Panamericana-Tour 2002
Samstag, 17. August

Die Nacht verlief ruhig. Von angeblichem Motorenlärm mitten in der Nacht habe ich nichts mitgekriegt. Schließlich war ich auf dem Parkplatz um zu schlafen, nicht um fremden Motoren zuzuhören. Das passiert wohl nur, wenn man zu deutsch ist. Cat hat das zwar wohl mitbekommen, aber für ihn hieß es nicht viel mehr, als daß eben ein paar LKW in den frühen Morgenstunden losgefahren waren. Warum sie stundenlang die Motoren laufenlassen, bevor sie losfahren ist auch schnell damit erklärt, daß es bei den alten Kisten wohl etwas dauert, bevor der Öldruck stimmt und der Kompressor mit Luft gefüllt, der Motor auf Betriebstemperatur ist. Aber alles das braucht man der Gabi nicht zu erklären. Daß auch in Deutschland ein jeder Berufskraftfahrer den Motor warmlaufen läßt, das kann sie nicht wissen. Sie war auch immer die Spezialistin, die mir in Deutschland gerne den Motor ausmachte, wenn das Auto mal länger stand - wohlwissend, daß ich dann absichtlich 20 km mit Vollgas extra einlegen würde. Sancta simplicitas...
Mich störten die Mücken vielmehr. Von denen blieb Gabi weitgehend verschont, schließlich lag sie im Auto. So hatte jeder seine Unannehmlichkeiten, mit denen man aber klarkommen muß, wenn die Mittel beschränkt sind. "Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker", habe ich einmal irgendwo gelesen.

Auf dem Parkplatz der Mautstation vor Guayaquil, das genau achteraus liegt, auf dem Bild aber nicht zu sehen ist.

Wir fuhren wieder hinein nach Guayaquil. Mal sehen, was es dort so gab. Die wichtigen Büros hatten alle zu, davon konnte ausgegangen werden. Aber Reisebüros könnten offen haben. Außerdem gab es hier eine Art Shopping-Mall genau am Wasser und die wollten wir uns einmal ansehen. Nicht zuletzt, weil es dort ein Internet-Café gab und meine Kamera, schon wieder am Überlaufen war - dank meiner Schwester. "Die ist doch so blöd, wie sie fett ist!", platzte mir wieder der Kragen. "Soll das denken den Pferden überlassen, hab ich ihr immer gesagt. Aber weil sie aussieht, wie eine Zuchtstute, meint sie, das wäre das selbe." Völlig überflüssige Aktion, die sie da gelandet hat. Immer wieder kam es vor, daß eben kein Internet-Café rechtzeitig zur Stelle war und daher mußten immer wieder Bilder gelöscht werden. Und jedes mal gingen tausend Flüche ins Tausende von Kilometern entfernte Augsburg. Muß man das alles gar nicht wirklich wiederholen.

Wir suchten einen Supermarkt um die Vorräte aufzustocken. Auf dem Weg zum Hafen hatten wir einige größere Supermärkte gesehen. Da fuhren wir auch hin. Leider hatten die meisten davon zu, daher mußten wir uns mit einem kleineren Supermarkt begnügen. Der hatte aber dennoch alles, was wir brauchten. Darüberhinaus brauchten wir natürlich ein Schiff und die Aussichten, ein solches zu bekommen waren natürlich in einem größeren Supermarkt besser - sofern der ein Reisebüro hatte. Einen richtigen Plan hatte natürlich keiner. Der einzige mit Verschiffungserfahrung war ich, aber ich war auch gleichzeitig von allen der Planloseste. So mußte ich mich erst einmal orientieren. Was wird geboten, was tut sich, welche Möglichkeiten stehen zur Verfügung? Um die Shopping-Mall herum waren einige Reisebüros, davon hatten einige wenige offen. Ich fragte nach Schiffsverbindungen nach Zentralamerika. Gab es wohl, aber mehr so Kreuzfahrtmäßig. Sehr teuer und Autos werden sowieso nicht mitgenommen. Es war mehr oder weniger immer dasselbe. Schon nach kürzester Zeit beschloß ich, dem Ratschlag Eikkas zu folgen, den er mir in einem eMail einmal gab: Verschiffungsgesellschaften heraussuchen in Equador und Kolumbien und an alle ein eMail auf Spanisch und Englisch schicken. Er hat sie mir sogar aufgesetzt, ich mußte sie nur ausfüllen und verschicken. Zum Zwecke, ein Internet-Café zu finden, gingen wir in die Mall. Eine recht seltsame Mall. In sogut wie allen südamerikanischen Ländern befindet man sich mit dem übertreten der Eingangstürschwelle in einer vollkommen anderen Welt. Marmorböden, Glas, Markenware, die natürlich importiert und daher wesentlich teurer ist als in den Industrieländern. Kein Dreck, keine losen Kinder, keine Bettler. Die werden hier nicht hineingelassen. Security everywhere.

