Heute standen wir besonders früh auf. Als erstes mußten wir Joe
zum Flughafen bringen, das duldet keine Unpünktlichkeit. Etwaige
Polizeikontrollen wurden berücksichtigt. Am Flughafen angekommen
parkten wir, wo gerade Platz war. Es kam auch schon einer
brüllend angeschlichen, der wild in verschiedene Richtungen
zeigte und mit wohl sagen wollte, daß der Parkplatz woanders
sei. Wir beachteten ihn nicht. Ich sah ihn nur an und meinte
"Halt's Maul, Du Depp, und schau zu, daß Dich
schleichst..." Entweder er konnte Deutsch, oder er hatte
mich so verstanden. Das funktioniert also auch hier. Was mich ärgerte, war,
daß ich 15.000 km fahre, um möglichst weit weg von der BRD zu
kommen, dem Land, in dem das Spießertum wohl erfunden worden
ist, und wo jeder Wichtigmacher meint, er sei ein Hilfssheriff
und müsse für Recht und Ordnung sorgen und sofort mit
polizeilicher Räumung drohen, wenn man für eine Minute irgendwo
hält, wo es oft unsinnigerweise verboten ist. Da man aber weiß,
daß die Polizei sowieso lächerlich ist und höchstens
daherkommt und das gleiche sagt, wie der Depp, läßt man das
Auto dann erstrecht da stehen, weil einem gerade eingefallen ist,
daß man was vergessen hat. Wenn nämlich einer dranliegt und am
verrecken ist, dann sind die Wichtigmacher plötzlich alle weg,
keiner hilft, aber bei einem falsch geparkten Auto...
Wir wollten natürlich mit Joe an den Schalter gehen, aber leider
wurde nichts draus, weil das Flughafeneinlaßsystem mindestens
genauso idiotisch war, wie das Pfandflaschensystem, das wir immer
noch nicht durchschaut hatten. Da steht vor dem Flughafen ein
Bulle und läßt uns nicht rein. Joe hat aber ein Ticket und darf
dann doch rein, Almut und ich nicht. Gut. Kurz "Servus" zu Joe sagen und wieder zum
Auto. Joe saß zwar immer nur auf dem Rücksitz und sagte nie was, aber irgendwas fehlte nun doch.
Die Rückbank ist leer, das ist ganz ungewohnt.
Nächste Haltestelle SAGA, das Gebäude, in dem wir uns mit
diesem Mr. Du Crest treffen sollen. Um Viertel nach Acht waren
wir da. Wir kamen gleich dran, trugen ihm unser Anliegen vor. Er
hörte es sich an, telephonierte ein wenig rum. Er sagte, daß es
kaum Schiffe gäbe, die direkt nach Südamerika gingen. Auch mit
Nordamerika sähe es schlecht aus und Passagiere nehmen die mit
Sicherheit keine mit. Er gab uns die Adresse eines gewissen Kpt.
Dosso von Tolm Linesund rief einen Fahrer herbei, der uns dorthin
vorausfahren sollte. Wir fuhren ihm hinterher und als wir ankamen
bedankten wir uns, wunderten uns, daß keine Forderung nach Geld
kam und betraten um Halb Zehn das kühlschrankkühle Gebäude von
TOLM LINES. Das gleiche Spielchen in Schwarz: Wir mußten nicht
lange warten, schon kam Kpt. Dosso. Auch ihm erklärten wir alles
Schritt für Schritt. Er erzählte das gleiche wie Mr. Du Crest,
dessen Visitenkarte wir ihm hingelegt hatten und wie dieser
telphonierte auch er durch die Gegend nach einem Schiff,
Nordamerika unwahrscheinlich, Passagiere auch. Wir bekamen eine
weitere Adresse, ein Mr. Schultz von Sumaco. Also den Weg
beschreiben lassen und dorthin.
