Zurück in L.A.
31. Januar bis 15. Februar 2004

Nachdem ich festgestellt hatte, daß alle Holzhändler im Großraum L.A. geschlossen hatten, fuhr ich in die Tränke und verbrachte den Nachmittag an Tinas Theke. Gar nicht unangenehm, man hätte glatt meinen können, die Welt sei in Ordnung. Wie früher, Matt war auch da, es wurde jede Menge Unsinn geredet und so war der Tag dann auch auf die angenehmste Weise vollbracht. Tina ist eine seltsame Erscheinung. Wie soviel Planlosigkeit und Verwirrung in so einen kleinen Kopf hineinpassen, das bleibt mir ewig ein Rätsel. Aber witzig. Wie an allen Fronten geht auch hier nichts zurück, aber alles nur sehr zäh voran, der erhoffte Durchbruch blieb aus. Auch der Sonntag ging in diesem Stil vor sich. Fortschritte zu verzeichnen, allerdings gemessen am Aufwand kaum nennenswert. "Westfront 1918", könnte man als treffende Umschreibung heranholen. Immerhin mußte ich feststellen, daß sie eine gute Fahrerin ist. Den Mietwagen durfte sie gerne fahren, bin froh, wenn ich das nicht tun muß. Im Benz hätte ich sie wohl in 100 Jahren nicht auf den Fahrerthron gelassen, schließlich hört beim Auto der Spaß auf.
Natürlich mußte mir da jemand einen 240D genau neben meine Mietschüssel parken, was natürlich wie man sich denken kann das Allerbeste war, um meine Stimmung auf Tauchstation zu bringen. Resigniert setzte ich mich dann auf "meinen" Parkplatz, steckte mir eine Cigarette ins Gesicht und betrachtete wehmütig die Öllache, die sich im Laufe der letzten Monate hier angesammelt hatte und von meinem geliebten Daimler stammte.

Abends vor der Taverne
Träum ich von Dir
Liebstes, in weiter Ferne
Wann kommst Du zu mir?

Mit dem Verkauf des Toten Löwens muß irgendwie etwas schiefgelaufen sein. Das Schild war weg und die Gerüchteküche kochte über. Was ist nur los mir der Russenmafia? Keine Gelder mehr? Wird mal Zeit, daß der derzeitige Wirt die Kurve krazt, wenn es schon nicht abkratzt, aber auch da scheint sich nichts zu tun. Man kann also mit Fug und Recht sagen, daß meine gesamte Situation momentan festgefahren ist. In jeder Beziehung. Es muß irgendwann wieder vorwärtsgehen. Wo der Diesel hämmert, da geht's gewöhnlich vorwärts - und der Teufel, der lacht nur dazu.
Zwei Wochen in L.A. anpacken, dann am 15. wieder zurück nach Detroit. Natürlich pickt man sich die bestbezahlten Arbeiten heraus, was man sich ja mittlerweile erlauben kann. Wenigstens das klappt, wenn auch die Arbeitsmoral nach diesem ganzen Durcheinander auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Was mich dazu zwingt ist nur die Hoffnung, bald wieder in einem richtigen Auto über den Highway brettern zu können. Das ist der einzige Ausweg, daher Augen zu und durch.

Diesen in Destroit angestellten Unsinn mit dem michiganesischen Führerschein konnte ich auch gut ausbügeln. Schon allein deswegen angenehmer, weil man hier immer, wenn das Englische versagt, auf Spanisch umschalten kann. In Destroit hülfe einem nichteinmal Swahili weiter. Ich erzählte ihr die Geschichte vom Pferd, daß nämlich die Polizei in Destroit mich angehalten hätte, aber meinen kalifornischen Führerschein nicht akzeptiert hätte, weil das Datum falsch war. Ich hätte also in Michigan einen neuen machen müssen und die hätten mir ein Loch in meinen kalifornischen gestanzt. "Muß ich jetzt die Prüfung noch einmal machen?" "Nein", sagte sie, "sie müssen nicht einmal die Gebühr bezahlen, denn es war nicht ihr Fehler, sondern unserer." Wie schön ist es, zuhaus zu sein. Sie gab mir sogar Vorrang, so, daß ich mich nicht in die endlose Schlange stellen mußte. Leder mußte ich dieses Angebot ausschlagen, denn ich wollte noch warten, bis der Führerschein in Michigan angekommen war, dann hätte ich also doch zwei, auch wenn nur der kalifornische Gültigkeit besaß. Mehr wollte ich doch nicht. "Dankeschön, vielen Dank auch, ich liebe dieses Land..."

