Panamericana-Tour 2002
Donnerstag, 15. August

Der Morgen eröffnete uns, daß wir gar nicht so weit weg von der nächsten zivilisatorischen Einrichtung gewesen waren. Nicht weit entfernt, am Horizont zeigte sich ein Gebäudekomplex. Es erinnerte an die Schule in der Nähe von Tan-Tan, Marokko. Der Wind hatte nachgelassen, es wurde gefrühstückt. Es gab Sandwiches. Brot, Käse, Salat, alles da und das ganze natürlich in der Pfanne überbacken. Der Stern wurde zum Mülltütenhalter umfunktioniert - anschließend natürlich wieder auf Hochglanzpoliert. Weit war es nicht mehr bis zur Grenze. Spätestens morgen sollten wir dort sein. Catarina brauchte immer das Internet. Er hatte noch lange keinen Rückflug nach Brasilien. Vielleicht sollten wir es mit einem Cargoflug probieren. Rudolph hatte mal etwas erzählt, daß sie ab und zu Passagiere mitgenommen hätten. Vielleicht finden wir ja eine brasilianische Maschine, aber mal schauen. "Erstmal müssen wir nach Equador kommen und dann wäre ich natürlich sehr an der Verschiffung interessiert." Wenn möglich, wollte er mit übersetzen und von Panamá aus zurückfliegen.

Unser Nachtplatz - vemeintlich mitten im Nichts. Aber dem war nicht so.

Aber noch waren wir noch nicht so weit. Wir fuhren weiter und waren wieder den ganzen Tag auf Achse. Ab und zu fragte man sich, wie denn die Peruaner einen normalen Ackerbau betreiben wollten, wenn sie ständig ihre Felder abfackeln. Aber Koka scheint ja einträglich genug zu sein. Je mehr man sich von der Hauptstadt entfernte, desto schlimmer sahen die Käffer aus. Mittlerweile waren sogar alle Randsteine verschwunden. Die Straße erkannte man an den fast zusammenhängenden Asphaltresten, während das "Trotoir" aus zerfahrenem und zerstampften Lehm bestand. Wir fuhren einige Seitenstraßen, die aus Betonblöcken bestanden und folglich nocht zerfahren wurden, wie der Asphalt. Fahren ist vielleicht ein wenig übertrieben, wir kämpften uns eher durch, kann man sagen. Hier gibt es überhaupt keine Regeln und wir waren so ziemlich das einzige Auto. Alles fährt wirr durcheinander, die meisten Fahrzeuge sind diese Ritschkas oder wie sie heißen mögen, sowohl motorisiert als auch per Manpower betrieben. Die fahren die Straße auf und ab, sowohl in Längs, als auch in Querrichtung, und nie gerade, immer im Zickzack oder im Kreis. Das einzigen, was ich nicht beobachten konnte war ein Looping, aber ansonsten hatten die so ziemlich jedes Manöver drauf. Aber sie haben's im Griff, es ist eine Art wohltuendes Chaos.

So geht es eben auch.

