens, daß mein Zahn wohl nichts gegen persisches Eis einzuwenden hatte. Ich ließ mich breitschlagen, bestellte ein Vanilleeis und ging wieder ins Auto.
"Hm. Bist Du sicher, daß Du Vanille gesagt hast?", fragte ich Almut, nachdem ich das erste Stück abgebissen hatte.
"Ja. Wieso? Nach was schmeckt's?"
"Nach Rosen. Da."
"Stimmt... Aber die Farbe paßt wenigstens."
"Ich kann mich erinnern, daß ich in Equador beinahe auf offener Straße zum Kotzen anfing, weil ich einen Becher Rosenwasser getrunken hatte."
"Wieso trinkst Du es, wenn Du es nicht magst?"
"Wußt ich doch vorher nicht. Hab ich erst gemerkt, als alles schon im Magen war. Es sah so chemisch aus, daß es nur gut schmecken konnte... Tat's aber nicht. Deswegen reagier ich auch so algerisch, wenn Du Deine Rosenkreme auch nur aufmachst. Bäh."
Das geschah, nachdem ich mich ausgiebig darüber ausgelacht hatte, als Traudl einen halben Becher Alkohol austrank, den sie für Wasser gehalten hatte. 118 Oktan hat das Zeug und war eigentlich als Kraftstoff für PKW gedacht, und genauso sah sie hinterher aus, wie sie sich über dem Küchenwaschbecken die Seele aus dem Leib kotzte und dabei versuchte, mir die Verantwortung dafür in die Schuhe zu schieben. Ich stand nur daneben und versuchte, nicht zu lachen, als das nicht klappte, versuchte ich, wenigstens nicht laut zu lachen. Als ich das fehlschlug suchte ich das weite, denn auch wenn es nicht so aussah, fürchtete ich um mein Leben. Ich war es schließlich, der den Alkohol in den Wasserkanister gefüllt hatte. Ich fragte mich hinterher die ganze Zeit, wie man etwas blind runterschlucken konnte, ohne vorher nachzuprüfen, ob es auch schmeckt. Aber es geht schneller als man denkt - wenn man erst denken würde, würde es ja nicht vorkommen und die Welt wäre um einige unfreiwillige Komiker Ärmer. Michl hingegen wäre das nie passiert. Er hätte den ganzen 5-Liter-Kanister ausgetrunken und es erst zur Kenntnis genommen, wenn es ihm einer gesagt hätte, wobei ausgeschlossen ist, daß diese Kenntnis irgendeine Reaktion in ihm auslösen würde.

Wieder bei der Werkstatt, suchte ich den Chef. Ich wollte ihm noch das restliche Geld bringen. Er winkte ab und meinte, es sei schon in Ordnung. "Sicher?" "Jaja" "So wir aus Dir nie was...", steckte ich das Geld eben wieder ein. Da sich an der Straße ein Wasserhahn befand, füllte ich den Diesel um und das Brauchwasser auf, nahm den Saft aus dem Kühlschrank und wickelte darin einen neuen ein. Einige Leute, die darauf warteten, daß ihr Auto fertig wurden sprachen mich an, als ich mir das Öl von den Pratzen wusch. Ich unterhielt mich kurz mit ihnen, dann fuhren wir weiter. Es war schon 21:15 Uhr (278.197). Höchste Zeit.

