Skandinavientour 1998
Freitag, 5. Juni

Es wurde nicht mehr dunkel. Eine geschlossene Wolkendecke lag über dem Land, aber es war hell wie in den letzten 12 Stunden. Wir fuhren einfach immer weiter und weiter und zählten diesmal die Autos, die uns entgegenkamen. Von dem Abzweig von der E04 auf die E75 bis an den unteren Ausläufer des Inari-Sees, den wir um Punkt 3:00 Uhr nach 3.248 km Fahrt ab Augsburg gerechnet erreicht hatten, waren es genau 15 Stück in über 400 km!
Auf dem Weg dorthin sahen wir zu unserer Rechten einen Elch im Unterholz. Er hatte kein Geweih, war aber recht groß, also gehe ich mal davon aus, daß es eine Elchkuh war. Wir halten neben dem Elch, um ein Bild zu machen. Bilder machen konnte jeder von uns, aber schöne Bilder konnte nur Hanselmann machen, weil er als einziger Ahnung davon hat. Und da er auf dem Beifahrersitz saß hatte er auch noch das beste Schußfeld. Das Viech ließ sich durch unsere Anwesenheit nicht stören und graste etwa zwei Fahrzeuglängen vom Auto weiter. Günther stieg aus und wollte Frau Elch aus dem Gebüsch locken. Er ging also den Straßendamm hinunter, um sie herauszulocken. Sie erhob den Kopf und sah den sich ihr nähernden Günter an. Er ließ sich nicht beeindrucken und ging weiter auf sie zu. Günther ist normalerweise sehr Ruhig und läßt sich nie aus der Ruhe bringen. Plötzlich senkte sie den Kopf stellte den Buckel und fuhr an, genau auf Günther zu. So schnell war der noch nie in mein Auto eingestiegen. Ich trappte auf die Hupe, woraufhin Frau Elch im Unterholz verschwand. Ich fragte den Photographen: "Und? Hast ein Bild gemacht?" - "Nein. Ich war schockiert, ich war schockiert..." - "Mein Gott! Der Günther ist fürs Schockiertsein zuständig, ich für das Fahren und Du für die Bilder. Und das wäre ein schönes geworden, aber nein, man ist stattdessen lieber schockiert."

Bald darauf waren wir am Inari-See angekommen. Für unsere Kanuten war es eine herbe Enttäuschung: Der See war noch zugefroren. Da standen sie nun mit ihrer himmelsündteuren Ausrüstung (von Goretex-Bekleidung bis Satellitennavigationsgerät war alles dabei) und jammerten, es wäre so kalt (+5°C), was machen die denn erst bei -30°, die es hier im Winter fast immer hat? Einen besseren Kälteschutz, als sie ihn hatten kann sich kein Finne leisten.
Nun ja...mich ging das alles gar nicht an, ich sah alles, wie von Weitem und meine eigene Stimme drang aus irgendeinem Eck zu mir rüber. Ich wollte nur noch schlafen.

Günther und ich hatten auch nicht mit diesen Temperaturen gerechnet und so kam es, daß keiner von uns eine Jacke dabeihatte. Blöd. Und als die beiden Survivalspezialisten mich weckten und den Termin für den Rückmarsch auf Sonntag früh, 9:00 Uhr festlegten, nahm ich das gar nicht bewußt wahr (andernfalls hätte ich mich quergestellt). Ich hörte es später von Günther. Gegen 12:00 Uhr waren wir schon wieder wach und beschlossen durch die Gegend zu fahren. Und also warf ich den Boliden an, schnallte das Kanu aufs Dach und dann brachen wir gen Norden auf. Um 14:45 Uhr (km 3.480) erreichten wir Kirkenes.

Blick auf Kirkenes. Dieses unscheinbare schüchterne Bübchen am äußersten Rand des Bildes ist der Günther. Alle Wege führen nach Rom.

Nachdem ich vergeblich nach einem Aufkleber oder nach Postkarten gesucht hatte fuhren wir gegen 15:00 Uhr spaßeshalber zur "Grense Jakobselv", zur russischen Grenze.
Um 15:30 Uhr waren wir dort angekommen.

Ich wollte versuchen durchzukommen, aber der norwegische Zöllner erklärte mir, daß mich die Russen ohne Visum nicht durchlassen würden und auf die Schnelle könnte ich keines bekommen. Gut, dann halt nicht.

Weiter als bis zur Grense Jakobselv kamen wir diesmal nicht, aber Rußland läuft ja nicht weg.

Um 15:45 Uhr fuhren wir zurück über Kirkenes und Tana nach Båtsfjord. Zu sehen gab es dort nicht viel und wir fuhren sogleich wieder nach Tana zurück und dann die Tana entlang bis Karasjok. Wir mußten tanken, fanden aber keine offene Tankstelle mehr, so daß wir gezwungen waren, hier in der Nähe zu übernachten. Zuvor gingen natürlich Pflichtgemäß einige Karten in Richtung Heimat. Wir fanden eine verlassene Fischerhütte in Karasjok, wo wir zu abend aßen und auch nächtigten.


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