Trotz aller Hektik erfolgte kein einziger Einschlag, sie hileten sowohl voneinander als auch von uns einen respektvollen Abstand. Ich habe es in diesen Ländern nie erlebt, daß es jemand auf einen Unfall anlegen würde. Lieber bremsen, schimpfen, hupen, ausweichen, aber nicht warten bis es scheppert und dann recht schlau daherreden. Das macht man in Deutschland, aber hier kann man unter Umständen lange warten, bis eine Versicherung zahlt. Es bleibt dem gesunden Menschenverstand überlassen, Unfälle zu vermeiden. Das heißt nicht, daß hier keine Unfälle passieren, aber die passieren eben auch anderswo und in der Regel mit weitaus schlimmeren Folgen. Das würde in Deutschland nie hinhauen, denn wo der Deutsche mit seinem Schubladenhirn kein System entdecken kann, verzweifelt er und flippt aus. Dabei ist hier sehr wohl ein System dahinter und es beruht darauf, daß man - bewußt oder unbewußt - miteinander fährt statt gegeneinander. Und wo das Zwischenmenschliche klappt, braucht man weniger Regeln und schon gar keine selbsternannten Verkehrserzieher, die nichts bewirken, als Leute, die sowieso schon Schwierigkeiten haben, ein Kraftfahrzeug zu führen, auch noch in Wut zu versetzen. Hinterher zieht man heulend zu den Gerichten. Ich denke ein peruanischer Richter würde - wenn so eine Nichtigkeit wie ein Beinahe-Unfall überhaupt zu ihm vordringt - den Kläger einsperren und wenn dieser auch noch nach der Begründung fragen wollte, ihm wortlos eine schmieren. Deswegen macht das hier keiner. Sollte man in Deutschland auch einführen.
Eigentlich waren die Amerikaner nach dem Krieg nicht konsequent genug. Sie hatten den deutschen das Fliegen verboten - schon mal dumm, denn in der Luft hat der Mensch nicht allzuoft die Chance, Mist zu bauen. Doch ein Blitzkrieg ist ohne Panzer gar nicht denkbar, insofern hätten sie den Deutschen auch das Autofahren verbieten müssen. Das haben sie allerdings unterlassen, sei es aus Kurzsichtigkeit oder aus Angst vor der Logik. Denn dann hätten Sie sich sagen müssen, daß ohne die Infanterie, die Königin der Waffen, auch in der modernen Kriegführung nichts läuft und daher hätten sie den Deutschen auch ebenso das Gehen verbieten müssen. Dabei wäre es einzig Sinnvolle gewesen, ihnen die Fahrzeugherstellung anzuordnen, doch gleichzeitig, ihnen das Fahren zu verbieten, denn das können sie einfach nicht. Nicht auszudenken, wenn sich diese Seuche ausbreitet. Momentan hat man das Glück, daß Mitteleuropa doch durch die romanischen Stämme vom Rest der Welt getrennt ist. Und die paar, die es doch versuchen, ihre autofahrtechnischen Weisheiten zu exportieren, die enden so, wie der Depp, den ich mal in Rom beobachten konnte: Er kam nicht vom Fleck und ich bin mir ziemlich sicher, daß er heute im Urlaub mit Bus und Bahn unterwegs ist - wenn er nicht noch dortsteht, in seinem Auto, am rechten Rand der Fahrbahn und über die Italiener schimpft, die halt einfach fahren, statt groß zu philosophieren und nach Regeln und Ordnungsmächten rufen. Aber nun mal zurück nach Peru:

Und weiter durch Trümmer und Scherben,
Durch Krater und Moder und Schlamm.

Wir hielten an einem Internet-Café. Ich erledigte schnell meine eMails und setzte mich dann ins Auto. Gabi klopfte ans Beifahrerfenster und winkte mich hinein. Ein eMail von Tanja. Darin schrieb sie, daß sie dieses Jahr auf jeden Fall nachkommen wollte. Das ist schon mal eine gute Nachricht. Eine sehr gute, falls es klappen sollte. Ich ging dann wieder hinaus, unterhielt mich noch ein wenig mit dem Besitzer und setzte mich dann wieder ins Auto. Nach einer Weile kam dann auch Gabi und wieder eine Weile drauf kam Catarina heraus. Ohne Neuigkeiten, wie erwartet.

Wir ließen die Ortschaft hinter uns und befanden uns bald wieder in der Wüste. So enlos wie sie schien ist sie jedoch leider nicht. Bald würde sie in Steppe und allzubald in üppige Vegetation übergehen. Die einzige, die sich darauf freute war Gabi. Wenn es nach Cat und mir gegangen wäre, dann könnte die Atacama direkt in die mexikanische Wüste übergehen. In der Wüste ist es immer schön warm, man findet immer einen Nachtplatz, es gibt keine Insekten, folglich kein Sumpffieber, gewöhnlich Malaria genannt, und vor allem hat man seine Ruhe. Die Südamerikaner sind nicht nervig, wie die Afrikaner, aber je weniger Leute man um sein Lager hat, desto besser. Und auf diese schwüle Hitze dort oben legte außer Gabi auch niemand gesteigerten Wert. Wenigstens funktionierte diesmal die Klimaanlage. Allerdings waren solche Aktionen wie damals in Benghasi, als ich mich ins Auto legte und bei trockener Kühle selig einschlief, völlig ausgeschlossen. Völlig falsche Besatzung.

