25. bis 31. August 2003

Flaute... Die Zeit verrinnt. Deadline ist der 27. September, bis dahin muß ich aus dem Land sein, ansonsten gibt es zwei Möglichkeiten: Ausreisen und zehn Jahre Einreiseperre in Kauf nehmen, anschließend in Lateinamerika abgratteln, denn nach Deutschland ist der Weg versperrt. Oder im Land bleiben, bis sie einen Erwischen, allerdings ohne Auto und mehr oder weniger im Untergrund. Und das kann ich in Deutschland auch haben, sogar bequemer, also wird hier termingerecht ausgereist.
Nach und nach fallen einem hier die Sachen so auf, an die man erst gar nicht denkt. Zum Beispiel habe ich seit ich hier eingetroffen bin nicht eine einzige Mücke gesehen. Nicht eine. Ich kann mich noch erinnern an diese Plagen, die mich in Playa in Kombination mit dem Rest fast in den Wahnsinn trieben. Je länger ich mich in L.A. auffhalte, desto mehr fange ich an dieses verfluchte Playa del Carmen zu hassen. Und mich selbst auch, wie konnte ich Vollidiot nur in jenem vermaledeiten Kaff zwei Monate meines Lebens verschenken. Verschenken ist falsch, ich hab dafür sogar noch teuer bezahlt. Aber, so las ich kürzlich im Löwen: "Alle Menschen sind klug - die einen vorher, die anderen nachher." Mir hatte Paul aus Canada geschrieben, ich sei direkt aus dem Fegefeuer in die Hölle gefahren, als ich ihm bberichtete, ich wäre in L.A. Wenn das die Hölle ist, dann bin ich mal auf das Paradies gespannt. Ich wage zu behaupten, daß es da Leute gibt, die einiges Falsch machen. Die einen suchen das Paradies im World Trade Center, die anderen im Mittleren Osten. Einige scheinen es wenigstens begriffen zu haben und haben sich hier niedergelassen. Armenier, Juden, Araber, Chinesen, Russen, Europäer, alles, was man sich vorstellen kann lebt hier und es scheint besser zu klappen, als anderswo. Samuel Rosenblatt kann in einen Bus einsteigen, ohne Angst haben zu müssen, daß der Bus von Mohammed Said in die Luft gesprengt wird, weil der wiederum keine Angst zu haben braucht, daß seine Bude von Baggern plattgemacht wird und seine Kinder in Notwehr erschossen werden. Klar gibt es auch hier Kriminalität, aber meiner Meinung nach ist es nicht so wild, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Mexiko City oder Sau Paulo würden für die Leinwand mehr hergeben.

Es gibt auch viel .Armut in L.A. Das bild ist etwas Alltägliches.

