Almut schlief längst, ich hämmerte auf die Tastatur ein wie ein Berserker, aber man kommt einfach nicht hinterher, die Zeit rast zu schnell, die Ereignisse überstürzen sich auf Reisen auch dann, wenn nichts spektakuläres passiert. Es war schweinekalt. Um drei Uhr in der Nacht klopft es an der Tür. Ich saß praktisch tippend davor, lehnte mich zurück und machte auf und vor der Tür stand ein mittelgroer Neger, der mich in seinem Abartigen Slang etwas fragte, was ich nicht verstand. Erst als er mir ein Päckchen Kokain unter die Nase hielt chechte ich, was er meinte. Wo bin ich denn hier gelandet? Und er steht mit erwartungsvoller Miene in der Kälte und wartert allen ernstes auf eine Antwort. "Spinnst etzer Doo? Schau, daß Di schleichst...", sagte ich und gab ihm ein Handzeichen, daß er sich wegmachen sollte. Wir haben uns bei der Ankunft hier in Seattle gewundert, warum es so wenig Neger gab. Wir haben genau drei gesehen. Einer saß im Starbucks über irgendwelche wichtig aussehende Unterlagen gebeugt, ein anderer stand vor dem Starbucks und versuchte seinen Bruder zu finden indem er jeden, der raus oder reinging fragte: "He, Bruder, hast Du 'ne Münze?" und der dritte geisterte in den Vororten umeinander und versuchte auf die ungeschickteste Atr und Weise, sein Kokain an den Mann zu bringen. Demnächst gerät er an einen Offiziellen, dann sieht es schlecht aus für ihn.
Nach einer viel zu kurzen Nacht ging es los. Wir hatten noch viel zu erledigen, keine Zeit zu verlieren. Wir waren noch nicht bereit zum Ausreisen, denn es fehlten noch Ketten, ein Rückflugticket, um die Wiedereinreise zu erleichtern, Schneeketten und warme Klamotten, denn die Klamotten, die wir hatten waren schon hier in Seattle nicht mehr warm genug und die Temperaturen, die da oben herrschen, lassen den Winter Seattle mediterran erscheinen.
Als erstes fuhren wir los auf der Suche nach einem Reisebüro.
Fanden zwar keines, aber dafür einen Walmart, aus dem ich mit einer Kiste
wieder herauskam, in der sich Schneeketten befanden. Als nächstes brauchten
wir ein Flugticket. Das hatte mir Wolfgang aufgeschwätzt, denn er war Deutscher
und mußte schwarzmalen. "Die lassen Dich nicht mehr rein", überhaupt,
sei es bescheuert, jetzt nach Alaska zu fahren, gescheiter wäre es gewesen,
nach Europa zu fliegen und über Weihnachten dort zu bleiben, dann gäbe
es bei der Wiedereinreise keine Probleme nicht, er hätte das selbst Jahrelang
gemacht. Aber mit dem Auto... "Du wirst Schwierigkeiten an der Grenze haben,
das kann ich Dir gleich sagen." Meine Devise ist: Erst dann einen Kopf
darüber machen, wenn es soweit ist. Auf Begeisterung stieß ich auer
bei Almut, nirgendwo mit dem Plan, nach Alaska zu fahren. Allen schien es so,
als wäre das ein notwendiges Übel, um weitere drei Monate zu bekommen.
Keiner hatte kapiert, daß der Weg das Ziel ist, ich würde auch fahren,
wenn ich sicher wüßte, daß es kein reinkommen mehr für
mich gibt. Egal. Kanada gibt einem sechs Monate, danach kann ich auch wieder
in die USA hinein und wenn nicht, dann werden sich schon andere Möglichkeiten
auftun. Man weiß nie, was auf einen zukommt.
Im Walmart fragte ich nach einem Reisebüro und die freundliche Dame an
der Information gab kramte das aus den gelben Seiten heraus, schrieb mir die
Adresse auf und gab mir eine exakte Wegbeschreibung. Das alles, obwohl sie es
gar nicht hätte machen müssen. Immer wieder muß ich mich wundern,
wie freundlich die Leute in diesem Land im allgemeinen sind. Und immer wieder
muß mich Almut, typischerweise ohne auch nur den geringsten Vorwurf anklingeln
zu lassen, darauf aufmerksam machen, daß mein Ton zwar sehr freundlich
ist, aber nur dann, wenn man mich kennt und weiß, wie es gemeint ist,
wenn nicht, dann kommt das ganze etwas rüpelhaft rüber. Aber es sind
wieder nicht Vorwürfe, wie sie von Gabi kamen, die mitten in Kolumbien
glaubte, in Stadtbergen zu sein und mir erklären zu müssen, wie ich
was zu tun habe, sondern bei Almut kommt prompt wie bei allem die Begründung
- Almut ist nebenbei ein alter Amerikaveteran: "Die Leute hier legen viel
Wert auf Begrüßung und 'how are you', 'I'm fine, and how are you
doing' und solche Sachen. Du kommst rein, nickst zur Begrüßung und
trägst Dein Anliegen militärisch knapp vor." Stimmt wirklich,
jetzt, da sie es sagt, kann mir nicht vorstellen, daß es die Verkäufering
wirklich interessiert, wie es mir geht, solche Floskeln habe ich schon immer
übergangen. Muß man glatt mal etwas dagegen tun, bei Gelegenheit.
