So früh wie möglich ging es weiter. Wie zu erwarten sprang das Auto nicht an und wollte geschoben werden. Solche Macken hatte der Anlasser in letzter Zeit öfter. Angefangen hatte das in Mali, dürfte wohl auf Altersschwachsinn zurückzuführen sein.
Von Santos aus ging es weiter nach Curitiba, der Hauptstadt von Paraná, dem südlichen Nachbarstaat von São Paulo. Dieser ist nach dem großen Fluß Paraná benannt. Die Straße dorthin, die Regis Bittencourt, ist für brasilianische Verhältnisse als gut zu bezeichnen und führt durch ein "Gebirge", die Landschaft ist nicht gerade umwerfend, was wiederum typisch für das ganze Land ist.
Stinklangweiliges Grün, so weit man schauen kann - wenn man mal weit schauen kann und der Blick nicht durch eben dieses Grün behindert wird. |
Vielen Leuten gefällt das aber, auch wenn ich das nicht ganz
nachvollziehen kann. Wüste, Karge Steppen, endlose Geröllfelder, verschneite
Berggipfel sind schon eher was für meinen Geschmack, doch dazu ist man überall
in Brasilien zu weit im Osten.
Das war meine erste Fahrt ohne Beifahrer, insofern mal was Neues. Gefiel mir
nicht, denn das macht die ganze Sache lanweiliger und zugleich komplizierter.
Nicht nur, daß man niemanden zum vollabern bzw. vollgelabert werden hat, man
muß die Flaschen selber aufschrauben und auch wieder verstauen, selbst am Radio
herumfieseln, selbst die Karte studieren und will man nicht jedesmal anhalten,
dann hat man einiges zu tun, denn man muß in der schlechten Karte lesen, auf
den Verkehr und vor allem auf die Schlaglöcher achten. Sich selbst irgendwas
aus einem Buch vorzulesen kann man auf einer Fahrt auf der A7 von Ulm nach Hamburg,
denn da verpaßt man schlimmstenfalls mehrmals eine Ausfahrt, aber hier könnte
sowas gefährlich werden.
Die Brücke im Hintergrund ist das eigentlich Interessante und sollte eigentlich symbolisch auf einem zentralen Platz in São Paulo stehen. Sie führt nämlich auch zu nichts. |
Diese Straße ist für brasilianische Verhältnisse hervorragend.
Alles, was in Brasilien qualitativ hochwertig ist, ist auch extrem teuer. Einzige
Ausnahme bildet wohl das Essen. Diese Straße kostet Maut, und das nicht wenig.
In Curitiba angekommen wird als erstes ein DreckDonnald's angefahren. Nachdem
ich nach langem Hin- und Her wieder auf der richtigen Straße in der Richtigen
Richtung unterwegs war fuhr ich doch in die Stadt um nach einer Versicherung
zu suchen, aber entweder sie hatten zu oder waren gerade am Schließen.
In Deutschland hat man mir über Curitiba als eine sehr moderne Stadt im europäischen Stil geschildert. Dem kann ich nur deshalb zustimmen, weil ich Kayes (Mali) als Vergleich habe. Ansonsten ist Curitiba ein elendes Nest - mag auch an meiner Tagesstimmung liegen, daß ich es so empfinde... |
Eine fand ich, die hatte noch offen. Da wollte ich hinein,
konnte das Auto aber nicht einfach vor die Tür stellen, denn da war die Straße
eben und ich befürchtete, daß es wieder mal nicht anspringen würde. Also fuhr
ich die Einbahnstraße rückwärts zurück, parkte etwa 400m weiter hinten an einem
Hang und lief das kurze Stück zur Versicherung zurück. Plötzlich pöbelt mich
ein Hochhauswächter von der Seite an, weshalb ich die Einbahnstraße rückwärts
gefahren sei, ob ich noch ganz dicht wäre. Was will denn der? Meint, er wäre
der Polizeichef, nur weil er eine Zweimarkfünfziguniform einer Security-Firma
anhat? Ich schrie auf Deutsch zurück: "Hoit's Mäi und schaug, daß'D wieder in
Dein' Kabuff kimmst, Du Depp, Du grattliger!" - hat funktioniert. Das ist der
berühmte Gringobonus. Klingt natürlich arrogant, aber was soll ich machen? Die
wollen es ja nicht anders, das war das erste, was ich gelehrt bekam, als ich
in Brasilien ankam. Als Brasilianer hat man hier nichts zu wollen, aber wenn
man als Gringo auf den Tisch haut, dann scheint es zu klappen.
Curitiba wurde von Münchnern gegründet und angeblich soll es hier noch viele
Deutschstämmige geben. Gesehen habe ich keinen, nur die Schilder an Läden und
Geschäften schienen das bestätigen zu wollen. Die Inhaber hießen alle "Wagner",
"Mayer", der größte Kaffeexporteur Brasiliens heißt "Odebrecht" und so weiter...
Die Versicherung hatte natürlich in der Zwischenzeit zugemacht, also zurück
zum Parkplatz, rein in die Kiste und weiter gen Süden. Schon in Curitiba werden
die Straßen so, wie man sie von Brasilien erwartet und kennt: Beschissen. Und
die Beschilderung fehlt auch, wenn sie mal nicht fehlt, dann fehlt dafür die
Straße ganz und die Umleitung ist nicht ausgeschildert. Daher kam es, daß ich
nach anderthalb Stunden wieder in Curitiba stand. Ich fragte an einer Tankstelle
freundlichst nach, ob ich denn schon am Arsch der Welt sei und wie ich denn
bitteschön nach Araucária oder auf die BR476 kommt.
