Da Gabi heute ankommen sollte und voraussichtlich bis zum Ende der Reise an Bord bleibt, wäre vielleicht eine kleine Personenbeschreibung nicht verkehrt. Gabi kenn ich seit Jahren. Sie besuchte die Mädchenschule nebenan, die selbe, auf der auch meine Schwester war. Sie war damals die Freundin eines der Rädelsführer des roten Ameisenhaufens in unserer Klasse, Monsieur Futterknecht. Was hatten wir damals für einen Spaß daran, diesen uns zahlenmäßig überlegenen Haufen in helle Aufruhr zu versetzen mit nichts weiter als den buchstäblich rechten Parolen zur rechten Zeit. Diese Sprüche verhalten sich wie der Fuchs im Hühnerstall, wenn sie in einer 30-Mann-Klasse losgelassen werden. Geht natürlich auf Kosten der Beliebtheit, aber man macht sich einen Namen, der nicht an den Schulpforten Halt macht. Herrscht unter Männern immer ein gewisser Sportsgeist, so sah das allerdings bei Frauen anders aus. Da war nichts sportlich, die waren einfach nur dumm - sonst wäre sie ja Männer - ich legte auch nie wert darauf, bei Frauen beliebt zu sein, wenn überhaupt, dann nur bei den hübschen unter ihnen und davon gibt es in Deutschland sowieso nicht viele.
So war es Ende der Achziger, Anfang der Neunziger. Dann flog ich von der Schule und hatte weitgehend nur noch mit der alten Garde zu tun. Was auch immer geschieht, Freunde bleiben. Ich gehörte nie zu den Leuten, die alles als Freund bezeichnen, weil man jemanden zweimal irgendwo getroffen hat. Ein Freund ist etwas für's Leben. Qualität, statt Quantität. "It takes a long time to grow old friends". Zu diesem harten Kern, meinem bescheidenen Freundeskreis, zählten neben dreien der alten Klassenkameraden auch meine kleine Nachbarin.
Zu Gabi Z. L. kam ich mehr wie die Jungfrau zum Kind. Es war eine normale Abendabschlußfahrt im Frühherbst 1994. Die Mädchen saßen im Auto und unter ihnen befand sich seltsamerweise "die Z. L." - mir bekannt als Sozi-Zicke, ich ihr bekannt, als "der Nazi". Wie ich später hörte, mußte man sie überreden, in mein Auto einzusteigen, da sie sich weigerte, aber keine Straßenbahn mehr fuhr. Ich wußte nicht recht, was ich damit anfangen sollte, aber Rane, wird schon wissen, was sie tut. Und plötzlich saßen wir alle im Wohnzimmer von Gabis Eltern an einem Tisch. "Gell, Besold, das hättest auch nicht gedacht, daß Du mal freiwillig in meinem Wohnzimmer sitzst?" Nein, wahrlich nicht. Ebensowenig hätte sie gedacht, daß sie einst freiwillig in mein Auto steigt. So kann es laufen, über zig Ecken. Gabi gehörte zu Futterknecht, dieser zum selben roten Verein wie Julian, dessen Bruder mit Nina liiert ist, die wiederum in derselben Klasse wie Rane ist, die wiederum meine Nachbarin ist. Schon ergeben sich die unmöglichsten Bekanntschaften in einem Nest wie Ausgburg. Die Zeit verging, es war wie in einer Seifenoper. Nina wurde von Gabi abgesägt, übrig blieben Gabi, Rane und ich.
Gabi war der Alpha, sie sagte an, wo es lang ging. Auf der anderen Seite ist sie keine typische Führerpersönlichkeit. Im September 1995 wollten Attila, Unger, Gabi und Rane nach Ungarn fahren. Sie teilten sich zu viert ein Wohnmobil, jeder zahlt ein Viertel. Rane konnte nicht gleich mitfahren, denn sie mußte vorher nach Wien zu ihren Verwandten. Lösung war klar: Ich und ihr damaliger Freund kommen nach Wien und bringen sie zu den anderen nach Budapest. Wir wollten uns am Bahnhof treffen. Kein Thema, gesagt, getan. Wir holten Rane in Wien ab und fuhren nach Budapest, wo sich Rane als außerordentlich gute Navigatöse erwies. Es hatte natürlich keiner daran gedacht, daß Budapest drei Bahnhöfe hat. Wir fanden sie alle drei, nur das Wohnmobil der anderen, das fanden wir nicht, trotz gründlicher Suche. Wir beschlossen, wieder zurück nach Augsburg zu fahren. Keinen Urlaub für Rane. Schade. Und dann doch wieder nicht, denn in das Wohnmobil wurde am Plattensee eingebrochen und es gab riesiges Theater bei der Ausreise, denn Gabis Ausweis war auch gestohlen und sie sah sich plötzlich im Verdacht, eine rumänische Prostituierte zu sein, die nach Europa geschmuggelt werden sollte. Gut, daß meine kleine Nachbarin nicht mitten in diesem Schlamassel steckte. Nach der Rückkehr behielt Gabi Ranes Geld, das Sie für das Wohnmobil bezahlt hatte ein, mit der Begründung, ihr sei so viel gestohlen worden. Tolle Ausrede. Damit überfalle ich mal eine Bank. Wer weiß, vielleicht klappt's ja...
