Panamericana-Tour 2002
Mittwoch, 11. September

Morgens mußte ich zunächst verpennen. War klar. Bin Termine nicht mehr gewohnt. War ich eigentlich nie. Um Sieben wollte ich bei ECl sein, kam aber erst um halb Neun los und um Neun dort an. "Alles kein Problem", sagte die Frau. Sie erklärte mir, daß Evergreen sich inzwischen gemeldet hatte, und daß keine Passagiere mitgenommen werden konnten. Das hatte ich mir gedacht. Also doch fliegen. Das Auto kommt am Samstag oder Sonntag in Panama an. Am Montag mußten wir dort sein. Wenn sich also bis spätestens Samstag nichts mit der Schiffspassage tat - und es sah nicht danach aus - mußten wir fliegen.

Express Cargo Line
Zwei Mitarbeiter von ECL. Xavier hieß er, sie Ines.

Ich fuhr mit Xavier hinaus zum Zollager. Um 9:00 Uhr waren wir dort. Der Container Kam kurz darauf auch an - ich sage doch: ich bin nie pünktlich, aber fast immer rechtzeitig. Es war ein Evergreen-Container mit der Kennung EISU 144875 [1]  /  PA 4310. Nun war der Container da, das Auto stand schon länger unmotiviert in der Gegend umher. Ich ging zudem netten Zollmitarbeiter von neulich, in seinem orangenen Overall und seinen weißen Bauarbeiterhelm und sagte: "Nun, laß uns anfangen, oder?" Er schüttelte den Kopf. "Wieso? Was fehlt jetzt?" "Der Gabelstapler", sagte er. Ich sah den LKW mit dem aufgeladenen Container, den Daimler... Recht hatte er. Wie soll man den da hinaufbringen? Blöd... Also war ich wieder zu früh dran. Da hätte ich noch ein paar Stunden weiterschlafen können, denn es hieß, der Gabelstapler käme am frühen Nachmittag. Das ist gut, bedeutet es doch, daß er irgendwann vor Feierabend eintreffen müßte. Mir fiel auf, daß ich in meiner Schussligkeit die ganzen Papiere im Hotel gelassen hatte. Ich fragte nach, ob ich die überhaupt bräuchte. "Ja." "Na, gut, dann fahr ich schnell und hole sie. Bin in ein, zwei Stunden wieder da."

Ich nahm ein Taxi. Mittlerweile war es zwanzig nach Zwölf. Wie die Zeit vergeht. Ich ließ den Taxifahrer warten, stieg aus, klingelte, holte die Papiere und war schon wieder auf dem Weg zum Auto, als ich Gabi vernahm: "Wo fährst Du jetzt hin?" "Zum Zollager zurück!" "Wann kommst Du wieder?" Was für eine idiotische Frage! "Ich weiß nicht, ich hab meine Schablone vergessen!" "Red doch nicht immer so einen Scheiß daher", fuhr sie mich an. Yoyo meinte: "Mensch, Kinder, seid doch friedlich!" Die ist und bleibt an Dummheit einfach unübertroffen. Ich hatte keine Lust, weiterzudiskutieren und ging zum Taxi. "Und wieder zurück zum Zollager, bitte."

Um 13:20 Uhr waren wir wieder da. Eine Stunde - nicht schlecht. Zwanzig Minuten später tauchte auch der Gabelstapler auf. Ich warf den Diesel schon mal an. Der Staplerfahrer verschwand kurz im Büro, um irgendeine Schreiberei zu erledigen und um sich einen Kaffee zu holen. Den trank er auch in aller Seelenruhe aus, bevor er sich ans Werk machte. Was soll's? Es gibt keine Eile. Und es tat gut, unter normalen Menschen zu sein, bei denen alles so lange dauert, wie es eben dauert, und die sich nicht wie Geisteskranke benehmen, wenn mal etwas fünf minuten länger dauert als geplant. Geplant wird hier nicht, damit fängt es schon mal an. "Na, prima. Sieht aus, als würde alles hinhauen, soweit", stellte ich fest. "Keine Sorge", sagte der im orangen Overall. Sein Name war Arturo. Er war in meinem Alter, machte einen ruhigen, aber auch irgendwie traurigen Eindruck. Er fragte immer, wie es in Europa sei. Er wollte gerne dort hin, um seine Familie besser versorgen zu können. Seine Schwester war noch zu jung, seine Mutter zu alt zum arbeiten, und was er hier verdiente reichte gerade so. Abends geht er zur Schule und versucht sein Wirtschafts-Examen nachzuholen. Er machte auch gar keinen dummen Eindruck. "Es geht los", sagte er, und zeigte mit dem Kinn auf den Stapler.

