Libyentour 1999
Mittwoch, 8. September

Geweckt wurden Harri und ich ganz sanft von Almut, die wie immer schon beim ersten Sonnenstrahl auf dem Berg saß und in Büchern der Gelehrten schmökerte, mit dem Schrei "Achtung! Achtung! Auto!". Hier stellte ich fest, daß Almut richtig Schreien konnte. Nie zuvor gehört. "Hä? Was willsch?". Aus der Richtung in die wir fuhren, brach mit hoher Geschwindigkeit ein blauer Toyota Land Cruiser (ich habe in Libyen nur weiße und blaue Land Cruiser gesehen) heran. Ich sprang auf und hob die Straßensperre wieder auf, während Harri unser Bett aus dem Weg räumte. Der Fahrer schien von Göttler noch nie etwas gehört zu haben, denn statt der "lückenlosen Saharaausrüstung", die hier "unabdingbar" ist, hatte er fünf Kinder auf der Ladefläche. Er grüßte kurz ohne anzuhalten und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Da wir schon einmal wach waren, packten wir zusammen, um uns gleich wieder auf den Weg zu machen. Harris Bemerkung verstand ich erst nicht ganz, als er sagte: "Ich glaub', wir müssen umkehren..."

Der Morgen hatte eine kleine Überraschung für uns parat. Über Nacht war aus dem Reifen die Luft entwichen (km 11.768).

Toll! Jetzt standen wir wieder da, wie der Ochs vor`m Berg. Eigentlich hätten wir wirklich spätestens hier umkehren müssen, aber irgendwie... ach was! Sich von einem bescheuerten Reifen Vorschriften machen zu lassen?

Und warum mußte es ausgerechnet den neuen Hankook erwischen, den wir erst vor ein paar Tagen in Jalu für teures Geld gekauft hatten? Doch noch war der alte "preußische Drang nach Vorwärts" stärker.

Hier beim Reifenaufpumpen. Dieser Kompressor für die Stoßdämpfer ist eine sehr praktische Einrichtung. Man spart sich sehr viel Energie, die man sich besser fürs Buddeln aufhebt. Das Leck konnte ja nicht groß sein, die Luft hielt sich schließlich eine Weile.

Wir setzten die Fahrt fort in Richtung Bir Rimit, um zu sehen, was es dort gab. Vielleicht dort bleiben um den Schlauch zu flicken... Die Pumpstation von Bir Rimit war nicht weit. Etwa 12 km noch. Ab und zu sah Harri, der immer auf dem Beifahrersitz saß nach dem Wohlbefinden des Reifens und erstattete Meldung. Er hielt. Gut so. Von Weitem sahen wir, daß zwischen den beiden Blöcken der Station ein alter Ford stand. Wir grüßten den Fahrer, der auf der Treppe am Eingang saß im Vorbeifahren. Der Nächste anzulaufende Punkt war das 30 km entfernte Bir el-Gazeil, ein Brunnen mit Schutzhaus, den wir unentwegt ansteuerten. Bald bemerkte jemand, daß die Pistenbeschreibung und die Wirklichkeit immer mehr auseinanderklafften, die Gegend wurde immer sandiger. Auch die Richtung, in die wir fuhren stimmte nicht mehr, denn wir fuhren genau nach Süd, statt nach Südost. Wir hatten die Abzweigung verpaßt und waren auf der A9 gelandet, die zwar auch nach Idri führte, doch von Göttler als "anspruchsvolle Gelände- und Pistenstrecke", für die "zwei autarke Geländefahrzeuge" nötig seien, bezeichnet wird. Hier waren wir falsch. Wir mußten umkehren und den Abzweig suchen, fanden ihn aber nicht und standen wieder in Bir Rimit. Noch mal von vorn. Beim dritten Vorbeifahren sahen wir die geschotterte Trasse, die nach Südost in Richtung Bir Gazeil führte. Ekelhafter Belag. Das War kein Schotter, sondern faustgroße, häßliche Steine. Wir kamen sehr langsam voran. Nur selten bot sich die Möglichkeit, die Trasse zu verlassen, denn das Gelände war nicht weniger steinig. 19.8 km Luftlinie vor Bir Gazeil hielten wir, da ich rechts neben uns eine Trasse zu sehen glaubte. Wir gingen zu Fuß hin, um nachzusehen, ob diese besser befahrbar war. Als wir näher kamen, mußten wir feststellen, daß es sich nicht um eine Trasse handelte, sondern nur um die Spuren eines LKW, dessen Fahrer vielleicht aus Langeweile hier gespielt hatte. Zurück zum Auto. Krisensitzung. Auf diesem Untergrund war es nur eine Frage der Zeit, wann unser Reifen den Geist endgültig aufgeben würde. Wir waren uns auch einig, daß wir mit den uralten 195 R 14, von denen einer am 3. Oktober 1998 in Prag schon einmal geflickt worden war, bisher sehr viel Glück gehabt hatten. Die würden das auf Dauer nicht mitmachen. Und dann hätten wir ohne Ersatzrad die selbe Strecke zurückfahren müssen, denn bis Idri waren es noch über 300 km und auf dem Weg dorthin sollen noch eine Menge steiniger Passagen kommen. Eine weitere Reifenpanne, die unter diesen Voraussetzungen nicht unwahrscheinlich war hätte vermutlich zur Folge gehabt, daß wir die Fähre verpaßt hätten, wenn Hilfe nicht rechtzeitig kam. Und mit dieser war ja nicht zu rechnen, auch wenn die 45 Liter Wasser pro Kopf einige Zeit ausgereicht hätten und wir im Zweifelsfall einen Nachtmarsch nach Bir Rimit hätten machen können.

Hier war wohl oder übel Schluß mit Piste. Wenn wir weiterfahren, geht es schief...

Es ist allgemein bekannt, daß man sein Glück nicht herausfordern soll. Schade. Es fing gerade an, spannend zu werden. Wir kehrten hier, bei Kilometer 79 um in Richtung Darj, wollten aber, gewissermaßen als Entschädigung, in Bir Rimit übernachten. Im Nachhinein war das keine falsche Entscheidung, wie wir noch sehen werden.

In Bir Rimit angekommen wurden wir vom Fahrer des Ford freundlich empfangen. Mit der Verständigung klappte es nicht so gut, denn Almut war noch zu Fuß unterwegs zur Station. Ich ließ sie 3 km vor der Station aussteigen, denn sie wollte laufen. Was für eine Energieverschwendung...

Ich setzte den Wagenheber an, damit das Gewicht des Autos den Reifen nicht beschädigte. Eigentlich hätte er es ja verdient, doch wir waren schließlich auf ihn angewiesen und nicht umgekehrt.

Der Chef zeigte uns die Station, erklärte uns, wie das hier alles funktioniert und wo wir schlafen könnten. Ich stellte meine Mirindas, ohne die ich nicht sein konnte, kalt und machte mir ein Frühstück. Brot mit Streichkäse und Schrimps. Als die Verständigung wieder klappte erfuhren wir so einiges über das "Leben in Bir Rimit". Stelle ich mir angenehm vor. In den nächsten zwei Tagen durften wir daran teilhaben. Wir nutzten die Zeit mit Lesen, Lateinlernen, Reisebericht schreiben, Waschen, Essen und Schlafen. Ich fing schon mal mit letzterem an. Das einzige was störte waren die Fliegen, doch sie machten keinen unausrottbaren Eindruck, denn in dieser Gegend haben selbst sie "Nachschubschwierigkeiten", schätze ich.


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