Im Winter 95 hatte sich der Bogen überspannt, eine Lösung mußte her. Die Art und Weise, wie die Beziehung zwischen Rane und Gabi war, paßte mir nicht. Das war mehr ein Verhältnis Herrchen und Hund, wobei der Hund meine Nachbarin zu sein schien, auch wenn man dem Aussehen nach urteilend genau auf gegenteiliges Ergebnis kommen mußte. Ich ging hinüber, in Nachbars Haus, als Rane einmal alleine war. "Komm, Ranchen, wir fahren eine Rauchen." Wir stiegen in den Benz und hielten Lagebesprechung. Es mußte ein Lösung her. Und die einzige Lösung, die uns einfiel war: "Gabi muß weg." Gesagt, getan, einige Wochen ging es hin und her, dann war Ruhe. Gabi war kein Thema mehr. Abgesägt.
Doch die Jahre zogen ins Land, mit Gabi hatte ich nur sporadisch Kontakt. Ich verließ Deutschland, irgendwann meldete sich Gabi zu Besuch. Wir fuhren durch Südamerika, es war alles recht gemütlich. Sie schien ihre g'schaftlhuberische Art mittlerweile recht gut im Griff zu haben. Noch nicht perfekt, aber sie hatte daran gearbeitet, das merkte man. Auch wenn ihr Weltbild noch etwas simpel war (z.B.: Zebrastreifen = Zebrastreifen). Aber dadurch, daß sie sich freiwillig Südamerika ansehen wollte, ging ich davon aus, daß sie das Bild bald etwas ausbaut (z.B.: Zebrastreifen in Peru ≠ Zebrastreifen in Deutschland). Der Verlauf dieser Fahrt würde es zeigen.
Natürlich wäre der Idealfall der, daß mit unbegrenzte Mittel zur Verfügung stünden und ich hinfahren kann, wohin ich wollte und mir meine Beifahrer aussuchen. Da wäre die Wahl sicher auf jemand anderen gefallen, aber in meiner Situation hat man eben nicht die Qual der Wahl. Allein, so sehr ich es auch versuchte, die Milliarden wollen und wollen sich einfach nicht materialisieren. Daher kam es mir gelegen, daß Gabi sich Südamerika anschauen wollte und Geld mitbrachte. Und Cat auch. Das sollte es mir ermöglichen, bis nach Mexiko zu kommen.
Polizeipatrouille mitten im Nichts. Einige Minuten später hielten sie uns an. Keine besonderen Vorkommnisse, nur eine Routinekontrolle. |
Wir näherten uns Lima. Es könnte glatt hinhauen. Gegen ein Uhr
kamen wir durch ein Kaff und gleich am Eingang war sowas wie ein Hotel.
"Halt mal kurz an", sagte Cat.
"Willst Du im Hotel pennen?"
"Erst mal fragen, was es kostet..." Er ging hinein und fragte,
kam wieder hinaus und erklärte: "Also, das Billigste, was ich
bekommen kann sind umgerechnet 18 Real." Und ich erklärte ihm,
wie man das sagt: "Komm mir nicht mit Deinen MickyMaus, hier an Bord
wird mit Dollar gerechnet, oder willst Du mir sagen, daß Du weißt,
wieviel der Real mittlerweile wert ist?"
"Weißt Du Schlaumeier etwa, wieviel der Dollar wert ist?"
"Jawohl weiß ich das, Madame. Der Dollar ist genau einen Dollar wert
und er wird ewig einen Dollar wert bleiben. Also 6 Dollar pro Person, richtig?"
"Falsch. 3 pro Kopf, ergibt 6 insgesamt."
"OK, das ist in Ordnung, sofern die eine Garage haben. Wenn nicht, bleib
ich im Auto." Der Besitzer kam auch schon heraus und ich fragte ihn
nach einer Garage. "Ja, klar, hinterm Haus, abschließbar, sogar."
Fein. So hieß ich Catarina unser Zeug herausnehmen und parkte das
Auto, vergewisserte mich, daß die Garage auch abgesperrt war. "Ist
das der einzige Schlüssel?", fragte ich den Typen. "Ja, warum?", sagte er.
Ich grinste ihn an. "Nur so, ist schon OK. Ich wollte mich nur vergewissern,
wen ich erschießen muß, wenn morgen irgendwas aus dem Auto fehlt."
