Alaska 2003
Donnerstag, 1. Januar 2004

Prost NeujahrAlmut hatte irgendwoher eine kleine Sektflasche gezogen. Ein Schluck für sie, einen für mich, und schon war Flasche leer. Das war das erste und vermutlich letzte Mal, daß ich während des Fahrens Alkohol trank. Aber er kam gar nicht ungelegen. Feuerwerk hätten wir sogar dabeigehabt, aber ganz unten im Kofferraum, und dort blieb es aus. Auch sahen wir nirgendwo Feuerwerk in dieser Todeslandschaft, doch schickte uns jemand als festlich-frohen Neujahrsgruß ein schönes Polarlicht, das da links von uns grünlich kalt am Firmament hing und seinen Tanz vollführte. Ganz allein nur für uns - denn sonst war ja niemand da. Das war das erste Polarlicht seit Jahren. Photo gab es keines - es war zu kalt und mein Stativ war verschwunden. Unmöglich, die Kamera für mehrere Sekunden stillzuhalten.
Wenn jetzt die Maschine versagt, dann können die Leute nur noch beten. Keine Menschenseele weit und breit, die Landschaft war leichenweiß, nicht das geringste bewegte sich, kein Wind, kein Wild - abgesehen von den drei toten Elchen am Straßenrand. Selbst die Bäume sahen in ihrem weißen Kleid aus wie Gespenster aus einer anderen Welt.

Es war empfindlich kalt, Almut vergrub sich tief im Schlafsack, hängte mir die Decke um, aber im Fußraum war es eiskalt, die Stahlkappen der Stiefel nahmen die Kälte auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. So saß ich frierend und zitternd auf dem Chefsessel und sah zu, wie die Straße unter dem Benz vorbeifloß und wir scheinbar trotzdem in Zeit und Raum stillzustehen schienen. Almut schlief bald. Ich versuchte irgendwie irgendwo da draußen in dieser toten Landschaft ein Zeichen von Leben auszumachen, hinter jeder Kurve, hinter jeder Kuppe hoffte ich auf ein kleines künstliches Licht, das anzeigt: Hier leben Menschen. Nichts. Gar nichts, kein Auto, kein Haus, nicht mal eine Antenne oder eine weit entfernte Hütte. Hier war alles tot oder es tat zumindest so, um den Winter zu überstehen. Mutterseelenallein kommt man sich da vor. Ich lkann mich erinnern, daß ich das mal glaubte, als ich durch Südbrasilien alleine nach Argentinien fuhr. Alles Käse, nur wußte ich es damals nicht besser.

Mitten in der Nacht kamen wir in der nächsten Ortschaft an. Fort Nelson. Ich fragte nach, wie tief denn die Temperatur sei. Es hieß, daß es momentan noch -25°C waren, aber das würde sicher nicht so bleiben. Das war jedenfalls definitiv zu kalt, um draußen zu schlafen. Wir suchten ein billiges Hotel oder Motel. Leider mußten wir sehr schnell feststellen, daß es genau drei Auswahlmöglichkeiten gab: "Teuer", "sehr Teuer" oder "über die Feiertage Geschlossen". Es half nichts. Wir stellten das Auto auf dem Parkplatz des Hotels Trevelodge ab. Sehr praktisch, daß der Schlüssel sich in jeder beliebeigen Stellung aus dem Zündschloß nehmen läßt, so braucht man nicht den Motor abzustellen und kann trotzdem die Türen schließen.

Wir gingen aufs Zimmer fielen in die Betten und schliefen durch. Almut mußte in der Früh dringendst sinnlos durch die verschneite Landschaft laufen und ich zog es vor, liegenzubleiben bis unmittelbar vor Checkoutzeit. Ist lang gescheiter, wozu laufen, wenn man ein Auto hat? Außerdem muß der Fahrer ausgeschlafen sein, das ist sehr wichtig.

