Libyentour 1999
Montag, 16. August

Das Zelt hatten wir diesmal daheim gelassen. Nicht nur, weil die Hälfte fehlte, sondern weil es mir einfach vollkommen überflüssig vorkam. Letztes Jahr hatten wir es nicht einmal angerührt, war purer Ballast. Und jeden Abend da groß Terror machen und Zelt aufstellen, dafür bin ich nun mal viel zu faul. Selbst in Norwegen, wenn es regnete, habe ich es nie fertiggebracht, das Zelt aufzustellen. Einzig in St. Gallen auf einer Wiese habe ich das Zelt gebraucht, als ein ehemaliger Klassenkamerad eine Aufnahmeprüfung für die dortige Uni ablegen mußte. Das aber auch nur, weil ich Befehl dazu erhalten hatte.

Nachtplatz: N 26° 21,450' / E 15° 32.916'In Libyen ist Nachtplatzsuche eigentlich, wie schon des öfteren beschrieben, kein Problem. Ein Fünfsterne Hotel findet man fernab der Küste natürlich nicht, aber dafür etwas Besseres und viel Billigeres: die Wüste. Auto nach Süden ausrichten, Decken und Isomatten auf Steuerbordseite und fertig ist der Laden. Dieser Nachtplatz muß zu nah an irgendwas sein, denn es gab ein paar Fliegen, und es gibt nichts, was ich mehr und inbrünstiger hasse, als diese nichtsnutzigen Drecksviecher - außer vielleicht deutsche Polizisten. Letztere zeigten sich aber nicht. Das tat mir fast ein bißchen Leid, denn ich habe einmal gelesen, daß Feldspaten, solche, wie wir sie dabei hatten, eine hervorragende Nahkampfwaffe in beiden Weltkriegen gewesen sein soll. "Wenn Du einen Mann damit zwischen Hals und Schulter triffst, dann spritzt das Blut wie ein Springbrunnen", läßt Erich Maria Remarque den Stanislaw Kacinski in seinem Meisterwerk "Im Westen nichts Neues" sagen. Und hier hätte man die Richtigkeit dieser Aussage prüfen können. So mußten wir uns darauf beschränken, Fliegen totzuschlagen. Kräht auch kein Hahn danach und die Libellen halfen uns noch ein bißchen dabei.

Um 9:20 ging es weiter. In Darj angekommen mußte erst mal was Eiskaltes zu trinken her. "Mirada Tuffah" - Apfelmirinda, schmeckt geil, das Zeug. Hier sahen wir die ersten Touristen auf unserer Reise. Es war eine organisierte italienische Reisegruppe mit einem Defender, einem anderen Geländewagen und einem Motorrad. Wir verschoben die Befahrung der A8 nach Idri auf einen späteren Zeitpunkt, da uns ja nun ein Ersatzrad fehlte. Wir wollten erst die Piste zum Wau an-Namus befahren, die laut Reiseführer lange nicht so steinig, dafür etwas sandiger ist, was zwar fahrtechnisch etwas schwieriger, jedoch vielleicht reifenschonender ist. Laut Beschreibung mußte diese Strecke mit der B7 die schwierigste sein.
Auf dem Weg durch die Hammada al-Hammra nach Schweyrif war das Wetter komisch. Nicht der gewohnt tiefblaue, wolkenlose Himmel. Diesmal war er eher graubraun. Auch der Wind blies genau so, wie er nicht sollte, denn der Göttler schreibt: "(...) Bläst der Wind dennoch aus Westen oder auch (...) aus Südwesten, ist dies ein sicheres Schlechtwetterzeichen und das heißt in der Sahara: Sandsturm!" Fern im Südwesten, in der Richtung aus der der Wind blies, standen dunkle Wolken und es blitzte. Nach Schweyrif, wo wir etwas im Restaurant gegenüber der Tankstelle aßen, war unser Kurs ziemlich genau Süd, also auf dieses seltsame Wetter zu.

