Panamericana-Tour 2002
Montag, 19. August

Wir trafen uns wie verabredet mit Cat. Irgendein Idiot pöbelte uns noch an, weil ich scheinbar falsch geparkt hätte. Kein typischer Equadorianer, denn er hatte helle Haut. Sah eher aus wie ein kleinwüchsiger Mitteleuropäer. "Was will er denn?", fragte mich Cat. "Keine Ahnung. Eine über die Gosch'n, glaub ich." Zu dem Pöbler sagte ich "Oui, Missiöh, habe nischt gewußte, daß in Equador Leute arbeiten... Geh nach Alemania, kanns Du pöbeln", gab ihm, schon im Wegdrehen begriffen, ein Zeichen, er solle weitergehen. Der Pöbler ging dann irgendwoanders hin, nachdem er schnell gemerkt hatte, daß ihn alle übergehen. Das habe ich in Deutschland gelernt, dem Land der Profipöbler in grüner Uniform. Dagegen war der hier ein richtiger Anfänger. Nicht einmal die Grundvoraussetzungen hatte er erfüllt. Seiner spastischen Gestalt hätte eine grüne Uniform mit der Aufschrift "Blöd" auf dem Ärmelstreifen und ein Schild "Bayerische Landespolizei" hervorragend gestanden. Herrgott... Und sowas schon am frühen Morgen.

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag...

Cat latschte zur Flug-, ich zur Schiffahrsgesellschaft. Wir kamen beide bald zurück, natürlich mit leeren Händen. Aber macht ja nichts. Wir bleiben dran. Das würden wir schon hinbekommen, wäre ja gelacht. Weiter ging's. Wir fuhren in die Innenstadt. Cat wollte bei der brasilianischen Botschaft vorbeifahren. Ich hatte ihm einmal die Geschichte von Daniel Dömer erzählt, der irgendwo in Asien ausgeraubt wurde und der das Rückreisegeld unter Angabe eines Bürgen, nach Überprüfung aller Angaben, bei der Botschaft erhielt - das er nach Ankunft in Deutschland natürlich zurückzahlen mußte. Er wollte dasselbe auch probieren, nur konnte er natürlich als Brasilianer nicht zur deutschen Botschaft, mußte es bei der brasilianischen probieren. Ob die überhaupt genug Kohle hatten, die eigene Miete zu bezahlen, das bleibe dahingestellt. Nicht, weil es der Etat nicht hergibt, sondern, weil jedes Geld an Schwindsucht leidet, das eine brasilianische Hand passieren muß. Und wer weiß, wieviel Hände hier dazwischenlagen...
Irgendwo versteckt, mitten im Durchgang, zwischen kleinen Läden und Cafés, befand sich der Eingang zur Botschaft. Keine Ahnung, im wievielten Stock. Unten wehte die brasilianische Fahnenkarikatur in ihrer vollen Größe von etwa 30 auf 20 cm. Die Farbenpracht hatte allerdings schon etwas unter den Witterungs- und Umwelteinflüssen gelitten.

Während Cat also dort versuchte, Geld zu schnorren, ging ich zur Post genau gegenüber. Gab saß nur im Auto und zog eine Fresse. In diesem Fall vielleicht ganz gut. Das ist fast so wirkungsvoll wie zwei scharfe Dobermänner auf dem Rücksitz zu haben. Da traut sich keiner ohne Panzerfaust ans Auto. Ich blätterte die Kataloge durch und begann zu telephonieren mit Gott und der Welt. Immer wieder das selbe: "Hallo, einen wunderschönen guten Morgen, ich brauche den zuständigen für einen Autotransport von Equador nach Zentralamerika. Können sie mich verbinden?" Bei manchen war der zuständige noch nicht da, schon wieder weg oder gerade in einer Besprechung. Bei vielen aber, war er da und ich wurde verbunden. Dann ging es weiter: "Ich bin deutscher Tourist, habe einen PKW mit deutschen Kennzeichen in Equador, Zollpapiere an der Grenze ausgestellt und gültig. Das Fahrzeug soll zum niedrigstmöglichen Preis nach Zentralamerika. Können sie mir weiterhelfen?" Auch hier fielen wieder einige durch das Sieb. Zu teuer, fahren diese Strecke nicht, transportieren keine Autos, oder nur im 20ft-Container. Die meisten hatten ihre Büros hier in Quito, aber wicklten alles, was mit Fracht zu tun hatte in Guayaquil ab. Bei einigen erwirkte ich aber einen Termin in Quito.

Seit langem standen wir mal wieder in einem Stau.