Es war ein wunderschöner Wintermorgen:
Die Sonne scheint, der Diesel singt
Die Kälte bis zum Knochen dringt

Aber im Cockpit war es lauschig warm. Das Getriebe mußte erst noch ein wenig geschmeidig werden, wahrscheinlich hatte das Öl darinnen die Konsistenz von Margarine, der Schalthebel fühlte sich an, als steckte er in einem zähen Brei. Keine Ahnung, wie kalt es war, man konnte es mir an der Rezeption nicht sagen. Fest stand, daß es kälter war als am Vortag. Seit einer Ortschaft Namens Dawsons Creek befanden wir uns auf dem berühmten Alaska-Higway, 1949 von der amerikanischen und der kanadischen Armee gebaut. Die heutige Strecke verläuft ungefähr parallel zur alten und ist durchgehend asphaltiert. Zumindest war sie bisher durchgehend eben und unter einer Eisschicht begraben. Der Alaska Highway bildet das Ende der Panamericana. Das ist die Straße, die von Feuerland nach Alaska führt und die nur zwischen Kolumbien und Panamá unterbrochen ist. Die sollten wir nun bald durch haben, das letzte Stück ist zweifellos das härteste, zumindest um diese Jahreszeit. In Feuerland waren wir im Sommer gewesen, und es war, wie wir später hörten ein Ausnahmesommer. Diesmal sandte uns General Winter seine eisigen Grüße entgegen. Aber ich wollte es genau so haben, einmal muß man einen Winter im Norden erleben und ich darf schon jetzt feststellen, daß es großartig ist, auch wenn im einzelnen oft unangenehm. Im Sommer hätte man sicher weniger Sorgen, allerdings müßte man sich mit Moskitos und all dem anderen Ungeziefer rumschlagen. Lieber Kälte als Moskitos. Die Anzahl der - zur Zeit meist geschlossenen - Hotels und Restaurants in jedem dieser Mini-Käffer läßt auf Massentourismus schließen. Insofern ist der Winter gewiß billiger im hohen und bekanntlich von Natur aus teuren Norden. Ich denke, die Ausnahme bildet höchstens Rußland - ist allerdings nur eine Vermutung.
Wir waren auch schon recht weit in den Norden vorgedrungen, die Sonne geht eigentlich nur noch auf, um schnell wieder zu versinken und den Himmel für Stunden in rotes Licht zu tunken. Man fährt einige Stunden durch die Morgendämmerung, die direkt in Abenddämmerung übergeht und dann geht es weiter durch die meist klaren Nächte.

Es ist 12:42 Uhr, die Sonne hat ihren höchsten Lauf, strahlt hell und kalt und wirft lange Schatten.

Wind hatten wir noch keinen, aber auch der ist hier oben sicher kein angenehmer Volksgenosse, denn es ist ohne ihn schon klirrend kalt. Es wäre interessant zu wissen, wie kalt es momentan war, sicher ein neuer Kälteekord für uns.

Wir fuhren los, die Straßen waren gut befahrbar, sehr wenig Verkehr und obwohl eine geschlossene Decke auf dem Asphalt lag, konnte ich das Auto auch mit Gewalt kaum zum Ausbrechen bewegen, was sicher an der Zusammenarbeit des Gewichts mit den neuen Reifen lag. Aber die Kälte konnte immerhin die Kuppe des Schalthebels zum vollständigen Abbrechen bewegen. So schaltet es sich sehr unangenehm, zumal wenn man nicht immer daran denkt, daß das Teil jetzt fehlt und bei der mechanischen Bewegung zum Schalten vom 3. in den 2. jedesmal Kuppelt und ins Leere greift. Die verdammten Stahlkappen machten mir zu schaffen, ich wickelte mir die Wolldecke um die Haxen, aber das bringt nicht viel, denn die hält die Stiefel höchstens kalt. Immer wieder mußte ich aussteigen und durch die Gegend stampfen, wie ein Geisteskranker. Die Betriebstemperatur ließ sich auch nicht halten. Schon nach kurzer Fahrt beschloß ich, daß etwas geschehen mußte. Ich hatte noch Pappe im Kofferraum liegen, damit wollte ich den Kühler isolieren. Nur wo?