Wir dachten, es könnte vielleicht ein Deutscher sein, dem Namen
nach. Als wir ihn sahen, dachten wir tatsächlich, es sei ein
Deutscher. Ich: "Grüß Gott!" Er: "Bonjour"
kein Landsmann. Egal, Almut kann ja Französisch. Ihm wieder das
gleiche erklärt, er sagte, wir sollen einfach zu SIVOM in das
Nebengebäude gehen und nach Mr. [Namen vergessen]. Zum vierten
mal erzählten wir unsere Leidensgeschichte und während Almut
redete, waren meine Gedanken kurz bei der mauretanischen
Botschaft. Als die beiden ihren Diskurs beendet hatten hatten wir
immerhin schon mal einen Fortschritt gemacht, denn er sagte, ein
Schiff nach Südamerika war kein Problem. Ich bekam allerdings
noch mit: "Passengers? I don't think that is possible."
- drückte er einen Knopf und holte seinenn UUntergebenen. Ich
dachte schon, wir fliegen jetzt hochkant raus, aber er sagte:
"Das ist Mr. Samuel. Er wird Euch von nun an betreuen, ich
wünsche Euch viel Erfolg."
Mr. Samuel war wieder ein Neger, es wechselte immer. Und was
auffiel war, daß diese hier, die in einem von Europäern
geleiteten Unternehmen beschäftigt waren mit den Nervtypen und
Grattlern, denen man sonst begegnet außer der Hautfarbe nichts,
aber auch gar nichts gemein haben. Sie schreien nicht, sie
gestikulieren nicht wie Affen, sie verlangen kein Geld, ganz
normal eben. Wir setzten uns in sein Büro und wieder einmal
erklärten wir, was wir vorhaben. Ein Schiff nach Südamerika,
also, das das Auto, Almut und mich nach Südamerika bringt. Ein
Schiff für das Auto läßt sich auf jeden Fall finden.
Sam: "Wie wollt ihr das Auto verschiffen? Auf Deck oder im
Container?"
-"Was billiger ist."
Sam: "Welchen Hafen? Santos, Itajaí oder Rio?"
- "Den billigsten."
Sam: "Ist kein Problem."
- "Und wir wollen auch mit, weil wirr kkein Geld für
Rückflug haben. Wenn das nicht geht, müssen wir wieder
zurück."
Sam: "Ich glaube nicht, daß das geht. Ich kann auch nicht
darüber entscheiden. Da müßte ich in Houston / USA
anfragen."
- "Ja, machen Sie das."
Sam machte uns auf ein kleines Problem aufmerksam, an das wir gar
nicht mehr gedacht hatten, die Zeitverschiebung. Dort wäre es 5
Uhr in der Früh. Er wollte derweil ein eMail an Houston
schreiben und wir sollten am Nachmittag wieder kommen. Ab 15 Uhr.
Was blieb uns anderes übrig? Wir hatte imerhin den Hauch einer
Chance, dachten wir zumindest, weil wir keine endgültige Absage
bekommen hatten. Im Rausgehen sagte ich zu Almut: "Das geht
schief. Wieso sollten die das machen?" - "Wart's ab,
noch ist das letzte Wort nicht gesprochen."
Wir fuhren sicherheitshalber noch zur SDV-Abidjan. Die gleiche
Reederei, die ich schon in San Padro aufsuchte und die mich nach
Abidjan schickte. Wir wollten die Sache parallel laufen lassen
und vielleicht ergab sich da ja auch was. Wir kamen gegen Elf an.
Kein Europäer weit und breit, entsprechend war der Empfang
miserabel, keiner wußte, wo er und hinschicken sollte, am Ende
landeten wir in einem 30-Mann-Büro, in dem uns ein Wicht dann
fragte, wo wir hinverschiffen wollen, nach Buenos Aires oder
Brasilia, das mindestens 2.000 km von der Küste weg liegt. Ob
wir mitfahren können. - "Nein, völlig ausgeschlossen, alle
Schiffe fahren über Nordsee oder Mittelmeer." So, wie Mario
sagte. Es mußte also bei SIVOM hinhauen, egal, was passiert,
doch nun konnten wir bis zum Nachmittag nichts machen, außer
warten.