Cat kam zurück und machte sich auch gleich ans Telephonieren. Hinterher gingen wir eine Kleinigkeit essen. Er erzählte mir, daß er denen erklärt hätte, daß er kein Geld mehr hätte und heim müßte. Aber die rücken nichts raus. Woher denn auch? Wir machten aus, daß ich ihn wieder in die Gegend der Fluggesellschaften fahre und er dort zu Fuß eine nach der anderen abklappern würde. Wir sollten uns um 14 Uhr wieder dort treffen. Gabi saß nur auf dem Beifahrersitz, sah teilnahmslos aus dem Fenster und sagte kein Wort. So ist's recht, es fährt sich weitaus angenehmer, als wenn eine ständig ohne Grund Gift und Geifer speit.

Während Cat also die Fluggesellschaften abklapperte, machten wir und wieder in das Zentrum, um den einen oder anderen Termin wahrzunehmen. Wir gingen auch zu McDonald's, denn Gabi hatte noch nichts gegessen. Nicht, daß es ihr schaden würde, aber zu McDonald's sag ich nicht nein. Da weiß man, was man kriegt, Vitamine hin oder her.

Die angesetzten Termine brachten nicht viel Neues, dienten nur der Informationssammlung. Ich notierte mir einige Telephonnummern, um gegebenenfalls darauf zurückzukommen, wollte aber alles versuchen, daß wir bessere Angebote bekamen. Das hier war sozusagen nur die Erkundung, damit man sich ungefähr ein Bild machen kann, wie die Landschaft so aussieht. Ergebnisse gab es noch lange keine, wir standen auch erst am Anfang. Und das machte Gabis miese Stimmung noch schlechter. Kann ich verstehen, wenn man den ganzen Tag nur auf dem Beifahrersitz hockt und schlechte Laune schiebt. Ein normaler Mensch würde halt einen Stadtbummel machen oder irgendetwas tun. Um im Auto zu sitzen braucht man nicht extra nach Equador zu fahren. Aber wenn sie meint... mir war es recht. Als wir Cat wieder abholten, gab er mir schon von weitem ein Zeichen, daß es wieder nichts gewesen sei. "Aber für Euch habe ich was gefunden, das glatt interessant klang. Er brachte mich zu einem Büro und wir kamen gleich dran. Ich stellte die Situation erneut dar und hörte mir dann das Angebot an. Es war keine Naviera, sondern eine Consolidera (so hießen sie, glaube ich, kann auch Consolidadora geheißen haben). Die verkaufen einem einen Platz in einem Container. Man zahlt entweder nach dem Volumen, das die Fracht im Container einnimmt oder nach dem Gewicht, je nachdem, was teurer ist. Wir kamen in jedem Falle auf ungefähr 600 US$. Das war schon in Ordnung, verglichen mit den anderen angeboten. Ich hatte mit 700 US$ insgesamt gerechnet. Soweit, sogut. Nun die Abidjan-Frage. Wenn die auch noch mit "Ja" beantwortet würde, dann hatten wir unsere Überfahrt sogut wie in der Tasche: "Können auf dem Schiff zwei Passagiere mitfahren?" Das konten sie nicht beantworten. Ist auch eine ungewöhnliche Frage. Aber sie wollten sich bei der Reederei erkundigen. Wir sollten einfach in zwei Stunden wieder vorbeikommen. Wenn das klappt, dann haben wir schon den schwierigsten Teil geschafft. Ich ging zum Auto und überbrachte Gabi die halbwegs positive Kunde: "Ich glaube, da könnte sich was ergeben. Der Preis ist in Ordnung, die müssen nur noch nachfragen, ob wir auf dem Schiff mitfahren dürfen." Erst kam überhaupt keine Reaktion, dann die Antwort: "Ich will nur wissen, wann wir endlich hier losfahren." Ich versuchte ihr noch zu erklären, daß es mein primäres Ziel wäre, eine Verschiffung nach Zentralamerika zu bekommen und, daß mich ihr kindischer Privatkrieg gegen Cat nicht die Bohne interessiert, weil ich in meinem Leben ein paar andere Sachen auf der Welt als wichtig empfinde. Aber mit Vernunft ist da nichts zu wollen. Ich wollte ein Schiff, sie lieber einen Affenaufstand schieben. Dann einigte ich mich mit Cat darüber, daß jeder das tun sollte, was er am besten kann und was unserem Vorhaben am meisten Nutzen abwirft. Also kümmerten Cat und ich uns weiter um die Verschiffung und Gabi machte nichts, außer ab und zu mal in Tränen auszubrechen. Daß man hier in Quito jedenfalls leichter an eine Verschiffung kommt, als auf der Landstraße zwischen Quito und Guayaquil, das interessierte sie nicht. Sie wollte nur ihren Dickschädel mit allen Mitteln durchsetzen, es ging gar nicht mehr um die Verschiffung. Gerade sie, der es mit der Verschiffung nicht schnell genug gehen konnte. Daß es auch in Guayaquil keinen europäischen Fährhafen mit deutschen Abfahrtszeiten und Restaurants und Swimmin-Pools gab, hat sie wahrscheinlich gar nicht mitbekommen.