Er lachte und meinte "Keine Angst, passiert schon nichts. Im Hotel
wird Dir eher was geklaut als aus der Garage." Eigentlich bin ich kein
großer Freund von Hotels. Wenn Hotels, dann die obere Preisklasse.
Aber auf diesen verwanzten und verlausten Matratzen zu pennen ist nicht besser, als der Gepäckträger. Es ist nur weicher, besser ist
es in jedem Falle auf den Blechen. Aber das war mir jetzt wurscht. Der Tacho
stand bei 743.390 km, wir hatten 1.071 km zurückgelegt, also 220 über
dem Tagessoll. Wir sollten es schaffen. Aber noch waren wir nicht in Lima.
Wir schliefen bis etwa neun Uhr und machten uns dann bereit. Das Hotel war ein Drecksloch, wir hatten einen Raum im Keller und mich wundert, daß wir keine Ratte gehört hatten. Duschen gab es in unserem Raum natürlich keine. Da gab es überhaupt nichts, außer Betten, davon allerdings gleich drei. Aber es gab auch keine Duschen auf dem Gang. Ein Grund mehr, weiterzufahren und zwar möglichst schnell. Dem Auto fehlte nichts, wie erwartet, ich fuhr vor das Hotel Catarina lud ein und wir fuhren los. Den größten Teil der Strecke wollten wir möglichst bald hinter uns bringen, damit wir am Abend noch Raum hatten. Wir fuhren durch Ica bis Pizco durch.
So sieht es in Pizco aus. |
"Halt mal an der Tanke da vorn", kam die Meldung vom Beifahrersitz. Ich hielt an und tankte erst mal. Während der Tank vollief, fragte Cat nach Duschen. Ich schlug mich derweil mit Kilometerarithmetik herum. Es war zwei Uhr Nachmittags, wir hatten mit 328 km noch nicht ganz die Hälfte zurückgelegt, aber wir hatten noch gut Zeit. Auf Stunden kam es wirklich nicht an und daran, daß wir vor Mitternacht am Flughafen sein würden, gab es keine Zweifel - außer es kommt höhere Gewalt ins Spiel. Er kam wieder und meinte, daß es hier Duschen gab. "Duscherlaubnis erteilt..." Er verschwand in der Dusche, während ich beim Auto blieb und nach dem Öl sah und verschiedenes umstapelte um Platz zu machen für Gabi und ihr Gepäck. Ich hatte ihr eigens eingeschärft, diesmal keinen Schalenkoffer mitzunehmen, falls doch, sollte er auf jeden Fall wasserdicht sein, denn er würde er auf dem Gepäckträger landen. Als Catarina nach einer Stunde wieder aus der Dusche kam, ging ich hinein. "Badenutte!" Als ich wieder herauskam, unterhielt sich Catarina mit jemandem. Ich stieß hinzu und er stellte sich vor, als der Besitzer der Tankstelle. Sehr Allahgläubig, denn er erzählte dauernd etwas vom Allah, seinem Sohn und was er nicht alles auf Erden für Wunder vollbracht hat und hörte sich mehr an, wie ein Bibelforscher als ein Tankstellenbesitzer. Man sagt natürlich zu allem Ja und vor allem Amen, ohne ihn nach dem Lohnniveau seiner Tankwarte zu fragen. Um halb vier waren wir dann wieder "ready for the road" (743.718 km).
Nach Pizco ging es weiter durch die Wüste. Es war alles flach, ab und zu tauchten Berge auf, wurden größer, manches mal fuhr die Straße drumherum, manches mal mitten durch. Irgendwann zeigten sich mitten in der Wüste nämlich Masten. "Was, Teufel, ist denn das da vorne?", fragte Catarina. "Keinen Plan. Aber wir werden's erleben, scheint sich nicht zu bewegen..." Nach einigen Minuten nahmen die Umrisse Gestalt an. "Irgendwie sowas wie eine Plattform. Was soll denn das jetzt? Damit man den Sand besser sehen kann, oder was?", fragte ich. "Da vorne sind wir an einem Schild vorbeigefahren, stand irgendwas Wichtigaussehendes drauf." Wir waren nach einigen Minuten ran und stellten uns auf einen abgesteckten und der Wüste abgewonnenen Parkplatz. Davor stand ein riesiges Schild, das einem erklärte, daß hier die Nazca-Linien seien. "Hm." Wir sahen uns ratlos an. Es waren sonst auch noch Leute da, wir waren nicht die einzigen. "Da gibt's wohl was zum sehen... Ich frag mal, was das soll." Ich ging hin und las einige Schilder über Nazca-Linien. "Aha, aus derer Eck'n waht der Wind... Das sind diese Nazca-Linien... Ist ja klar. Depp!", sagte ich zu Cat. "Was ist das?" "Das sind Linien, die irgendwelche sogenannten Nazcas in den Boden geritzt haben", erklärte ich ihm Oberlehrerhaft. Der Eintritt kostete praktisch nichts. Einen Dollar oder einen Real oder noch weniger. Wir gingen die Niedergänge hoch und stellten uns auf die Plattform.
