Einige Wochen nach meiner Rückkehr aus Feuerland kam
Benno auf jährlichen Besuch. Auch mein alter Herr kam aus Deutschland
und brachte einen neuen LapTop. Wir fuhren nach Rio, um meinen Onkel zu
besuchen, irgendwann im März und ich nahm die Fahrt in dieses Drecksloch
als Gelegenheit, einen Onlinebericht zu verfassen. Ich lieh mir die Canon
Digitalcamera von Carlos aus und wir zogen los. Es klappte eigentlich
ganz gut, allerdings überlebte der LapTop nicht sehr lange. Amerikanisches
Fabrikat - die checken es einfach nicht. Das war LapTop Nummro zwei, der
vor die Hunde ging. Der erste wurde überfahren, der zweite starb
einfach so. Nun war es wieder nichts mit Onlineberichten. Ich kann mich
erinnern, daß ich damals in Rio am Hafen meinen Onkel anrief und
ihm sagte, ich würde ihn einmal in Rio besuchen fahren, ich sei ja
jetzt mit dem Auto da. Allerdings merkte ich sehr schnell, daß das
Autofahren in Brasilien nicht sehr spaßig ist und es dauerte fast
zwei Jahre, bis ich das hinbekam mit der Rio-Fahrt, das aber auch nur,
weil mein Vater dort hin mußte.
Ich bereitete mich darauf vor, Brasilien endgültig zu verlassen.
Aufbruch war angesagt, es sollte nach Mexiko gehen. Hier und da wurde
einiges erledigt, mal zuviel, mal zu wenig. Ich brauchte noch ein Konto,
damit ich von der Miete auch was habe, aber es ist nicht so leicht in
Brasilien ein Konto zu eröffnen, wenn man nicht brasilianische Kasperlpapiere
besitzt - Paß reicht da mitnichten. Ich versuchte es mehrmals, auch bei der Citi-Bank. Mein Vater
ist bei der Citi-Bank in Deutschland und wir wollten ein Nebenkonto bei
Citi in Brasilien eröffenen. Keine Chance. Es funktioniert einfach
nichts, in diesem Affenstaat, es ist unglaublich. Kein Wunder, daß
es hier so aussieht, wie es aussieht. Es scheint, sie wollen nicht, daß man sein
Geld bei ihnen anlegt, sondern sie sind nur daran interessiert, es zu
klauen. Ich dachte immer, Banken sind unkompliziert, aber nicht hier.
Ich wollte ja gar keinen Kredit oder Ähnliches, einfach nur ein Konto.
Das ist alles. Wieso klappt das nicht? Wieso müssen die um jede Kleinigkeit
so ein Drama machen? Nicht einmal kann irgendwas normal ablaufen, immer
gibt es irgendeine unsinnige Bestimmung, völlig für den Eimer.
Ich ließ dann Eduardo ein Konto für mich aufmachen. Damit war
die Sache auch erledigt und ich hatte genug Zeit, mir darüber Gedanken
zu machen, was an diesem Land im Falle einer Napalmbehandlung verschonenswert
wäre. Die Flora in jedem Falle. Die Fauna nur unter Vorbehalten,
denn noch ist nicht endgültig geklärt, ob die Brasilianer selbst dazugehören
oder nicht.
Im Nachhinein hatte es sich als recht nützlich erwiesen, daß
mir der Trottel an der Grenze bei der letzten Einreise zwei Stempel in den Paß gehauen hat.