Aber wo viel Licht, da viel Schatten. So ist es nun mal. Nur ist es hier leichter, wieder hochzukommen, wenn mal einmal hinten unten ist. Das steht fest. Der Staat hilft nicht viel, aber er stört auch verhältnismäßig wenig. Der Umgangston ist wesentlich freundlicher als in Europa, dieses bewußte Wegsehen habe ich bisher nicht wahrgenommen. Es wird mir auch hier und da erzählt, daß Kalifornien nicht mit USA gleichzusetzen ist. Das mag sein, vielleicht bin ich ausgerechnet auf der Rosine des Kuchens gelandet. Das Bild wird sich mit der Zeit ändern, aber momentan ist das hier der Platz, der allen anderen den Rang abgelaufen hat, der Platz, der mir am besten gefällt und an dem ich mir vorstellen könnte, zu bleiben. Für unbestimmte Zeit. Es paßt einfach alles. Man ist auf sich selbst gestellt, aber man kann was machen. Nicht auszudenken, wie es mir wohl ergangen wäre, wäre ich noch ein paar Wochen in Mexiko gesessen und mein alter Herr hätte mir ein eMail geschickt, daß die Kreditkarte gesperrt sei. Insofern hat es das Schicksal wohl gut mit mir gemeint, daß es damit gewartet hat, bis ich in God's own country angekommen bin.
Eines Montagabends sitzt Hans vor der Glotze, wie immer und regt sich über irgendwelche Affen auf. Es ging um ein paar Idioten, die eine E-Klasse gestohlen hatten und sich nun in einer dieser Verfolgungsjagden befanden, deren Ende klar ist. Die Bullen gewinnen immer, der Verfolgte hat keine Chance, zu entkommen. sie fahren meistens hinterher, solange, bis er aufgibt. Und wenn er rabiat wird, dann wird er gerammt. Und wenn er sich dann noch blöd benimmt, wird er zusammengetrappt, oder, im exxtremfall, wenn er bewaffnet ist, dann wird er erschossen. Die Chance auf ein entkommen ist minimal. Ich sah mir das eine Weile an. Es ist immer wieder das selbe. Hubschrauberaufnahmen, vorneweg die E-Klasse, dahinter ein ganzer Pulk Polizeiautos und es blinkt und blitzt, daß es eine wahre Pracht ist. An jeder roten Kreuzung wird rechts abgebogen, an jeder grünen, Gas gegeben. Man sah die Leute in der E-Klasse am Handy hängen, wahrscheinlich wollen sie mit Gewalt ins Fernsehen - und hinterher in den Knast, denn da führt die Flucht hin, wenn sie nicht im Leichenschauhaus endet. Nach einer Weile verlegte ich das Kabel, um Online zu gehen, da schreit Hans: "They are on Glendale, they're comming this way!" Ich ließ alles liegen, und rannte hinunter, auf dem Weg die Kamera geladen und gesichert. Ich stand vor dem Löwen und sah schon die Hubschrauber. Vier Stück an der Zahl. Man sah es hinter dem Hügel auch schon rot blitzen und bald hörte man das Geheul der Sirenen, bei dem die einzelne schon gar nicht mehr herauszuhören war, alles verschmolz zu einem einzigen Geheul, das zunehmend lauter wurde. So ähnlich muß es geklungen haben, wenn sich die Stukas vom Himmel auf ihre Beute stürzten, um ihr die ehernen Krallen mitten ins Herz zu schlagen. Da kamen sie auch schon heran, vorneweg die silberne E-Klasse und dahinter ein Weißrotblaues Lichtermeer. Der Glendale Boulevard ist ziemlich breit und sie fuhren geschätzt 120. Ein höllischer Lärm, ich versuchte, das auf Bild festzuhalten, aber Leider klappte das nicht so ganz, denn es ging alles zu schnell. Ich schoß schon auf über 100 Meter, da erkennt man nicht viel.

Beim nächsten Mal geb ich mir mehr Mühe...

