Heute mußte es definitiv losgehen, bloß keine Verzögerung
mehr. Es ist immer wieder das selbe, wenn es einmal losgehen muß: Alles
ist fertig und wartet auf den Fahrer. Und der hat noch nicht einmal gepackt.
In der Früh fuhr ich zu Wolfgang und es gab Frühstück. Kurz danach
fuhren Almut und ich los. Es mußte ins Kino gegangen werden, daran führte
kein Weg nicht vorbei. Wir fuhren zum Hollywood Boulevard, hundert und tausend
mal war ich hier vorbeigefahren, nie hatte ich es geschafft, ins Kino zu gehen,
nur weil amerikanische Weiber nicht so funktionieren, wie man es gerne möchte.
Sau blödes Gestell, wegen dem bißchen Kino. Aber nun war die Voraussetzung
ja eingetroffen und der Weg frei. Ich wollte mir den "Letzten Samurai"
ansehen. Der lief um 12:30 Uhr an. Es war Elf, wir hatten also genau anderthalb
Stunden Zeit, nach Silverlake zu fahren, alles zusammenzupacken, dann wieder
hinaus nach Hollywood. Meinen Kram, der sich im Laufe eines halben Jahres bei
Hansi angesammelt hatte mußte nun sortiert werden. Brauchbares irgendwie
ins Auto stopfen, alles andere in die Mülltonne oder wahlweise vor des
Wirtes Haustüre. Dieser Drecksack hat sich natürlich aus dem Staub
gemacht und seinen Termin zum Sterben nicht wahrgenommen. Aber das kommt schon
alles zur rechten Zeit.
Es goß schon seit Tagen, aber nun goß es in Strömen, so etwas
habe ich in Kalifornien nie erlebt. Nie. "Und ein schwerer Regen fällt
und fällt - so, wie Abschiedstränen auf die Welt." Ich kenne
es nicht anders. So war es als es in Augsburg losging, vor mittlerweile über
drei Jahren, so war es, als es letztes Jahr in Campinas losging, und vor einem
halben Jahr in Playa war es auch nicht anders. "Mit wieviel Wehmut läßt
man manchen Ort, und kann doch nun einmal nicht bleiben..." Wir fuhren
los ins Kino, stellten das Auto im Parkhaus ab, ich versah es noch mit einem
Zettel: "Die Kanister sind leer, kein Grund zur Panik. Ein deutscher TOURist,
kein TERRORist." Darunter die Telephonnummer. Nicht, daß wieder so
ein paranoider Hebräer das Entschärfungskommando holt, das dann wieder
halb Hollywood lahmlegt. Am Anfang ist es ja noch witzig, aber auf die Dauer
geht das an die Nerven. Keinen Bock auf sowas, gerade jetzt nicht.
Natürlich schaffte ich es auch diesmal nicht, halbwegs pünktlich anzukommen,
denn der Film hatte schon begonnen. Keine Chance noch reinzukommen, denn die
Zeitangabe 12:30 Uhr bezieht sich auf den Film, nicht auf die Werbung. Was läuft
denn im Hauptkino? "Paycheck, ist neu..." Sei's drum, das Gesetz verlangt
ja nur, daß man mit einer Frau ins Kino geht. Welche Alte man in welchen
Film schleppt, das scheint vollkommen egal zu sein. Kontrolliert kein Mensch.
War wirklich nett, ein riesiges Kino, angeblich das älteste in L.A.
Die Angelegenheit sieht ziemlich chinesisch aus. |
Als wir wieder hinauskamen mußte ich mich noch mehr über die Amrikanerinnen wundern, die stellen sich an, als würde ihnen im Kino mindestens ein Bein ausgerissen. Almut schien jedenfalls nichts zu fehlen, sie hatte auch keine Schmerzen und sonst auch nichts. Nun war jedenfalls das Wichtigste erledigt, es konnte losgehen. Es eilte, denn das Wetter war wirklich unerträglich geworden, jeder einzelne Tropfen hatte die Größe einer Coladose. Nichts wie weg, raus aus der Stadt. Ein paar Kleinigekeiten fehlten zwar noch, wie zum Beispiel warme Wintersachen, denn ich hatte nur zwei Pullis dabei. Schneeketten, und eine neue Batterie fehlten auch noch, aber da es nur nach Alaska gehen sollte, war das nicht wirklich akut. Wir fuhren raus aus dem Parkhaus. Der Tach zeigte 775.614 km, die Uhr 15:16 Uhr Ortszeit. Der Diesel sprang an. "Nun gilt's, es geht mal wieder los."
Als wir zum Parkhaus herausfuhren begann sofort der Regen auf das dicke Blech
des Daimlers zu klopfen. Almut konnte ihn nicht wirklich übertönen,
als sie mir mitzuteilen versuchte, daß sie in Erinnerung hätte, daß
wir auf der Fahrt von Yammousoukro nach Abidjan einen Wassereinbruch hinter
dem Handschuhfach hatten. "Ja, das Leck ist immer noch nicht abgedichtet".
Ich wollte es neulich machen, aber in Kalifornien ist so ein Leck einfach kein
Druckmittel. Es regnet nie, warum als nicht das Leck Leck sein lassen.