In den nächsten zwei Wochen war ich also beschäftigt. Arbeit bis über beide Ohren. Ich startete gleich am Montag, eine Küche wiederherstellen in Hollywood. Der Montag fing gleich prima an. Parking Enforcement fuhr an, bevor ich draußen war, hatte die fette Sau schon das Ticket ausgestellt. "He, Madam, ist ja gut, ich fahr ja schon weg." "Jetzt hab ich es schon ausgestellt." Diese verdammten amerikanischen Kennzeichen, daran hatte ich gar nicht gedacht. Mist. 50 Dollar für den Arsch. "Sie müssen das Auto da wegfahren, die Straßenkehrmaschine kommt gleich." "Das wollte ich doch machen. Würden sie bitte so nett sein, und das Ticket wieder zurücknehmen?" "Nein. Fahren Sie das Auto weg." "Well, thank you very much, Madam, aber wenn ich schon Standgebühr zahle, dann bleib ich auch für den Rest des Tages stehen." "Die Kehrmaschine muß da vorbei." "Entweder Ticket oder eine saubere Straße. Wiedersehen." Sie fuhr weg, ich schrie ihr nach: "Geh doch zurück auf Deinen Baum!", dann zur Belegschaft, "Seht ihr? Das hat man nun vom Sklavenhandel... Diese Schnapsidee kann nur von den verdammten Briten stammen. 50 Dollar." Das Auto blieb dort natürlich stehen. Logisch.

Monty Python läßt seine Putzfrau in "Sinn des Lebens" sagen: "Und sehen Sie? Obwohl ich jetzt ganz unten bin... wenigstens arbeite ich nicht für einen Juden." Ich konnnte das von mir in diesen Tagen nicht behaupten. Allerdings waren meine Erfahrung ganz und gar positiv. Der Bauherr war ein Israeli, er kam am Nachmittag des ersten Arbeitstages vorbei. Als ihm Matt erzählte, er habe einen deutschen Schreiner aufgetrieben, der die Küche macht, grinst der Bauherr über das ganze Gesicht. "Du bist also der deustche Schreiner? Siehst gar nicht so aus. Aber feine Sache. Cheil Chitler! Eins Zuai Drai Fir!" Dann erging eine Lobeshymne an die deutsche Handwerkstkunst. "Wenn die Deutschen etwas machen, dann machen sie es perfekt!", erzählte er Stolz dem ebenfalls jüdischen Contractor. So nennt man hier die Leute, die die Baustelle leiten. Dann klopft er mir auf die Schulter. "Siehst Du? Und wir leben immer noch. So lange es die Welt gibt, wird es auch Juden geben. Wenn es die Deutschen nicht geschafft haben, dann schafft es keiner." "Ja, da bin ich auch sehr froh drum", sagte ich, "sonst hätte ich jetzt keine Küche zum herrichten." Er zahlt sehr gut und anstandslos, no Checks, no Plasticmoney, keine Umschweife und kein "der Check ist noch nicht gecleart" und kein "morgen geb ich Dir einen Check", wie man es sonst gewohnt ist. Einfach nur "Very good job, my german friend" und ein paar hunderter wandern aus seinem dicken Geldbeutel in meine Hände. Nur auf die Baraber ist er nicht gut zu sprechen. Ab und zu fallen ein paar Bemerkungen wie: "Dieser Müll! Und dieser Sharon ist auch so eine Flasche. Der sollte sich einfach von den USA ein paar B52 ausleihen und die Araber plattmschen." Allgemeines Gelächter. "Genau!", füg ich hinzu, "und alle, die wo übrigbleiben muß man dann durch Massenerschießungen hinrichten..." Noch mehr Gelächter. Mittags kam er immer mit seinem himmelsundteuren Jaguar angefahren und brüllte so lange "Brotzeit", bis auch der letzte Maurer zu Tische saß. Und er saß auch mit den Arbeitern beisammen und erzählte von Daheim, von seiner Zeit im Sechstagekrieg oder wetterte auf Sharon und die Palästinenser. Das Arbeitsklima ist jedefalls hervorragend, die Zeiteinteilung auch. Ich konnte anfangen, wann ich wollte und arbeiten solange es mir gefiel. Oft stand ich noch in mitten der Nacht an der Kreissäge und machte meine Zuschnitte. Stört keinen Menschen. Das ware in Deutschland undenkbar in so einem ruhigen Viertel. Was auch praktisch war an dieser Baustelle war, daß ich mir die unangenehme Fahrerei mit dem pöbelhaften Mietwagen ersparen konnte. Ich blieb einfach auf der Baustelle über Nacht. Wer in Afrika schlafen kann, der kann überall schlafen. Alte chinesische Weisheit.

