Alaska 2003
Montag, 12. Januar 2004

Als mich Almut weckte, war es Eilf Uhr, Checkout-Zeit. Das Frühstück war auch verpaßt, aber nichts ist schlimmer als Fahren nach zu wenig Schlaf, dann lieber auf das Frühstück verzichten. Wir hatten in den letzten zwei Tagen zwei Zeitzonen überschritten, waren später ins Bett gekommen und mußten dafür früher raus. Ich hatte das bisher immer nur umgekehrt, denn ich war so im Laufe der Zeit beständig gen Westen gefahren, da bekommt man immer eine Stunde geschenkt, was meist sehr angenehm ist. Aber wenn das so weitergeht, dann überlege ich mir, ob ich nicht einfach eine Bordzeit determiniere, das würde vieles vereinfachen, gerade in Ländern, in denen man nicht von Ladenschlußgesetzen belästigt wird. Normalerweise stört es uns auch nicht, wann Checkout-Zeit ist, denn das ist die erste Fahrt, bei der wir Motels benutzen. Auch wir scheinen langsam in die Jahre zu kommen... Dennoch soll das nicht zur Gewohnheit werden.

Wir fuhren über den Highway und kamen gut voran. Es war ganz ungewohnt einen freien Blick zum Horizont zu haben, es waren weit und breit keine Berge mehr zu sehen, wir rollten durch brettebene Landschaft. Ob das die Great Plains sind, das weiß ich nicht. Ich kannte sie nur bedingt und nur aus dem Erdkundeunterricht bei Herrn Raffler. Das war einer dieser typischen Lehrer, überflüssige Wesen, die den Erdball bevölkern, ohne selbst zu wissen, warum. Er fragte einst in unsere Obertertia: "Was wächst auf den Great Plains?" Ich meldete mich mit wichtiger Miene und es war klar, daß ich aufgerufen würde, denn Mitarbeit meinerseits muß der Lehrer ja würdigen. "Kaugummi und Coca-Cola", kam meine Antwort auf seine Frage und als Reaktion des Lehrers kam die Aufforderrung: "Besold, geh raus aus meinem Unterricht. Sofort." Jedenfalls waren mir die Great Plains seither ein Begriff. Das nenne ich anschaulichen Unterricht, dafür bin ich Herrn Raffler auch herzlich dankbar. Es wäre aber sinnvoll gewesen, hätte er auch noch zu vermitteln verstanden, wo in Amerika diese Great Plains genau liegen, denn Amerika ist groß, davon kann ich ja mittlerweile ein liedchen singen.

Als wir nach Regina kamen, der Hauptstadt des Staates mit dem unaussprechbaren Namen "Sasketchewan", was meiner Meinung nach eine Mischung aus Inka und Russisch sein muß, erledigte Almut Einkäufe in einem Safeway, während ich meinen verkürzten Nachtschlaf nachholte. Sie war nach etwa einer Stunde zurück, hatte auch Öl für den verfressenen Motor mitgebracht. Wir wollten gerade aufbrechen, ich vorher noch einen Schluck Wurzelbier nehmen, das mir entgegensprudelte und alles vollsaute. Ich schmetterte die Flasche vor lauter Wut auf den Boden, aber sie platzte nicht, also stieg ich aus: "Na, wart nur, Bürscherl, solcherne Spassettln mochst Du mir mir need..." Beim Aussteigen donnerte ich die Tür zu, was dazu führte, daß Almuts Kafeebecher, der auf dem Armaturenbrett stand, hinuntersegelte. Verdammte Drecksflasche, ich platzte vor Wut und die Flasche platzte auch endlich, und flog in den Müll. "Rest in pieces, Du Dreck..." Jetzt hatten wir den Salat, alles voller Batz, das pappige Zeug war mir in den Armel gelaufen, nun klebte das Hemd, die Hose, der Sitz, das Lenkrad, einfach alles. "Ich brauch jetzt so eine gottverreckte Coin-Op, sonst kotz ich", fuhr ich fluchend die Hauptstraße des Ortes entlang, "Ständig an jeder Ecke stehen diese Drecksteile, machen sogar Dreck Donnald's Konkurrenz, aber wenn man eine sucht, dann findet man sie nicht. Fuck!" Gerade als ich sagen wollte: "Pfeiff auf den gottverreckten &^$%-Dreck, mir doch &$*-egal", stehen wir vor einer dieser Münzwäschereien. Alles Zeitverlust und wäre das nicht ohnehin schon lange fällig, ich hätte mich grün und blau geärgert.
Da saßen wir dann, tippend bzw. Vokabeln lernend und warteten, bis die Klamotten fertig waren und sahen zu, wie eine Stunde nach der adneren zerronn. Es war schon lange dunkel geworden. Gestern hatten wir einen guten Schnitt hingelegt, doch mittlerweile war es Montag, am Mittwoch um 17 Uhr müssen wir in Detroit sein, heute hatten wir bis dahin armselige 250 km bewältigt, es war schon fast sieben Uhr abends und es fehlten immer noch über fünfhundert. Als kleines Zuckerl gab es noch eine amerikanische Grenze, die zu den furchtbarsten auf dem ganzen Kontinent zählt, auch wenn wir beide unsere Permits bereits in Händen haben.
Aber schlimm ist es auch nicht, wenn Almut ihren Flug verpaßt. Nicht für mich und sie wollte sowieso schon immer durch den mittleren Westen fahren. Was soll's, also. Es kommt, wie es kommen muß. Auch wenn es sich nun anhört, als wollte ich sagen: "Ich vertraue auf Gott und bete zu Daimler", so ist genau das Gegenteil der Fall: "Ich vertraue auf Daimler und bete zu Gott". Und so lange Almut gelassen auf dem Beifahrersitz hockt und sich durch nichts aus der Ruhe bringen läßt, wieso sollte ich das tun?