Wir bogen links ab auf Highland und kamen direkt auf den 101er. "Wurde
Zeit, daß es wieder hinausging..." Den ersten Berg krochen wir mit
60 km/h hinauf, danach gingen durchgehend 100 km/h. Wir bekamen einen sehr guten
Schnitt hin. Die neuen Gelenkwellen hinten konnten wieder Vollast vertragen,
ich mußte keine Angst haben, daß es einen Rumpler täte und
mir die eine oder andere um die Ohren fliege würde. Also wurde immer nur
Vollgas gefahren. Er glitt dahin, wie auf Schienen, so gut war er schon seit
Jahren nicht mehr gelaufen. Ich war auch zuversichtlich, daß wir es ohne
Weiteres beizeiten an die Grenze schaffen würden, denn wenn wir es geschafft
hatten, von São Paulo nach Belém in drei Tagen zu kommen, durch
Unwetter und Unstraßen, wie sie nur die Brasilianer verbrechen können,
würden wir es auf der Interstate Fünf erst recht hinkriegen, keine
Frage. Nur Vegas ließen wir diesmal weg.
Als wir Los Angeles verließen, war es kalt, grau. Es regnete in Strömen.
Aber als dann der Daimler den amerikanischen Highway entlangstampfte, da riß
der Himmel auf und nun strahlt' die Sonne von einem blauen Himmel herunter,
als ob eine ewige Kraft... und so weiter. Eine knappe Stunde waren wir unterwegs
und das Unwetter war nur noch als ein kleiner grauer Streifen im Rückspiegel
zu ahnen.
Wir fuhren am Pazifik entlang, die Landschaft erinnerte stark an Chile. |
Die Amis haben, wie man auf dem Bild erkennen kann, schon eine
kleine Macke. Jeder normale Mensch, der hängt seinen Wohnwagen an das Auto,
hierzulande macht man es natürlich genau umgekehrt und hängt das Auto
hinten am Wohnmobil an.
Ich hatte vor ein paar Tagen auf eBay noch einen Artikel verkauft und um das
Porto zu sparen fuhr ich es persönlich vorbei. Ich hiel nach etwa 100 meilen
an einer Raststätte an, warf den LapTop an und ließ mich von ihm
hinlotsen. Die Ware war abgeliefert, danach ging es zu Denny's zum Essen.
Bald war es bis San Francisco nicht mehr weit, wir wollten etwas außerhalb
der Stadt übernachten. Die über die Golden Gate mußte gefahren
werden, ob man wollte oder nicht. Neben dem Highway sahen wir ein Gebäude,
auf dessen Parkplatz das eine oder andere Wohnmobil stand. Dort wollten wir
hin. Der erste Anlauf ging daneben und endete wieder auf dem Hochweg. Der zweite
endete in einem Parkhaus. Unglaublich groß und völlig leer. Wir fuhren
an einer Absperrung vorbei in den ersten Stock, dort sollte es wärmer sein.
Hinter einem romantischen Mäuerchen stellte ich den Daimler ab. Ich war
noch nicht dazugekommen, auszusteigen, als Almut mit ihrer ruhigen Stimme vermeldete.
"So. Da sind sie schon." Ich dreh mich wieder vor und sehe ein Polizeiauto,
ein Officer kommt auf unser Fahrzeug zu. "Guten Abend, Sir", sagt
er, "wie sind Sie tuend?" "Weiß nicht..." "Was
hatten sie hier vor?" "Naja, eigentlich hatte ich vor, hier zu schlafen,
aber das ist wohl verworfen..." Er nickt zustimmend, das sei ein privates
Gebäude, ob ich denn die Absperrung unten nicht gesehen hätte. "Doch,
aber da war eine Lücke und ich... aber kein Problem, ich fahr ja auch schon
gleich sofort." Almuts Paß wollte er gar nicht sehen, aus meinem
zog er meinen vorläufigen amerikanischen Führerschein. Das ist schlecht,
den muß ich verschwinden lassen, die beiden Dokumentensätze sollten
sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Deutsches Auto, deutsche Papiere,
amerikanisches Checkheft, amerikanische Papiere. Do not mix. " Er hieß
mich warten. "Wir überprüfen nur noch schnell, ob sie auf der
Most-Wanted-Liste des FBI sind", grinste er ins Auto hinein. Als natürlich
nichts dabei herauskam gab er mir die Papiere und entließ uns in die kalte
Freiheit.
Wir fuhren weiter auf dem 101er bis wir in den Vororten von S.F. unmittelbar
neben dem Hwy eine Tanke und ein IHOP (International House Of Pancake) sahen,
zwischen denen ein Parkplatz lag.
Unser Nachtlager Flankiert von Hausmauern rechts und hinten gegen den Wind, vom Daimler gegen Feindeinsicht und von links durch die Leitplanke des Hwy 101. |
Es war verdammt kalt für Kalifornien. Nach einer kurzen
Suche nach meinem Pulli fiel mir ein, daß ich den wohl in Deutschland
gelassen haben muß. Nun war ich mit einem einzigen Sweater nach Alaska
unterwegs. Sehr männlich, oder auch sehr dumm, je nachdem, wie man es sieht.
Almut hielt es für eine bessere Idee, nicht auf oder neben dem Auto zu
schlafen, sondern in einem Eck. Wenigstens war es windgeschützt. Genau
neben dran, nur einige Meter entfernt, verlief der Highway.
Obwohl das einer der schrecklichsten Nachtpläte war, die wir je hatten,
fühlte ich mich wieder wie der König der Welt. Genau hier inmitten
weggeworfener Kaffebecher, neben dem lauten Highway, vor Kälte zitternd.
Das alles störte nicht, denn wir waren wieder unterwegs und das ist alles,
was zählt. Abgesehen davon war ich todmüde und schlief sofort ein.
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