Ich mußte noch eine Telephonkarte holen und ging zur Post. Hinter dem Panzerglas saß eine völlig verheulte Alte, die zitterte und, abgesehen davon, nicht viel auf die Reihe brachte. Ich wartete ewig und drei Tage und begann allmählich etwas genervt zu werden, da die Spedition um 17 Uhr zumachte. Ich klopfte auf den Tresen und gab ihr zu verstehen, daß sie nicht zum Flennen da sei. Sie stand auf und holte eine Kollegin. Die gab mir dann auch prompt die Telephonkarte, ich bezahlte und ging zurück zum Auto und fuhr zur Schiffahrtsgesellschaft. Gabi hatte ihre hochanspruchsvollen CD eingelegt mit künstlich erzeugten, primitiven Dissonanzen, zu denen eine blödgekiffte oder hirnlose Nachgeburt geistreiche Texte krächzt wie: "...und wenn ich nicht hier bin, bin ich im Aquarium..." Ganz zweifellos ein intellektueller Leckerbissen. Klassische Musik war ohnehin Tabu, wenn Gabi im Auto saß. Schon immer. Man konnte sich natürlich mit ihr auf gemeinsame Musik einigen. Aber sicher nicht an diesem Tag. Eine Moralpredigt kam natürlich auch noch. Wohl weil ich am Tag zuvor in einem Nebensatz zu ihr gesagt hatte, daß ich vergessen hätte, vor ihrer Ankunft dem Cat zu sagen, daß sie etwas komisch sei. Doch mich interessierte wirklich das Schiff und ich konzentrierte mich auf die Eindrücke von Quito.

Als ich zur Spedition hineinging wurde ich bereits erwartet. "Jetzt kommt's noch mal drauf an", sagte ich zu Cat. "Guten Nachmittag, die Herren. Wie sieht es aus?" Am Gesichtsausdruck konnte ich ihnen nichts ablesen. Kein "Ja", aber auch kein "Nein". Er erklärte mir, wie alles läuft. Auf dem Schiff kann man schon mitfahren, allerdings würde es etwa sechs Wochen bis Panama brauchen, denn es fährt nicht nach Norden, sondern zunächst nach Süden und spätestens in Puno müßten wir von Bord gehen. Puno liegt in Peru. Dort kamen wir doch gerade erst her. Diese Strecke schien mit doch etwas unsinnig. Man muß ja nicht mit der Kirche ums Dorf fahren. Erst runter nach Puno und dann mit dem Flieger nach Panama-City oder Colón zu fliegen ist nicht wirklich das Wahre. "Gut... Danke recht herzlich. Kann man nichts machen." Klar ist auch, daß die Anzahl der Rückschläge bei einer solchen Aktion diejenige der Erfolge bei weitem übersteigen muß. Man muß erst einige Rückschläge einstecken, der Erfolg kommt als letztes - wenn er kommt. Das weiß man eben nicht. Aber wir hatten es in Afrika hinbekomen, als jeder sagte, es sei unmöglich. Ich würde es auch hier hinkriegen. Nur wußte ich noch nicht wie und wann.

Wir schliefen an einer Tankstelle an der Straße zum Flughafen, diesmal war Cat auch mit von der Partie. Er hatte sich für 600 US$ ein Flugticket kaufen können, sein Flug ging um 5:00 Uhr früh. Cat und ich gingn noch in die Tankstelle hinen. Dort saß der Besitzer mit ein paar Kumpels und wir unterhielten uns mit denen noch eine Weile. Dann gingen wir zurück und richteten die Pritschen. Ich schlief auf den Blechen, Gabi auf der Rückbank und Cat in der Hängematte. Wunderbar, wie die Strahlenflugzeuge im Tiefflug über unsere Köpfe hinwegdonnerten. In Flugmotoren verehr ich Menschenwitz und Kunst. Göttlicher Gesang. Ich war da wohl der einzige. Cat schlief und Gabi nicht. Egal. Gute Nacht.


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© by Markus Besold