Sieben Jahre Daimler-Benz. Er wies nun einen Kilometerstand von 699.669 auf. Seit jenem August 1994 hatten wir nun genau 467.004 km zurückgelegt, den Großteil in Europa und davon den Großteil in Deutschland, hauptsächlich in Bayern. Es sind nämlich die kleinen aber stetigen Fahrten, die die Masse ausmachen, nicht einzelne Fernfahrten. Und schon gar nicht die Fahrten auf brasilianischen "Straßen".
Irgendwann mußte ich aber dann doch wieder nach Campinas zurück. Mieterwechsel
im Haus: Catarina, Carlos und Eduardo raus, Ingrid, Edeltraud, Roberto und Hans
dafür rein. Ich brauchte da nichts dazuzutun, erledigt alles die gute Ingrid
("Wo steht's Klavier?").
Ich kümmerte mich vielmehr um das Auto, schließlich mußte ich damit bald weiter
nach Buenos Aires, aber mit dieser Gelenkwelle ging das definitiv nicht.
Vor Buenos Aires mußte ich aber auch noch nach Rio, 500 US$ und meine Geburtsurkunde
abholen, um in Buenos Aires einen Paß beantragen zu können, aber selbst die
paar Kilometer nach Rio wollte ich mit dieser Gelenkwelle nicht wagen, so verging
ein Tag nach dem anderen und ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen, nach
dem Motto: "Verschiebe stets auf morgen, was Du heute sollst besorgen."
Ohne die 500 US$ kann ich nicht nach Buenos Aires, ohne nach Rio zu fahren komm
ich nicht an die 500 US$, ohne die Gelenkwelle instandzusetzen komm ich nicht
nach Rio. So einfach sah die Sache aus. Erst mußte also die Gelenkwelle repariert
werden, doch das muß halt erst mal jemand machen.
Ich entwarf eine dominante Strategie: Die Manschette war hinüber, es war keine
Ersatzwelle da, auch konnte hier niemand die neue Manschette, die ich dummerweise
hatte, auf die Welle aufziehen - logisch, ist ja ein Mercedes, kennt man hier
nur als LKW.
Es half nichts, ich mußte die Mittel anwenden, die mir zur Verfügung standen. Think African - im Prinzip ist das hier Afrika, nur, daß sie hier die positiven Seiten Afrikas einfach weggelassen haben. Keiner hat hier eine Ahnung von Improvisation. Und keiner hat Ahnung von richtigen Reparaturen, außer, man ist bereit, weit mehr dafür zu zahlen als in Skandinavien und das war ich nicht. Ab und zu muß man halt dann doch selber was tun. Ich dachte mir, es muß doch irgendwie gehen, daß man ein Stück Reifenschlauch anstatt einer Manschette nimmt. Ist doch auch nur Gummi. Ich fragte mal beim Spezialist K.T.B. nach, was er von der Idee hielt. Er meinte, es könnte klappen. Nun wußte ich, was zu tun war. Doch von dieser Erkenntnis bis zu der Handlung, sich tatsächlich unter das Auto zu legen, vergingen naturgemäß ein paar Tage. Irgendwann war das Werk jedoch vollendet, das Auto bereit für die Testfahrt. Wenn die Welle bis Rio und zurück hält, dann hält sie auch bis Buenos Aires. Dort oder in Montevideo sieht die Versorgungslage dann schon besser aus.
Die Batterie war etwas schwach auf der Brust und wurde auch einer Kur unterzogen: Flüssigkeit ablassen, ausspülen. Bei den ersten Spülungen kommt da immer eine dicke, schwarze Brühe heraus, die mit der Zeit immer heller wird. Wenn sie durchsichtig ist, dann ist die Batterie wohl sauber. Jetzt mußte sie trocknen. Ich fuhr derweil in die Stadt um Säure zu besorgen. Eduardo hatte mir ein Motorradgeschäft empfohlen, dort soll das Zeug besonders billig sein. Ich also hin, fragte nach Batteriesäure. "Für welches Motorrad?" Was sollte das? "Für gar keines, ist für ein Auto." Sie sagte dann: "Haben wir nicht da." Ich sah die Verkäuferin etwas verstört an, verzichtete darauf, überhaupt irgendwas zu sagen und fuhr wieder zu Eduardo. "He, was ist denn das für ein Saftladen?", war meine erste Frage bei betreten des Hauses. "Wieso? Was war?" Ich versuchte ihm zu erklären, daß die Alte mir tatsächlich erzählen wollte, sie hätte nur Batteriesäure für Motorräder, nicht aber für Autos. Da sah mich Eduardo so verstört an, wie ich die Verkäuferin. Wir also wieder hin, er wollte sich das aus der Nähe ansehen. Er geht hinein, fragt auch wieder nach Batteriesäure. Wieder das selbe: "Für Motorrad oder Autos?". Er fragt dann nach Luft für die Reifen. Hätten sie nicht. "Ja, versteh schon, ihr habt nur Luft für Motorradreifen, nicht aber für Autoreifen. Und jetzt holen Sie endlich die Batteriesäure her oder wahlweise einen Mann, damit man mal vernünftig reden kann." Zu mir gewendet: "Ist das hier ein Motorradladen oder eine Boutique? Wer kommt auf die idiotische Idee, eine Frau als Verkäuferin von Motorradteilen einzustellen?" Ich konnte mich natürlich vor Lachen kaum halten.
