Gleich in der Früh ging es weiter. Wir fuhren die Piste entlang, die eigentlich recht gut war. Der Gedanke, daß sie deswegen so gut war, weil sie kaum befahren ist, der kam meinem Spatzenhirn nicht im Ansatz. Irgendwann standen wir vor einem Firmengelände. Ich fragte nach, wo denn die Grenze sei. Man schickte uns zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren. "Das darf doch nicht wahr sein!" Auf der Straßenkarte ging die Straße durch, ohne Chile zu berühren, immer auf argentinischer Seite. Aber das hier schien wohl ein besonderes Gebiet zu sein, ich weiß nicht, ob hier Öl oder Kupfer oder Sonstwas gewonnen wurde, jedenfalls endete die Straße an einem großen Eisentor. Wir fuhren also zurück nach San Sebastian, ich fluchte den Ganzen weg, Almut und Ines störte es überhaupt nicht. "Ist doch schön. Wer weiß, ob wir in unserem Leben jemals wieder hier hergekommen wären..." Schaut doch eh alles gleich aus. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich die beiden kennenlernte, damals in Libyen. Ich war besoffen von dem Drang, den Daimler über alle Pisten dieser Welt zu jagen, das war für mich das Schönste, was es gab, der Inbegriff der Freiheit schlechthin. Mittlerweile hatte ich diesen Drang mehr als gestillt, nachdem der Daimler tausende und tausende von Kilometern auf jedem erdenklichen Untergrund zurückgelegt hatte. Sand, Kies, Steine, Schlamm, Erde, Eis, Wasser, komme, was da wolle... Und Südamerika hielt noch einiges versteckt. Da freut man sich über jeden Fetzen guten Asphalts. Aber gut muß er sein, denn nach wie vor sind gute Pisten schlechtem Asphalt vorzuziehen.
Das letzte Nachtlager auf Feuerland. |
Wir erreichten die argentinische Grenze und reisten aus. Es war 14:30 Uhr. Unser dämlicher Ausflug an die nicht vorhandene Grenze hatte uns fast einen ganzen Tag gekostet. Ich fragte nach drei verrückten Motorradfahrern. "Ja, die sind heut morgen hier vorbeigekommen." Die waren also längst über alle Berge. Eine halbe Stunde später waren wir an der chilenischen Grenze. Auch diese bereitete keine Probleme, es gibt überhaupt keinen Grund, sie zu vermeiden, die ist ohnehin nur pro forma hier, gerade, daß sie einem den Paß stempeln.
Mexiko... Laut Wegweiser in Ushuaia waren es bis da hin 8771 km Luftlinie. Vorher
noch Brasilien und ich wollte und wollte die Patagonienfahrt auf keinen Fall
beenden. Die Angst vor 2000 km allein durch Südbrasilien steckte mir jetzt
schon in den Knochen. Dieses riesige Land ist nur deprimierend und sonst nichts.
Ganz anders als Argentinien, hier kann man sich auch in der unendolichsten Endlosigkeit
wohlfühlen, aber dieses Grün dort oben, das den Blick versperrt, das
lastet auf einem, als ob man in einem dunklen Raum eingesperrt wäre und
alles rennen nichts hülfe.
Wir kamen an der Magellanstraße um 17:30 Uhr an. Alles stand. Die Fähren
lagen in der Mitte des Kanals. Ich stieg aus, um zu ergründen, was da los
sei. "Ebbe, die Fähren können nicht anlegen." "Wie?
Was soll das denn? Ebbe ist jeden Tag, das berechnet man doch ein, wenn man
eine Anlegestelle baut. Sind ja hier nicht im Kongo oder in Brasilien."
Man erklärte mir, daß es sich um eine besondere Ebbe handle, die
nicht besonders oft vorkäme. Keiner wußte, wann es weiterging. irgendwann
eben, aber es kann sich nur um Stunden handeln, bis die Flut wieder einsetzt.
Nun, gut, wir warteten. Was sollten wir auch anderes tun? Wir standen in zwei
Reihen, neben uns standen die fünf Chevys mit asiatischen Kennzeichen,
die wir schon in Ushuhaia gesehen hatten. Alle Expeditionsmäßig ausgerüstet,
das einzige, was sie nicht hatte, waren anständige Autos. Aber sie befanden
sich tatsächlich auf einer "Pole to Pole Expedition." Ich quatschte
ein Besatzungsmitglied auf Englisch an. Sie waren aus China, würden von
Feuerland bis Alaska fahren und täglich Berichte für das chinesische
Staatsfernsehen via Satelit heimschicken. Ob die Autos das denn auch mitmachen
würden, wollte ich wissen. Mit den Autos waren sie nicht sehr zufrieden,
dauernd war irgendwas kaputt und es ließe sich unterwegs schlecht richten.
