07:15 Uhr: Aufgewacht. Ich schob das Moskitonetz beiseite, sprang vom Dach und sperrte das Auto auf. Irgendwie schien die Zentralverriegelung zu spinnen. Zwar ging die Fahrertür auf, aber sonst tat sich nichts. Nochmal zu und wieder auf. Jetzt geht's. Seltsam. "Komm mir Du nicht blöd, in aller Herrgottsfrüh!", ermahnte ich die widerspenstige Zentralverriegelung. Ich brauchte Gabi nicht zu wecken, sie ging von selbst an, als ich mein Zeug aus dem Kofferraum holte.
In der Tankstelle kaufte ich eine Telephonkarte. An der Tanke befand sich nämlich ein Fernsprecher von dem aus ich damit begann, die Navieras zu kontaktieren. Bei einer hatte ich Glück und es war bereits jemand da. Ich fragte nach, ob sie Schiffe wüßten, die nach Zentralamerika fahren, offene Ladung und Passagiere mitzunehmen in der Lage wären. Sie konnte nichts Passendes bieten, wußte auch nicht, welche andere Gesellschaft das konnte.
Wir fuhren in der Stadt umher, ich suchte nach Büros, die so aussahen, als hätten sie irgendwas mit Verschiffung zu tun. Und an der einen oder anderen Tankstelle hielt ich, um bei weiteren Navieras anzurufen. Von einer erhielt ich den hinweis, daß offene Ladung, ausschließlich von Trinity transportiert wird - soweit er wußte. Das hieß ja nun mal gar nichts, aber immerhin war es ein hinweis, dem man nachgehen konnte. Er hatte mir eine Nummer gegeben. Dort rief ich an und fragte nach dem Standort. Lieber hingehen, als am Telephon.
Nach etwa einer Stunde hatten wir Trinity gefunden. Ich fand mich auch kurz darauf wieder in einem Büro, von dem aus ich weiter in ein Zimmer geschickt wurde, in dem ein Typ saß, der offensichtlich nicht an Überbeschäftigung litt. Das war schon mal gut. Ich trug ihm mein Anliegen vor. Er war sehr freundlich, notierte alles, griff zum Fernsprecher und tätigte einige Anrufe. Das Ergebnis: So, wie ich das wollte, also mit offener Ladung verschifft Trinity ausschließlich nach Miami. Ob sie Passagiere mitnehmen, das wußte er nicht. Nein, danke. Lieber noch nach Kuba, aber für die USA habe ich das falsche Auto, nämlich einen PersonenKraftWagen, statt des benötigten PanzerKraftWagens. Abgesehen davon, daß uns die Amis eh nicht reinlassen würden. "Nenee, laß mal", sagte ich, "ich schau, was ich sonst noch kriegen kann..." Das gibt's doch nicht. Irgendeines von diesen Tausenden von Schiffen wird doch in der Lage sein, und über den Darién zu befördern. Ist ja lächerlich!
Das sah schon mal ganz gut aus. Aber leider nur ein Bild... |
Weiter. Und wieder stundenlanges Telephonieren. Ergebnisloses Telephonieren. Hier bekommt man mal einen Termin, dort geht gar nichts, wieder woanders soll man in einer, zwei oder drei Stunden, oder am nächsten Tag wieder anrufen. Da blickt doch keine Sau mehr durch. Meine Theorie: Einfach irgendwelche Leute anquatschen und hoffen, daß man an einen gerät, der jemanden kennt, der wiederum jemanden kennt.
Als ich das Telephon-Programm durchhatte, fuhren wir zum Einkaufszentrum, um im Internet nachzusehen, ob vielleicht wenigstens auf das eine oder andere eMail eine Antwort gekommen war. Mittlerweile war es schon wieder ein Uhr geworden. Meine privaten eMails zu lesen, konnte ich vergessen. Zu gespannt war ich auf Antworten von Navieras, außerdem mag man nicht unbedingt die eMails von der Liebsten in der Heimat lesen, wenn man überwacht wird. Ich hatte mir angewöhnt, diese auszudrucken und am Abend zu lesen. Bei den eMails bezüglich Verschiffung waren einige Antworten, allerdings nur Preise für Containerverschiffungen. Passagiere? Nein.
Bei Hapag-Lloyd kostete die Verschiffung beispielsweise 1.020 US$. Wenn sie Passagiere mitnehmen, meinetwegen, aber davon stand kein Wort da. Einfach überlesen oder ignoriert. Dabei war das eMail klar abgefaßt: Passagiere sollen mitfahren, das war die conditio sine qua non. Ich telephonierte mit einer deutschen Gesellschaft, in der auch ein Deutscher aus Hamburg arbeitete. Ich trug ihm mein Anliegen vor, und er bat mich darum, gegen vier Uhr wieder anzurufen. Das war bisher der ganze Erfolg, heute.