Als wir an einem kleinen Café vorbeikamen, das mich sehr an eines in den Anden erinnerte, verließ ich die Straße, parkte davor und ging hinein, nachdem ich dem Schalthebel mit uruguayanischem - erstaunlicherweise nicht zu einem Klotz erstarrten - Kontaktkleber seine ursprüngliche Form verliehen hatte. Ich fragte nach Tee. Sie hatten heißes Wasser, den Tee konnte man sich aussuchen, stand auf dem Tisch. Da fiel mir ein, daß ich aus Peru noch jede Menge Kokatee im Kofferraum hatte. Aber erst noch schnell die Pappe hinter den Kühler. Das war eine Tortur, allein beim Versuch, den Kofferraum aufzumachen und die Pappe dort herauszuholen, wurde ich schon halb wahnsinnig, erst spürte ich meine Hände nicht mehr, dann fingen sie an, höllisch zu schmerzen. Ich stellte den Motor ab und schob den Karton zwischen Kühler und dieses Plastikteil, das dahinter angebracht ist. Gleich danach warf ich den Motor natürlich wieder an. Der Vorglühvorgang dauerte ewig, obwohl der Motor ja eigentlich noch warm sein sollte.

Im warmen Unterstand bei Tee und schöner Aussicht.

Und als wir das alles hatten, sperrten wir ab und gingen hinein in die gute Stube. Sie sah innen aus wie eine Berghütte in einem Skigebiet in Deutschland oder Österreich. Sehr gemütlich. Ich fragte nach der Außentemperatur. "Ich bin nicht sicher", kam die typisch amerikanisch-weibliche Antwort. Alle Amerikanerinnen sind immer confused und undecided, also durcheinander und unentschlossen. Und seit sie das Volk in ihre Armee gelassen haben, brauchen sie 600 "Mann" und eine sechsstündiges Gefecht, um zwei Leute auszuheben. Nehmt ihnen die Airforce und Nigeria macht das Land platt. Aber zurück zur Verkäuferin in der Hütte, die nebenbei erwähnt, nicht amerikanerin, sondern kanadierin war, was aber nicht viel bedeutet, denn Kanada und USA gehören praktisch zusammen, nicht nur, weil sie die gleiche Vorwahl haben und die gleiche Sprache sprechen.

Ich fragte sie, ob sie denn Thermometer zu verkaufen hätte. Hatte sie und sie schlug mir vor, eines zu nehmen und es vor Tür zu stellen. Das tat ich und anschließend schlürfte ich gemütlich meinen Kokatee. Als die erste Tasse leer war, ging ich mal hinaus, um das Thermometer hereinzuholen. Ich verkündete stolz: "Es hat genau... Hm. Es ist sehr kalt draußen." Die Skala reichte leider nicht aus, sie ging nur bis 26 Grad Minus und die rote Quecksilbersäule war weit darunter. "Das Thermometer ist definitiv nicht Yukontauglich..." Als ich es in das Regal zurückstellen wollte fiel mein Blick auf ein Thermometer, das an der Wand hing. Ein sehr schönes und großes mit Innen- und Außenanzeige und anständiger Skala. Da haben wir's. Eine blöde Verkäufering und ein blinder Idiot versuchen herauszufinden, wie kalt es draußen ist. Normalerweise wäre hier die Bemerkung fällig gewesen: "Wozu willst Du wissen, wie kalt es ist? Dein Hirn ist schon vor jahren eingefroren..."

Außen hatten wir also -32°C, innen an die 20°C. Mal eben 50 Grad Temperaturunterschied.