Ich hatte am 23. Januar drei Monate Aufenthalt bekommen, die waren längst
um, denn wir hatten mittlerweile Juli. Ich besorgte mir den gleichen Kugelschreiber,
den der Grenzer hatte, schrieb in den durchgestrichenen Stempel die Zahl
90 hinein und in den neuen Stempel die Zahl 180. Wenn mich einer fragen
sollte, dann würde ich ihm erzählen, ich hätte 180 Tage
haben wollen, und deswegen hat mir der Beamte, nachdem ich eine
Gebühr entrichtet hätte, mit 180 Tage genehmigt, was bedeutet,
daß ich bis zum Montag, 22. Juli ausgereist sein mußte. Sowas geht in diesen Ländern, ohne Probleme. Jeder Bulle hier weiß, daß nichts funktioniert und alles ein einziger Saustall ist. Man kann die Hände heben und sagen: "Schau mich nicht an, ich hab damit nichts zu tun, ist Euer Durcheinander..." Der 22. Juli stand nun schon vor der Tür. Ich hatte keinen Bock, alleine bis Lima
zu fahren und Catarina*) meinte, er würde gerne mitkommen, wenn er
das mit der Arbeit irgendwie geregelt bekäme. "Arbeiten? Was
ist das? Wieso machst Du das?" "Halt doch's Maul..." "Naja,
schau halt hin, daß Du 'nen Monat Urlaub bekommst, oder? Zeig ich
Dir mal ein anständiges Land... Wir müssen am Freitag spätestens
losfahren, ich muß am Montag außer Landes sein und wir brauchen
zwei Tage bis zur Grenze in Foz."
Ich fuhr noch zu einem Reifenhändler, um zu schauen, ob er mir vielleicht
doch 185R15 besorgen konnte. Er sah das Auto an und fragte, ob ich vorhätte,
auf Expedition zu gehen. "Nein, nur nach Mexiko." Er erzählte,
daß er einen verrückten kenne, der die Panamericana hochfahren
will, aber mit einem Dreirad. "Heißt der Typ zufällig
Dalton und wird von allen Catarina genannt?" "Kennst Du ihn?",
fragte er mich überrascht. "Der fährt mit mir ein Stück
mit, aber nur einen Monat. Mit dem Dreirad fährt er wann anders..."
Außerdem gibt es nicht viele Brasilianer, die das machen würden.
Jedenfalls habe ich da draußen noch nie einen getroffen.
Er bekam es hin mit dem Monat Urlaub am Mittwochanbend bekam ich einen
Anruf und er erklärte mir, daß er am Freitag seinen letzten
Arbeitstag hätte. Danach könnte es losgehen. Er war rechtzeitig
fertig, und wie immer wartete alles auf mich. Es war nicht nur das ablaufende
selbstverlängerte Visum, sondern auch die Tatsache, daß Gabi**) am 5. August in Lima landen würde, was zur Eile drängte. Nachdem ich am Montagabend immer
noch in Campinas saß, recht unmotiviert, dachte ich mir, daß
es jetzt eh schon wurscht wäre. Doch je mehr ich hier die Zeit vertrödelte,
desto mehr würden wir auf der Fahrt nach Lima hetzen müssen.
Jedes mal, wenn ich abends bei Edú einlief kam die Frage: "Ich
denke, Du bist längst in Mexiko!?" "Fresse! Morgen fahr
ich los..." "Und wenn nicht morgen, dann übermorgen, aber
ganz sicher, stimmt's?" Sein alter Herr fand das gut. "Nur nichts
überstürzen, Du bist seit ein paar Jahren im Urlaub. Wenn jemand fragt, wann Du fährst,
sag einfach "Morgen vielleicht nicht..."
So tröpfelten die Tage dahin, irgendwie war es wieder so, wie damals
in Augsburg. Einerseits lockte die weite Ferne, andererseits mußte
ich mein lockeres Luderleben aufgeben. Hier in Brasilien ging es mir nicht
schlecht, wenn ich mich nicht dazu bringen kann, von dem
Land an sich irgendwie angetan zu sein, nicht mal mit Gewalt schaffe ich das. Es ist und bleibt ein Drecksland. Ekelhaft. Widerlich. Aber jetzt, wo alles schon langsam der Vergangenheit anzugehöen
begann, war es doch keine schlechte Zeit gewesen. Immer satt zu Essen,
Internet, Diesel, alles da, was der Mensch zum Leben braucht. Keine Termine,
keine Verpflichtungen, kein sonnloses Aufstehen vor der Zeit. Das war
jetzt vorerst rum und ich war gerade wieder dabei, mich Hals über
Kopf in eine Fahrt mit ungewissem Ausgang zu stürzen. Ich wußte
nicht, ob ich je in Mexiko ankommen würde, daher tauschte ich auch
für unbestimmte Zeit meine schöne Nullacht gegen eine banale 38er ein.