Wie wir's doch gemütlich hatten
Auf unsern Eisenplatten.

Am Mittwochabend, wie immer, war Social Live angesagt und das heißt seit Oktober Tina Dickson. Sie bedient hinter der Theke und selbst sitzet man davor und trinket aus den goldnen Hopfensaft. Manchmal kommt es vor, daß nebenan ein Hurra-Patriot sitzt, der sich hundertprozentig mit der Vorstellung deckt, die ich von dem Amerikaner an sich hatte, bevor ich in Kalifornien gelandet bin. Der vor Bushman am liebsten auf die Knie fallen würde und der jeden Krieg den die US-Streitkräfte führen befürwortet, der einem etwas vorschwärmt von der besten Armee der Welt und der, um auch keinen Zweifel darüber zu lassen, daß er die "intellectual capacity of a boiled potato" hat, allen Ernstes auch noch einem zu erklären versucht, daß das "Standard"-System besser sei als metrisch. Bei dem haben sie für die Gehirnwäsche wohl Chlor verwendet, denn es war wirklich erstaunlich, daß auch nicht ein einziger kleiner Fleck gesunden Menschenverstandes bei ihm zurückgeblieben war. Es sei akkurater, also besser, weil es teilbar sei. Bei "metric" kann man nur durch 1, 2, 5 und 10 teilen, bei Standard könne man immer durch alles Teilen. "Schön, dann teil mir doch bitte mal 21 Inches in 10 gleiche Teile. Ich bau da nämlich gerade eine Küche und hab mich heute den ganzen Tag gefragt, wie das wohl ein Profi hierzulande macht. Oder gibt es hier keine?" "Das ist doch einfach", sagt er, "das sind Zwei und ein Zehntel". Ich applaudierte anerkennend: "Super! Gut gemacht! Und wenn Du das jetzt auf dem Maßband mir zeigen kannst, wo sich die 1/10-Marke befindet, dann glaub ich Dir am Ende das auch noch." Da müsse man ein wenig schätzen, aber das ginge schon. "Deswegen paßt hier wohl hinten und vorne nichts. Wir machen das so: 21 Inches sind 53.3 cm, geteilt durch 10 sind 53.3 mm. Man muß immer nur durch 10 teilen. Meter ist das Grundmaß, mal zehn - größere Einheiten, geteilt durch zehn - kleinere Einheiten. Geht's einfacher?" Aber es war komplett sinnlos. Wie würgt man so einen am besten ab? Als erstes etwas lauter werden und warten, bis sich genügend Zuhörer versammelt haben. Dann den anderen dazu bringen, daß er mehr oder weniger ein Resümee bringt. Dann das Grand Finale, was wirklich nicht schwer zu bewerkstelligen ist: "Alle, die metrisch benutzen sind dumm? Die US-Army fährt auf Metrisch... Also ist die US-Army dumm. O si tacuisses, philosophus mansisses. Dankesehr. Na Zdrowia." Schön, sich auch mal mit Intellektuellen zu unterhalten.