Also, von den Nazca-Linien sah man leider nicht sehr viel. Etwa 50m achteraus, zwischen 160 und 170 Grad (Angaben immer auf die Lage des Autos bezogen) sieht man etwa sechs Finger, die zu einer Gestalt gehören, die man aber nicht sehen kann. Doch der Benz ist gut zu sehen und das ist die Hauptsache. Noch schlechter zu sehen, erheben sich im Hintergrund die Anden. |
Interessanter fand ich einen Typen, der mit einem sonderbaren Gefährt angetuckelt kam. In der linken unteren Ecke des Bildes sieht man einen Pluto. Der gehört zu seinem Gespann. "Was ist denn das für ein Gestörter, der mit diesem schwachsinnigen Gefährt durch die Wüste fährt?" Der Typ kam auch auf die Plattform und wir quatschten ihn gleich an. "Alter, was wird denn das für eine Aktion?", fragte ich ihn, kaum, daß er losschaute. Er erzählte, daß er aus Equador sei und unterwegs nach Chile. Ab und zu hält er an, kutschiert Kinder durch die Gegend und verdient sich so das Geld für seine Reisekasse. Was man unterwegs nicht alles für kranke Typen trifft. Der Typ war aber völlig locker. Hätte durchaus ein Europäer sein können.
Wir machten noch ein paar Bilder von der Plattform aus. Man hat von hier oben schon einen besseren Blick auf das, was wir da so gedankenlos und selbstverständlich durchqueren. Das ist gar nicht so schlecht, sich das ab und zu mal anzusehen, sonst verliert man am Ende noch den Respekt vor der Wüste. Gerade in diesem Teil der Atacama, wo das richtige Wüstenfeeling nicht aufkommt, weil einach zuviel Verkehr ist. Leider schafften wir es auch diesmal nicht in ein Salar zu fahren. Einmal weg von den Straßen, hinein in die Wüste, "wo keines Mutter sich nach uns umsieht, kein Weib unseren Weg kreuzt, wo nur die Wirklichkeit herrscht, grausam und groß..." Und so weiter.
Blick nach Süden, auf die scheinbar endlose Wüste. |
Leider würde die Wüste doch irgendwann mal enden. Irgendwo da oben ist schließlich ein Tropengürtel. Ganz ekelhaft und drohend lauert er mit seiner Luftfeuchtigkeit, seinem Ungeziefer, seinen Tücken, aber ohne Nachtplätzen. Wir fuhren dennoch irgendwann weiter. Mittlerweile weniger eilig und mehr auf die Landschaft achtend. Wir hatten es überhaupt nicht mehr eilig, denn wir würden es schaffen, keine Frage mehr. Es war nicht mehr weit. Wir hielten wieder mal auf Berge zu, hatten sie bald erreicht, fuhren die Serpentinen hinauf und sahen irgendwann einen etwas verschobenen Bus am Straßenrand stehen. Es waren ziemlich harte Serpentinen, so daß es aussah, als wäre der Bus den Hang heruntergekullert. Was hier tatsächlich geschehen war, konnte man nicht eindeutig festlegen. Es war auch keiner da, den man fragen konnte. Aber es sah spannend aus. Ich hielt an. Vor dem Bus natürlich und nicht dahinter. Wenn, dann soll der vom Schlaf geplagte LKW hinter uns entweder in den Bus rauschen, der eh schon kaputt ist, oder es dem Bus gleichtun und selbst den Hang hinunterkullern, aber sicherlich nicht uns den Daimler plätten. "Alter, das schaut mir sehr spannend aus... Schauen wir mal rein, oder? Vielleicht finden wir was interessantes. Geld oder Gold...", sagte ich zu Cat. "...oder eine tote Leiche", fügte er hinzu. "Vielleicht hat sie ja Goldzähne, oder zumindest nen Geldbeutel", sagte ich im Aussteigen. "Willst Du in den Bus rein?" "Natürlich will ich in den Bus rein, um ihn von außen anzusehen, brauch ich nicht auszusteigen, Du Depp." "Ich geh da nicht rein." "Dann bleibst halt draußen..." Wir inspizierten den Bus erst mal von außen. Die klassische Birnenjagd. Ist irgendeine Birne noch ganz, die auch in die Scheinwerfer oder Lichter des Daimler paßt? Wenn ja, mitnehmen.