Sie rauschten vorbei, etwa zwei Duzend Polizeiautos, innerhalb von wenigen Sekunden waren sie dem Blick entschwunden und man sah und hörte nur noch die Hubschrauber. Ich fluchte wie ein Landsknecht. Nun aber wieder vor die Glotze. Es dauerte keine zehn Minuten mehr und die Trottel fuhren in eine Sackgasse. Da mußten sie stoppen, denn hinter ihnen war ein ganzer Fuhrpark. Da standen sie, keiner stieg aus. Der Kommentator meinte: "That's probably the best, they can do, considering the number of guns pointed at them right now." Hinter der E-Klasse nur Bullen in ihren schwarzen Unifformen und jeder zielte in Richtung e-Klasse mit Gewehren und Pistolen und allem, was gerade da war. Wieder einige Minuten später gingen die Türen auf und der Fahrer stieg langsam mit erhobenen Händen aus, mit dem Rücken zur Polizei. Dann verschränkte er die Hände hinter dem Kopf und ging rückwärts auf die Bullen zu, legte sich dann, als er auf 10 Meter heran war falch auf den Boden und rührte sich nicht, bis etwa fünf Beamte heran waren und ihn in Handschellen abführten. das wiederholte sich noch fünf mal. Im Auto haben sechs Personen gesessen. Alle liefen wie Ferngesteuert und in Zeitlupe rückwärts in Haft.
Gegen Ende der Woche bot mir Wolfgang an, bei einem Movie zuzuschauen. Art Department heißt das, also für den Hintergrund zuständig. Da das meiste aus Holz ist, ist ein Schreiner immer gut. Leider ohne Bezahlung, aber damit ich einfach mal sehe, wie der Laden da so läuft. Wenn in Europa gedreht wird, darf unsereins ja arbeiten, ganz legal und offiziell. "Klar. Immer Warenproben zum Anfüttern verteilen." Keine Frage. Es ging darum, die Kulisse für ein Musikvideo zu machen.
Früh am Morgen gin ich zum Auto und stellte fest, daß der Reifen, den ich am Abend des Vortags neu aufziehen hatte lassen, platt war. Auch das noch, dabei hat es extra geheißen, daß ich pünktlich sein sollte. Ich fand nach einiger Suche den Schlauch und pumpte den verdammten Reifen halb auf, fuhr zu Auto Zone, das isyt sowas wie ATU und holte mir so ein Reifenspray. Dann ging es. Ich war nur eine halbe Stunde zu spät. Dann fuhren wir gemeinsam hinaus, Wolf in seinem Scout und ich im Auto. Ich war erst etwas verwirrt wegen der vielen Ausrüstungsgegensände, allerlei Lichter, Kabel, Kameras, Mischpulte, Leinwände... Den ganzen Tag verbrachte ich damit, eine angemietete, neue Fabrikhalle zu verdrecken, mir den Bauch vollzuschlagen, rauchend rumzusitzen. "Die, die da hinten Schach spielt, das ist eine Schauspielerin. Eine sehr hübsche, übrigens. Frag die doch mal, ob sie Dich heiraten will", sagte mir Wolfgang, weil wir ja dauernd schon Ausschau nach einem Opfer halten, das mir den Weg zur Greencard freimacht. "Das kann keine wichtige sein, hab ich noch nie auf der Leinwand gesehen, außerdem hat sie kurze Haare und ist somit häßlich. Aber ich ging hin, gab ihr einen klugen Ratschlag, wie sie den Springer platzieren sollte und fragte sie anschließend, ob sie mich gerne heiraten möchte, aber das klappte widererwarten nicht so ganz. Sie sah mich an. "Wieso? Würdest Du mich heiraten?" "Klar, oder meinst, ich frag zum Spaß..?" und hin und her, schon ist man im Gespräch. Gegen Ende der Dreharbeiten kam heraus, daß sie kein Auto hatte, weil sie nach der Buslinie nach Sonstwo fragte. "Wie? Du bist Schauspielerin, mitten in der Filmhauptstadt der Welt in einem Land, wo ein Auto wichtiger ist als das tägliche Brot und hast keins? Wo muß man denn hin? Ich kann Dich schon fahren, hab eh nichts zu tun." So macht man das wohl. Hatte ich zuvor nie ausprobiert, aber es klappte alles verdächtig gut. Es gab sogar von der Regie eine kleine Anerkennung für meine "harte Arbeit", obwohl es erst geheißen hatte, man könne mich nicht bezahlen. "Irgendwas stimmt doch da nicht", meinte ich noch, "es läuft hier in dem Land alles viel zu glatt". Den ganzen Tag Dreck machen, die erlesensten Speisen für umsonst in sich hineinzustopfen, Coca-Cola for free und am Ende noch mit der Ballkönigin abhauen. Ich fuhr sie also heim, dabei stellte sich heraus, daß die gute Frau solo ist, sie speichert meine Nummer in ihr Handy und dann - irgendwas mußte ja schieflaufen - stellt sich heraus, daß sie Kanadierin ist. So ein Schwachsinn. Das hätte sie mir auch gleich sagen können. "Wech", denk ich, "Ausweisung", denk ich, "dafür hab ich das ganze Theater nicht veranstaltet." Und so ist es wieder nichts mit der Aufenthaltsgenehmigung. Am nächsten Tag schickte ich meiner lieben Nachbarin eine frustrierte SMS, daß ihr toller Vorschlag, mir eine Amerikanerin anzulachen, natürlich wie erwartet daneben ging. Antwort: "Typisch, nur weil das jetzt beim 1. Mal nicht geklappt hat gibst Du schon auf. Du brauchst Geduld!" - und weil sie mich sehr gut kennt und weiß, daß das mit mir und den Weibern wohl nie klappt, kam noch der dezente Hinweis: "Unter www.americandream.de gibt's Infos zur Greencard-Verlosung." Aber sie hat Recht, das hier ist Amerika und hier geht alles, solange man nicht aufgibt.


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