Vorher... ...Nachher

Ab und zu steckt dann der Wirt sein bescheuertes Gesicht zur Tür herein, um sicherzustellen, daß um Eins alle Gäste draußen sind. Als es fünf vor eins war und immer noch Gäste in der Mittelbar saßen, mußte ich eingreifen, nicht, daß da wieder jemand meine Mittwochabende versaut. "He, Leute, ich will nicht unhöflich sein, aber wenn ihr noch länger hierbleibt kriegt das Teil da hinter der Theke Ärger und ihr könntet dafür erschossen werden. Das ist Amerika! Mit diesen Feuerwaffen ist nicht zu spaßen... Denkt an Columbine." So einfach geht das. Man muß mit den Leuten nur reden.

Ich hatte den Mietwagen, dieser war versichert, und bei dem ist es mir auch egal, wenn ich wo gegen fahre. Der hat Airbag. So fuhr ich dann brav zu meiner Baustelle zurück und legte mich in die Federn. Federn ist natürlich viel zu großzügig, es handelte sich um ein Tuch, das irgendwo auf der Baustelle herumlag, eine Decke, die ich von Elke geschnorrt hatte und meinen Mantel. So ist es eben, ohne Auto. "Dem Wurme gleich ich, der im Staube lebt." Aber wenn man schläft, dann weiß man nicht, ob man in einer Hilton-Suite oder eben irgendwo zu Staube liegt.

Donnerstag und Freitag wurde durchgeschuttelt, die Arbeit geriet nur dann ins Stocken, wenn das nötige Werkzeug nicht vorhanden war. Der Samstag war im Eimer. Ich kam in den Löwen, Frank unterhielt sich gerade mit dem idiotischen Wirt, so ging ich stracks hinauf in den Biergarten. Elsa, die Frau vom Wirt stand dahinter. Ich dachte, ich seh nicht recht. "Hallo Elsa, wo ist denn meine Lieblingsbedienung?" "Die hat Dich verlassen." "Neiiiin, was ist mit ihr, sag schon, auaua!" "Wie ich schon sagte..." Ich ging hin zu Sarah. "He, was ist denn hier los? Warum ist alles kaputt?" "Wie kaputt? Was meinst Du?" "Ja, wo ist die Tina?" "Die ist heimgegangen, der war ziemlich übel." Ich zog einen Schnabel. "Poor Baby, keine Tina heute..." Maul halten. Zefix. Kein Auto, keine Tina, kein LapTop. Was soll nur aus mir werden? "Elke!!! Tu mir ein Bier her, ich sterb' jetzt..." Danach machte ich mich wieder frustriert an die Arbeit. So ein Käse. Das ist genau das, was ich meine, wenn ich sage, daß man in L.A. ohne Auto einfach der Depp vom Dienst ist. Ohne Auto klappt nun mal nichts. Man stelle sich mal vor, wie es erst in Destroit sein muß, wenn man dort lebt und kein Auto hat.

Am nächsten Tag war sie aber wieder in alter Frische bei der Arbeit. Ich ging hinein. "Hallo Markus!" Ich antwortete nichts, ging hinter die Theke, hielt ihr mein Gesicht hin und zeigte auf meine aufgeblasene Wange. Bald darauf gab sie mir einen Schmatzer. "So. Brav. Und jetzt sagst noch 'Entschuldigung'" "Für was? Weil ich gestern krank war?" "Dafür, daß Du mir meinen Samstag bis in den Grund zerstört hast und mich beinahe getötet hast dabei." "Wie das denn?" "Ja, Du, komm, ich geht quietschvergnügt die Treppe hoch, denke Du stehst da oben und krieg fast einen Augenkrebs. Sowas macht man doch nicht." "Ich hab eigens dem Frank gesagt, er soll Dir sagen, daß ich heimgehe." Als Frank später einlief warf ich ihm genau das vor. "Ja, Mensch, ich wollte Dir das noch sagen, aber Du bist durch den Laden gestürmt, und bist so schnell durchgefegt, daß ich gar nicht dazu kam..." "Ach, was, ihr hab Euch alle gegen mich geschwört, so schaut's aus... Ich will jetzt mein Auto wieder haben, Zefix. Das darf es doch nicht geben."