Die Busleiche von außen. Sah ziemlich ramponiert aus. |
Aber nicht eine der noch vorhandenen Birnen war brauchbar. Die waren wohl
noch aus dem vorigen Jahrhundert. Riesige Teile. Die hätten in einen Derby
Baujahr 79 gepaßt, aber der 123er war zu modern. Außen war sonst
nichts zu gebrauchen. Die Gepäckräume waren zwar offen, aber leider leer. Aber es interessierte mich brennend, was für ein
Schicksal diesen Bus ereilt hatte. Und was wohl aus den Insassen geworden ist?
Danach kletterte ich auf das Dach. Schöne Aussicht, aber auch auf dem Dach
war kein Gepäck. "Scheiße! Alter! Wie komm ich jetzt hier wieder runter?", fragte ich mal pro forma in die Runde, die ausschließlich aus Cat und mir bestand... "Gar
nicht, hoffentlich", sagte er und lachte mich aus, "Aber Du könntest runterfallen und Dir das Genick brechen,
wenn Du mir unbedingt einen Gefallen tun möchtest."
"Hier oben ist auch
nichts."
"Gar nichts?"
"Überhaupt nichts..."
"Bestimmt flackt da irgendwo ein Skelett oder sowas. Ich geh da nicht rein..."
"Schwuchtel..."
Catarina
ging derweil auf den Hügel jenseits der Straße. "Gibt's da drüben
was Interessantes?", schrie ich hinüber. "Auch nicht..."
Blick von oben. | Blick von innen. |
Ich kletterte wieder hinunter. Es kam mir entgegen, daß der Bus so
verzogen war, so konnte ich auf der Backbordseite bequem in den Bus hineinklettern.
Aber auch der Inneraum hatte nichts zu erzählen. Cat war mittlerweile
wieder am Bus. "Und? Gibt's da was?" "Nein, kein Geld, keine Diamanten, alles Scheiße...
Nicht mal 'ne Leiche... Außer die vom Bus. Alter, alles durcheinander, hier drin..."
Ich ging zum Fahrersitz und ließ mich darauf nieder, nachdem ich mir
noch schnell beim Entfernen der Scherben den Finger aufgeschnitten hatte.
"Aua! Schmerzen! Scheißteil!", schrie ich. "Hab ich's
nicht gesagt?", meldete sich Cat. "Was?" "Daß
Du behindert bist." Als ich auf dem Beifahrersitz saß und um
mich sah, tropfte mir von oben eine Flüssigkeit auf die Schulter. "Was
das denn für ein Dreck? Da tropft was!", schrie ich. "Blut?", fragte Cat. Ich
inspizierte es. "Ja. Und zwar Gruppe 15W30 schätze ich... Schmeckt zumindest
so. Vielleicht auch 10W40? Kannst Du mir erklären, warum hier Motoröl von der Decke
tropft?"
"Von der Decke?", fragte Cat ungläubig.
"Ja, von der Decke. Also mir scheint das nicht logisch... Aber gut... Wir
sind ja in Peru."
"Logisch. Ist es logisch, wenn ein erwachsener Mensch sich in einem
Bus rumtreibt, aus dem sie erst die Leichen geschafft haben und nach irgendwas sucht? Und der dann noch was von Logik erzählen will?"
"Was hat er denn dauernd mit seinen Leichen? Hier ist weit und breit
keine einzige Leiche zu sehen, Du Rindvieh. Das ist nicht Afrika, meinst Du, die würden die hier einfach flackenlassen, oder was?", schrie ich hinüber.
"Andere Frage:", meinte Cat betont beiläufig, "Glaubst Du, das Öl erst jetzt zu tropfen
angefangen?" Erst verstand ich die Frage nicht. "Achso... jetzt
check ich's", sagte ich verlegen, als ich merkte, daß ich die ganze Zeit in einer
Öllache gesessen hatte. "Fuck!" Naja, ist jetzt auch schon egal. Ohne das Mysterium
gelüftet zu haben, und ohne irgendetwas Brauchbares in den Händen,
dafür mit einem blutenden Finger und einem riesigen Ölfleck an der
Hose kletterte ich wieder aus dem Bus, legte ein Handtuch auf den Fahrersitz des Daimler und wir fuhren weiter. Wieso hat den keiner
von der Straße geholt? Verdammt noch mal, so viele Stunden...
Langsam wurde die Gegend wieder sandiger. Teilweise erinnerte es stark an Libyen,
wenn sich hinten weit am Horizont jungfräuliche Sanddünen erhoben.
Riesengroß. Davor grüne Äcker, was recht außergewöhnlich
war, denn wir hatten schon lange keinen Ackerbau mehr gesehen.