Wir kachelten weiter bis zur Grenze. Diesmal hielt ich auf kanadischer Seite an und fragte nach einem Ausreisestempel. "Ausreisestempel gibt es hier nicht..." Was sollte das nun? "Ich reise doch aus." "Ja, da müssen sie zu den Amerikanern gehen, Sie befinden sich immer noch in Kanada." "Sir, das weiß ich, ich will ja auch einen kanadischen Ausreisestempel, keinen amerikanischen, dort reise ich ja gleich ein." Aber er blieb dabei, daß es keine Ausreisestempel nicht gebe, ich wäre sonst der erste, der während seiner 24jährigen Dienstzeit beim Ausreisen einen Stempel kriegen würde. "Nunja, das wäre in der Tat erstaunlich, allerdings ist es ebenso erstaunlich, daß Kanada das erste von etwa 40 Ländern ist, das einem die Ausreise nicht Dokumentiert. Dann könnte ich ja theoretisch im Land bleiben, so lange ich möchte und nach jeder Ausreise krieg ich einen neuen Stempel." Da konnte er nicht widersprechen. Normalerweise reicht das Flugticket als Nachweis, daß man das Land rechtzeitig verlassen hat, aber den Kanadiern scheint das egal zu sein. Umso besser, dann weiß ich wenigstens, wohin, wenn mir die Tricks zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in den USA zu Ende gehen. Halbes Jahr nach Kanada, überbrücken, dann wieder hinein in die gute Stube. Scheint ja keinen zu stören.

Der amerikanische Grenzposten war schon in Sichtweite. Wir fuhren hin, da kamen sie schon heraus. Ich wollte aussteigen, aber man hieß mich sitzenbleiben. Das tat ich. Zu Dritt rückten sie gleich an. Fragten nach dies und jenem, wir zeigten ihnen unsere Waiver, was bedeutet, daß wir die Prozedur uns sparen konnten, denn wir sind praktisch schon eingereist, ganz legal und es ist nicht damit zu rechnen, daß sie das rückgängig machen. Die üblichen Fragen: Woher, Wohin, wie lange seit der ersten Ausreise? Wie lange in Kanada, wie lange hierbleiben? "Ihr Flug geht übermorgen in Detroit, meiner im März in New York. Das wurde akzeptiert. "Alkohol, Tabakwaren?" "Nein", sag ich, und zeig ihm die letzte, seit Regina leere Cigarettenschachtel, "im Gegenteil, ich brauch dringend neuen Tabak..." "Sixteen Miles", war die Antwort. Kippen sind dort drüben einfach zu teuer. Dann wurde das Auto oberflächlich durchsucht, und wir wurden hineingebeten. "Sie können gleich hinein", meinte er zu Almut, mich bat er, das Auto etwas an die Seite zu fahren. Als ich hineinkam, fragte ich mich, was das gesollt hat, denn wir waren schon fertig. Ich habe es bis heute nicht herausgefunden. Man wünschte uns eine gute Reise, gab uns jeweils einen Stempel in den Paß, mehr zum Spaß, denn wir hatten sie ja schon in L.A. bzw. in Alaska bekommen. Nachdem ihnen wohl auch nicht einfiel, warum sie uns eigentlich in das Gebäude gebeten hatten, schickten sie uns weiter. Es ist Winter und denen muß verdammt langweilig sein. Nette Grenzen sind das hier im Norden. Nur gut, daß Almut dabei war, ich kann mir gut vorstellen, wie die mich ansonsten auseinandergenommen hätten, seit Wochen ohne Beschäftigung...