Nun fuhren wir in Richtung Alamut. Hier ging die Straße ab. Am Ortsausgang ein Schild, das in die Richtung wies. Schon nach wenigen Kilometern kam mir das ganze verdächtig vor. Die Straße war gerade mal so breit, daß ein Auto platz hatte und die Speed-Bumps schienen noch überbleibsel aus der Eiszeit zu sein, so hoch waren die. Bei einer Art Disko wendete ich und fuhr zurück zum Kreisverkehr und dort links, wieder auf die Autobahn. Ich erinnerte mich, daßbereits auf der Autobahn ein Schild war auf dem Alamut ausgeschildert war. Michl bestätigte das. "Da müssen wir aber wieder Maut zahlen", sagte Michl. "Bevor ich die Kackstraße fahr, zahl ich lieber 15 Cent, das können wir uns gerade noch leisten. Es ging auf die Autobahn. Einige Kilometer fuhren wir, dann drehte ich um, und suchte das Schild Alamut. Irgendwann kam es und ich folgte dem Schild nach rechts. Kurz darauf waren wir wieder an der Mautsatation und zahlten wieder. "Was war denn das jetzt für ein Scheiß?", fragte ich irritiert. "Da hättest vorhin umdrehen können", sagte Michl und zeigte unmittelbar nach der Mautstation auf eine Stelle, die zum Umdrehen vorgesehen war. "Danke, daß Du mir das erst jetzt sagst", fuhr ich ihn an. "Ich hab gedacht, Du hast es gesehen." "Ja, klar, und ich fahr zum Spaß erst in die Pampa und dann wieder zurück, weil ich nichts besseres zu tun hab, oder wie? Wenn Du nicht gefragt bist, hast ständig die Gosch offen, aber wenn Du mal was sagen solltest, dann kommt nichts. Du Depp, Du blöder." "Ja, was kann ich dafür?" "Das hab ich Dir gerade erklärt. Jetzt erklär Du mir bitte, warum Du mich auf die Autobahn fahren läßt." "Du hast gesagt 'pfeiff auf die 15 Cent'" "Ja, hab ich, weil ich auf einem anderen Weg zu Alamut wollte, aber nicht, weil ich sinnlos einen Umweg fahren wollte." "Wie kann man so einen riesen Wendeteil auch übersehen?" "Du Depp. Check's halt! Ich hab gedacht, die Alamut-Ausfahrt war auf der Autobahn. Zu der wollte ich hin. Wenn ich dazu nicht auf die Autobahn muß, dann laß mich nicht sinnlos auf die Autobahn fahren." "Aaah!" "Rindvieh. Kannst Du überhaupt irgendwas richtig machen?" Almut stupfte mich von hinten an "...und Du hör auf, mich die ganze Zeit zu schlagen. Ich werd wohl noch einem Deppen sagen dürfen, daß er ein Depp ist", fegte ich weiter. Als wir wieder genau an dem Kreisverkehr standen, den wir fast eine Stunde vorher verlassen hatten, bog ich wieder rechts ab, kramte ein paar längst vergessen geglaubte Schimpfwörter hervor und bedachte Michl damit. Wieder fuhren wir an der Disko vorbei, doch diesmal weiter. Einige Kilometer weiter, die Stadt war nur noch als heller Schein am Himmel au erkennen, fuhren wir an mehreren Teegärten vorbei. Ich schätze, es waren Teegärten. Kurz danach war es rings um uns dunkel. Stockdunkel. Bald daruaf ging es auch scon bergauf. Zunächst dachte ich, es handle sich um einen kleinen Hügel, doch als ich schon nach kurzer Zeit weit unten zwischen uns und Qazven die einzelnen kleinen Teegärten sah, wie kleine Lichterinseln im dunklen Meer, fragte ich mal nach, ob wir schon im Gebirge waren. "Ja, kurz nach Qazven geht's los". In diesem riesigen dunklen Fleck da unten wären sicher gute Nachtplätze gewesen, aber jetzt noch einmal umzudrehen, nur um morgen wieder hier hochzufahren schien mir nicht das Sinnvollste Manöver zu sein. So fuhren wir weiter in das dunkle Gebirge. Zwei Abfahrten ignorierte ich einfach, in der Hoffnung, daß es doch irgendwann wieder bergab gehen müßte. Aber immerhin glühte die Leuchte wieder. Ob das automatisch auch hieß, daß die Kerzen auch wieder glühten, kann ich nicht beurteilen. Mein ursprünglicher Plan, "kurz über die Hügel und dann Nachtplazsuche", zerschlug sich schon im Ansatz. Hier gab es keine Hügelchen, sondern es handelte sich um ein ausgewachsenes Gebirge. So fuhr ich geduldig weiter über die Serpentinen. Es blieb auch nichts anderes übrig, wir hatten keine Chance, die Straße hier irgendwo zu verlassen.


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