Ich fand im Internet eine Adresse von PacificLink. Anscheinend hatten die am Samstag auf. Die Adresse schrieb ich mir auf in das KTB: Andinave Av. Quito 806 y 9 de Octubre. Dann fuhren wir los und suchten diese Gesellschaft auf. Ohne Karte, ohne Plan, ohne die geringste Ahnung, wohin wir fahren sollten. Ich drückte Kat das KTB in die Hand und meinte, er solle die Leute fragen und die sollen uns in die richtige Richtung schicken. Er fragte auf Portugiesisch zum Beifahrerfenster hinaus, keiner konte ihm eine brauchbare Antwort geben. "Noch nie gehört", "Tut mir Leid", "Gibt's nicht", "Kenne ich nicht". Das waren so die Antworten. "Das gibt's doch nicht! Sagte ich. Frag einfach nur nach einer der beiden Straßen! Ach, gib mir das her, Du bist zu blöd!", sagte ich und riß ihm das Tagebuch aus der Hand. "Alles muß man allein machen!" Neben uns stand ein Taxi. "Entschuldigung! Ich suche die Avenida Quito oder die Straße des 49. Oktober" Der Taxler meinte, die Quito sei einfach nur geradeaus oder zurück, wie ich wollte, denn ich stünde gerade auf ihr. Die andere kennt er nicht. Und weg war er. "Was redest Du da für eine Scheiße, Du behinderter Idiot?", fragte mich Cat. "Wenn Du zu blöd bist, dann muß ich das wohl machen, oder?" "Seit wann hat der Oktober 49 Tage? Höchstens in Deinem Hirn. Und jetzt gib mir den Dreck her. Ich mach das, Du bist einfach zu blöd. Fahr Du - was anderes kannst Du eh nicht... 49. Oktober... Das ist ein Ypsilon und keine Vier, Du Penner. Kannst Deine eigene Schrift nicht mehr lesen? Ein Idiot... Entschuldigung! Wo ist die Straße des 9. Oktober?", fragte er einen Typen, der neben uns stand und auch das Fenster offen hatte. Der zeigte nach hinten und meinte "Etwa einen Kilometer die Richtung. Kreuzt diese Straße." Ich hob den Daumen, wendete sofort und fuhr in die Gegenrichtung. "Jetzt bist Du vorbeigefahren... Fahr rechts. Und dann wieder rechts und dann... Kannst Dir den Rest selber denken, oder soll ich's Dir aufmalen?", fragte mich Cat. "Halt's Maul. Schwuchtel. Sag mir halt beim nächsten Mal rechtzeitig bescheid. Hinterher ist's für den Eimer!", antwortete ich. "Ach was. Du wärst einfach weitergefahren, wenn ich nichts gesagt hätte... Da ist das Gebäude! Bleib jetzt stehen!" Ich blieb stehen und stieg aus, ging zu dem Gebäude. Es war tatsächlich offen. Aber das Büro von Andimar war zu. Alles umsonst. So ein Dreck, aber auch. Wir beschlossen, wieder zur Shopping-Mall zurückzufahren.

Die Straßen von Guayaquil.