Um exakt 18.52 Uhr passierten wir ein Schild das die Stadtgrenze von Lima
anzeigte. Der Flug kam um 21 Uhr an. Wir konnten praktisch behaupten, wir
hätten es geschafft. Der Tacho stand bei 743.948 km. Die Fahrt von
Campinas bis Lima betrug also exakt 6.469 Kilometer. Elf Tage hatten wir
benötigt, die Tagesleistung betrug somit: 589 Kilometer. Also waren
wir insgesamt gesehen gar nicht wirklich gerast. 600 Kilometer am Tag bedeuten
ungefähr 8 Stunden Fahrt täglich, das ist normal, auch über
einen längeren Zeitraum betrachtet, man kann es durchaus halten. Und in der Wüste verpaßt man nicht so viel. Andererseits hätten wir auch ein paar Tage in Viñas del Mar bleiben können und ein Salar besuchen - wenn wir Zeit gehabt hätten.
Auf dem Weg zum Internationalen Flughafen von Lima. |
Wir arbeiteten uns durch den Stau in Lima und Umgebung bis ans andere Ende der Stadt, fragten uns zum Flughafen durch und waren eine halbe Stunde vor Ankunft auf dem Parkplatz. Jetzt mußte richtig umgeräumt werden, Platz geschaffen für eine Person plus Gepäck für 10 Wochen. Catarina hatte viel zuviel Zeug dabei. "Die Schminke hättest ruhig daheimlassen können, bei Deiner Fresse ist's eh schon egal..." "Hau das Zeug nicht so rum, Du Idiot. Das ist zerbrechlich." "Hast das Porzellan auch noch mitgenommen?" Das Groteskste war allerdings seine sogenannte Luftmatratze. Ich hatte ihm meine gezeigt und gemeint, er solle sich auch sowas zulegen. Aber anscheinend ist es in Brasilien nicht so leicht, etwas Praktisches zu finden. Alles was er auftreiben konnte war ein Luftbett, das zusammengefaltet fast die Größe einer prallen Sporttasche hatte. "Was hast denn damit vor? Das ist ja ein Ehebett. Blas den Dreck bloß nicht auf, sonst haben wir ein Problem. Wieder Zusammenfalten auf diese Größe ist unmöglich, da braucht man eine Stanze. Aber gut, daß wir das dabeihaben, so ist wenigstens gut Gewicht im Kofferraum, da können wir nicht so leicht ins Schleudern geraten..." Er druckte mir zwei Sporttaschen in die Hand und meinte: "Geh zu, red' nicht so viel, schlicht lieber das Zeug zusammen, daß wir die Alte abholen können. Bin gespannt, wie die aussieht." Da mußte ich ihn auslachen, "Mach Dich schon mal auf was gefaßt... Die ist mindestens so häßlich wie Du." Er glaubte es mir nicht. Schließlich sage ich über alle Frauen, sie seien dumm und häßlich, grundsätzlich - mit sehr wenigen Ausnahmen. Warum auch nicht? Im Prinzip lieg ich ja nicht falsch. Mit dem melancholischen Reiterlied aus uralter Zeit ausgedrückt:
Ach wie bald, ach, wie bald
Schwinden Schönheit und Gestalt.
Prahlst Du gleich mit Deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen
Ach, die Rosen welken all.
Manche haben das Problem früher, manche später und manche überhaupt nicht. Zu letzteren zählen Männer - die sind immer
häßlich, da es nicht ihre Aufgabe ist, hübsch zu sein -
und Frauen, die von Natur aus häßlich sind. Doch dazu später.
KTB-Eintrag: 20.29 Ankunft Flughafen Lima (744.026)
Nachdem wir also dann fertiggepackt hatten gingen wir in den Flughafen.
Ich hoffte immer noch auf ein Wunder oder Ähnliches, also, daß
Gabi, einen Meter länger, einen Meter schmäler und trotz allem mitsamt dem LapTop ankäme. "Jetzt find mal einer den
richtigen Pott heraus..." "Hör auf, mit mir Deutsch zu reden,
Du Penner." "Sorry, aber auf Portugiesisch macht's keinen Sinn...
Im Prinzip könnte man es auch so ausdrücken: Geh Du hoch und schau,
ob sie oben rauskommt und ich sicher derweil den Hauptausgang." "Ich
weiß doch nicht, wie das Teil aussieht, und sie weiß nicht,
wie ich ausseh." "Also, sie erkennt Dich ganz sicher, aber egal,
dann suchen wir sie halt zusammen."
Irgendwann kam sie dann an. "Servus." Sie war sichtlich froh,
daß wir es rechtzeitig geschafft haben. "Servus... Ähm...
LapTop?"
Schulterzucken. "Sorry."
"Ach", platzte ich, "dieses fette Walroß..."
"Reg Dich ab, Du kennst sie schon Dein lebenlang..."
"Genau. Deswegen frag ich meine Eltern schon seit Jahrzehnten, warum
sie die nicht gleich nach der Geburt weggeschmissen haben. Das hat mein
Vater jetzt von seiner Experimentierei mit der Gentechnik. Kommt nur Müll
dabei raus. Fuck... Toll. Und jetzt? Jetzt kann ich mich mit Disketten rumschlagen.