Nun kam mein Einsatz. Ich stieg in den Daimler und fuhr rückwärts vor den LKW und wartete, daß der Stapler das Auto hineinhob. Wie bescheuert. So geht es natürlich nicht. Arturo kam und sagte: "Der Container kommt hinunter, nicht das Auto hinaus. Da geht ja alles kaputt! Also: Er hebt nun den Container vom LKW hinunter. Fahr das Auto hinein, in die Mitte vom Container und bleib auf der Bremse, bis der Container auf dem LKW ist". Nun hatte ich es kapiert. Eigentlich logisch, aber denken ist auch meine Stärke nicht.

Die Verladeprozedur im Zollager Cartagena.
Der Stapler machte sich daran, den Container auf den Boden zu bringen.

Der Stapler, ein riesiges Teil, fuhr an den LKW heran, hob den Container an, fuhr einige Meter zurück und stellte den Container neben den Laster. Ich fuhr rückwärts in den Container hinein, blieb in der Mitte stehen, und trat auf die Bremse, wie mir befohlen wurde. Dann hob der Stapler das Ensemble wieder an und stellte es auf den LKW. Ein paar mal rummste es noch, er hob noch ein paar mal an, wohl um die Boppel zu treffen, die auf der Aufnahme des LKW waren, damit der Container fest saß. Erst als man mir ein Zeichen gab, parkte ich das Auto ein, und zwar ganz vorne rechts.

Dann ließ ich mir ein paar Bohlen, Nägel und einen Hammer geben und fixierte den Daimler so, wie ich es in Afrika gelernt hatte: Vor und hinter jedem Rad eine Bohle, quer zur Fahrtrichtung, dann auf diese beiden Bohlen eine weitere längs zur Fahrtrichtung an das jeweilige Rad geschoben. Das sollte halten. Dauerte auch nicht lange. Um 13:50 Uhr war der Daimler verladen und fixiert. Ich überwachte noch den weiteren Verladevorgang. Die Kisten, die auf den Daimler gepackt wurden, stellte ich selbst dort hinein. Nicht, daß mir so eine auf dem Weg zum Hafen oder während der Verschiffung umfällt und mir die Heckscheibe zertrümmert.

Fertigverladen
Da stand er nun, inmitten weicher Kisten mit unbekanntem Inhalt.

Das war nun anstrengent. Ich soff einen Liter Cola aus und mir rannte die Soße hinunter. Aber es war geschafft. Der Daimler, und alles, was darauf oder daneben verstaut wurde, waren im Container. Der Rest ging mich nichts an. Das übernahmen die Jungs. Einer spendierte mir sogar eine Cola dafür, daß ich mitgeholfen hatte.
Ich fragte Arturo, was die Zollinspektion nun gebracht hätte. Theoretisch hätte man danach ja alles Mögliche hineinschmuggeln können. Aber er erklärte, daß es sich dabei nur um eine Art Voruntersuchung handelte. Da wurde nur geprüft, ob das, was auf den Papieren angegeben ist, auch verschifft werden darf. Ob das, was im Container ist, auch mit den Papieren übereinstimmt, das wir im Hafen selbst überprüft. "Wie? Alles nochmal raus?", fragte ich entsetzt. "Ja. Der wird hier vom Zoll versiegelt, dort wird das Siegel gebrochen und dann gehen die Anti-Narcóticos, also die Drogenfahnder an den Start und nehmen alles nochmal auseinander. "Wie gründlich sind die?" "Sehr gründlich."
Ich dachte schon, es sei überstanden, aber das war noch nicht der Fall: Die 38er unter dem Armaturenbrett. An die kam ich nun auch nicht mehr ran. Aber ich war zuversichtlich. Außer mir wußte keiner, wo sie war. Hinhängen konnte mich keiner, und die Wahrscheinlichkeit, daß sie bei einer Sichtprüfung finden ist gleich Null. Anders sieht es natürlich aus, wenn sie diese Geräte zum durchleuchten benuten, wie man sie an Flughäfen findet. Aber das war unwahrscheinlich. Nachfragen wäre keine gute Idee gewesen. Ich mußte es einfach drauf ankommen lassen. Wird schon schiefgehen...