Hier sah ich zum ersten mal seit langem wieder Red Bull. Selbstredend unerschwinglich, da "Fabricado na Áustria". |
Er beschrieb mir den Weg und ich folgte der Beschreibung, merkte aber bald, daß ich wieder genau da stand, wo ich vor zwei Stunden die Straße wegen "Bauarbeiten" verlassen hatte. Das reichte nun, so schön ist diese Stadt nicht, daß man sie gleich dreimal an einem Tag ansehen müßte. Ein Mal ist schon ein Mal zuviel. Ich tat also so, wie ich es in Deutschland auch zu tun pflegte und fuhr weiter, als stünde da kein Baustellenschild, folgte dem Wegweiser, der nach geradeaus zeigte und fuhr durch die Baustelle. Von Bauarbeiten merkte man eh nichts nur einige Schlammlöcher nebst ruhenden Baustellenfahrzeugen standen herum. Nach einigen Kilomtern war die Baustelle vorbei, der Zustand der Straße besserte sich unwesentlich und weiter ging's, durch die Schlaglöcher in Richtung Grenze.
Um 16:50 Uhr, kurz nach Mariental stand der Verkehr. |
Vor mir LKW, hinter mir LKW. Ich versuchte herauszufinden,
was denn nun schon wieder los sei. "Unfall..." Weiß man schon, wie lange es
dauert? Natürlich nicht. Als ich zum Auto zurückging inspizierte gerade der
Fahrer des hinteren LKW mein Kennzeichen. Als er mich sah, fragte er mich in
einem sehr portugiesisch akzentuierten Deutsch, ob ich wirklich aus Deutschland
sei. "Ja." Sein Großvater sei aus Deutschland eingewandert, er "schreibt sich
Wiedemann". Er ist einer jener vielen Deutschstämmigen, die hier seit mehreren
"Gerationen" leben. Wir unterhielten uns noch etwas länger, bis es zu regnen
begann. Ich legte mich auf die Rückbank, um auszuruhen.
Kurz nach Acht, es war schon dunkel, schaute ich mal wieder hinaus. Es regnete
immer noch und wir verzogen uns unter den LKW und unterhielten uns weiter über
Heimat und Mutterland des LKW-Fahrers. Er bedauerte es, daß sein Großvater ausgewandert
sei. Es würde ihnen nämlich in Deutschland besser gehen, meinte er. Wirtschaftlich
sicherlich, da mag er recht haben, aber die Freiheit, zu tun und zu lassen,
was ihm gerade in den Sinn kommt, die hat er dort nicht in dem Maße, wie er
es hierzulande gewohnt ist. Hier macht man die Fenster zu, wenn der Nachbar
etwas lautstark feiert, wenn man überhaupt davon aufwacht, in Deutschland holt
man die Polizei, um nur ein Beispiel zu nennen.
Um fünf nach halb wurde durchgegeben: "Es geht weiter! Aufsitzen!" Kurz darauf
rollte die Kolonne an. Die Unfallstelle war nicht zu übersehen, denn links und
rechts der Straße branten lichterloh zwei LKW und der Busch drumherum. Unmöglich,
daß von denen einer überlebt hat.
Wenige Kilometer weiter hielt ich an einer LKW-Raststätte, um etwas zum Essen
zu holen. Dort erfuhr ich, daß noch vor der Feuerwehr zwei Wasserlaster versucht
hatten, die beiden LKW zu löschen - vergeblich.beide Fahrer waren tot und das
drückte verständlicherweise die Stimmung im Raum. Ich machte, daß ich wegkam.
Man versäumte es nicht, mir den guten Tip zu geben, möglichst nicht in der Nacht
weiterzufahren, nicht nur wegen der Un-, sondern auch wegen der Überfälle. Na,
toll, da habe ich mir ja 'ne dufte Ecke ausgesucht, für'n Anfang. Nicht, daß
es das erste mal wäre, daß man mir eine derartige Warnung mit auf den Weg gibt,
aber ist man alleine unterwegs, dann haben solche Sachen einen ganz anderen,
bedrohlicheren Charakter. Ich fuhr noch ein Stück, bis ich glaubte, weit weg
von irgendwelchen Ortschaften zu sein. Als es mit den Schlaglöchern und der
Müdigkeit zu heftig wurde, fuhr ich auf einem Feldweg weg von der Straße und
suchte mir einen Nachtplatz. Auch hier (S26°33,258' W51°26,731) merkte ich wieder,
wie sehr ein Beifahrer fehlt. Normalerweise kümmert sich einer um das Nachtlager,
während der andere das Wasser aufsetzt. Heute geschah nichts dergleichen. Man
weiß ja nie, wo man tatsächlich ist, wenn man bei Dunkelheit von der Straße
abgefahren ist. Erst der Morgen bringt es ans Licht. Vier Ohren hören mehr als
zwei, das gleiche gilt für die Augen. Also nichts mit Essen und erstrecht nichts
mit Lager. Komisches Gefühl, wenn der Diesel schweigt, Dunkelheit einen umgibt
und man allein auf unbekanntem Terrain ist...
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