Wir fuhren zur Post, Almut hatte einen Brief, ich eine Postkarte
bekommen. Post aus der Heimat. Das ist einen Kaffee wert! Sofort
zum CapSud. Wir blieben bis etwa eins, halb zwei und fuhren dann
in Richtung Crocody in Richtung Goetheinstitut, das aber erst um
14:30 Uhr aufmacht. Die Zeit bis dahin überbrückten wir damit, die brasilianische Residenz ausfindig zu machen, zumal wir uns eh schon im Botschaftsviertel waren. Als wir sie endlich fanden, schickten die uns zur Botschaft. Wir fuhren danach erstmal zum Goetheinstitut zurück, mußten aber dort sehr bald feststellen, daß das den ganzen Tag zuhatte.
Also doch zur brasilianischen Botschaft. Wir fragten uns durch. Man hat es uns erklärt, wollte hinterher Geld und kam mit dem üblichen Meine-Familie-hat-Hunger-Geschwätz. Wir drückten ihm
in Wegfahren ein Baguette in die Hand und fuhren durch den Berufsverkehr - in Abidjan gibt es wieder sowas! - zum "Hochhaus 2000". Um uns hinterher nicht auf dumme Diskussionen mit
Parkplatzknilchen einlassen zu müssen, blieb Almut im Auto und ich ging in die Botschaft. 12. oder 20. Stock. Die Botschaft selbst hatte natürlich zu, war ja Viertel nach Drei. Ich traf
nur einen Komiker, der mich im vorbeigehen fragte, ob ich Pfarrer sei. Hat der denn noch nie einen Pfarrer gesehen? Aber der Typ konnte einiges: Portugiesisch fast ohne, Deutsch mit Akzent, Englisch auch, Französisch sowieso, war ja Ivorer und er sagte, daß ich morgen wieder kommen und an wen ich mich dann wenden sollte.
Danach wieder zu SIVOM. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen. Mit fiel mein Prozeß vor dem augsburger Amtsgericht im Dezember ein, zu dem ich als Angeklagter ("Fahren ohne
Fahrerlaubnis") geladen war. Damals hatte ich dieses Gefühl nicht, weil ich ja wußte, wie das Urteil ausfallen und daß ich irgendwo unter Palmen liegen würde, wenn die Zahlungsaufforderung kommt. Und die Richterin, der man auf der Straße höchstens ins Auge spuckt, wenn sie anfängt zu keifen, wirkte auch eher erheiternd. Hier war es anders. Es ging um mehr. Wenn das nicht hinhaut, dann kann ich zusehen, wie ich mich an der Elfenbeinküste installiere, oder sonstwo. Nicht im gemachten Nest in Brasilien, sondern irgendwo. Oder zurückfahren und dann vergeht mir das Lachen über die Richterin, daher fiel mir hier auch wieder der Prozeß ein. Hier war überhaupt nicht klar, wie das Urteil ausfallen würde und diese Entscheidung war auch überhaupt nicht abzuschätzen. Einerseits keine klare Absage, andererseits weiß man, was alles dagegen spricht und die Erfolgswahrscheinlichkeit gegen Null geht. Wir gingen hinein, auf das Schlimmste gefaßt. Um 16:00 Uhr waren wir da.
Sam hatte uns dem Schiftverkehr ausgedruckt und uns zum Lesen vorgelegt:
Abidjan an Houston, 9. Oktober 2000, 04:47 Uhr (Ortszeit Houston)
Subject: Quotation
Good morning,
Pls need urgent
SIVOM IVORY COAST
01 POBOX 1569 - ABIDJAN 01
Shipping dept |
Houston an Abidjan, 9. Oktober 2000, 14:43 Uhr (Ortszeit Abidjan)
Subject: Quotation
Thanks your message,
Please advise if you intend to load this car on upcoming 'Clipper Ipanema', and advise discharge
port.
Regards |
Er sagte, der Preis wäre zu hoch und er würde versuchen, ihn
herunterzuhandeln. Aber es war nicht der Preis, der uns störte,
sondern der vorletzte Satz. Wir fragten nach, ob es nicht doch
eine Möglichkeit gäbe. Wir bräuchten keine Unterkunft und auf
eine Versicherung würden wir auch verzichten, aber wir wollen
auf das Schiff, egal, was sie fordern. Und es wird doch irgendwie
möglich sein, dann sollen sie uns halt für die Dauer der
Überfahrt meinethalben als Schiffskasperl oder Bordzigeuner
einstellen. Wir baten ihn, nocheinmal in Houston anzufragen und
eben das, was wir ihm sagten als Aurgument einbringen.