Es war ein witziges Kafee. Ich blätterte in der Speisekarte und auf der allerersten Seite, als da, wo normalerweise der Name der Hütte stehen sollte, war eine kurze Abhandlung über den Alaska-Highway. Unter anderem stand da wörlich zu lesen: "If you see wildlife, try not to run over any.", also falls man Wild sieht, soll man versuchen, keines zu überfahren. Erst mußte ich mich darüber natürlich kaputtlachen, wer überfährt schon absichtlich ein Wild? Bei Kötern und Katzen versteh ich das ja, praktizier ich selbst zuweilen nicht ungern, aber bei natürlichen Viechern geh ich immer davon aus, daß sie nicht absichtlich überfahren werden, insofern scheint die Bitte auf der Speisekarte so absurd, als würde man schreiben "Bitte versuchen Sie, keinen Unfall zu bauen." Natürlich! Wenn es Absicht ist, ist es ja kein Unfall mehr. Aber ich fand hinter der Theke ein T-Shirt im stile der Hard-Rock-Café-T-Shirts, das dem Satz dann doch seinen Sinn verlieh. Darauf Stand: "Alaska Highway - Roadkill Café - Bar & Grill" darunter, etwas kleiner: "You Kill It... We Grill It". Darunter, wiederum, noch etwas keiner: "Canada's Original Meals on Wheels" Das ist ja eine recht praktische Sache. Ich weiß gar nicht, ob es sich um das Café handelte, in dem wir uns gerade befanden, jedenfalls sah ich keinen kanadischen Trucker mit einem Elch auf dem Rücken hereinschlendern. Andere Länder, andere Sitten. In Deutschland wäre es undenkbar, daß man in die Wirtschaft geht und sein eigenes Essen mitbringt - außer in Münchener Biergärten.

Weiter ging es. Die Pappe tat ihre Wirkung, die Nadel stieg auf die 87°C, wo sie hingehörte und im Innenraum wurde es gemütlich warm. .Wenn es bergauf ging, wurde es sogar noch etwas wärmer. Das war nun ein gemütliches fahren. Es war sehr wenig Verkehr, nur einige LKW und ich überholte sogar einmal einen Ford Explorer oder Ford Expedition, keine Ahnung. Ich nenne sie immer Ford Werfen, das trifft es am ehesten, denn auf Expedition will ich mit keinem dieser Kärren gehen, das ist was für Suizidgefährdete. An einer Senke, als ich gerade schön meine 120 etwas drosselte, um eine linkskurve einzuleiten, da kriecht dieser überdimensionierte Plastikbomber um's Eck. nach der Kurve ging es bergauf, keinen Bock herunterzubremsen um dann selbst den Berg hochzukriechen. Ich optimierte die Kurve, passierte ihn auf der Gegenfahrbahn und er verschwand in unserer Kielwolke aus Pulverschnee und Eiskristallen. "Was war denn das für ein Schwuchtel?"

Die Straße schien endlos, das Thermometer muß weiter gesunken sein, die hinteren Scheiben, die in den letzten Tagen langsam aber sicher zugewachsen waren, waren innen vollständig von einer Eisschicht bedeckt, nun begann sie an Stärke zu gewinnen und an den vorderen Scheiben begann sich auch eine Eisschicht breitzumachen. Vorne an der Windschutzscheibe auch, der Wirkungsbereich der Heizung wurde sichtbar. Alles anders war mehr oder weniger komplett zu, auch die Heckscheibenheizung hatte Schwierigkeiten, das Eis auf der Außenseite loszuwerden, allerdings blieb die Heckscheibe innen frei. Almut war mir dafür zuständig, daß der Schalter immer in An-Stellung blieb. Die Klimaanlage wurde auch eingeschaltet, erstens, um die Luftumwälzung zu aktivieren, die Lufttrocknung auch, denn je mehr im Trockner hängenbleibt, desto weniger friert innen an den Scheiben fest und dann, um den Motor warmzuhalten. In der Sahara hatten wir öfter man die Heizung angemacht, um die Betriebstemperatur niedrig zu halten, nun mußte die Klima eingesetzt werden, um sie etwas hochzubringen und das zeigt, daß mit der Welt was verkehrt ist: In der Kälte muß man kühlen, in der Hitze heizen, gegen alle Regeln der Kunst. Das Eis von den Scheiben weghauchen zu wollen, erwies sich auch als Stumpfsinnig, denn es fror sofort fest, so leistete man der Eisbildung auch noch Vorschub. Das hatte ich bislang auch noch nicht erlebt, es wurde sofort eingestellt.