Die nächste Station sei São Paulo, da müßten sie hin,
um einige Ersatzteile zu besorgen und um die Autos mal wieder instandsetzen
zu lassen. Sie waren aber nicht, wie ich annahm, hierher gefahren, sondern sie
hatten nach Punta Arenas in Chile verschifft, also gerade mal ein paar hundert
Kilometer zurückgelegt. Die Autos waren in China hergestellt, aber 40%
der Teile kämen aus Brasilien.
Es brausen die Motoren, der Wellen Donner
hallt Und zwischen dem Getöse ein trautes Lied erschallt: "Mein liebes Schätzelein, ich wollt' Du wärst bei mir Viel tausend Grüße send ich Dir, aus meinem Feldquartier..." |
"Nun wissen wir, warum die jetzt schon auseinanderfallen. Ist ja klar." "Wieso?" "Weil eben 40% der Teile aus Brasilien sind. Das sind wahrscheinlich die 40%, die jetzt schon kaputt sind. Aber ich warte dann dort auf Euch, vielleicht sehen wir uns in São Paulo nochmal." Wieso ich denn nach São Paulo fahre und ihnen abrate, überhaupt nach Brasilien zu fahren? Ich erzählte ihm die Geschichte in Kurzform, woraufhin er meinte, daß er schon seit 20 Jahren in São Paulo leben würde. "Dann müßtest Du eigentlich ganz gut Portugiesisch können, oder?" "Besser als Chinesisch, ich bin nämlich 22, also mit 2 Jahren nach Brasilien gekommen." Wir wechselten Sprache: "Kannst Du mir dann bitte erklären, warum wir uns hier seit bald einer Stunde auf Englisch zu unterhalten versuchen?" Er fragte mich dann, woher ich wirklich sei. Das sei kein São-Paulo-Dialekt, eher die Gegend Piracicaba, Campinas, Americana. "Ja, Campinas. Woran hast Du das gemerkt?" "An diesem furchtbar baurigen R. Schrecklich!", meinte er lachend. In Rio und in den meisten Gegenden Brasiliens benutzt man das kehlige, weiblich-französische aber stimmlose R, in São Paulo und im Süden das auf der Zungenspitze gerollte, aus dem portugiesischen Portugiesisch gebliebene, bayerisch oder italienisch klingende R und im Hinterland das behinderte, angelsächsische R. Soviel zu dem kleinen Ausflug in die portugiesische Sprachruine. Ist ja nur eine Abart der spanischen Sprache, wenn man es genau nimmt. Wir flüchteten dann vor dem stärkerwerdenden Wind in die warme Stube und tranken einen Kaffee auf Kosten des chinesischen Staatsfernsehens. Kurz vor dunkelwerden erscholl der Ruf: Die Fähre legt an! Alles ging zu den Autos, die Motoren liefen an. Langsam schlich die Fähre näher, legte an und binnen Minuten war sie voller Autos. Die Uhr zeigte 21:30 Uhr an. Sechs Stunden Warterei. Aber alle haben es überlebt. Alles kein Problem. Man konnte regelrecht beobachten, wie die Fähre unter der Last immer tiefer sank. Da standen wir dann an Deck, das Sturmband am Kinn, die Muskeln gestrafft, Hände tief in den Jackentaschen vergraben und schrien gegen den Sturm an. Das eine oder andere mal zeigte sich ein Tier im Wasser, ob es Killerwale, Delphine oder Robben ware, das konnten wir nicht feststellen. Es war nicht kalt, aber extrem stürmisch, obgleich wir ziemlich nah beieinanderstanden müßten wir uns anbrüllen. Die Almut kann das ja nicht, also blieb die Unterhaltung mehr so zwischen mit und Ines. "Das wär was, wie?", brüllte ich ihr in's Ohr, "So ein Wetter, und dann kein Schiff unter den Füßen! Und in jeder Hand 'nen schweren Koffer!" Sehr viel wichtiges hatten wir uns eh nicht zu sagen. Ines hatte sich mal darüber aufgeregt, daß ich sie als Financier hingestellt hatte, also mußte ich genau in diese Kerbe reinhauen. "Wer zahlt schafft an", "Wes Brodt ich eß', des Lied ich sing'", "Ich bin nur der Fahrer", "Stets zu Diensten". Wollte nur feststellen, ob mein Talent, Frauen zur Weißglut zu bringen, im Ernstfall immer noch funktionieren würde.