Die Antwort kam 10 Minuten... "Abidjan - eine Oase der Effizienz in Westafrika":
Houston an Abidjan, 9. Oktober 2000, 16:11 Uhr (Ortszeit Abidjan)
Subject: Quotation
Yours is noted.
I am sorry to see the tourists complain, but we do not run a cruise-line and
thus do not have room nor carry liability insurance for passengers.
This is not a question of working or not working onboard the vessel,
but rather a liability issue as well as a accomodation issue.
Now when that is said, provided we will have room and accomodation
room on board vsl, would these two passengers(please identify them and
confirm German woman holds valid passport/visa to Brazil) be able/willing
to sign a letter of indemnity and to pay master for acomodation/meals
enroute.
Regards |
"'ne Schaufel Sand! Der liebe Gott hat uns 'ne Schaufel Sand untern Kiel geworfen!"
Das war unsere Bresche! Hier mußte der Durchbruch gelingen! Wir sagten zu, er solle sofort
zurückschreiben, daß wir mit allem einverstanden seien, wir verzichten auf eine Versicherung
(die sich im Zweifelsfall sowieso davor drücken würde, irgendwas zu zahlen) und wir würden auch
für Unterkunft und Verpflegung zahlen, soweit es unsere Finanzen erlauben, sie sollen uns einen
Wisch geben, den wir dann unterschreiben. Um die war es zwar schlecht bestellt, aber das jetzt
zuzugeben wäre eine Kapitulation - geht schon irgendwie... Das eMail an Clipper ging auch einige
Minuten später raus:
Abidjan an Houston 11:42 (Ortszeit Houston)
Subject: Quotation
Thomas/Samuel
SIVOM IVORY COAST
Shipping dept |
Danach war in Houston Mittagspause, nach der in Abidjan schon Feierabend sein würde. Mehr
konnten wir an diesem Tag nicht ausrichten. Es wurde uns noch gesagt, daß wir noch 250.000 CFA
für einen Agenten und noch einen Betrag für Verpackung und Fixierung des Fahrzeugs
einkalkulieren müssen. Wir gingen zum Camping zurück. Um 17:45 Uhr waren wir dort angekommen.
Wir waren einen Schritt weiter, hatten aber immer noch keine Gewißheit. Auch an diesem Abend war
die Anspannung weiterhin präsent. Das war der erste Abend ohne Joe. Er sagte zwar nie was, aber
man merkte nun, da er weg war, daß etwas fehlte.
Wir fragten uns, was der morgige Tag bringen würde, ohne logischerweise eine Antwort zu finden.
Wir lasen noch x Mal die eMails durch, ich versuchte, jedes Wort zu deuten, es half doch nichts.
Es waren und blieben nur Spekulationen. Warum sollte er einerseits nach unseren Pässen fragen,
wenn es von vornherein ausgeschlossen ist, das Passagieren mitkönnen. Warum sollte er uns aber
andererseits mitnehmen? Klar. 1.800 US$ sind 1800 US$. Ouh! Da fällt uns die Reisekasse ein.
Jetzt noch auf Preisverhandlungen einlassen und er würde uns wohl auf gut Amerikanisch sagen:
"Go to hell!" Doch der Agent mußte dran glauben. Den würden wir runterhandeln müssen,
und wenn es auf die unfeine läuft "Hoppla. Geld ist weg..."
Es gelang zumindest mir, mir einzureden, daß der Durchbruch gelungen wäre. Es sprach viel dafür.
"Die Botschaft hör' ich wohl
Allein mir fehlt der Glaube".
Ich schlief dadurch aber nicht besser. Immer noch herrschte Ausgangssperre von 21:00 bis 06:00
Uhr, was uns aber nicht im geringsten interessierte. Sollen die doch machen was sie wollen, wir
wollten nur auf unser Schiff.
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