Am abend gegen neun Uhr erreichten wir Watson Lake. Ich fuhr an eine Tankstelle, um zu überprüfen, ob der Karton noch da war. Er mußte etwas besser befestigt werden, denn das Lüfterrad hatte ihn schon etwas angenagt. Ich stellte dazu den Motor ab und beeilte mich, das Zeug zu reparieren. Almut ging derweil in die Tankstelle und sorgte für Nachsschub an warmen Getränken. Ich füllte etwas Öl nach und prüfte das Kühlerwasser, das mittlerweile aus mehr Frostschutz als Wasser bestand. Als ich gerade in die Kanzel wollte, um die Maschine wieder laufen zu lassen, sah ich, daß ich Trottel das Licht und den Radio angelassen hatte. "Wenn das mal gutgeht", dachte ich mir noch während des extralangen Vorglühens und als ich Kontakt gab, da gingen alle Lichter aus. Keinen Mucks. "Fuck!" Idiotische Aktion, natürlich reichten die paar Minuten, um der Batterie das letzte zu geben. Aber wenigstens passierte das an der Tankstelle, und nicht draußen in der Pampa. Aber soviel Idiotie, den Motor dort draußen absichtlich abzustellen trau ich mir nicht mal selbst zu. Wenn, dann geschähe das wenigstens an einem Hang.

Es half nichts, ich mußte darauf hoffen, daß mir jemand Starthilfe gab. Als wir so im Auto saßen, fuhr der Fort an die Tankstelle, den wir so frech überholt hatten. Alaska Highway, 16:07 Uhr"Jetzt weiß ich, warum das Auto nicht schneller ging... Der läßt ja seine Frau fahren - das kann nichts werden", bemerkte ich. "Laß die Finger von maschinen, die Du selbst nicht kanns bedienen", möchte man hinüberzischen. Und es kann einen wahnsinnig machen, wenn man es einfach nicht rausbringt, weil man die Sprache eben nicht beherrscht.

Ich holte die Kabel aus dem Kofferraum, die ich noch aus Mexiko hatte. Nach längerer Suche, die öfter unterbrochen werden mußte, damit ich wieder auftauen konnte, fand ich sie. Sie sahen aus, wie gekochte und anschließend festgefrorene Spaghetti. Beim Versuch, sie zu begradigen, brach mir erst das schwarze ab. Ich stand davor und redete mir ein, daß das nicht möglich sei. Daß das Plastik reißt mag ja noch angehen, aber das Kupfer. "Das ist ja lächerlich", ich probierte es mit dem roten. Gleiches Ergebnis, einfach abgebrochen, wie trockene Spaghetti eben. "Ich kotz gleich, Crucefix!" und damit flogen die Kabel auch schon in den Müll. Ich ging hinein und erklärte Almut, daß nun neue Kabel gekauft werden mußten, es half nichts. 30 Dollar für zwei dumme Kabel, aber Wurzeln schlagen wollten wir hier nicht. Es war erbärmlich kalt, draußen, man könnte schreien. Ich ging mit den Kabeln hinaus. Der Innenraum des Autos war schon fast vollständig abgekühlt, der Atem bildete dicke Dampfwolken. Dabei stand es noch nicht einmal fünfzehn Minuten. Ich dachte mir, ich probiere noch einmal, es ohne Hilfe zu starten. Ich wackelte an der Batterie, die nach wie vor nicht festgeschraubt ist, setzte mich hinein und drehte den Schlüssel auf Kontakt, ohne den Vorglühvorgang abzuwarten. Er lief. Ich sprang heraus, riß die Arme in die Höh' und schrie: "Na, und da sachste, daß Marmelade keine Kraft gibt? Er läuft!!!" Zurück in die Tanke, das Kabel, das ich zu kaufen beabsichtigte, wieder unauffällig in den Karton hinein und zurück ins Regal. Fein.