Die herabhängenden Schleier durften wohl Regen gewesen sein. Hier kann man gut die zusätzliche Bodenfreiheit nach der Höherlegung erkennen.
(vgl. m. Bild der Kippenpause nach Darj aus Bericht Libyen 98).

Wir verließen die Straße, um uns dieses Schauspiel anzusehen. Eine kleine Bulldozerpiste führte nach Westen. Ich war erstaunt, wie schnell es sich hier mit dem neuen Fahrwerk fahren ließ. Hätte man im Vorjahr gar nicht erst zu versuchen brauchen. Genial. Wir stiegen aus, um das Ganze aus der Nähe zu besehen. Es blitzte und der Wind, der in Böen wehte, peitschte den Sand auf.

Wir standen da mitten im Nichts und sahen uns das an, sogut es ging. Eine enorme, gelb-braune Wolke bewegte sich immer weiter auf uns zu. Viel sehen konnte man bald nicht mehr, denn dazu bedarf es Augen und wenn die voller Sand sind, dann fällt das Schauen schwer. Schnell ein Bild gemacht und wieder hinein ins Auto.

"Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!
Wo faß ich dich, unendliche Natur?"

Im Moment sah es eher danach aus, als hätte sie uns bald fest im Griff... Im Eiltempo ging es zurück zur Straße und weiter nach Süden. Kein Zweifel. Bald durften wir unseren ersten Sandsturm erleben, das war sicher. Die Schlechtwetterfront bewegte sich auf uns zu und hatte uns im nächsten Moment beim Kragen. Die Lenkbewegungen zum Ausgleich wurden immer heftiger. Nun, Volk, steh auf und Sturm brich los. Natürlich wird die mutgeschwellte Brust immer kleiner. "Gut, jetzt habe ich es gesehen. Kann der Sturm jetzt wieder aufhören?", würde man gerne sagen. Aber dem Sturm war es natürlich egal und er tobte weiter und machte keine Anstalten, aufhören zu wollen.

Im Gegenteil. Er wurde immer heftiger. Teilweise mußte eine Vierteldrehumg am Lenkrad das Auto auf der Straße halten. Nun waren wir mittendrin. Anfangs ging es noch relativ gut. Man hörte nur das Rieseln des Sandes an der Bordwand. Hob man die Hand auf der Leeseite aus dem Fenster, spürte man kaum einen Luftzug, es war fast windstill. Sicht schlecht, aber noch vorhanden. Der Sand kommt überall hin, dennoch mußte ich mir das bei offenem Fenster geben, erlebt man schließlich nicht alle Tage.
Ein richtiger Sandsturm, das war sowas, was ich nur aus Büchern kannte. Und das hier war einer, nicht nur so'n bißchen Wind, was den Sand auf Kniehöhe vorbeibläst.

Ein Gemisch aus Sand, Staub und Wasserdampf nahm bald jede Sicht.