Als wir wieder zurück waren, schüttete ich die Säure in die Batterie,
baute sie ein und ließ sie mal machen. Am Abend sprang das Auto an wie
eine eins, ohne Starthilfe.
Zur Abfahrt fertig. Doch das war nur die Theorie. Obwohl die Welle nun wieder
notdürftig instandgesetzt war, fand sich ein neues "Problem": Niemand wollte
mit nach Rio fahren, und sie nannten mehr oder weniger den selben Grund: "Von
Rio will ich nur eines: Möglichst viel Abstand..." Kann ich zwar verstehen,
aber das Geld und die Urkunde wollte ich hier nicht der "besten Post der Welt"
anvertrauen. Wie es aussah, würde ich alleine nach Rio fahren müssen und ich
konnte mir nichts vorstellen, was mir weniger gefiel, als allein dieser Gedanke.
Rio... Drecksnest!, da ist es spannender, nach Milbertshofen und sicherer, nach
Freetown zu fahren, aber ich setzte den Termin auf den 10. September morgens
fest. Brigitte drängte. Sie sagte, sie müßte vor ihrem Abflug noch Verschiedenes
erledigen und das ginge ohne Auto schlecht. Doch auch der 10. verstrich wie
jeder andere Tag auch und jeder hat es mir zuvor gesagt, ich stand erst am Nachmittag
auf und da braucht man auch nicht mehr loszufahren.
Abends saßen wir bei Eduardo vor der Glotze und zogen uns irgeneinen dieser schlechtsynchronisierten amerikanischen Filme rein. Eduardo ist von 1980 bis 1984 mein Banknachbar gewesen in der Schule in Brasilien. Wir beide waren es auch meistens, die im Direktorat saßen und Anschiß kassierten, weil wir wieder irgendwas angestellt hatten. Ich flog als erstes von dieser Schule und ging bis auf die nächste. Die hatten aber auch bald die Faxen dicke und ich hatte noch für ein halbes Jahr das Vergnügen, eine brasilianische Volksschule zu besuchen, weil keine andere bereit war, mich zu nehmen. Da flog ich ein wenig später auch raus - ließ sich nichts machen.
Ich kam nach Deutschland auf das Internat, "die Patres werden Dir schon Manieren beibringen", hieß es. War einmal. Während der Inquisitio Sancta, vielleicht. Heutzutage können die einen auch bloß von der Schule werfen, anstatt einen zu schleifen, daß ihm der Arsch mit Grundeis geht. Äußerst unsportlich... Und während ich also in Deutschland von einer Schule zur nächsten flog, tat er hier in Brasilien das gleiche. Mit dem kleinen Unterschied, daß er im Gegensatz zu mir irgendwann einen Abschluß in der Hand hatte - wie auch immer - und jetzt als arbeitsloser Architekt bei einem Mobiltelephonanbieter arbeitet.
Wir saßen also da und schauten den Film an, der gerade sehr spannend war. Plötzlich
wurde die Sendung unterbrochen. Es kam sofort ein Kommentar von Eduardo: "Es
wurde irgendein wichtiger entführt, ein Politiker ermordet, oder das Benzin
wird teurer... wetten?" Sekunden später verküdete die überaus hübsche Nachrichtensprecherin:
"Soeben wurde der Bürgermeister von Campinas beim Verlassen des Shopping-Centers
in seinem Fahrzeug erschossen." Großes Gelächter, dann wieder stille.
Wir schauten den Film zu Ende, ich fuhr Heim, die Mieter saßen vor der Glotze
und fragten mich: "Hast Du mitgekriegt, daß der Bürgermeister hin ist?" "Jaja",
antworte ich im Vorbeigehen, "haben ja eigens deswegen das Programm unterbrochen",
und bereits außer hörweite füg ich auf Deutsch hinzu: "Jetzt hammse Euch den
Bürgermeister erschlagen... Aber das wird sich Euer Kaiser nicht gefallen lassen.
Es wird Krieg geben, glauben'S dem Schwejk..." Da brüllt es aus dem Wohnzimmer:
"Wo kommst Du eigentlich gerade her? Warst Du zufällig beim Shopping in der
Nähe?", fragte mich ein Philosophiestudent aus Nordbrasilien. "Nein, vergiß
es, ich war's nicht, ich kann's beweisen: Es hieß nämlich, die Brieftasche vom Bürgermeister
lag noch im Auto..."
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