Jedenfalls hatten wir die Adresse des Reisebüros. Dort bekam ich ein One-Way-Ticket
von New York nach London für 270 Dollar. Das war ein guter Preis, da kann
man nicht meckern. Jetzt habe ich im Zweifelsfall etwas zum Vorzeigen.
Die Skyline von Seattle bei Tag, aufgenommen von der Interstate 5.. |
Nun fehlten nur noch die Winterklamotten. Wir hatten am Vortag einen Navy-Army-Shop
gesehen, über den wollten wir uns hermachen. Wir fuhren hin und fanden
genau davor einen Parkplatz. Für nicht ganz hundert Dollar war ich hinterher
eingedeckt. Eine schwedische Armeehose und einen amerikanischen Mantel, alles
aus Loden. Jetzt soll er kommen, der nordische Winter. Was fehlte, war eine
Russenmütz'. Die war nicht zu einem vernünftigen Preis aufzutreiben.
Es wurde dunkel, und es wurde langsam Zeit, das land zu verlassen, aber vorher
gingen wir noch in ein Kaffee, eine letzte heiße Schokolade schlürfen
und noch einmal online gehen.
Dann ging es los. Auf zur Grenze. Die war nicht mehr weit,
vielleicht noch hundert Meilen, doch zunächst kamen wir natürlich
in den Feierabendverkehr. Hatte ich ganz vergessen, daß die meisten Leute
arbeiten. Schon nach ein paar Tagen auf Achse fühlte ich mich wieder ganz
so, wie in den letzten Jahren. Arbeit war wieder ein Fremdwort geworden, man
ist jetzt wieder Reisender, unterwegs mit den groben Umrissen eines Ziels, das
irgendwo in scheinbar weiter ferne liegt. Momentan hieß dieses Ziel Anchorage.
Und die Ausreise muß vor Mitternacht vor sich gehen, es findet wieder
alles in letzter Sekunde statt, wie immer. Aus der dem Wirkungsbereich der Stadt
herausgekommen, konnte man wieder 120 anlegen und wir kamen flott voran.
Einmal wurde noch getankt, da zu erwarten war, daß das Diesel dort oben
in Kanada teuerer sein würde. USA, Equador und Venezuela sind Kraftstoffmäßig
die billigsten Länder auf dem Kontinent. Auch mit Cigaretten sieht es dort
oben duster aus, daher haben wir uns hier noch eingedeckt.
Eh ich es richtig verzeichnete standen wir in einem kleinen
Stau, mein Blick fiel auf ein Schild, auf dem Stand: "Think metric".
Es war 20:15 Uhr. Auf der adneren Straßenseite ein Willkommensschild,
gezeichnet Canada. "Scheisse, Mann! Ich hab noch den Zettel von den Amis
im Paß, jetzt darf ich wieder zurücklatschen." Ich hasse das,
wenn es keine Ausreise gibt. Raus lassen die jeden, da machen sie überhaupt
keine Schwierigkeiten... Dabei war es das wichtigste, diesen verdammten Zettel
zurückzugeben, wichtiger noch, als die eigentliche Ausreise, denn ich reise
nicht per Auto aus, kann folglich bei einer Wiedereinreise kein Flugticket vorlegen,
welches beweist, daß ich pünktlich ausgereist war. Aber es würde
sich schon eine Lösung finden.
Die Grenze erinnerte sehr an die Grenze in Brownsville, Texas. Kameras, Ampeln,
jeweils ein Auto fährt vor. Natürlich klebte ich meinem Vordermann
auf der Stoßstange. "Jawohl. Wie immer erst mal blöd auffallen",
bemerkte ich, während ich wieder zurückfuhr bis zur Haltelinie. Als
wir nach etwa zehn Minuten drankamen wurden wir allerdings nicht so begrüßt
wie in Texas mit "Haben Sie ein Permit?", sondern "Hallo, Sir,
wie sind sie tuend heute?" Das ist es einfach, keine Spur von Nervösität,
wie damals in Texas, alles ganz locker. Dann kamen die Programmfragen: "Haben
sie Alkohol oder Tabakwaren dabei?" "Alkohol nein, Tabakwaren ja."
"Wieviel?" "Eine Stange." "Das Auto gehört wem?
Wo ist es zugelassen?" "Mir, zugelassen in Deutschland." "Gut",
meinte er, "stellen Sie es bitte dort auf dem Parkplatz ab und gehen Sie
zur Immigration. Gute Reise."
Ich stellte das Auto auf den Parkplatz, fragte Almut, ob sie mit wollte oder
ob sie lieber im Auto bleiben wollte. "Was Dir lieber ist." "Also,
wärst Du die Gabi, hätt ich gesagt: 'Stay in the car' und mir gedacht
'Stay out of my way', aber wenn Du die Prozedur mitansehen willst, gerne."