Ein Brief von Almut war angekommen, darin befandes sich unter anderem ein interessanter Artikel über Destroit, welche darnach eine der größten Geisterstädte der Welt ist, was ich gerne glaube. Wenn es irgendwo Spukt, dann dort. Und bald würde ich wieder dort stehen. In der ganzen Zeit war natürlich überhaupt nichts geschehen. Das einzige, was sich geändert hatte war Dillesens Kontostand. Dort wurden 1.275 Dollar abgebucht. Aber vom Motor weit und breit nicht die geringste Spur. Das ist wie in der dritten Welt, da muß man ständig irgendwelche Ärsche treten, damit überhaupt etwas läuft. Drecksecke, da oben. viel bis sieben Werktage hieß es, der vierzehnte Werktag war schon bald um und immer noch keim Motor.

In der zweiten Woche nahm ich eine Arbeit an, die mir Wolfgang anbot. Wieder eine Küche, doch schon in den ersten Minuten des ersten Arbeitstages bereute ich es. Erstens ist das am Arsch der Welt, irgendwo in Pasadena draußen, und dann hantiert man einfach mit Hobby-Heimwerkermethoden. Es ist nicht so, daß man keine genaue Zeichnung hätte. Die ist vorhenden, wenn auch in "Standard". So ein Dreck, diese Bemaßung, denn die bleiben hier nicht bei einer Einheit, also bei Inches, sondern es geht immer hin und her. Mal 53 Inches, mal 3 Fuß 8 und 7/8. Das macht einen Wahnsinnig, und wenn man ein Maß fehlt, dann läuft das nicht so, wie man es gewohnt ist, daß nur das Maßband auf die Zeichnung hält, das Abgelesene mit dem Maßstab multipliziert und auf das Ergebnis kommt. Nein, wir sind noch in der Steinzeit. Ein Inch ist 16 mal unterteilt, ein Fuß aber hat nicht 16 sondern nur 12 Inches. Ich überließ das Wolfgang, der sonst immer dieses idiotische System verteidigt, "weil wir in Amerika sind". Tut meiner Meinung nach überhaupt gar nichts zur Sache. Dumm bleibt einfach dumm, das ist keine Frage der geographischen Gegebenheiten. Doch auch er ließ irgendwann das Maßband sinken und stand vor der Zeichnung wie gewollt und nicht gekonnt und meinte nur: "Also mich regen diese Inches langsam auch auf." Ich lachte und trällerte vor mich fröhlich hin: "Willkommen im Neanderthal..." Geht's dümmer? Es ist einfach eine Pest, dieser ganze Kram mit Unzen und Pfund und Meilen und Fahrenheit. Alles Dreck, der schon seit Jahrhunderten in die britischen Mülltonne geworfen gehört und zwar laut und deutlich und in betont hohem Bogen.
Längst hat die Stunde geschlagen,
Britanniens Macht ward vertan,
Doch heut' noch muß man sich plagen
Mit englischem Größenwahn.

             Markus Besold
So hatte ich also in der zweiten Arbeitswoche Doppelschicht. Von in der Früh bis zum Nachmittag in Pasadena Hobby-Heimwerkern und dann in Hollywood ranklotzen. Bis spät Abends wurde gewerkelt, meist blieb ich allein mit dem Contractor aus Israel zurück. Das ist ein kugelrunder und witziger Typ. "Fuck, ich will heim, hab keinen Bock mehr zum Arbeiten." "He, mecker nicht. Arbeit macht doch frei." "Was? Arbeit macht frei? Welcher Idiot hat das denn gesagt?" "Na, mit sicherheit jemand, der eben nicht gearbeitet hat. Aber es hilft nichts, die Zeit renn, wir müssen fertigwerden, also hopp..."
Der Mittwoch ist natürlich heilig, da fiel die Arbeit am Abend aus. In meinem Suff stellte ich noch fest, daß ich seit Monaten immer zum falschen Fat-Burger gefahren bin, denn gleich um die Ecke in Silverlake ist einer, an dem ich jeden Tag vorbeifahre, ihn aber nie bemerkt hatte. Man braucht eben immer einen Local, der einem zeigt, wo es langgeht und wenn dieser Local auch gleichzeitig mein Tinchen ist und Chauffiert, dann kann eigentlich nicht mehr viel schieflaufen. So muß es sein, so wollen wir es haben.