Ach, das ist doch schon wieder alles Scheiße! Laß uns fahren. Ich kotz gleich ganz laut und deutlich!"
"Was war das jetzt alles?", fragt Catarina, "Hört sich
an, wie Gebell!" Ich wiederholte daraufhin alles nochmal auf Portugiesisch.
"Wohin fahren wir denn jetzt?", fragten beide, mehr oder weniger
gleichzeitig. "Essen, natürlich."
"Und wo?"
"In der Stadt, oder?" und zu Cat: "Oder willst Du Rindvieh lieber auf die Weide zum Grasen?"
Besatzung vollzählig angetreten, Boot ist klar zum Auslaufen... |
Gabi brachte einen Disc-Man, eine Adapter-Kasette und eine CD-Tasche mit überwiegend guter Musik mit. Abba, Zarah Leander, deutsche Schalger aus den Dreißigern mit und ich hatte auch noch CDs an Bord, die ich zuvor nicht anhören konnte. Welch eine Wohltat. Marschmusik war zwar Tabu, aber die höre ich eigentlich nur, wenn ich mit dem Schlaf kämpfe, weil ich dann mit Mitgröhlen beschäftigt bin. Man will ja nicht an der Leitplanke oder beim Sturz aus x Metern höhe aufwachen. Aber übermüdet Fahren kam auf dieser Fahrt bisher noch nicht vor, insofern konnte ich damit leben. Auch gegen klassische Musik war Gabi allergisch. Eine typische Unterschichtenkrankheit.
Die Kamera war schon wieder fast voll. Jetzt waren wir darauf angewiesen, fremde Rechner benutzen zu dürfen. Danke, liebste Schwester. Aber Gabi hatte wenigstens ein Ladegerät mitgebracht, so konnten mit Hilfe des Spannungswandlers wenigstens die Akkus geladen werden. Ich hätte einfach sie mit dem Computer beauftragen sollen, dann hätte es geklappt. Wir fuhren in die Stadt, aber ins Zentrum. Ab und zu kann man sich schon ein anständiges Mahl erlauben. Nach einiger Suche stellten wir allerdings fest, daß die Auswahl ziemlich beschränkt blieb. Im Grunde lief es auf zwei Gerichte raus: Gockel mit Pommes oder fritierte Erdäpfelstäbchen mit Hühnchen.
Ich parkte das Auto vor einem
etwas gehobener aussehenden Lokal und wir gingen hinein. Catarina, als Brasilianer
von Haus aus sehr verwöhnt was gutes Essen angeht, war mit dem Angebotenen
nicht zufrieden. Er wollte zusätzlich noch Bohnen oder Reis, am besten
beides. "Kannst Du mal fragen ob die das haben?" "Bin ich Dein
Babysitter, Du Transe? Frag halt selber, inzwischen wirst Du das wohl fertigkriegen.
Ich geh mal nach dem Ölstand schauen, weil ich Deine Fresse nicht mehr ertragen kann..." Ich ging hinaus, prüfte
den Ölstand, konnte allerdings nicht sagen, ob er paßte oder nicht,
denn er zeigt immer noch auf der einen Seite übervoll an, und auf der anderen
endet das Schwarz kurz über der Minimum-Marke. Nunja. Als ich dann von
den Resteräumen zurückkam und auf den Tisch zusteuerte, sah ich Catarina
wie wild gestikulieren und vor ihm stand ein hilfloser, achselzuckender Kellner.
Ich kam hinzu und fragte, ob ich was helfen kann. "Ich will grad fragen,
ob diese Dämonen Reis haben, aber der versteht mich nicht", zum Kellner,
dann "Arroz!", während er irgendwelche Handbewegungen machte,
aus denen ich bei bestem Willen, höchstens "Hunger auf dem schwarzen
Kontinent" gedeutet hätte. Ich sagte dann das Wort Reis auf spanisch
zum Kellner: "Arroz..." "Ja klar, selbstverständlich, bitte
vielmals um Entschuldigung", sagte der Kellner. Catarina sah mich entsetzt an und meinte:
"Wie kann das sein? Seit Du rausgegangen bist, versuche ich dieser Kreatur
klarzumachen, daß ich Reis will. Du sagst ein Wort und der stiefelt los.
Was heißt denn Reis auf Spanisch?"
"Ja Du Pissnutte, hör mir halt einmal zu: Was heißt es denn auf Portugiesisch?"
"Ja, Arroz, halt."
"Exakt das selbe auf Spanisch, es wird sogar exakt so geschrieben: Arroz."
"Warum versteht er mich dann nicht?"
