Um 4:20, etwa 113 Kilometer vor São Paulo (Rkm 4866) fuhr ich an eine Tankstelle,
stellte den Wecker auf 6:00 Uhr und knallte mich auf die Rückbank.
Um 6:55 Uhr wurde ich vom Sonnenlicht und vom Lärm eines vorbeifahrenden LKW
wach. Kruzefix! Hang runterrollen, die Karre springt sofort an und dann nichts
wie mit Vollgas zum Flugplatz. Verdammt nochmal, beinahe hätte ich es rechtzeitig
geschafft, hoffentlich hat die Kiste Verspätung! Ich war schon bald in den Vororten
von São Paulo. Als ich an einem Hang einen Routineblick auf die Instrumente
warf ging mir der Puls wieder hoch. Temperatur kurz vor dem roten Bereich. Motor
sofort aus, Karre ausrollen lassen und nachsehen. Keilriemen weg. Prima, und
das auch noch ausgerechnet in den Vororten des größten Molochs in ganz Lateinamerika.
8:15 Uhr, km 666930: Werkzeugkiste und Munitionskiste mit Ersatzteilen raus,
Klimakompressor lockern, Riemen abziehen und Kompressor wieder festschrauben,
dann das gleiche mit der Lichtmaschine. Einen Riemen sollte man immer vorrätig
haben, das zahlt sich in solchen Situationen aus. Nach eineinviertel Stunden
hatte ich es geschafft. Bald war ich in São Paulo, kämpfte mich ohne Hupe und
Blinker durch bis zum Flughafen. Die Brasilianer fahren zum Glück relativ gesittet.
Mit über dreistündiger Verspätung kam ich um 10:15 am Flughafen an. Kein Benno
zu sehen, nirgendwo. Dieser Flughafen, der eigentlich mehr einer Frittenbude
gleicht, ist völlig bescheuert angelegt, will man zur Information, dann muß
man von einem Ende zum anderen latschen. Ich fragte im Swissairbüro nach, ob
hier ein Passagier von dem Flug, der um ungefähr Sieben Uhr eintraf, abgegeben
wurde und man sagte mir, daß der Flug nach Rio umgeleitet worden sei und jetzt
bald hier in Sau Paulo landet. "Was soll das denn nun wieder?" Ich ging wieder
zum International Arrival und da kam mir schon der Benno entgegen.
"Hä? Was machst denn Du hier? Dein Flugzeug ist doch noch gar nicht gelandet!"
"'türlich..."
"Nein, ich war gerade bei der Information und die Alte hat gesagt, daß der Flug
erst noch kommt."
"Bei welcher Info warst denn?"
"Swissair, wo sonst?"
"Du Aff', ich hab' Dir extra geschrieben, daß ich mit IBERIA komm. Mit genauer
Uhrzeit und Flugnummer. Für was schreist denn nach eMails, wenn Du sie nicht
liest? Also... Lichtmaschine, Diesel-, Luftfilter hab ich, Anlasser bringt der
Nicki mit, hab ich ihm per Post geschickt."
Bestens. Das klappt ja hervorragend - fast. Gute Leute muß man eben haben. Der
Flug wurde übrigens deshalb nach Rio umgeleitet, weil in Sau Paulo soviele Wolken
waren und der Flughafen nicht über ILS3 verfügt. "Welcome to the desert of the
real..."
Erstmal weg hier nach Campinas ins Haus, abladen, Lichtmaschine einbauen, so
kann es schließlich nicht weitergehen. Vom Flughafen kommt man direkt hinein
ins richtige Brasilien. Wir fuhren wieder am verfaulten Fluß Tietê entlang.
Einer kam gerade vom Baden aus dieser pechschwarzen Drecksbrühe herausgestapft,
war patschnaß und aus dem Auto vor uns brüllt einer raus: "Und? Geiles Bad,
oder?"
Um 16:30 Uhr waren wir längst in Campinas, die Reparatur war abgeschlossen und
der Urlaub konnte beginnen.
Kilometerstand bei Ankunft: | 667.136 km | Gesamtstrecke: | 5.146 km |
In den folgenden Wochen bis zum 17. März war Flugtouriurlaub angesagt. Nicki
kam am 1. März mit dem Anlasser nach, sein erster Kommentar, bei der Fahrt durch
São Paulo: "Was geht denn hier ab. Das Land ist so im Arsch..."
Wir fuhren ab und zu ein wenig durch die Gegend um Campinas, Diskos und ähnlichen
Schrott besuchen, alles nicht mein Fall, aber bei passender Gesellschaft nicht
unerträglich. Es wurde auch mal an den Strand nach Santos gefahren. Irgendwann
war der Motoranschlag durchgefault, weil über Jahre das Öl aus der Lankung darauf
getropft war. Im Leerlauf und in Kurven vibrierte das ganze Auto. Ich konnte
sogar einen für Umsonst auftreiben - in Brasilien - ich habe es selbst kaum
geglaubt.
Irgendwo erreichte mich die Nachricht, daß ein augsburger Motorradfahrer in
Campinas sei. Den mußte ich treffen.
Am Mittwoch, den 14. März saßen wir Augsburger am Motorradfahrertreffpunkt
in Campinas beisammen. Das ist schon eigenartig. Augsburg ist ein Nest, jeder
kennt jeden. Erwin hatte ich vorher nie gesehen, man trifft sich in der 10.000
km entfernten Zweimillionenstadt zufällig, weil er zufällig die Ingrid anspricht,
die ich durch Zufall mal in Augsburg kennengelernt hatte. Er war vor 22 Monaten
von Deutschland aus in Richtung Osten losgefahren, durch Rußland, USA, die Panamericana
hinunter und nun war er hier, machte in Campinas kurz Station bei seinem Bruder
und war eigentlich schon auf dem Heimweg. Ich erzählte ihm vom meinen schlimmen
Erlebnissen im Hafen von Santos und er lachte mich aus: "Das weiß jedes Kind,
daß man nicht nach Brasilien verschifft." Er fragte mich über meine Strecke
in Afrika aus, da er sich erst überlegt hätte, ob er nicht über Westafrika zurückfahren
sollte. Diesmal war es an mir, zu lachen: "Du willst Dein Motorrad wohl loswerden?"
Der Plan war aber inzwischen schon verworfen, da er schon einen Flug nach Spanien
organisiert hatte. Aber auch ihn hatte die brasilianische Bürokratie nicht verschont,
obwohl er gar nicht rein, sondern raus wollte. Hier sein Rundmail
von ihm an alle nach seiner Ankunft in Deutschland. Er ist 33 und eigentlich
Journalist, finanziert sich u.a. über Reiseberichte - irgendwas mach ich
doch falsch... Zum Arbeiten hatte er genausoviel Lust wie ich, nämlich gar keine,
was ich voll und ganz verstehe.
Man merkte schon sehr bald, daß bei uns vieren Welten aufeinanderprallen. Auf
der einen Seite die Flugtouristen. Leistungsträger, die den kurzen Urlaub benötigen,
um anderweitig etwas auf die Beine zu stellen. Auf der anderen Seite die Fahrtouristen,
die Leistungsverweigerer, die kurz mal Arbeiten gehen, um Reisen zu können.
Völlig unterschiedliche Wellenlänge, aber was soll's... "Prost, Jungs! Auf die
Heimat!"
Voriger Tag | Zum Anfang | Reiseberichte |