Zwei Wochen Arbeit, an die dreitausend Dollar erwirtschaftet, der letzte Samstag fiel mehr oder wenniger ins Wasser, anstatt wie geplant ins Bier, von nichts kommt nichts. Aber ich mußte trotz aller Hatz noch in die Tränke, soviel Zeit muß sein. Den Mietwagen hatte ich zurückgebracht, am Sonntag ging der Flug. Ohne Auto ist man einfach der Depp vom Dienst. "Kann mir irgendjemand für eine Stunde ein Auto leihen?" Fragte ich in die Runde der Anwesenden auf der Baustelle. "Wo willst denn schon wieder hin?", fragte mich der Contractor, dessen Namen ich mir nie merken kann und den ich deswegen Mario getauft habe. "Ja, weißt ja selber, ich muß kurz nach Silverlake, das macht man so am Samstag." Er grinste, schüttelte den Kopf und warf mir den Schlüssel zu. "Eine Stunde, ich will hier raus." "Schon wieder? Wann arbeitest Du eigentlich? Äh... bin gleich wieder da." Ich stieg in den weißen ML 500, der vollgestopft war mit Werkzeug und überall kleinere Dullen hatte. Das Teil geht ab wie Hexe, innerhalb weniger Minuten stand ich auf dem Parkplatz des Toten Löwen. Absperren war nicht, denn als ich den Knopf drückte, fing das Auto an Krach zu schlagen, Radau zu machen. Ich stieg schnell ein, warf es an und stellte es wieder ab. "Dreck, da... Bleibst halt offen. Dreckskiste."

Beverly Boulevard von einem ML 500 aus betrachtet.

Ich ging in den Biergarten. "Hallo Tina." "Hallo Markus. Ich wollte gerade anfangen Kasse zu machen. Soll ich Dir noch ein Bier machen und Deine Karte rennen?" Da hat man es: Das nenne ich Kundenservice. Ehrerbietig und taktvoll benehmen und jeden Wunsch erfüllen, dem man dem Kunden von den Augen abliest. "Mußt Du jetzt noch arbeiten?" "Ja. Hilft nichts. Arbeitest Du morgen? Oder mußt Du wieder durch die Gegend speiben?" Ich sollte vielleicht aufhören, das, was ich auf Deustch sagen würde, wörtlich ins Englische zu übersetzen, denn der Ton macht die Musik und den treff ich im Englischen nun mal nicht. Aber sie versteht mich. "Eigentlich habe ich geplant, morgen den ganzen Tag zu kotzen, aber da ich nachher noch arbeiten muß wird der Abend nicht sehr witzig, daher bin ich morgen hier." Ich stürzte das Bier hinunter, nahm meine Karte. "Happy Valentine's Day!", wünschte sie mir noch. Wäre sie Engländerin, hätte ich das als herzerfrischenden Zynismus begriffen, sie ist aber Amerikanerin, und ihre Muttersprache gibt das nicht so ohne weiteres her, weil einfach die Würze fehlt. "Ich dachte, Du müßtest nachher arbeiten..." "Was?" "Schon gut, ich seh Dich morgen. Guten Appetit." Dieses Englisch... Eine Affensprache. Man kann sich kommunizieren, das ja, aber um sie richtig zu benutzen, muß man hart arbeiten. Gerade weil die sowas wie eine Grammatik nicht haben, ist das so schwer. Was lob ich mir da mein geliebtes Deutsch, die Sprache der Dichter und der Denker, das ist so etwas Wunderbares. Man unterhält sich mit jemandem und pingt ihn sozusagen an. Anhand des Echos kann man ihn dann einordnen. Das klappt immer. Das habe ich oft bei den Tommies in Detroit festgestellt, wenn sie sich untereinander unterhalten, aber unter Amerikanern nie. Alles sehr pragmatisch und sachlich, es fehlt dieses gewisse Etwas, was das amerikanische Englisch in gesprochener Form einfach nicht hergibt. Vielleicht unter Sprachwissenschaftlern, das weiß ich nicht. Die Würze bleibt auf die Kürze beschränkt. Das begründe ich einfach damit, daß dadurch, daß hier so viele verschiedene Nationalitäten, Völker und Rassen leben und sich auf das Englisch als den gemeinsamen Kommunicationscode einigen mußten, vieles verlorenging, was auf der Insel noch erhalten blieb. Eben dieses gewisse etwas. Das machte die Sprache leicht erlernbar und sie erfüllt den Zweck der Kommunikation, aber sie wurde auch um vieles ärmer.

