Afrika 2000
Die Überfahrt
Freitag, den 27. Oktober

Das Wetter, wie immer herrlich, der Wind hatte aufgefrischt, die Klimaanlage arbeitete wieder, es schien wieder ein nette Tag an Bord zu werden. Bei der Frühstückskippe sah ich die erste Möwe im Gleitflug um das Schiff fliegen. Sie kündete das baldige Ende der Reise an. Besonders gefreut hat mich das sicher nicht, bedeutete es doch das Ende des lockeren Luderlebens hier an Bord.
Die erste Möwe
"Am Achterdeck, die Möwe fliegt, ihr Flug ist pfeilgeschwind..."

Doch noch waren es ein paar Tage, ETA war am 29. Oktober. Verdammt schnell so ein Überfahrt.
In der Messe hing wieder das Schild aus "Tonight ship's clocks will be retarded by one hour". Wird langsam zur Gewohnheit. Sowas gibt es im Flugzeug nicht, da stellt man die Uhr bei der Ankunft um, sonst wäre man nur noch damit beschäftigt, an der Uhr zu drehen. Nun haben wir seit der Abfahrt die dritte Zeitzone überschritten.
Almut war das große Schiff zu klein, das merkte man deutlich. Wenn man einen Vogel fängt und ihn in einen Käfig sperrt, dann fliegt er überall dagegen, so auch Almut. Segelt in aller Seelenruhe mit dem Kopf voraus gegen die Reling. Ich stand daneben, Almut steht leicht verstört auf und sagt in aller Selbstverständlichkeit: "Ich glaube, ich krieg jetzt gleich Nasenbluten." Ich sah mir die Bescherung an und antwortete, um den gleichen Tonfall bemüht: "Trallala. Nein, das nicht, dafür haste Augenbluten." -"Hm. OK, dann leg ich mich jetzt mal hin." Ach, was. Nein, willste nicht vorher noch ein wenig rumsgispeln? Vielleicht von hier runterhüpfen und da unten auf eine Winde oder einen Poller knallen, wo Du grad dabei bist? Wir gingen in die Kabine. So witzig sah das da schon nicht mehr aus. Das Auge schwoll innerhalb von Sekunden brutal an, es sah aus wie das einer Vespe und das Blut sabberte literweise raus. Pisse! Was jetzt? Erstmal ein Bild (leider ist es nichts geworden - kein Blitz). Das Auge an sich funktionierte noch, das war schon mal was. Erstmal keinen großen Wind machen und versuchen, den Schaden mit Bordmitteln zu reparieren und zwar frei nach Ovid: Nuper erat medicus, nunc est Vispillo diaullus...
Ich knallte ihr ein Handtuch aufs Aug und ging hinunter in die Kombüse und fragte JB, ob er nicht ein wenig Eis für mich hätte. Er gab mir einen kleinen Würfel. "Kann ich nicht ein bißchen mehr haben?" -"Hast Du Dir den Kopf angeschlagen, oder was?" "No, not I. But Almut is a little bit damaged, you know." Er sah mich an - ein Auge aufgerissen, das andere halb zugekniffen - "You hit her!?" -"No, she flew against the reling, but 'Psst'!" Er glaubte mir keinen Fetzen und gab mir aus der Gefriertruhe einen Pott Margarine voll Wasser, also Eis. Ich wieder hinauf, das Eis zerschlagen, in das inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes blutrote Handtuch gewickelt und aufs Aug' damit. Man konnte machen, was man wollte, wenn es nicht bald zu bluten aufhört ist sie leer und ich kann sie dann klammheimlich über Nacht verschwinden lassen und Mamma-Almut erklären, daß ich ihre Tochter auf dem Atlantik aus Versehen verloren habe und daß sie aber nicht traurig sein braucht, weil sie ja noch zwei andere Töchter hat, frage nur, ob sie mich dann nicht trotzdem tothaut.
Nein. Ich habe noch nie ein Besatzungsmitglied verloren und habe nicht vor, das zu ändern. Also bemühte ich mich um Optimismus. Mehr als fünf Liter können nicht rauskommen. In Almuts Aufzeichnungen steht an diesem Tag: "Nicht viel los..." Rührt vielleicht daher, daß sie den restlichen Tag im Bett verbrachte. Schade, daß sie erst gegen die Reling fliegen muß um sich länger als fünf Minuten still zu verhalten.
Um 15:50 Uhr überschreiten wir den Südlichen Wendekreis. Das Auto auch, jetzt ist meine Kreissammlung schon fast komplett, es fehlt nur noch der Südpolarkreis, aber der wird noch eine Weile fehlen.
Irgendwann am Nachmittag hatte sich das Auge wieder beruhigt und ich brauchte mich nur noch um das Eis kümmern. Heute war ich an der Reihe, das Essen ins Zimmer zu bringen. Danach sah ich mir zur Abwechslung "Titanic" an - ich verstand immer mehr von dieser verdammten Halskrankheit.
Auch war ich damit an der Reihe am Boden zu schlafen, aber von Schlaf konnte eh keine Rede sein. Hätte ich bloß die Luftmatratze mitgenommen. Meine Nachtruhe sah so aus, daß ich entweder mit dem harten Boden schimpfte, das Augenhandtuch wendete oder an Deck eine rauchen ging.


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