Geparkt wurde an der gegenüberliegenden Straßenseite. Wir mußten über die Straße gehen. Es war eine T-Kreuzung. Die Autos, die links oder rechts abbiegen haben gleichzeitig mit den Fußgängern grün. Wieder so eine Sache. In Deutschland ist klar: Fußgänger hat Vorrang, so steht es im Gesetz. Und er ist geschützt durch das Gesetz. In Equador hat vermutlich auch der Fußgänger Vorrang. Aber da ihn das Gesetz zwar schützt, dieses aber nur aus einem Stück Papier besteht, das bekanntlich geduldig ist, weiß das keiner. Was man hier weiß ist: Autos tun weh, wenn man sich ihnen in den Weg stellt. Aber so sah das Gabi eben nicht. Es ist grün, also kann ich gehen und wenn die Idioten nicht anhalten, dann ist mir das wurscht, wozu gibt es Verkehrsregeln? Cat und ich blieben stehen, dem gesunden Menschenverstand folgend, Gabi regte sich über die Autofahrer auf un ging übern die Straße. "Sag mir wenigstens die Geheimnummer von der Mastercard", dachte ich mir noch. Aber sie latschte los. Wenn sie von einem Auto getroffen würde, dann hoffte ich, daß es kein teures wäre, denn der Blechschaden würde in die Tausende gehen. Sie wichen ihr natürlich aus und hupten. Das können die Equadorianer, weil allerorten auch andere Viecher, wie z.B. Rinder einfach über die Straße latschen und sich nicht um den Verkehr kümmern, weil sie nicht wissen, was das ist. Das meinte Goethe wohl, als er schrieb: "Er nennt's Vernunft und braucht's allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein". Die Equadorianer sind das also gewöhnt. Als dann rot wurde, eilten Cat und ich über die Straße. Kommentare ersparten wir uns. Man hat als deutscher scheinbar viel davon, wenn man sich "Ich hatte eigentlich Vorrang" auf den Grabstein meißeln lassen kann.

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob hier der Fußgänger Vorrang hat. Ich kann mich nämlich an einen Aushang in Brasilien erinnern. Auf dem Stand der Hinweis für Fußgänger, daß Kraftfahrer immer Vorrang haben. Das folgt der alten portugiesischen Verkehrsordnung von Neunzehnhundertvordemkrieg und ist meiner Meinung nach auch sehr vernünftig. Denn was hilft es, wenn man dem Schwächeren höhere Rechte einräumt? Das ist widernatürlich. Fußgänger gegen Auto. Das Auto ist eine Maschine, kann nicht denken und hat zudem einen gewissen Bremsweg. Der Fußgänger hat keinen Bremsweg und man setzt voraus, daß er zumindest über ein Oberschlundganglion verfügt. Der kann sofort stehenbleiben, wenn es darauf ankommt. Wie dem auch sei. Nur eine kleine Episode, die wieder deutlich macht, was es für Folgen haben kann, wenn man die eigenen Standards für algemeingültig ansieht. Hier passierte nichts.

Wir fanden drei Internet-Cafés und es ging an. Ich brauchte ein Diskettenlaufwerk, wie immer. Die Kamera wurde entladen, die Bilder auf Diskette gesichert und gleichzeitig, als Sicherheitsmaßnahme, wurden alle Bilder auf den Server geladen. Das war zeitaufwendig. Die Beantwortung meiner privaten eMails fiel immer sehr kurz aus. Besonders eMails an meine Nora oder an meine Nachbarin waren so entstellt, daß es oft besser gewesen wäre, gar nichts zu schreiben. Das war dadurch bedingt, daß mir Gabi immer über die Schulter sah. Sie bezahlte schließlich. Und man sagt ja nichts, denn sonst beginnt sofort wieder die Diskussion. Wer zahlt schafft eben an. Danach schrieb ich die Verschiffungsgesellschaften (genannt Navieras) in Equador und in Kolumbien an. Es waren an die fünfundzwanzig Stück. "Wir fahren nicht nach Kolumbien", war immer der Standardsatz von Gabi, wenn das Wort Kolumbien fiel. Das würden wir ja noch sehen, denn das überließ ich dem Schicksal. Kolumbien wäre zwar was, ein Hauch von Abenteuer, aber nicht, wenn man mal in Afrika war und da war noch was: Wäre Almut dabei, wäre das großartig, mit Cat in Kolumbien kontne ich mir auch noch vorstellen, aber mit Gabi da hinzufahren, wo es brenzlig werden könnte, das wollte ich mir nicht wirklich antun. Aber es wäre sicher eine gute Schule. Dort wäre sie sicher von der Deutschtümelei geheilt worden.

