Alaska 2003
Montag, 5. Januar 2004

Almut mußte am Morgen wieder, wie immer, planlos durch die Gegend laufen. Langsam begann es mich zu frieren, die Kälte drang durch die Schlafsäcke. Ich erinnere mich, daß ich mal in Argentinien schon Probleme mit der Kälte gehabt hatte, und dort hatte es damals geschätzt etwa fünf Grad plus gehabt. Hier waren es mindestens -25°, das konnte nicht lange gutgehen. Ich stand auf. Der Innenraum des Daimlers hatte eine sehr angenehme Temperatur, der Motor war selbstverständlich auch in dieser Nacht angeblieben, vielleicht hatte sich deswegen kein Bär blicken lassen. Wie denn auch? Ich hatte in meinem geistigen Dauersuff völlig vergessen, daß Bären ja zu überwintern pflegen. Eisbären dürfte es hier nicht geben, denn dazu ist es zu warm. Den einzigen Grizzly sahen wir, wie gesagt, in der Grenzstation an der Wand hängend und seines gesamten Inhaltes beraubt. Es war ein wunderschöner Sonnenaufgang.

Hinter den Bergen strahlet die Sonne, glühen die Gipfel so rot.
Stehen Maschinen, die woll'n mit uns fahren, fahren in Sieg oder Tod...

Jetzt konnte ich endlich mit Fug und Recht bei Slade mitgröhlen: "I've seen the morning in the mountains of Alaska, I've seen the sunset in the East and in the West..." Und genau mit diesem Lied starteten wir auch den Tag. Das andere hatte ich nicht da, das hätte auch gepaßt. Wir fuhren das letzte Stück. Heute Abend war geplant, zu Captain Cook zum Dinner zu gehen. Die Idee ward in Argentinien geboren und es war Almuts Idee. Endlich sollte das in Erfüllung gehen. Hört sich vielleicht blöd an, aber ich finde es etwas merkwürdig, daß wir jetzt tatsächlich dabei waren, diesen Gedanken in Tat umzusetzen. War ja eigentlich gar kein fester Plan, sondern mehr ein Wunschdenken. Kein Mensch hätte jemals fest damit gerechnet, daß wir wirklich einmal in Alaska landen würden, das schien damals ebenso absurd, als hätten wir uns auf dem Mond oder dem Mars verabredet. Und doch standen wir irgendwie hier. Es hatte sich mehr oder weniger einfach so ergeben.

In Fairbanks fanden wir einen Armyshop. Anständige Schuhe bekam ich nicht, aber Filzeinlagen für die Stiefel und Handschuhe. Sie hatten sogar die Russenmützen, die ich eigentlich haben wollte, allerdings zu horrenden Preisen, daher entschied ich mich für die gefütterte feldgraue schwedische Schildmütze. Jetzt kann das Thermometer von mir aus wieder sinken. In Fairbanks erledigten wir noch den Abwasch und machten Einkäufe im Supermarkt. Mein rechter Fuß taute wieder auf und begann zu schmerzen, daß ich kaum mehr laufen konnte. Sehr unangenehm, hoffentlich friert das Teil nicht wirklich ab, das brauch ich noch zum Gasgeben.
Aber es machte keine Anstalten, denn je mehr wir uns der Küste näherten, desto wärmer wurde es. Ich nahm einige Kartons vor dem Kühler wieder heraus, da die Motortemperatur wieder zu sehr anstieg. An der Tankstelle besah ich mal wieder meine Pfoten: Weiß, rauh mit kleinen Blutkrusten überall. Creme hilft nicht, das Diesel hatte auch nicht geholfen. Diesmal probierte ich es mit 15W30 Motorenöl. Auf der Packung stand, daß erhöhte Schmierung garantiert sei und besser hafte. Mal sehen.

Auf dem Highway in Richtung Anchorage.