Dann ging ich zu den Kentuckynesen und fragte, was das Hotel nebenan denn so für die Übernachtung haben wollte. 75 Kanadische Dollar. Reichlich unverschämt, aber was soll man machen? Es ist wieder mal das einzige am Platze. Ich fuhr hinüber und versuchte zu verhandeln. Nichts zu machen. Dann zahlt man halt.Wenigstens war der Raum so gelegen, daß man das Auto unmittelbar davor konnte parken, genau vor das Fenster. Es war so schweinekalt, ich hatte das im Leben noch nie mitgemacht. "Wie kalt ist es denn", fragte ich an der Rezeption. "Jetzt? Minus 35. Aber bei der Nacht werden sich Fahrenheit und Celsius treffen." Das bedeutet 40 Grad Kälte, denn genau da sind Celsius und Blödheit gleichwertig. Und das ist verdammt kalt. Ich war noch draußen, eine Cigarette rauchen, doch hielt ich es nicht lange aus. Ich fand einen Radschlüssel. Noch vor ein paar Stunden erklärte ich Almut, daß schon ein Platten ein großes Problem werden konnte, denn ich hatte meine 17er Nuß gesprengt. Zwar hat mir ein sehr freundlicher Leser eine Nuß vor Almuts Türe gelegt, allerdings trat sie die Reise nach Augsburg an und als feststand, daß Almut zu Weihnachten käme, sollte die Nuß wieder nach Leipzig, blieb allerdings dann samt all dem anderen Zeug in Alex' Kofferraum gefangen. So kann es gehen. Und natürlich hatte ich es nicht auf die Reihe gebracht eine passende Nuß hier zu finden, mit diesem steinzeitlichen Inch-System, das man hierzulande benutzt. Das muß ich denen noch irgendwie austreiben. Als ich den Radschlüssel als mit der unbehandschuhten Hand aufhob, merkte ich sofort, daß das eine Dummheit gewesen war. Schmerzen. Ich wollte ich auch bald wieder loslassen, aber meine Finger wollten sich davon nicht so einfach lösen. Mit etwas Geduld und Spucke ging es dann, aber zwei schwarze Flecken blieben zurück. Den rest des Weges kickte ich ihn zum Auto und verwendete ihn dort dann als Handbremse.
In der Rezeption trafen wir dann die Überholten Kentuckyaner wieder. Sie waren auch unterwegs nach Anchorage. Sie gaben mir einen vermeintlich guten Tip für den kürzesten Weg. Ja nicht über Fairbanks, das ist ein Riesenumweg. Ich konnte ihnen nicht begreiflich machen, daß der Weg das Ziel war, und daß man natürlich nach Fairbanks muß, denn dort endet der Alaska Highway. Und ich solle ja nicht speeden auf dem Weg von Fairbanks nach Anchorage. "Kann ich gar nicht mit dem Auto." "Was? So wie Du an uns vorbeigezogen bist?" "Ich war knapp über der erlaubten Geschwindigkeit, ihr wart zu langsam..."
Er erklärte mir nochmal, daß das mit Fairbanks im Winter keine gute Idee sei. Dort sei es viel zu kalt, Bären gebe es und überhaupt, aber wenn wir erfrieren wollten, könnten wir ruhig über Fairbanks fahren. Er was bei der Armee. Was für ein Glück für Amerika, daß es die Airforce gibt. Ohne die wäre es um die Brüder geschehen. Aber ein Land, das soviel Material und Technik besitzt benötigt keine guten Soldaten, hatten sie auch nie, das erklärt auch, warum sie so viele Frauen bei der Armee haben. Infanterie ist reiner Luxus, hat nur Verwaltungsaufgaben.

Unnsere Autos, beide jeweils direkt vor den Zimmerfenstern. Sehr angenehm. Der Fort hing allerdings an der Steckdose.

 


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© by Markus Besold