"Weil Du Penner nicht 'Arroz' sagst, sondern 'Achoisch'." Das versteht
der natürlich nicht. "Sprich es so aus, wie man es schreibt, dann
versteht Dich jeder, wenn er nicht ganz blöd ist. Schau mal: Beim A war
noch alles OK, aber schon beim doppelten R steigt der aus. Ein Doppel-R spricht
man wie zwei Rs und nicht wie ein H und zwischen dem O und dem Z kommt kein
I. Und das Z ist ein Z und kein SCH. So einfach ist das. Gilt für alles
andere auch. Ein L nach einem Vokal ist im Spanischen ein L und kein verdammtes U, ein O bleibt ein O und wird kein U, ein E ist
ein E und kein I. Wenn Du nicht Analphabet wärest, könntest Du es
immer aufschreiben und ihm zeigen, dann würde er es verstehen."
"Ach, tomá nu cú, muß ich mich auch noch mit dieser
verdammten Sprache rumschlagen..."
"Lern sie einfach, dann kannst auch Du mal eine Sprache und mußt
nicht als Neanderthaler durch die Welt laufen. Das was in Brasilien gesprochen
wird ist ein portugiesischer Dialekt, welches in seiner Reinform wiederum schon ein spanischer Dialekt
ist."
"Macht doch nichts. Es sprechen mehr Leute Brasilianisch als Portugiesisch."
"Sprechen ist ein wenig übertrieben. Lallen, hätte ich jetzt
gesagt... Aber was soll's. Anderes Geschwätz: Ich brauch Internet."
"Wo pennen wir heute?", fragte Gabi. "Aonde a gente vai dormir hoje?",
leitete ich die Frage an Cat weiter. "An irgendeiner Tankstelle. Wieso?",
ich gab es gleich weiter. "Tankstelle? Mitten in Lima?" Das war mir
nun zu anstrengend. Gabi hat Angst vor Großstädten und ich hatte
keinen Bock, ewig zu fahren, bis wir aus der Stadt waren. Und wieso auch? Sie
hat in der Pampa auch nicht weniger Angst. "Sehen wir dann schon. Jetzt
wird erst mal gegessen."
Der Stern nach wenigen Minuten Stadtverkehr in Lima. |
Die Dialoge wurden ab jetzt überhaupt anstrengend. Gabi konnte Englisch und Deutsch, aber trotz jahrelangem Unterricht kein Spanisch - zumindest angeblich. Catarina konnte nur Portugiesisch und selbst das nur in der bastardisierten brasilianischen Ausgabe. Ich konnte immerhin Deutsch und Portugiesisch sprechen und mich auf Spanisch und Englisch ganz passabel verständigen. Es gab keine gemeinsame Sprache zwischen Gabi und Cat. Ab und zu versuchte Catarina einen englischen Satz zu bilden. "Alter, in der Zeit, in der Du einen Satz auf Englisch konstruierst, mach ich 'ner toten Frau ein Kind. Das hast jetzt von Deiner Baumschule." Was heißt Dieses, was heißt Jenes? Aus meinen Antworten war Gabi schon klar, was er zu fragen vorhatte. Da konnte er gleich normal reden und ich übersetze. Aber er unternahm wenigstens den Versuch. Es kann niemand so blöd sein, zwei Jahre Spanischunterricht am Gymnasuim zu haben und hinterher nicht ein Wort herauszubringen. Und wenn man nach Südamerika fährt, empfiehlt es sich halt doch, nochmal die alten Bücher anzusehen. Wir hatten nun keine gemeinsame Bordsprache und mußten uns der deutschen Sprache und des Portugiesischen bedienen. Das hieß, der Fahrer darf alles zweimal sagen. Auf der anderen Seite hat man eben die Möglichkeit, jeden Satz vor der weitergabe zu prüfen. Mal sehen...
Als wir fertig waren, nahm Cat meine Pommes mit und gab sie einem der vielen Straßenkinder, die draußen herumstanden und -lagen. "Fang bloß nicht wieder mit dem Scheißdreck an, Du vollkommen verblödeter Idiot, sonst haben wir eine ganze Meute am Hals", mahnte ich ihn. Hört sich natürlich wieder äußerst kolonial an, ich weiß. Aber erstens war es tatsächlich das, was ich ihm sagte, zweitens war nichts Unwahres dran und drittens: Wieso gibt er diesem was und dem da vorne nicht?
Wir fuhren los um eine passende Tanke zu finden. Erstes Suchkriterium: Dach mit Parkmöglichkeit darunter. Da taten wir uns schwer. Wir fanden nach langer Suche eine ohne Dach und da blieben wir dann auch. Gabi paßte auf die Rückbank, Catarina auf den Boden und ich auf die Bleche. Nun mußte allerdings umgeschlichtet werden, denn die Sachen von der Rückbank mußten nach vorne verteilt werden. Als jeder seinen Platz so gemütlich wie möglich hergerichtet hatte, schliefen wir ein.