Wir gingen zusammen zum nächsten Gebäude, das nach Immigration aussah.
Ich ging hinein und legte der Dame unsere Pässe vor, die aufgestanden war
als wir reinkamen und fragte, was sie für uns tun könne. "Was
ist das?", fragt sie, "ihr müßt zur Immigration. Wir sind
der Zoll." Ein blick auf ihr Schild bestätigte das, denn da stand
Canada - Customs. "Die Immigration ist am Ende des Korridors. Wir gingen
also da hin, waren die einzigen "Kunden" und kamen gleich dran. Er
fragte nach dem Woher und dem Wohin, aber die Antworten interessierten ihn nicht
wirklich, denn während er fragte, stempelte er bereits die Pässe ab
und schob sie uns wieder hin. Als ich ihn baßerstaunt ansah, sagt er "That's
it, ihr seid fertig." "That's it?", fragte ich ungläubig.
Ich nahm meinen Paß, der grüne Amistreifen war immer noch drin. Er
nahm ihn heraus, stempelte ihn ab, und meinte: "Jetzt aber..." ich
fragte ihn, ob das auch wirklich funktionieren würde. "Ich hätte
es nicht getan, wenn nicht. Die kriegen ihn schon, keine Sorge." Ich bedankte
mich und wir gingen wieder hinaus. Zurück zum Zoll. "Ihr schon wieder?
Habt ihr die Immigration nicht gefunden?" "Doch, wir sind fertig..."
"Also? Dann könnt ihr doch fahren..." Das war zuviel für
mein Spazenhirn. "Moment mal", sagte ich, "wir sind mit dem Auto
eingereist." "Wo steht ihr Auto?", wollte sie wissen. "Draußen",
antworteten wir im Chor, was für eine blöde frage, auch, die Tür
ist zu schmal... Sie meinte aber nur: "Gut, dann setzt euch rein und fahrt
los." Verdammtes Englisch. Almut muß bemerkt haben, daß die
Zahnräder in meinem Kopf heißlaufen um einen passenden Sazt zu formulieren,
aber Almut schalttete sich dazwischen, um zu verhindern, daß eine blöde
Arschmeldung von mir in den Raum geworfen wurde. "Wir sind das nicht gewohnt,
daß eine Einreise so reibungslos klappt. Andere Länder geben einem
immer ein Papier für das Auto, damit man es nicht unverzollt verkauft."
"Ihr wollt doch nicht Euer Auto verkaufen, oder?" "Nein, sicher
nicht, ist eh nur 50 Dollar wert." "Na, gut, willkommen in Kanada,
ihr seid frei zu fahren, wohin ihr wollt." Wir bedankten uns, gingen hinaus
zum Auto und waren beide der Ansicht, daß da etwas nicht stimmen kann.
Wir sind drin. Kanada hat den positivsten Ersten Eindruck hinterlassen. |
Das war zu glatt gelaufen, wir hatten nicht mal fünf Minuten gebraucht, den längsten Teil der Zeit an der Grenze verbrachten wir im Stau, nämlich zehn Minuten, alles andere ging so schnell, daß ich mit dem Schauen gar nicht nachkam. Keiner hat auch nur einen halben Blick auf das Auto geworfen, wir hätten alles mögliche dabeihaben können. Das übertraf sogar Uruguay, denn dort mußte immerhin für das Auto ein Papier ausgefüllt werden. Damit war Kanada in meiner Grenzprozeduren-Hitliste zur Nummer Eins geworden, vor Uruguay und Argentinien. Die Schlußlichter belegen USA, Brasilien und Ecuador. Aber vielleicht liegt es daran, daß dieser friedliche Riese sich nicht mit jedem anlegen muß, daher müssen sie auch nicht Aktionen in der Art von 911 befürchten, denen man natürlich nicht dadurch beikommt, daß man an der Grenze Theater macht.
Der Tacho zeigte 778.837 km an, die Uhr exakt 20:30 Uhr. Nun
wurde die Interstate 5 zur Transcanada 1 und der Belag wurde noch ein wenig
besser. Auf den amerikanischen Autobahnen fährt es sich oft wie auf Wellblech,
nur, daß die Abstände zwischen den regelmäßigen Unebenheiten
größer sind. Wir fuhren durch Vancouver und verfuhren uns dort prompt.
Die Beschilderung war miserabel, nichts steht angeschrieben und die Schilder
die zu den Überlandstraßen weisen sind nicht recht viel größer
als ein DIN-A4 Blatt. Nach Stundenlanger Irrfahrt durch die zugegeben dem Anschein
nach sehr hübsche Stadt waren wir wieder auf der Eins. Dort blieben wir
dann auch auf einer Rest-Area über nacht und leisteten einem Einsamen LKW
Gesellschaft, der irgendwo verloren auf dem Riesigen Parkplatz stand.
Ich legte mich neben das Auto, die Temperaturen waren noch nicht so tief, als
daß das nicht in Frage käme.
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