Am Sonntag beendete ich die Baustelle in Hollywood, Frank holte mich ab, wir gingen zum Essen und anschließend fuhren wir in den Toten Löwen. Wieder stimmte fast alles. Das Auto fehlte halt... Ich wechselte immer zwischen dem Biergarten, wo man rauchen darf und der unteren Bar. "Hallo Tinchen. Klappt das eigentlich heute abend mit dem Flughafen? Oder hat sich das geändert?" "Nein, ich hab doch letzte Woche schon gesagt, daß ich Dich hinfahre." "Deswegen frag ich ja. Die Erfahrung hat gezeigt: Was eine Frau sagt sagt gar nichts." "Shut up..." "OK. Ich geh hinauf. Läufst Du bitte nicht weg?" "Wie soll ich Dich denn zum Flughafen fahren, wenn ich weglaufe?" "Gut." Lektion zwei: Niemals von irgendeiner Logik ausgehen, wenn man es mit Frauen zu tun hat. Aber es klappte. Wir fuhren zu Wolfgang, ich packte mein Zeug zusammen, während sie sich mit dem Papagei Namens Pico zu unterhalten versuchte. Diese dämliche Kreatur setzte sich auf ihre Schulter und schnappte immer nach mir, wenn ich in die Nähe kam. Völlig ohne Grund, nur weil ich ihn vor Monaten mal aus Versehen mit einem Schuh abgeschossen habe. Er fiel zu Boden und kletterte dann wieder meckernd auf seinen Käfig. Seitdem krächzt er mich immer an und kommt mir blöd.

Wir fuhren dann zum Flughafen. Keinen Bock auf Destroit, direkt aus dem schönen Kalifornien kommend, das muß ein Kulturshock sein, wie ich ihn seit Abidjan nicht mehr erlebt hatte, nur umgekehrt, vom Paradies in die Hölle in nur fünf Stunden. Und daß mein Auto immer noch genau so dastand, wie ich es vor zwei Wochen abgestellt hatte, das ärgerte mich am meisten. Ich dachte mir Ende Januar, als ich den Flug buchte, daß zwei Wochen viel zu viel seien. Der Motor sollte in der drauf folgenden Woche ankommen, der Einbau dauert höchstens drei Tage, also dachte ich, daß das Auto eine ganze Woche herumstünde, bevor ich wieder in Destroit sein würde. Am Montag in der Früh ankommen, Auto abholen, Hallo sagen, Marschbereitschaft herstellen, ausschlafen und sofort auf den Highway, rumbo a California del Norte, und ab geht es wieder in die Tränke. So hab ich mir gedacht. Pustekuchen! Nicht einmal der Motor war da. Zum Kotzen. Aber es half nichts, es zieht mich wieder weiter. "Danke für's Fahren, versuch, nicht zu sterben, solange ich weg bin, OK?" "Ja, Du auch. Siehst Müde aus, kannst Du im Flugzeug schlafen?" "Ich kann überall schlafen, wie es aussieht kann ich die ganze Woch ein Destroit schlafen, weil ich auf den Motor warte." "Hast Du ein Buch?" "Ja, im Handschuhfach." "Hier?", fragte sie und sah nach. "Nein. Im Handschuhfach vom Mietwagen, den ich gestern zurückgegeben hab. Aber ist schon OK, ich flack mich hin und penn'"

Hier, die Bilder, die Photos von der Madame...
Mädchen, gib's Händchen, leb wohl, ich muß jetzt gehn
Bald kommt die Stunde, da wir uns wiedersehn...