Auf dieser eben leider nicht endlosen, schnurgeraden Strecke fahren - anders als in der Sahara - ziemlich viele Autos. Es ist nicht so, daß man etwas Außergewöhnliches schon kilometerweit im Voraus sieht. Daher waren wir schon ziemlich nahe rangekommen, als wir feststellten, daß da vorne etwas passiert sein mußte. Ein kleiner Mercedeslaster lag auf der Seite und irgendeine übelriechende Flüssigkeit lief gemütlich die Straße entlang. Es war ein Fischlaster. Das muß man auch erst mal schaffen, einen Laster auf gerader Strecke dermaßen blöd auf die Seite zu legen.

Dazu bedarf es besonderen Talents.

Viel mehr passierte allerdings nicht. Resigniert konnte ich beobachten, daß die bisher spärliche Vegetation immer grüner, dichter und häufiger wurde. Wir haben damals in der Schule den Unterschied zwischen Desertation und Desertifikation gelernt - ich glaube, das waren die Bezeichnungen, aber Erdkunde war eines der Fächer, das meine Schullaufbahn beendete. Während das eine auf natürliche Weise geschieht, ist das andere vom Menschen gemacht. Der Endeffekt ist der selbe: Hinterher ist Wüste da. Der Nordosten Brasiliens soll angeblich ein gutes Beispiel für letzteres sein. Wie und wann es dazu kommt, das ist mir einerlei. Wichtig ist nur, daß viel mehr Wüste hermuß und die Peruaner beherrschen die Kunst der Desertifikation nur sehr mangelhaft, aber die Eqaudoriesen sollen noch viel schlimmer sein. Wie lange noch? Einen Tag, fünf Tage, ein paar Stunden? Wußten wir nicht. Aber wir wußten, daß das Ende immer näher rückte. Diese Erkenntnis stimmt nicht fröhlich, aber auf der anderen Seite sollte der erwachsene Mensch sich längst an sie gewöhnt haben, denn im Leben ist es nicht anders. Das Ende kommt unweigerlich... Carpe diem, quam minimum credula postero. In diesem Falle: "Genießt die Wüste, solange sie noch ist, denn die Tropen werden schrecklich sein..."

Je näher wir an Zentralamerika herankamen, desto mehr wünschte ich mir Almut her. Aber noch war alles halb so wild. Wenn es kritisch werden sollte, war immer noch Catarina an Bord. An einem Tümpel neben der Straße hielt ich an, um ein paar Sonnenuntergangsphotos zu schießen. Es war wirklich ein Tümpel, in dem eine Drecksbrühe traurig umherschwappte. Drumherum zwar noch nichts richtig tropisch, aber die relativ großen Pflanzen im Hintergrund ließen ahnen, daß sich die Wüste hier schon lange im Rückzug befindet.

Pause an einem Tümpel bei Sonnenuntergang.

Auch die ersten Mücken schwirrten umher. Das ist ihre liebste Tageszeit - kurz nach Sonnenuntergang. Da sind sie am aggressivsten. Drecksviecher. Catarina und ich waren in unseren Expeditionsklamotten relativ sicher, mußten nur Hände und Fresse schützen, was relativ einfach geht. Dennoch nervt es, allein, weil es ein weiterer Faktor ist, den man berücksichtigen muß. Schlimm wird es erst, wenn man schläft, denn dann funktioniert die Abwehr nicht. Ich haßte die Tropen jetzt schon. Deckt man sich zu, kann man nicht schlafen, weil man schmilzt, deckt man sich nicht zu, kann man nicht schlafen, weil einem diese Drecksviecher locker fünf Liter Blut abzapfen und - als ob das nicht ärgerlich genung wäre - so Manchem auch noch eine dieser häßlichen Tropenkrankheiten dalassen als Werbegeschenk.