Auch von Tanja nichts neues, außer dem üblichen "soll ich oder soll ich nicht". Das geht nun schon seit Wochen. Langsam gab ich die Hoffnung auf. Einen dritten Platz zu besetzen, wäre schon aus Kostengründen begrüßenswert. Und besonders platzsparend ist sie anscheinend auch. Ob sie hübsch war konnte man an dem Bild nicht sehen, Gabi bejahte zwar, als ich sie fragte, aber das kann man fast schon als nein werten, denn Gabi findet alle hübschen Frauen häßlich - ist ja klar.
Ich rief nicht an, sondern fuhr einfach vorbei. Diesmal ging Gabi mit. Ich fragte an der Rezeption und wir wurden in sein Büro gebeten. Es war sehr geschmackvoll eingerichtet. Ringsum verglast. Zwischen der vertäfelten Wand und einem Monumentalen Schreibtisch aus Eiche saß ein älterer Herr in einem edlen grauen Zweireiher. Ich stellte mich vor als der Tourist, mit dem er vor einigen Stunden telephoniert hatte. Er hatte in der Zwischenzeit herumtelephoniert. Die Verschiffung des Autos sei kein Problem, aber bezüglich Passagieren war nichts zu machen. Die Flugtickets seien nicht teuer, wieso wir nicht einfach hinüberfliegen würden. Das wollte ich nicht. Ich wollte auf dem Schiff mitfahren. In Kolumbien, meinte er, stünden die Chancen besser. Jedoch würde er uns dringend davon abraten, dort hinzufahren. Er sei vor einigen Wochen mit seinem Segelboot die Küste entlanggefahren, und die Bilder, die er sah, sollen schrecklich gewesen sein. Ich wollte natürlich sofort eine genauere Beschreibung, vor meinem geistigen Auge tauchten 17 m hohe Blutfontänen auf und Ähnliches. Aber er ging nicht ins Detail. Er blieb dabei, daß es das beste sei, von Ecuador aus zu verschiffen, das Auto in einen Container zu stecken, und selbst nach Panama oder Costa Rica zu fliegen. Das war so ein typisches Gespräch, von dem ich eigentlich nicht wollte, daß Gabi es mitbekam. Aber das war nun geschehen, ich konnte es nicht ändern. Wir gingen also wieder zurück zum Auto. "Was das wohl für Bilder waren, von denen er gesprochen hat?", fragte ich mich. "Braucht uns nicht zu interessieren, weil wir nicht nach Kolumbien fahren...", war Gabis Antwort. "Aber der Eikka schreibt, es sei kein Problem", wandte ich ein. "Schön für den Eikka. Soll er doch hinfahren." "Der war da schon - und lebt immer noch." "Ja. Bloß weil ihm nichts passiert ist, heißt nicht, daß uns nichts passiert..." "Klingt logisch", stimmte ich ihr zu, "allerdings ist ihm in Ecuador auch nichts passiert. Heißt nicht automatisch, daß uns hier auch nichts passiert. Aber doch sind wir hier. Und letztes Jahr hast Du das gleiche über Bolivien gesagt. Und was war?" "Bolivien war was vollkommen anderes, das kannst Du nicht vergleichen!" Wie gesagt: Diskussionen mit Gabi Z. L. führen zu nichts. Warum verreisen Leute, die vor allem und jedem Angst haben? Da bleibt man doch leichter daheim... Und verletzt sich in der Küche, oder so. Ist auf jeden Fall billiger. Ich wollte nach Mexiko. Das war mein Hauptziel. Und ich hatte kein Geld. Wer zahlt, schafft an. So ist es nun mal, also hieß es für mich: Mund zu und durch.
Mit der Verschiffung wurde es jedenfalls heute auch wieder nichts. "Ist doch schon wieder alles Scheiße, verdammt!" Ich glaube es einfach nicht. Da war Abidjan ja ein Kinderspiel im Vergleich. Wir fuhren zum Supermarkt. Mich regte das nun auf. Es sieht so vielversprechend aus, und doch geht nichts. In Abidjan war es umgekehrt gewesen. Wie der erste Blick doch manchmal trügen kann...
Man könnte meinen, das Telephonieren sei meine Lieblingsbeschäftigung... |
Es war acht Uhr abends, wieder war ein Tag ergebnislos verlaufen. Wieder war nichts mehr zu machen bezüglich Verschiffung, daher kümmerten wir uns um die Ergänzung der Vorräte. Im Supermarkt traf ich die beiden Schweizer wieder. Die hatten ihr Auto wieder, ergänzten auch gerade Vorräte und dann konnte es weitergehen. Wir waren hingegen festgefahren, so scheint's...