Um halb Vier war alles verladen und der Container versiegelt. Es konnte losgehen zum Hafen. Da mußte der Fahrer sowieso hin und ich dachte mir, ich könnte da gleich mit und versuchen, herauszufinden, auf welchens Schiff der Container verladen wird und da gleich mit dem Kapitän sprechen. Ich fragte den Fahrer, ob er mich zum Hafen mitnehmen konnte. "Klar! Steig ein!", sagte er. Ich sprang hoch, rutschte aus, schlug mir das Knie an, fiel wieder auf die Straße, schrie ein paar Flüche in die Gegend und stieg wieder ein. "Aua!" "Alles klar?" "Jaja, paßt schon... Scheiße! Fuck!" Er fuhr los. Wir waren noch gar nicht weit vom Zollager, vielleicht einen oder anderthalb Kilometer, da hielt er an und sah in den Rückspiegel, als würde er auf etwas warten. Ich sah in den Rückspiegel an steuerbord, sah einen LKW, der kurz aufblinkte. Dann nochmal. Der Fahrer antwortete, indem er die Hand aus dem Fenster hielt. Dann gab der andere LKW plötzlich Gas, hielt auf uns zu. Ich kapierte auch nicht ansatzweise, was gerade abging. Der andere hielt so, daß die beiden Fahrer sich unterhalten konnten. "Hast Du es?", fragte der eine. "Ja. Alles da", er griff nach dem Papier, das auf dem Armaturenbrett lag und reichte es dem anderen Fahrer, der ihm wiederum ein anderes Papier gab. Beide waren nun mit der Durchsicht des jeweils erhaltenen Papiers beschäftigt. Ich schoß ein Photo. Ohne Blitz und von außerhalb des Sichtfeldes des anderen Fahrers.

Zettelaustausch
Seltsamer Papieraustausch.

Ich fragte gar nicht nach, was das war. Wahrscheinlich etwas ganz Harmloses. Aber das hätte man auch normal machen können, oder? Er fuhr zum Hafen, sagte zu mir, daß ich vorher aussteigen müsse. Ich sagte: "Nein. Die bei ECL haben gesagt, ich muß mit hinein." "Achso...", sagte er dann, und fuhr weiter. Das stimmte zwar nicht, aber man kann es ja mal sagen. Wenn ich erst mal drin bin, bin ich drin und kann schauen, ob da was geht. Am Hafeneingang fragte die Wache nach, wieviel Personen sich im LKW befänden. "Dos!", sagte der Fahrer. "Die Permisos, bitte!" Der Fahrer reichte ihm seinen und fragte mich nach meinem. Ich gab ihm meinen Paß. Er gab ihn weiter. Nach ein paar Sekunden drehte er sich um und sagte, der Typ wolle mich sprechen, und gab mir ein Zeichen, außenrum zu gehen. "Das hier ist ein Paß. Hast Du einen Permiso?" "Nein, aber es hat geheißen, daß ich mit in den Hafen muß wegen der Zollinspektion", sagte ich daraufhin. Den Fahrer gab er ein Zeichen zum Anfahren, mich schickte er in das Verwaltungsgebäude. Dort sollte ich mir einen Permiso holen. Das hat nicht funktioniert... Wollte mir weismachen: "Ganz einfach geht das. Mit einem Trick. Einfach durchsacken lassen..." Gar nicht schlecht, der Trick. Bloß... klappen muß er.