Check-in klappte wie am Schnürchen. Man kommt an den Schalter und wird von einer Maschine aufgefordert, irgendeine Kreditkarte oder Führerschein durch den Scanner zu ziehen. Der Führerschein hatte ein Loch, daher nahm ich die mitllerweile wieder funktionierende amerikanische VISA. "Markus Besold?", stand die Frage auf dem Bildschirm. Leider kann man nur mit Ja oder Nein antworten. Es fehlt wie gesagt, die Würze. Wie nett wäre es doch, könnte man beispielsweise mit "Der König vom Kongo" oder "Der Kaiser von China" auf so eine blöde Frage antworten. Zwei Sekunden später hat man also seine Tickets in der Hand. Was das immer soll mit "Flug bestätigen". Das passiert wohl immer nur anderen, meistens den Deutschen. Ich habe in meinem Leben noch keinen Flug bestätigt und habe es aber auch nie erlebt, daß mir einer gesagt hätte, daß ich nicht mitffliegen dürfe, weil ich den Flug nicht bestätigt hätte. Aber wem es Spaß macht, soll das weiterhin machen.
Ich ging durch die Sicherheitskontrolle, legte Rucksack, LapTop und Tascheninhalt in die Wannen, ging durch den Metalldetektor und alles piepste. Ich wurde aufgefordert, nochmal durchzugehen, aber ich begab mich stattdessen auf einen der Stühle. Piepst sowieso wieder. Er widerholte seine Aufforderung, und ich erklärte ihm, daß das so nicht ginge, die Hose sei voller Metall, es wird immer piepsen. Er kam an mit seinem dummen Metallsucher und der hörte gar nicht auf zu piepsen, hörte sich an, wie einer dieser Radiowecker. Ich mußte auch noch den Koppel ablegen. Wieso ich das nicht gleich getan hätte. "Ich dachte, es merkt vielleicht keiner." Die Lodenhose hat Metallknöpfe und unten Metallschalufen, die man in die Bänder der Stiefel einhängt. Das stellte er auch bald fest. Dann war ich entlassen. Etwa fünf Minuten dauerte es, bis ich meine Ausrüstung wieder umgehängt hatte. Koppel durch die erste Schlaufe, Kameratasche aufziehen, dann durch die restlichen Schlaufen ziehen und einhaken, Stativ und Kamera einstecken vorne links, wo normalerweise der Halfter für die Nullacht hingehört, dann das berühmte Fernsprechendstellengerät für das drahtlose Wählnetz auf der rechten Seite Einhaken, wo normalerweise die Patronentaschen hängen, das Meterband, das normalerweise vorne rechts hingehört hatte Urlaub. Dann den Tascheninhalt wieder verteilen. Geldbeutel links, Checkheft, Paß, internationaler Fahrzeug und -Führerschein rechts einstecken und Taschen verschließen. Schlüssel oben rechts, offene Cigaretten Hemdstasche außen links, Reservepackung Armtasche links, Taschen verschließen. Sonnenbrille Hemdstasche rechts, da es nachts war, ansonsten auf das Haupt. Pullover an, Mantel an, rechter Handschuh rechte Manteltasche, linker Handschuh linke Manteltasche. Mütze auf den Schädel, Rucksack, auch "Schwerer Affe" genannt, verschließen und umhängen und anstelle des Karabiners den LapTop schultern. Als ich an dem Metalldetektorbeamten vorbeilief meinte er: "Jetzt check ich, warum Du das alles nicht ablegen wolltest, dauert ja ewig..." "Ich bin jung, ich hab Zeit. Guten Flug wünsch ich." Er sah mich verwundert an. Ich wollte schon weitergehen. "Moment mal", sagte er. Ich blieb stehen und drehte mich wieder um. Er sah mich scharf an und fragte mich "Woher wissen Sie, daß ich fliege, Sir?" "Nach Detroit?" Jetzt stieg er völlig aus. "Woher wissen sie, daß ich nach Detroit fliege?" "Hä? Ich weiß nichts, ich bin nur ein dummer Schreiner." "Woher haben Sie die Information, daß ich nach Detroit fliege?" "Die hab ich nicht. Ich fliege nach Detroit, daher habe ich gefragt." "Woher wissen Sie, daß ich überhaupt irgendwohin fliege?" "Na, weil Sie gerade vorhin mich fragten, woher ich das weiß..." "Und woher wissen Sie das, ich meine wieso wünschen sie mir einen guten Flug?" "Achso... keine Ahnung, wir sind an einem Flughafen und ich dachte, da sagt man das halt so..." Er sah nicht wirklich überzeugt aus, aber was wollte er machen? So blöd wird sich schon kein Terrorist verraten. Das hat man nun davon, daß man höflich sein will.


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