Weiter ging es nach Anchorage. Wir trafen am frühen Abend ein und fuhren planlos darinnen umher, natürlich recht proletenhaft mit heruntergekurbeltem Fenster, heraushängendem Arm und - endlich - ausscherendem Heck. Es hatte nicht einmal -15°C, die Luft war feucht und die Straßen glatt. Wie daheim... nur, daß es die Polizei einen Dreck interessiert, wie man fährt, solange man nirgendwo dagegenrumpelt.
Das Telephon hatte plötzlich wieder empfang. Nur konnte man nicht hinaustelephonieren. Irgendwie kriegen die das mit den Mobiltelephonen nicht so richtig auf die Reihe. Aber man braucht es ja nicht wirklich, es ist zwar praktisch, aber bisher ging es auch immer ohne. Bei unserer planlosen Irrfahrt fanden wir zufällig Captain Cook. Es war eines der großen Hochhäuser. Wir parkten davor und gingen hinein. Das Restaurant war im 20. Stockwerk. Leider reagierte der Knopf nicht, wenn man darauf drückte. "Herrgott, Malefiz, gleich schmier ich Dir eine", schrie ich ihn an. Wir fuhren dann zum 18. Stock. Der befand sich wohl gerade im Umbau, wir standen an einer Baustelle. Also wieder hinunter und den verantwortlichen für diese Sauerei ausfindig machen. Wir gingen zur Rezeptoion und fragten, wie man denn ins Restaurant käme. Der Rezeptionsmensch wies uns zu einem uniformierten, der da im Raum stand und wohl sowas war, wie ein Oberpage. Wir gingen zu ihm und fragten nach, was denn mit dem Restaurant los sei. "Das hat Montags geschlossen." Montags geschlossen? Sind die wahnsinnig, einfach so zu schließen, ohne uns vorher etwas zu sagen? "Wollt ihr für morgen eine Reservierung?" Was bleibet uns denn übrig? "Klar. Wir sind nicht den weiten Weg hierher umsonst gefahren. Das mit der Reservierung klappte nicht so ganz, denn die planlose Pagin hatte keinen Plan, was zu tun war. Er entschuldigte sich und wir unterhielten uns noch eine Weile. "Ihr seid ja wohl nicht nur nach Anchorage gekommen, um hier zu Essen, oder?" "Doch, eigentlich schon... Den ganzen weiten Weg, nur um hier zu Essen, und dann sowas, also wissen Sie..." "Wo seid ihr denn hergekommen?" "Los Angeles?" "Ihr seid aus dem warmen Los Angeles hier hergefahren?" "Ja, schon, aber die Idee mit dem Captain Cook entstand in Argentinien. Ja, nämlich. Da fährt man siebzehntausend Meilen, nur um in Eurem Restaurant zu essen und ihr habt zu. Toll..." "Gefahren?" "Ja." "Aus... moment mal, aus Argentinien?" "Ja..." "Er tritt hinter seinem Tresen hervor, kniet nieder und salutiert." "Steh auf, Mann", denk ich mir. Wir fragten ihn nach Internet-Cafés oder ähnlichem. Almut mußte ihren Flug verschieben, anders ging es nicht. Gleich im Hotel war eines. Ein zweiter Page kam hinzu, der Oberpage Namens Jon erzählte ihm die ganze Geschichte. "Was f:ür ein Auto fahrt ihr?" "Mercedes, natürlich, was sonst?" Sie fragten, ob sie es sich anschauen durften. "Klar. Steht vor der Tür", wir mußten sowieso zum Auto, den Computer holen. Sie gingen mit. "Da ist es ja", sagte er, "german engineering. They are the best of the best." Da hatte er recht. "Der läuft ja. Du läßt das Auto laufen? In Amerika? Sehr vertrauensselig. Hast Du nicht Angst, daß es einer klaut?" "Ne, wer klaut ein Auto für 50 Dollar?" Der braucht bloß einen Schritt weitergehen, dann findet er lohnendere Autos. Wenn, dann bricht beiner ein, aber das kann er auch tun, wenn das Auto abgestellt ist. Wir setzten uns gemütlich ins Café. Sehr gediegener Laden, ich paßte da hinten und vorne nicht rein mit meinem derben Aufzug. Aber es störte niemanden. Almut mußte ich noch erklären, wie das mit dem Trinkgeld in Amerika funktioniert. Wir tranken nur einen Tee, die Rechnung belief sich auf 2,50 Dollar. Zahlte die Rechnung plus einen Dollar. Ich legte noch zwei dazu, sie nahm sie wieder weg. "Hä? Drei Dollar Trinkgeld bei einer zwei Dollar Rechnung? Das sind über 100 Prozent." Stimmt. In Deutschland ein Unding, soviel Trinkgeld zu lassen, nur rechnet man hier nicht in Prozent, sondern man gibt Trinkgeld. "Vergiß das mit den Prozent..." Das hatte mir Frank beigebracht.

Wir suchten uns ein Motel und fanden es. Samovar hieß es, klingt irgendwie russisch, aber drin saß ein Koreaner. Jon hatte uns alles aufgezeichnet, was wir am nächsten Morgen brauchen würden. Es war ein Ölwechsel fällig und Almut mußte zum Flughafen. Eine Hitze, hier in Anchorage, kaum 15 Grad unter Null. Zum ersten mal in diesem Jahr wurde der Motor abends abgestellt. Er sollte am nächsten Tag anspringen, so warm, wie es heute war.


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