Ein kleiner Familienausflug.

Es war unwahrscheinlich, daß wir heute noch eine Antwort bekommen würden von den Navieras. Wir schlenderten noch ein wenig in der Shopping-Mall auf und ab. Es war ein komischer Bau. Nicht ein Klotz, wie diese Malls gewöhnlich eben gebaut sind, sondern in die Länge gezogen. Wie eine Kette, und man mußte öfter das Freie passieren, wenn man von einem Kettenglied zum anderen wollte. Als wir dann endlich zum Auto kamen, war es dunkel. "Was ist der Plan?", fragte ich. Cat meinte: "Wie üblich. Fahren wir einfach los und schauen, was sich ergibt..." Guter Plan. Der geht selten schief.

Von Tanja wenig Nachrichten. Sie wollte nachkommen. Irgendwo nach Costa Rica oder vielleicht Mexiko. Wir mußten rüber über den Darién. Cat bemerkte richtigerweise, daß sie nicht losfliegen könnte, wenn sie nicht wüßte, wann wir dort wären. Daher sollten wir nach Quito fahren, von dort aus könnte er sich um seinen Flug kümmern und Verschiffungsmöglichkeiten gab es dort sicher auch. Nur liegt Quito im Landesinneren in den Anden. Was eine Naviera dort wohl verloren hatte? Aber das war nicht das Problem. Wir fuhren los, bis Gabi mal fragte, wo wir eigentlich hinwollten. "Nach Quito", meldete ich nebenbei. "No way", sagte sie. "Wieso? Morgen ist eh Sonntag..." Bei ihr entstand wohl der Eindruck, daß Cat kein Geld hatte, weil er immer unsere Dollar wollte und uns dafür Landeswährung gab. In Equador war das zwar das selbe, aber das machte nichts. Ich versuchte wieder, Cat davon zu überzeugen, daß Quito quatsch sei. Mit ihm ließ sich besser diskutieren. Es gab einige Differenzen, aber wir fuhren dann doch nach Quito. Ich einigte mich mit Gabi darauf, daß wir ihn nur rausschmeißen und gleich wieder zurückfahren würden, um rechtzeitig am Montag die Geschichte mit der "Fähre" in Guayaquil zu erledigen.
Auf dem Weg hielten wir an einer Tankstelle an um Abendessenzufassen. Gabi kochte, ich kümmerte mich um den Boliden und Cat legte sich auf den Randstein und schlief.

Abendessen irgendwo zwischen Guayaquil und Quito, noch vor den Anden.

Arg viel weiter wollten wir allerdings nicht fahren, denn den Andenanstieg wollten wir bei Tag beginnen, nicht noch jetzt. Als ich müde wurde, fuhren wir an eine Tankstelle und übernachteten dort. Cat schien etwas beleidigt. Konnte ich auch verstehen, denn meistens, wenn es Meinungsverschiedenheiten gab - was zu erwarten ist, wenn Gabi an Bord ist - entschied ich mich um der Ruhe willen, das zu tun, was sie sagte. Das begann schon mal damit, daß ich nur das übersetzte, was ich für richtig hielt und dabei immer hoffte, daß sich schon irgendwie eine Lösung finden würde. Die fand sich aber nie. Es schien sich immer mehr alles zuzuspitzen, denn wenn man Zusagen macht, die sich widersprechen, dann muß das einmal schiefgehen. Geht gar nicht anders. Das war auch früher nicht anders. Schwieriges Gemüt, die Gabi.


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