Blick aus dem MotelzimmerBloß schnell Weg. Von US-Grenzen möcht ich eigentlich Abstand, und wenn es noch so nette Beamte sind. "Ha!", plärrte ich Almut ins Ohr, "wir sind drin! Wollte mir weißmachen: Ganz einfach geht das. Mit einem Trick. Einfach durchsacken lassen..." Raus aus den Staaten, Ausreise bestätigen lassen, nett durch Kanada dieseln, rein nach Alaska, doch klar, daß wir Touris sind, sieht man doch, dann wieder zurück, Ausreie unbemerkt vollziehen, dann wieder durch Kanada, und dann wieder hinein in die Staaten mit der Erlaubnis, die man sich in Alaska geholt hat. Wie damals in Südamerika, zumindest ähnlich. Und es hat geklappt. Für diesmal waren wir drin und ich hatte weitere drei Monate. Kurz darauf konnte man auch Manu Chau aus den Lautsprechern singen hören: "Correr es mi destino, para burlar la ley..." Kommt hin, man darf sich angesprochen fühlen.

An der ersten Tankstelle, wurden Kippen gekauft. Wurde ja Zeit, dann die letzten Alaska-Postkarten in den Briefkasten geworfen und weiter. An der nächsten Tankstelle wurde Diesel gebunkert. Es wurde wieder kälter, ich tat einen Karton wieder vor den Kühler. Dieser gottverdammte Haubenverschluß hatte es genau beieinander. Ich drosch die Haube zu, aber sie kam mir blöd und wollte nicht zugehen. Mit dem Fuß nachgeholfen, dann ging auch das. Ein Kaff weiter hielt ich, um endgültig diesen Dreck zu reparieren, der mich schon seit langer Zeit nervt. Beim Veruch, das Teil geradezuklopfen, riß das Plastikteil ab. Beschissene Fehlkonstruktion, da gehört Metall hin, meinetwegen mit einem Gummiüberzug, damit einem die Finger nicht festfrieren oder anbrennen, aber kein Hartplastik. Ich hatte keine Lust, extra Draht aus den Tiefen des Kofferraums hervorzukramen. Und ich hatte genausowenig Lust, einen neuen Verschluß zu kaufen, denn dieser Dreck geht ja doch nur wieder kaputt. Das ist wieder eine Sache, die beim Strichachter wesentlich intelligenter gelöst war. Ebenso die Anordnung von Aschenbecher, Radio und Bedienknöpfen in der Mittelkonsole. Ich weiß nicht, warum sie das ändern mußten. Never change a winning team... Ich hasse Plastik. Ich versuchte einen neuen Griff zu basteln mit dem, was mir zur Verfügung stand, doch irgendwann wurde es mir zu kalt und zu bunt. "Dir werd ich schon zeigen, wer hier der Alpha ist..." Ich suchte den gröbsten Schraubenschlüssel aus dem Werkzeugkasten, schloß die Haube und schlug auf den Kühlergrill ein, bis ein Loch entstand, das groß genug war, daß ich mit der Hand hineingreifen konnte und ich so auf das schwule Plastikteil fortan verzichten konnte. "So, auf groben Klotz ein grober Keil..." Ich klickte das passende Lied her: EAV, "Willkommen im Neanderthal..." und wir fuhren weiter in die Nacht hinein. Almut bestätigte mir, daß wir uns in den Great Plains befanden. Na, also, es klappt schon alles irgendwie. Nur mit dem Tagesschnitt sah es wieder sehr mager aus. Ich fand es besser, noch in Montana zu übernachten, wegen der Zeitverschiebung. Hier war es erst kurz vor eins, während es bei uns schon kurz vor zwei gewesen wäre. 37 Meilen vor dem nächsten Staat blieben wir wieder in einem Motel. Es hatte 14 Grad Uneinsichtigkeit, da mein Handy nicht funktioniert und ich nicht wußte, was das in Celsius bedeutet, ließ ich den Motor sicherheitshalber wieder laufen. Keinen Bock auf große Startaktionen in der Früh. Wir hatten vor, einzusteigen und loszudüsen. Morgen ist Gewaltmarsch angesagt.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold