Alaska 2003
Freitag, 2. Januar 2004

Als wir am morgen aufwachten stellten wir fest, daß die Jalousie innen gefroren war. Das Moskitonetz hinter dem Fenster auch und die Fenster selbst waren von einer Eisschicht innen bedeckt. Tolle Heizung. Ich machte natürlich den Menschen an der Rezeption darauf aufmerksam. Wir durften eine Stunde später auschecken. In der Zeit quälte ich halt den LapTop.

Eis trübt den schönen Blick aus dem Hotelzimmer etwas.

Ich fragte nach, wie kalt es draußen denn sei. "Minus Dreiundvierzig", bekam ich zur Antwort. Minus Dreiungviersig. Das war tatsächlich ein neuer Rekord, zumindest für uns. Noch nie dagewesen. Das mußte ich anfühlen. Lange hielt ich es draußen nicht aus, das ist einfach zu krank. Ich war immer der Ansicht, daß beispielsweise 50 Grad kälte besser seien als 50 Grad Hitze, denn man könne sich unbegrenzt dick anziehen, aber nicht unbegrenzt ausziehen. Außerdem sei es leichter, Wärme zu erzeugen, denn Kälte. Alles schön und gut, aber die 52 Grad plus, die wir damals in Kufra hatten, waren irgendwie doch leichter in den Griff zu kriegen, das ging nicht an die Psyche. Das hier täte es auf die Dauer. Und es bringt einen innerhalb kürzester Zeit um, wenn es denn sein muß, da gibt es kein entrinnen. Um gegen die Hitze anzukämpfen braucht man weiter nichts, als Schatten und Wasser, damit kommt man einige Zeit gut klar. Hier braucht man weitaus mehr.

Wir packten unser Sach und machten uns auf den Weg. Alles ganz behutsam und sacht, immer wieder hinein in die gute Stube und aufwärmen. Als alles gepackt war fuhren wir los. Der Motor war warm, aber alles andere war kurz davor, festzufrieren. Die Kupplung ließ sich schwer treten und man konnte den Fuß seitlich vom Pedal wegziehen, ohne, daß sie zurückschnalzte. Sie kam ganz langsam und wie in Zeitlupe zurück in Grundstellung. Ich versuchte, sie gangbar zu machen, indem ich sie schnell trat und losließ, aber mein Fuß ging leer zurück, das Kupplungspedal kam nach und nach. Das Schalten erforderte beide Hände und das Getriebeöl im Differential fühlte sich an, als wäre es eine breiige Masse. Ganz dicker Kleister oder sowas.

Sign post forest. Der Schilderwald in Dawson Lake. Angeblich wurde er Ende der Vierziger von einem Soldaten angelegt, der hier stationiert war und ganz schlimm Heimweh hatte. Seitdem hängt da jeder Kasper ein Schild darzu. Ist wohl so Sitte.

Wir fuhren mit Vollgas und Schrittempo die Straße entlang und das ganze Fahrgestell war ziemlich laut. Erst nach etwa zwanzig Kilometern kam der Daimler langsam in Fahrt. Die Kupplung blieb jedoch zäh. Wahnsinn... Da zeigt sich wieder mal die Diskrepanz zwischen dem, was ich mir so unter 42 Grad Kälte vorstellte und dem, was zweiundvierzig Grad Kälte in Wirklichkeit bedeuten. Aber es ging voran. "Russische Kälte, Regen und Eis halten uns nicht mehr auf..."

Um unsere Fenster wuchsen bald auch wieder die Eisblumen, bald war rings um uns alles zugewachsen, nur an der Frontscheibe, wo die Hitzer der auf AK laufenden Heizung ausreichte, blieb es frei. Mehr als den Blick nach vorn braucht man hier aber auch nicht, denn man ist praktisch alleine unterwegs auf diesem Highway to hell.
Wir hatten im hotel noch eine Postkarte gefunden auf der Stand ein Vers eines unbekannten Verfassers:

The Alaska Highway

Winding in and winding out
Leaves a lot of serious doubt
If the lout
Who built this route
Was going to hell or comming out.

Doch eine Hölle ist es nicht wirklich, im Gegenteil, dort könnte man sich glatt hinsehnen, denn dort ist es schön warm. Die Sonne streute ihre müden, kalten Strahlen vereinzelt in die Landschaft, wahrscheinlich vermochte die Allmächtige die Temperatur nicht um einen halben Grad anzuheben. Aber wir wollen uns nicht beschweren, wir haben es selbst so gewollt.

