Freitag, der Dreißigste Januar 2004

Chicago intl. AirportUm fünf klopfte es an der Türe. Ich machte auf und Martin stand davor. Völlig verschlafen. "Was los? Fahmer zum Flughafen oder willst lieber weiterschlafen?" Ratter, ratter... "Schei... Bin gleich fertig." Ich packte in Windeseile zusammen, wir stürzten in den Panzer und fuhren los. Gut, daß man hier links und rechts überholen kann. Wenigstens das funktioniert. Leider war die ganze hetzerei umsonst gewesen, denn als ich am Schalter stand, erklärte man mir, daß ich zu spät sei. "Wie meinen sie zu spät, der Flug geht um 50, wir haben jetzt halb, wieso zu spät?" Halbe Stunde vorher machen sie zu, wohl wegen der Sicherheitschecks. Was soll das den schon wieder? So eine Dreckecke aber auch. "Ich will nur nach L.A., nicht nach Bagdad fliegen, Mylady, wieso muß ich da schon ein Jahr im voraus am Flughafen sein?" "Nicht ein Jahr, eine Stunde reicht, und jetzt ist eben nun mal zu und ich habe sie für den Flug um 8:40 Uhr eingecheckt." Nun, dafür war ich überpünktlich. Ich ging gleich zur Schleuse, wo ich auch prompt auseinandergenommen wurde. Erst der LapTop, dann der Rucksack, dann die Stiefel. Dann durch die Schleuse. Es piepst. Ich wieder zurück, den Tascheninhalt auf das Tablett gelegt, wieder durch. Wieder piepst es. Wieder ging ich zurück und legte auch noch das Koppel ab. Ich latschte wieder durch die Schleuse. Und gleich nochmal. "Ach, gib doch a Ruh', Du assozialer Typ, Du", zitierte ich Pater Stephan, aber das Teil piepste munter weiter. Man bat mich zur Seite und ich nahm Platz auf einem Stuhl. Die Lodenhose hatte wohl bauartbedingt eine Menge Schwedenstahl. Knöpfe, Bänder mit Schnallen, Haken für die Stiefel. Da gab es einmal einen Spruch in den 20ern, als die berühmten "Hemdenverbote" erteilt wurden. "Es blökt das Schaf, es lacht das Rind, weil Hemden Staatsgefährdend sind". Und wie damals so ist es auch heut, man versucht es auf Kleidung abzuwälzen, wenn die eigene Politik versagt. Wenn die Mister Bushs weniger Bomben würden, dann könnten sich die Amerikaner einen guten Teil dieses Rummels sparen, aber es ist ja wieder klar, wer es ausbaden darf. Mr. Bush hat ein eigenes Flugzeug und wird nicht gebeten, seine Schuhe auszuziehen. Das sollten sie vielleicht mal einführen. Nachdem sich der Securitychef vergewissert hatte, daß also meine Lodenhose nicht dazu geeignet ist, einem Piloten das Auge auszustechen und das Flugzeug dann in den Graben zu setzen durfte ich passieren. Danach gab es auch keine Nervereien mehr, alles in Ordnung. Das Flugzeug stand bereit, ich setzte mich hinein, lehnte den Zitz zurück und schlief ein. Das war gemütlich, bis die Stewardess ankam und mich zum Start weckte. Sitzposition auf Null bringen.
Kaum gestartet, setzte das Flugzeug auch schon wieder zur Landung an. Wir waren in Chicago. Auch hier keine Probleme, einfach von einem Terminal zum anderen und schon war die Sache erledigt. Allerdings war ich immer noch völlig übermüdet, gereizt und völlig verloren, ohne den Daimler. Ich sah noch günstige Cigaretten. Zwei Stangen Gauloises für 35 Dollar. "Wo fliegen sie hin?" "L.A." "Dann dürfen Sie die nicht kaufen, sind nur für internationale Flüge", sagte die häßliche Verkäuferin mit russischem Akzent, und riß mir die Kippen aus der Hand. "Blöde Sau, wir sind hier nicht auf dem Kasernenhof.", murmelte ich im Gehen vor mich hin, "Swelotsch", fiel mir dann noch auf Russisch ein und ich warf's ihr hin. Was sie allerdings darauf erwiederte, verstand ich nicht. Aber es war eine ganze Menge. Ohne mich darum zu kümmern schlenderte ich zum nächsten Terminal und setzte mich ins Flugzeug, nachdem ich mir eine völlig überteuerte Pizza einwerfen mußte, weil auf dem Flug nichts serviert wird. Kann man wohl für 150 Dollar nicht verlangen, aber es sind immerhin fünf Stunden Flug.