Auch die Scheibenwischer nahmen ihre Tätigkeit wieder auf. Ich hatte mir vor der Abfahrt keine neuen Blätter gekauft, weil ich dachte, die wären so überflüssig wie Zelt und Regenschirm. Schade um die schöne neue und original bei Mercedes-Benz eingebaute Frontscheibe, jetzt ist das Wischfeld leicht verkratzt. Aus dem undurchdringlichen Vorhang tauchte ein Landrover auf. Jetzt bloß keinen Frontalzusammenstoß. Nicht während des Santsturms. Wir fuhren den Straßendamm hinunter und auf dessen Ostseite weiter, um in seinem Windschatten besser voranzukommen, nicht, daß irgendein Verrückter auf der falschen Straßenseite aus der Waschküche geschossen kommt und uns übersieht. Nun wehte der ganze Dreck über uns hinweg. Wir stiegen kurz aus, um uns das anzusehen und schon war überall der Sand, wirklich überall. Besonders unangenehm ist er im Aug'. Kann ich nur abraten. Aus dem Ansehen wurde daher wieder nichts. Wir erreichten bald den Polizeiposten dort, wo die Abzweigung zur östlichen Nord-Süd-Verbindung abgeht. Dort hatten wir im letzten Jahr eine Mittagspause eingelegt (Siehe Libyen 1998). Wir unterhielten uns mit dem Chef von diesem Posten über dies und jenes mit Almut als Übersetzerin. Die konnte das gut. Nur scheint es unhöflich zu sein, wenn sich eine Frau so direkt mit einem Mann unterhält und Harri oder ich mußten immer irgend etwas sagen, damit es so aussah, als ob sie nur übersetzen würde. Wie lange ich schon mit Almut verheiratet wäre - "Ein Jahr". Verheiratet! Oh, Mann! Wie man sich nur freiwillig Ketten anlegen kann... Es wurde noch besser. Warum wir noch keine Kinder hätten? Natürlich kann man einem Araber nicht sagen, daß man Kinder nicht ausstehen kann, weil sie zu viel Streß machen und daß sie das sicherste Anzeichen eines zu Ende gehenden Lebens seien. Die verstehen das nicht. Also erklärten wir das mit dem Studium, das erst noch zu Ende gebracht werden muß oder so ähnlich. Solche Gespräche sind normal, jeder Fragt danach. Familie und Stamm ist in arabischen Ländern scheinbar sehr wichtig, das Heiraten nicht ganz so einfach.
Er hatte eine gute Meinung von Deutschland, klar konnte auch er alle Fußballspieler der deutschen Nationalelf aufzählen, wie fast jeder Libyer, und er fragte uns, wie man in Deutschland über Libyen denkt. Er bat um eine ehrliche Antwort. "Nicht gut. Gadaffi, Terroristen, Lockerbie, Unrechtsstaat, Diktatur usw." Das hätte er schon von mehreren Touristen gehört, aber er verstehe nicht, warum - "Das ist Politik und hat doch mit Land und den Leuten nichts zu tun" Ich versuchte, ihm zu erklären, daß er deswegen nicht beleidigt sein bräuchte, nach dem Grundsatz "Was stört es eine arabische Akazie, wenn sich eine amerikanische Sau daran kratzt?" So würde wenigstens Libyen nicht so enden wie Marokko oder Tunesien, sondern seine Eigenart bewahren. Wenn der Westen nämlich die ganze Welt gegen ein Land rebellisch macht, beweist das nur, daß dieses Land seinen eigenen "Way of life" behalten will und nicht gewillt ist, ihn gegen die amerikanische Variante einzutauschen. Absolut lächerlich, ein ganzes Land für die Tat einzelner zu bestrafen. Wenn es danach ginge, hätte man die USA schon längst im Meer versenken müssen. Ich glaube, das hat gepaßt - immer vorausgesetzt, die Übersetzung kam so rüber. Er meinte, wir könnten uns unbesorgt alles ansehen und bräuchten uns keine Sorgen zu machen, daß uns jemand etwas antun würde. In Sebha hätte es mal Probleme gegeben, aber dort seien die Tische wieder gerade gerückt worden, so daß keine Gefahr drohe. Und die vielen Polizeikontrollen seien nur zur Sicherheit, sie seien weder ein Hindernis noch ein Problem. Das sahen wir auch so.

Wieder ein Photo. Man brauchte sie nicht zu fragen, sondern sie fragten uns, ob wir ein Bild machen könnten und es ihnen aus Deutschland dann schicken würden - "Klar!"

Erst bei Dunkelheit erreichten wir den Nachtplatz, der uns schon im Vorjahr, am 9/IX/98, bei der letzten Übernachtung in der Wüste als solcher gedient hatte und dessen Koordinaten ich mir damals spaßeshalber notiert hatte. Das zahlte sich nun aus. Wir fanden den Pisteneinstieg nicht und fuhren querfeldein. War auch nicht so das Problem, obwohl sich hier jemand mit etwas größeren Brocken gespielt hatte, die sperrenartig herumlagen. Ein LKW hätte da nicht mehr durch gepaßt.


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