Almut ordnete wieder mal, wie jeden Morgen nach dem Auslaufen, die Rückbank. Das ist ihre tägliche Übung, denn ich werf das Zeug immer nur durch die offene Türe, anstatt recht blöd in der Kälte zu stehen und das Zeug vorschriftsmäig auf DIN-A4-Größe zu falten und dann zurechzurücken. Dabei reichte sie mir kommentarlos und beiläufig mit der rechten Hand und ohne den Blick von der Rückbank zu lassen, einen braunen unförmigen Brocken Etwas vor, gerade so als wäre es etwas, was ich schon die ganze Zeit gesucht hatte. Ich nahm es ihr ab. Es war kalt und glitschig. "Wos'n dös für'n Scheiß?" "Die Cola, die Du gestern umgeschüttet hast." Am Vortag hatte Almut mir Cola in den Becher eingeschenkt und diesen auf die Armlehne gestellt. Als ich meinen Ellenbogen auf die eben dafür vorgesehene Lehne wuchtete in meiner Sanften Art, flog der Becher im hohen Bogen nach hinten und setzte einiges unter Cola. Das war somit aufgewischt... Eis zum Frühstück - in Nordkanada. Hat auch was.

Der Alaska Highway nördlich von Watson Lake kurz nach Mittag, augenommen durch die vereisende Frontscheibe.

Und wir mit unserer mangelhaften Winterausrüstung waren froh, im Auto sitzen zu können. Wir begegneten einem Kaputten, der den Highway entlangschlenderte, als wäre er auf dem Sonntagnachmittagsspaziergang an der französischen Riviera. Mein Gasfuß drohte mal wieder abzufrieren, diesmal war es wirklich schlimm. Gottverdammte Stahlkappen. Und ich Idiot wußte es genau, tausendmal hatte ich gelesen, was genagelte Stiefel bei so einem Wetter anrichten, Piekalkiewicz beschreibt es mehr als einmal mit allen Details. Ich wei gar nicht, was ich mir dabei gedacht hatte. Wohl, daß Stahlsohlen und -kappen weniger schlimm wären. Das hat man jetzt davon. Ich wickelte mir die Wolldecke darum, aber das brachte auch nicht viel. Das kann einen wahnsinnig machen. Drei paar Socken, und trotzdem zog die Kälte durch wie nichts und war nicht wegzumachen. Den Fuß vom Gas nehmen kann man ja nicht. Ich zog die Stiefel aus und wickelte mir die Wolldecke stattdessen um. Das half ein wenig, ist aber auch nicht das Wahre. Dann versuchte ich, mit dem Hydraulikschlauch das Gaspedal zu halten, aber auf der kurvigen Straße, die mal bergauf, mal bergab geht, wo man dauernd mit Schlaten beschäftigt ist, da haute das auch nicht hin. Wie soll man denn mit einer Hand Zwischengas geben und gleichzeitig schalten.

Es zog eiskalt hinter dem Gaspeadl hervor, da kann man auch nichts dahinterlegen, denn dann bekommt man das Pedal nicht mehr in Vollaststellung und gerade die braucht man beim 200D ständig, sonst kommt man nicht vom Fleck. Um das Leck zu stopfen, falls es denn eines ist, würde man anhalten müssen, und bei offener Türe werkeln und alles was länger dauert als drei oder vier Minuten ist eine Qual. Handschuhe kann man dabei natürlich vergessen, und die Hände waren in den letzten Tagen ohnehin schon um Jahre gealtert. Die ganze Haut war spröde und schön im Schachbrettmuster aufgerissen. Jedes mal, wenn man die Hand zu einer Faust ballte, z.B. um das Lenkrad anzufassen, platze ein neuer Haarriß irgendwo auf. Ausgetrocknet waren beide, doch die linke ist noch halbwegs in Ordnung, denn die befindet sich immer vor dem Gebläse, aber die Rechte fühlt sich mittlerweile an wie 60er Schlefpapier. Irgendwo hatte ich noch eine norwegische Trancreme, vor Jahren aus meines Vaters Auto gestohlen, wahrscheinlich nur, weil sie norwegisch war. Benutzt hatte ich sie noch kaum, Creme ist für Schwuchtel und Weiber, aber nun, da ich sie brauchte, fand ich sie nicht in meinem Saustall von Kofferraum oder Rückbank. In L.A. hatte ich sie noch kurz vor der Abfahrt in der Hand gehabt und ich bin sicher, sobald ich wieder in der Hitze sein werde, taucht sie recht blöd und unschuldig irgendwo auf. Almut hatte etwas ähnliches dabei und durfte mir während der Fahrt immer die Pfoten eincremen. Geholfen hat das wenig. Ich probierte es mit Diesel, dem altbewährten Wundermittel, aber auch damit ließ sich keine Änderung herbeiführen. Muß man sich eben damit abfinden.

Gerade mal kurz nach halb Drei. Die Sonne ist bereits untergegangen, das Bild ist nach Westen aufgenommen, zeigt also genau die dem Sonnenuntergang gegenüberliegende Seite.

Noch hatten wir viele Stunden Fahrt vor uns, auch wenn die Sonne weg war, der Tag war noch lange nicht um, es war erst früher Nachmittag. "Was machen wir eigentlich hier, kannst Du mir das sagen?", fragte ich Almut, nur, damit die Luft schepperte. "War doch Deine Idee, ich dachte wir fahren nach Detroit, ich wußte nichts von Alaska bis ich in L.A. stand. Aber ich find's schön hier..." "Was? Meine Idee? Hast nicht Du Held mich damals in Argentinien zum Abendessen im Captain Cook in Anchorage eingeladen?" Das war auch schon wieder zwei Jahre her. Das weiß ich noch ganz genau. Eigentlich wollten wir ja zum Weltarabistenkongreß in Anchorage sein, aber dazu waren wir nun zu spät. Der war im Oktober oder so gewesen. Captain Cook mußte jetzt einfach sein. Per aspera ad astra.

Doch der war noch ewig weit weg, wir waren noch überhaupt nicht in Alaska und ob wir da auf dieser Reise hinkommen hängt von der INS ab. Im Norden sind die Leute ja netter als im Süden. Der Wärter einer Tankstelle an der wir anhielten um zu Tanken und um Pappe unter die Fußmatte zu legen, war sicher nur eine ausnahme. Lag wohl daran, daß man von der Tankstelle in jede Richtung hunderte von Kilometern fahren konnte, ohne auch nur eine Hütte zu sehen. Die Pappe half jedenfalls. Das Schmelzwasser, das sich so nach und nach im Fußraum sammelte und durch ein Loch in der Fußmatte zum Blech durchsickerte war nur noch ein Eisbrocken. Den warf ich bei der Gelegenheit auch gleich raus. Das letzte Pepsi war ausgetrunken. Eigentlich waren noch drei im Kofferraum, allerdings zu massiven Eisblöcken erstarrt. Dann mußte es eben ohne Cola gehen.

Es war eine schöne, klare und eisig kalte Nacht.

Maschine, Heizung und Gebläse liefen AK, aus den Lautsprechern erklangen die alten Landsknechtslieder. In manch einem davon erkennt man sich wieder, nur damit es nicht heißt, es gäbe keine Romantik mehr. "Wilde Gesellen vom Sturmwind durchweht, Fürsten in Lumpen und Loden..."
Und unser Eisblumengarten an den Scheiben war schon fast komplett, alle Scheiben zu, richtig dick, aber der vordere Teil des Fahrzeugs war gemütlich warm, nachdem ich vor Whitehorse an einer Tankstelle einen zweiten Karton hinter den Kühlergrill schob und die Temperatur damit auf 100° gebracht hatte. In Whitehorse verfuhren wir uns erst noch kurz. War schon lange nicht mehr vorgekommen. Aber es scheint ein nettes Städchen zu sein. Ruhig und verschalfen auf die Tourisenströme im Sommer wartend. Wir fuhren hinaus aus der Stadt und zogen weiter, näherran an die entscheindende Grenze.

Wir fuhren noch bis Haines. Ein winziges Kaff, eine Tankstelle, drei Bars und drei Motels. Alle zu bis auf eines und an dem Stand schon an der Tür: "Bitte nicht klingeln, außer Sie wollen ein Zimmer." Was bleibt denn anders übrig. Ich klingelte, bat um ein Zimmer, das möglichst nichts kostet und vor dem man parken kann. Parken konnte man davor, aber es kostet einiges. Wir warfen unser Zeug in die warme Stube und fuhren dann los, um etwas zum Essen zu organisieren. Welch idiotischer Gedanke. Es hatte alles zu. Alles. Wahrscheinlich waren alle Einwohner verhungert und keiner hatte es gemerkt. Aber wir sahen schöne Nordlichter am Himmel. Ich fuhr in ihre Richtung, wollte ein paar bilder machen und ab besten ohne die Lichter des Ortes. Wir fanden eine kleine Piste und ich fuhr eine Weile, bis wir in der dunklen Nacht Standen. Nach ein paar Anläufen klappte es auch mit den Bildern halbwegs.

Der Benz unter grün strahlendem Polarlicht. Leider sah das Bild auf der kamera besser aus als auf dem Rechner. Ich mußte Helligkeit und Kontrast etwas bearbeiten.

Wir fuhren ins Motel zurück, legten die Getränke auf die Heizung, aßen noch die restlichen Brote auf, die Mittlerweile wieder Raumtemperatur hatten und legten uns dann hin. Morgen Bordercrossing. Da ist man besser ausgeschlafen.


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