Es gab tatsächlich nichts, aber auch gar nichts. Sogar Avianca von Kolumbien nach Panama, servierte in den zwei Flugstunden wenigstens ein Sandwich. Billigheimer. Aber wenigstens konnte ich fünf Stunden ungestört schlafen. Kurz vor der Landung rief ich per Handy ein wenig rum, wer mich denn nun abholen könnte. Es war kurz nach Mittag, als ich in LAX ausstieg. Ich hatte nur Handgepäck, war also gleich draußen. Matt hatte angerufen, wo ich denn bliebe, es wäre Arbeit da. Während ich auf Hans wartete und da stand in meiner Winterausrüstung komme eine etwas seltsam aussehende Erscheinung und meint: "Nice Capp". Ich schau sie an und konnte überhaupt nichts mit der Frau anfangen. "Ja, gell? Ist schwedisch." "Schwedisch? Das ist nicht weit weg von mir ich bin auch fast von dort. Ich bin aus Deutschland, das ist gleich nebenan." "So, dann sind wir ja praktisch Nachbarn?", antwortete ich auf Deutsch. "Bist Du auch aus Deutschland?" "Na. Aus Bayern eigentlich eher..." "Heute ist Deein Glückstag", sagte sie und eh ich fragen konnte, ob der Motor denn schon eingebaut wäre, drückte sie mir zwei Bücher in die Hand. "Schenk ich Dir. Lebst Du auch in L.A.?" "Ich versuch's gerade. Wieso?" "Weil ich leb nämlich schon seit ein paar jahren hier." Dann erzählte sie irgendwelche Geschichten von wegen Yoga und Buddha. Ich dachte, ich steh im Wald. Was sollte das denn? "Gleich kommt die Frage nach einer Spende", dachte ich mir. Und nachdem sie mir dann auch noch erklärt hatte, daß sie ein Mönch sei und daß Yoga nichts mit Kopfstandmachen zu tun hätte und daß die Bücher von Mönchen in Nepal gefertigt seien, wofür sie meiner Meinung nach zu hochindustriell aussahen, fragte sie mich, ob ich nicht ein Geld da hätte. "Geld?" "Ja, irgendwas, was von Herzen kommt." "Wie lange wohnst Du denn schon hier?" "Fast fünf Jahre." "Und da hast Du immer noch nicht mitgekriegt, daß in Amerika alles nur mit Kreditkarten läuft?" Da Hans gerade heranfuhr und "He, Besold!" aus dem Fenster brüllte, drückte ich ihr die Bücher wieder in die Hand und wünschte ihr viel Erfolg beim nächsten Deppen. Also, sowas.

"Was war denn das für eine Tonne?", fragte er mich. "Keine Ahnung, irgend ein indischer Mönch." Dem Umfang nach zu urteilen wohl mit Buddha persönlich verwandt. "Alter, geht 'ne Kippe?" "Naa, i hob aafg'hert." "Was? Aufgehört? Bist Du noch zu retten? Wirst krank, am Ende noch..." Bald schon standen wir vor Wolfgangs Tür. Gerade als ich ausstieg, fuhr eine Kundin weg, für die wir vor der Abreise noch schnell ein Bett zusammengeschustert hatten. Ein Model soll das angeblich sein, was meiner Meinung nach nicht an ihr liegt, sondern daran, daß sich mit der heutigen Kameratechnik fast alles machen läßt. Denn ich würde sie beschreiben als eine Mischung zwischen Feuermelder und Bügelbrett. Oder sie kennt jemanden, der irgendjemanden kennt - kann auch sein. So läuft es jedenfalls meistens, gerade in den USA. So stand ich dann in voller Montur bei Wolfgang in der Garage und muß wohl völlig verstört ausgesehen haben. Ich kam mir völlig fehl am Platze vor, das Gefühl, heimgekommen zu sein fehlte gänzlich, im Gegenteil. Fehl am Platz. Das ist genau die richtige Bezeichnung. Die Tatsache, daß ich in voller Alaskaausrüstung unter der sengenden Sonne Kaliforniens stand, brachte dieses Gefühl nur in unzureichendem Maße zum Ausdruck. "Freust Dich schon auf die Tina? Die arbeitet doch morgen.", fragte mich Wolfgang. "Auf irgendwas muß man sich doch freuen. Scheiß, ich will mein Auto wieder..."

Wir fuhren noch los und besorgten einen Mietwagen, denn ohne Auto geht hier nichts, aber auch gar nichts. Irgendeine billige Schüssel, auch ein 600er könnte in diesem Falle nichts ersetzen, warum also mehr ausgeben als unbedingt notwendig? 180 Dollar die Woche. Nicht gerade billig. Normalerweise müßte man das doppelte verlangen, um sich überhaupt in eine solche Reisschüssel zu setzen. Aber das war mir jetzt auch wurscht. Anfangen konnte man mit mir erst mal gar nichts, ich legte mich abends bei Wolfgang in den Wintergarten und schlief mich aus. Das war also vorerst das unrühmliche Ende der Alaskafahrt. Nun heißt es aussitzen - es kommt in diesem Falle einem absitzen gleich .

"Vom Falken zum Küken in nur einer Lektion."

 


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