Wir fuhren wieder auf die Straße und weiter durch die Nacht. Cat hatte sich in den Kopf gesetzt, daß er jetzt irgendwelche Viecher aus dem Meer fressen mußte. Ich fragte nach, ob Gabi damit einverstanden wäre. "Mir egal." Gut. Also suchten wir in der Ortschaft, in der wir gerade waren nach Mariscos. Leider hatte alles schon zu. Es war auch reichlich spät. Alles, was wir fanden, war ein Hot-Dog-Verkaufsstand. Auch gut. Es war wohl ein Familienbetrieb. Sie selbst waren ihre besten Kunden. Es sah so aus, als würde die ganze Familie den ganzen Tag hinter dem Hot-Dog-Stand sitzen, ab und zu den einen oder anderen verkaufen und ansonsten den großteil ihrer Ware selbst verzehren. Cat stieg aus und unterhielt sich mit den Herrschaften. Sehr einfache und sehr nette Menschen. Ich gesellte mich dazu. Es dauerte mal wieder länger. Aber es war witzig. Gabi blieb im Auto. "Laßt Euch ruhig Zeit, ich kann im Auto schlafen, egal, ob es steht oder fährt..."

Catarina zu später Stunde vor dem Hot-Dog-Stand in einem Küstendorf im nördlichen Peru.

So ließen wir uns Zeit, unterhielten uns weiter, aßen erst einen, dann noch einen Hot-Dog, dann doch nochmal einen, diesmal aber den letzten. Es zog sich hin. Ob wir denn nicht langsam mal ans Weiterfahren denken wollten. Eigentlich nicht die Spur. "Hat sie nicht gesagt, ihr wäre es egal?", fragte mich Cat. "Gesagt wird viel. Das war vorhin. Jetzt pressiert es anscheinend. Frag doch nicht mich..." Wir verabschiedeten uns nach einer Weile und fuhren weiter. Ein gutes Stück weiter verließen wir die Straße und fuhren auf eine Piste. Diese führte sacht einen Hügel hinauf und wir fanden einen seltsamen, aber scheinbar gemütlichen Acker, den wir sofort bezogen.

Als ich dalag in meinem Schlafsack und die letzte Cigarette rauchte, bemerkte ich, was auf dieser Fahrt bisher zu kurz gekommen war. Genau das, was solche Art Fahrten so genial macht. Neben dem Auto zu liegen und in den unendlichen Sternenhimmel zu schauen. Cat war mehr ein Stadtmensch, Gabi konnte ich nicht einordnen. In der Stadt hatte sie Angst, weil es dort so viele Verbrecher gibt, auf dem Land hatte sie Angst, weil die Verbrecher zwar nicht so zahlreich sind, dafür aber umso gefährlicher. Da kann man nicht viel dagegen machen. Fest steht jedenfalls, daß Verbrecher in der Wüste zumindest in Südamerika recht selten vorkommmen. Und schon wieder ein Argument gegen ihre geliebten Tropen... Aber was sind schon Argumente?

Am nächsten Tag stand eine Grenzüberquerung auf dem Plan. Auf Equador war ich gespannt. Noch nie dagewesen. Die Erwartungen waren recht niedrig, denn wie schon erwähnt: Mit der Wüste war es schon sogut wie aus und allein der Name Equador, der offensichtlich von Äquator kommt, ließ das Ende der Wüste zur Gewißheit werden. Schade, daß es auf der Nordhalbkugel nicht spiegelverkehrt abläuft, denn dann wären wir bald wieder in der Wüste. Langsam kamen wir wieder in die Tropen: Klebrig, schwül, heiß und ekelhaft ist es da... Allerdings immer noch paradiesisch, wenn man sich vorstellt, wie es oben an der Küste sein muß. Karibik... Ein Alptraum. Nur gut, daß ich wenigstens im Auto die Klimaanlage als Verbündeten hatte.


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