Nach dem Einkauf fuhren wir zum Hafen. Vielleicht gab's da was. Wir kamen um halb Zehn dort an. Ich lief noch ein wenig umher nd hoffte, irgendjemanden zu finden, der irgendwas zu Melden hätte. Aber erwartungsgemäß geschah kein Wunder. Ich ging zum Auto zurück. Gabi war mittlerweile mit dem Kochen fertig. "So ein Dreck! Wenn das so weitergeht, sitzen wir nächstes Jahr noch hier fest...", sagte ich, "Vielleicht sollten wir es doch in Kolumbien-" "Nein!" "Wieso nicht?" "Wir fahren nicht nach Kolumbien und fertig!" Hier wieder der typische Fall. Davon hat mir Erwin in Brasilien schon erzählt. Auch er war in Kolumbien. Er war begeistert. Und genau diesbezüglich meinte er: Wenn Du Leute unterwegs triffst, dann sagen sie Dir: "Fahr da nicht hin. Da ist es gefährlich!" Fragt man sie aber, ob sie selbst dort waren, also, ob sie aus eigener Erfahrung sprechen, wird die Antwort in den meisten Fällen Lauten: "Nein. Da kann man nicht hinfahren - ist ja gefährlich." Keiner von denen, die uns von Kolumbien abrieten, war selbst dort. Und die zwei, die dort waren, die rieten mir nicht davon ab. Im Gegenteil: Fahr hin, es ist ein wunderschönes Land..." Aber gabi wußte genau, daß es gefährlich war - obwohl sie selbst noch nicht dort war. Da fand ich keinen Ansatzpunkt. Die Antwort würde wahrschenlich lauten: Nur, weil den beiden nichts passiert ist, heißt das nicht, daß uns auch nichts passiert..." Das stimmt so auch, aber es bleibt eine Nullaussage. In Kolumbien mässen die Chancen besser sein, als hier. Das grenzt an Panama an, da wird sich doch irgendeine Nußschale finden, die uns und das Auto nach Panama fährt - oder sonstwo nach Zentralamerika. Aber der Weg ist schon von vornherein versperrt. Mit Argumenten ist da nichts zu wollen...
Was konnte man tun? Nichts, außer abwarten und sehen, was passiert. Wir blieben über Nacht am Hafen. Was soll's. So sind wir in der Früh gleich da und ich kann mich direkt am Hafen umsehen, vielleicht ein Schiff finden, das uns mitnimmt und dann erst die entsprechende Reederei anquatschen, mit der Zusage des Kapitäns in der Tasche. Es gibt für solche Situationen keinen Plan, nach dem man vorgehen kann, kein allgemeingültiges Rezept - ich habe online danach gesucht. Immer nur Berichte von Leuten, die damit gescheitert waren, und die letztenendes doch fliegen mußten. Wir legten und schlafen. Ich lag auf dem Dach und überlegte, wie es weitergehen sollte. Ich war mit meinem latein am Ende. Nichts schien zu funktionieren. Zentralamerika war plötzlich so weit weg. In diesem Augenblick fühlte ich auch den letzten Rest Hoffnung schwinden. Mittlerweile war Freitag angebrochen. Am Wochenende geht sowieso nichts. Einen Tag hatten wir also noch, an dem sich vielleicht etwas erreichen konnte. Ich blätterte im KTB. Ich hatte darin jede Menge Telephonnummern und Adressen von Transporteuren, blickte selbst nicht mehr durch, weil oft nur eine Nummer dastand. Ich wußte nicht, ob ich da schon angerufen hatte - vermutlich schon. Aber zu welcher Gesellschaft die Nummer gehörte, oder wie ich mit denen verblieben war - keine Ahnung. Ich bin doch der planloseste Depp auf Gottes Erden. Damit konnte keine Sau etwas anfangen. Ich ließ das kleine schwarze Buch von Swissair zwischen Sandbleche und Ersatzreifen fallen und legte mich wieder hin. "Fuck! So wird das nichts", dachte ich mir und steckte die nächste Zigarette an. Ein paar hundert Meter trennten uns von einem Schiff, das nach Panama fährt, aber wir kamen einfach nicht ran. Es war zum Verzweifeln.
Ich schlief dann irgendwann ein. Geweckt wurde ich von einem Uniformierten gegen drei Uhr nachts. Der meinte, wir könnten nicht einfach hier parken und schlafen. "Nicht? Ja, wie? Wo soll ich denn hin? Kann doch jetzt nicht Kilometerweit fahren, muß morgen hier am Hafen sein, und darf auf keinen Fall zu spät kommen", erzählte ich ihm. Er ließ mich auf der anderen Seite des Parkplatzes bleiben. Das war schon mal gut, deshalb verzichtete ich auf weitere Diskussionen. Dort hinten war es sowieso viel besser, denn hier rollte der ganze Schwerlasverkehr nur zwei Meter am Auto vorbei. Dort schien es etwas ruhiger zu sein.