Es setzte auch leichter Regen ein, aber auf den kam es auch nicht mehr wirklich
an. "Rüber, rüber, über den Kanal..." Für die
Fahrt von einer knappen halben Stunde hatten wir stundenlang gewartet, aber
so scheint es immer zu sein. Macht nichts. Die Krise in Argentinien schien in
wollem Gange zu sein, denn der Argentinische Peso, der dort mit aller Gewalt
auf ein Dollar gehalten wurde, war hier auf der Fähre schon wieder gefallen.
15 US$ oder 25 argentinische Peso. Auf der Hinfahrt waren es noch 21 gewesen.
Nach dem Ausschiffen wünschten wir und die Chinesen uns gegenseitig alles
Glück der Welt und fuhren dann los. Bald hatten wir einander verloren.
Zwar fuhren wir schon in die selbe Richtung - es gab ja nur eine - aber sie
waren wesentlich schneller. Noch waren sie das...
Ein paar Vogel-Strauß-Ähnliche Kreaturen kreuzten unseren Weg. Wir
erreichten bald auch wieder die Grenze und waren wieder in Argentinien. Wir
hatten auf der Fahrt insgesamt acht mal eine Grenze überquert, aber irgendwie
effektiv nichts davon mitbekommen. Nur hinten links begann am Auto irgendwas
zu scheppern. Ich untersuchte das. Das innere Blech schleifte an der Felge.
Das ist schlecht, denn wenn es schon an der Felge schleift, dann dauert es nicht
lang und der Reifen ist dran. Ich bog es zurück, sogut es ging. Der Baum
hatte mehr Schaden angerichtet als man auf den ersten Blick vermuten wollte.
Aber nur nicht zu sehr nachbohren, wenn wirklich etwas Wichtiges kaputt ist,
dann will ich es gar nicht wissen. Nur Augen zu uns so tun, als wäre nichts.
Und der hintere linke Reifen war völlig porös und rund um die Lauffläche
schaute der Draht heraus. Lange würde er es nicht mehr machen, Wir mußten
für einen neuen, idealerweise auch noch für einen Ersatzreifen sorgen,
denn diese Kiespisten, die wir noch nicht ganz überwunden hatten, sind
Reifenkiller.
Karge Vegetation, bedeckter Himmel bestimmten das Bild, und unaufhörlich wechselte sich starker Wind mit Sturm ab. Wenigstens blieb der Asphalt gut. Wir fuhren durch die Nacht und fanden erst kurz nach Mitternacht neben einer Piste, neben der scheinbar eine Gaspipeline verlief, einen Nachtplatz. Wir waren nicht weit von Rio Gallegos (S 51° 49,002 / W 69° 22,730). Die Kilometerausbeute an diesem Tag war mager. Nur 287 davon, aber das hatten wir hauptsächlich der höheren Gewalt zu verdanken. Mich störte das überhaupt nicht, denn wenn die beiden ihr Flugzeug verpaßen, dann fänd ich das umso besser. Wieder begann das gleiche wie damals in Libyen. Ich freute mich über jeden Kilometer, der am Tagesende fehlte. Alles, wo es nur geht herunterbremsen, am besten wäre es, wenn durch höhere Gewlt eine weiterfahrt verunmöglicht würde. Die Gegend hier unten ist einfach zu schön. Deswegen nahm ich es auch so ruhig und insgeheim sogar etwas erleichtert zur Kenntnis, daß der hintere linke Reifen innen schon am Rande des Berstens war. "Macht nichts, wenn wir in der Pampa liegen bleiben, dann verpaßt ihr Euren Flug und wir können noch einen Monat hier in der Gegend rumkacheln..."
Die Reifeninnenseite war völlig abgefahren. |
Ersatzreifen hatten wir keinen mehr. Zumindest keinen einsatzfähigen. Ich weiß es selbst und ich empfehle es immer wieder in recht klugscheisserischer Art allen Leuten, die mich um Ratschläge angehen: "Spar ja nicht an den Reifen, an allem anderen kannst Du sparen, aber bloß nicht an den Reifen." Ein zweites Libyen-Fiasko haben wir seither zwar nicht mehr erlebt, aber man weiß, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis es einen Reifen nach dem anderen verreißt. Verreißen muß, denn irgendwann ist natürlich Schluß... Klar. Hält die Reifenwand nicht mehr. Und diese Reifen sind immer noch die selben gewesen, die der Benz anhatte, als wir in Augsburg losgerollt waren. Einer nach dem anderen war nun fällig und einer nach dem anderen wurde durch billigen Ersatz abgelöst, das heißt, wenn der letzte ersetzt ist, dann geht das Theater gleich nahtlos von vorne wieder los. Aber was soll's. Patagonien präsentierte uns in dieser Nacht noch einen herrlichen Sternenhimmel.