Ich also zurück zum verwaltungsgebäude und dort irgendwie versucht, ein Permiso für den Hafen zu bekommen. Auf die platte Tour, weil mir gerade nicht besseres einfiel. Und Ideen hatte ich nie wirklich die besten. Ich ging an einen freien Schalter und bat um einen Permiso. "Wozu, und für welche Firma?", war die Frage. "Keine Firma. Für mich, halt.", sagte ich, ganz plump. "Sie können doch nicht einfach in den Hafen! Was wollen Sie da?", fragte sie etwas verwirrt. "Nun, mein Auto ist da gerade hineingefahren und ich will mit." ich schob ihr die Papiere hin. "Sie müssen zu dieser Firma gehen und die sollen für Sie einen Zollagenten kontaktieren, über den bekommen Sie ein Permiso. Aber einfach so, hopplahopp, das geht nicht. Das hier ist alles Sicherheitszone. Tut mir Leid."

Beim Rausgehen bemerkte ich ein Schild, an dem unter anderen "U.S. Embassy" und "Drogas" zu lesen stand. Alles klar. Hier hatten als auch die Amis die Finger im Spiel. Hier lief nichts, mit ein paar Bestechungsdoller, wie in Ecuador. Hier muß entweder der richtige Betrag her oder das richtige Papier. Beides hatte ich nicht. Mir blieb nicht anderes übrig, als zum Hotle zurückzufahren. Wenigstens war das Auto in Sicherheit. Das war gut.

Bevor ich zum Hotel zurückging, ging ich noch ein wenig durch die Stadt. Als ich ankam, war Gabi gerade mit Kochen beschäftigt. Da wurden nicht nur die Nudeln aufgewärmt, sondern auch der kleine Ausbruch von heut Nachmittag. Sie versuchte mir zu erklären, daß sie mich nicht deswegen fragte, wann ich zurücksei, um mich zu nerven, sondern weil sie die Verschiffung schließlich auch etwas anginge und sie überhaupt nicht auf dem laufenden war. Zu jeder Zeit, mit jedem normalen Menschen, hätte ich mich nun auf ein ernsthaftes Gespräch eingelassen. Aber in diesem Falle hatte es einfach keinen Sinn. Sie würde es eh nicht kapieren, warum also meine Zeit verschwenden, um einem Auto zu erklären, wie man einen Baum hochklettert? "Hast Du immer noch nicht begriffen, daß ich nun mal nicht sagen kann, wann ich wo bin. Das kann ich in Deutschland schon nicht, wo alles pünktlich ist. In Ländern, in denen '13 Uhr' soviel heißt wie 'zwischen jetzt und später', kann ich Dir erstrecht nicht sagen, wann ich wo bin. Check's halt!" "Ja, das ist mir schon klar, aber..." "Was soll dann die Frage?" "Ja, ungefähr! Wenn Du sagst, Du kommst in einer Stunde und brauchst dann drei, ist es ja kein Problem. Nur einen ungefähren Anhaltspunkt..." Es hatte keinen Sinn. Soll morgen mit zum Hafen, dann wird sie schon selber merken, daß es auch 10 Stunden werden können, wenn man annimmt, es könnte eine Stunde dauern. Warum? Ist halt einfach so und aus. Mit dem Warum kann sie sich meinethalben gerne die restlichen neun Stunden befassen - solange sie mich nicht streßt...
Abends ging Gabi hoch zum Canasta-Spielen und ich nutzte die Gelegenheit, um unbemerkt im Internet zu versumpfen. Das Wäschewaschen schenkte ich mir. Hat keinen Sinn. Nach zehn Minuten ist sowieso wieder alles tropfnaß - wenn es überhaupt über Nacht trocknet... Lieber der holden Maid in weiter Ferne noch ein paar Zeilen schreiben...


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© by Markus Besold