Wenn die weg sein sollte, wäre es nicht schade drum, aber die Nullacht
sollte nicht irgendwo in Lateinamerika enden. Man weiß nie.
Es kam natürlich, wie es kommen mußte: Zwei Jahre war
ich hier auf dem Kontinent, voller Pläne und Vorsätzen. Eigentlich wollte
ich das Haus in Ordnung bringen, wollte die Wände streichen, wollte...
wollte... wollte... In der Praxis sah es aber so aus: "Verschiebe stets
auf morgen, was Du heute sollst besorgen." Das ist meine ganz persönliche
Lebenslüge. Aber ich bin ganz zufrieden damit.
Jedenfalls sah es so aus, daß buchstäblich alles was zu erledigen war
auf den letzten Tag aufgeschoben wurde. Am Vortag hatte ich noch 45.000
Liter Wasser herbestellt und in den Pool kippen lassen. Nach einer Nacht
war er wieder leer. Nun wußte ich wenigstens ganz sicher, daß der Pool
ein Leck hat und ich wußte sogar wo. Diese Erkenntnis hätte mich sicher vor einiger Zeit
weitergebracht, aber einen Tag vor der Abfahrt ist das nur noch als klassisch
nutzloses Wissen zu bezeichnen.
Ich hatte es auch noch geschafft, einen Maurer herzubestellen, der die Einfahrt in Ordnung bringen sollte, aber das
war's auch schon. Arbeiten hab ich ihn nie gesehen, er wollte erst einen
Tag nach meiner Abfahrt vorbeikommen. Es blieb alles angefangen liegen
und die liebe Ingrid darf sich darum kümmern. So wird aber wenigstens
irgendwann etwas daraus...
Bevor mein alter Herr nach Deutschland zurückflog, ließ er
mir ein wenig Fahrgeld da für die Fahrt nach Mexiko. Der Plan stand.
Ich stand mit Eikka elektronisch in Verbindung.Des weiteren schaffte ich es auch noch, bei eBay einen LapTop zu erstehen,
sponsored by Daddy. Den sollte die Gabi mitbringen, wenn sie nach Lima
kommt. Ich rief bei meiner Schwester an und sagte, sie solle dem Typen
das Geld überweisen, damit das Teil auch ja noch rechtzeitig eintrifft,
denn viel Zeit war nicht mehr, das Flugzeug ging am 4. August, es war
keine 10 Tage mehr hin, aber es konnte diesbezüglich nicht mehr viel schiefgehen.
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Catarina ist sein Spitzname, weil er aus Santa Catarina kommt. Sein Richtiger Name ist Dalton Oliveira. |
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Es sei im Vorfeld erwähnt, daß ich bei diesem Bericht an vielen Stellen mit meiner damaligen, für eine derartige Tour völlig ungeeigneten Beifahrerin vielleicht sogar oft Unrecht tue - wie ich halt in jedem meiner Berichte irgendwem Unrecht tue.
Das ist einer der Hauptgründe, warum zwischen der Fahrt und der Veröffentlichung fast sechs Jahre verstrichen. Doch wird aus Prinzip kein Bericht im nachhinein geändert. Revidierte Meinungen finden in jüngeren Berichten ihren Platz. Stellungnahmen von Betroffenen werden auf der Startseite des Berichtes ungekürzt veröffentlicht. |
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