Libyentour 1999
Montag, 6. September

Als die Party vorbei war, etwa gegen zwei, halb drei, zog auch ich mich zurück. Wie üblich, an der Küste, erst Gute-Nacht-Kippe, dann Motor, Klima und Radio an. Nur in der Wüste schlief sich's besser und vor allem länger, denn die Beifahrer hielten es auch nicht zu lange im Zimmer aus. Wir versuchten, die Ausgrabungen zu besichtigen, doch das war alles andere als angenehm. Nicht die Hitze, sondern die Kombination von Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, machte uns zu schaffen. Wir fuhren nach Tripolis und setzten uns ins Café, bis das Wetter sich beruhigt hatte.

Blöd. Hier bemerkte ich, daß ich den Schlüssel von der Jugendherberge in Sabrata nicht abgegeben hatte.

Ein 200er im Polizeidienst. Der Wagen war "Modell" 81, hatte 538.000 km auf der Uhr und dürfte wohl nicht so schnell ausser Dienst gestellt werden, "ist doch noch gut", würde der Polizist wahrscheinlich sagen.

An jeder Ecke hingen Plakate, auf denen Gadaffi zu sehen oder Parolen aus seinem Grünen Buch zu lesen waren, die ganze Stadt hatte ihr festlichstes Gewand an. Entgegen allen Gerüchten konnte man eindeutig erkennen, daß kein Muß dahinter steckte. Es schien den Leuten Freude zu machen, Transparente und Plakate aufzuhängen, auf denen der Große Führer der Revolution abgebildet war. Vor jedem Laden hing mindestens ein Poster. Ist ja auch irgendwie kein Wunder, denn wenn man es einmal im afrikanischen Rahmen betrachtet, dann muß man ganz sachlich feststellen, daß man kaum ein Land findet, in dem die Regierung besser für ihre Bevölkerung sorgt, erstrecht nicht in den sogenannten "Republiken".
Und hier zeigte es sich am deutlichsten, daß so ziemlich alles, was im Westen über Libyen erzählt wird reiner Schwindel ist, wohl um ein Land zu diskreditieren, dessen Führer und Gefolgschaft sich nicht in westliche Verhaltensmuster hineinzwängen lassen will. Und Recht hat er, denn wenn man überall nur noch McDonald's und was sonst noch zur amerikanischen Kaugummi- und Coca-Cola-Kultur dazugehört sieht, lohnt es sich nicht mehr zu Reisen. Allah beschere ihm ein langes Leben.
Den Nachmittag nutzten wir für einen Stadtbummel. Der 123er der Polizei, den wir schon am 1. September hier sahen und von dem ich unbedingt ein Bild haben wollte stand wieder auf dem Grünen Platz. Ich ließ den Polizisten fragen, ob es möglich wäre, davon ein Bild zu schießen. Er verstand das nicht und meinte, ich sollte doch die neuen Polizeiautos (E- und C-Klasse) photographieren und nicht das "alte Zeug". Doch genau den wollte ich haben, und ich bekam schließlich die Erlaubnis. Die Uniformierten in der Nähe gingen aus dem Bild.

Wir versuchten erneut, den Mann aus Bin Jawaad zu erreichen, aber er war sonstwo und so versuchte Almut, sich mit seiner Frau zu unterhalten. Das war nicht ganz so leicht am Telephon, da die Frau im Gegensatz zu ihrem Herrn Gemahl nicht das Hocharabisch, sondern nur den örtlichen Dialekt beherrschte. Sie konnte auch nicht lesen und schreiben oder so, aber mal ehrlich... Wozu muß eine Frau - gerade eine arabische - lesen und schreiben können?
Am Abend begaben wir uns langsam wieder auf den Grünen Platz, weil wir erwarteten, den Staatschef zu sehen , aber außer Staatskarossen (neueste Modelle der S-Klasse) mit großer Polizeieskorte gab es lange nichts zu sehen. Plötzlich wurde der Platz komplett geräumt, alle zurückgedrängt und Metalldetektoren aufgestellt. Wer auf den Platz wollte, mußte durch diese hindurch. Davor bildeten sich lange Schlangen. Wir stellten uns auch an, mußten aber nicht sehr lange stehen, da uns jeder Polizist, der uns sah, mit den Worten "Mister! Plaese!" zum nächsten vor schickte. Man beeilte sich, uns auf den Platz zu lassen. Durch den Detektor mußten wir trotzdem, der - außer bei Harri - natürlich anschlug. Mein Jaquette wurde solange durchsucht, bis der Security-Mensch das Grüne Buch erblickte, das ich in einer der Taschen hatte. Dann hörte die Durchsuchung sofort auf, alles in Ordnung. "Welcome to Libya, Mister", auf die Schulter geklopft und ich durfte zu den anderen auf den Grünen Platz. Wir sahen uns das bunte Treiben an. Es waren viele Gruppen der verschiedensten afrikanischen Staaten hier: Nigerianer, Liberianer, Sudanesen, Senegalesen, Ruandanesen usw. Schön, mal original afrikanische Musik "live" zu hören, anstatt des entarteten möchtegern "Afro" made in Germany, der mit Afrika so viel zu tun hat, wie Kaffeeplantagen mit der Antarktis. Beim herumspazieren fanden wir eine strahlend weiße Pullmanlimousine auf der anderen Straßenseite. Auf dem vorderen Kennzeichen waren weder Buchstaben noch Zahlen sondern nur den libysche Hoheitsadler auf grünem Grund. Kein Zweifel, das war das Auto des Revolutionsführers. Ich stellte mich genau davor, uns trennte nur die Straße. Hier mußte er vorbeikommen, oder die Limousine würde ihn am Ende der Treppe abholen. Ich hatte wieder mal versucht, logisch zu denken. Funktionierte wieder nicht, denn Gadaffi scheint nicht den gleichen Bezug zu seinem Auto zu haben wie ich zu meinem, denn er kam die Treppen hinunter, winkte kurz den Massen zu, stieg in einen Land Cruiser und verschwand. Das hatte ich leider nicht selbst gesehen, sondern mir von den Geschwistern erzählen lassen, die zwar weiter weg standen aber doch mehr gesehen hatten, während ich mit Stierblick auf die Limo alles verpaßt hatte. Als der Toyota an ihr vorbeifuhr, zog sie mit blubberndem Motor hinterher. Ohne Chef an Bord.
Wir packten zusammen und fuhren gen Süden. Ich hatte eine Sauwut auf mich selbst. Blind und Blöd. Wäre Ghadaffi eine Schlange, hätte er mich gebissen...


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