En casa...
Dienstag, 23. März 2004

In der früh fuhr ich nach Hollywood. Ich hatte dadurch, daß mein Cellphone ausgefallen ist, alle Nummern verloren. Jetzt mußte ich sicherstellen, daß die Nummer meines Alternativarbeitgebers wieder in meinen Besitz gelangte. Ich fuhr also zu unserer letzten Baustelle. Es war der jüdische Bauherr da.
"Ah! My German Friend, wo zum Heck bist Du so lange gewesen?"
"Ich war in der furchtbarsten Gegend dieses Landes festgesessen. Aber nun, da der Diesel wieder läuft, bin ich wieder in Kalifornien für ein paar Tage."
"Wieso für ein paar Tage?"
"Ich muß raus, my time is up, ich flieg weg."
"Wie, weg? Wo willst denn hin?"
"Ich hab da noch einen Flug nach England, den werd ich wohl nehmen."
"Was willst denn bei den Engländern? Die können nichts, hier ist es doch viel besser!"
"Da stimm ich 100%ig zu, aber ich habe keine Lust, es mir mit Mademoiselle INS zu verscherzen..."
"Siehste? Das ist Dein Problem. Du sollst Dich nicht mit Mademoiselle INS beschäftigen, sondern mit anderen Mademoiselles. Eine davon heiraten und dann kannst Du hier bleiben. Es ist viel Arbeit da."
"Ich glaube, Mademoiselle INS ist unkomplizierter. Bei den sogenannten 'anderen' beiß ich mir schon seit Monaten die Zähne aus."
"Du machst irgendwas falsch..."
"Nein. Ich denke mir nur, daß bei der INS die Logik greift, bei den 'anderen' ist mit Logik nichts zu wollen."
"Vergiß die INS, heirate und Du hast Deine Papiere... So machen es fast alle."
"Ich arbeite daran... Aber ich brauche die Nummer vom Matt. Könnten Sie mir da vielleicht aus der Verlegenheit helfen?"
Er gab mir die Nummer, ich schrieb sie auf und fuhr dann sofort wieder zum Löwen, da der Koch auf mich wartete. Neun Uhr, hieß es, und es war schon zehn vor. Ich pehste von Hollywood nach Silverlake und kam, wie immer, zu spät. Der Koch stand vor dem Löwen, ich erklärte ihm, daß ich erst noch ein paar Sachen aus dem Auto räumen mußte und daß das wohl 20 Minuten dauern würde. Hans kam hinzu und meinte, er könnte mir hinterherfahren und mich dann zurückbringen. Sehr gut. "Gute Leute muß man eben haben.... Gute Leute." Wir fuhren los nach Riverside. Das Apartement sah zumindest von außen nicht schlecht aus. Ich dachte immer, die Köche wohnen im Ghetto, denn die haben ein Verdienst, für das ich nicht mal einen Finger rühren würde und das soll was heißen. Dabei ist der Typ gar nicht so blöd, ich würde ihn glatt anstellen wenn ich Papiere hätte und wenn er Papiere hätte - letzteres ist wohl das größere Problem.
Wir fuhren etwa eine Viertelstunde, ich stellte das Auto auf den Parkplatz und als ich gerade dabei war, eine Plane über das Auto zu legen, hob die Managerin des Gebäudes in Sicht. Das ginge nicht, das sei ein Parkplatz und kein Lagerplatz. Die hat mir gerade noch gefehlt...

Außer Spesen nichts gewesen. Ich fuhr mit Hans wieder zurück. Auf diesen Schock mußte erst einmal etwas gegessen werden. Wir stellten die Autos auf dem Parkplatz von Rick's Burgers ab und bevor wir hineingingen sagte Hans: "Du! Do steht immer so ein Auto mit einem Bayernaufkleber. Geh doch da mal 'nei und frag, vielleicht können die was machen. Der Parkinglot, der gehört da dazu..." Warum nicht fragen. Ich gab zwar der Sache gerade wegen dem Bayernaufkleber null Chancen, andererseits können die schlimmstenfalls auch nur 'nein' sagen. Ich ging zur Tür des Landens hinein. Es war ein Handel für präzisionistische Vermessungsgeräte. Ich wußte nicht so recht, was ich sagen sollte, daher ging ich als erstes zu einer Sekretärin. Sie sah mir nicht gerade amerikanisch aus, daher versuchte ich, meinen ohnehin unüberhörbaren deutschen Akzent noch etwas zu verstärken. "Sprechen Sie deutsch?", fragte sie mich dann. Genau das, was ich hören wollte. Ich trug ihr mein Anliegen vor. Sie entschuldigte sich und meinte, sie müsse ihren Mann fragen. Sie war also nicht die Sekretärin, sondern die Frau vom Chef. Schon mal gut. Nach einigen Minuten kam sie wieder und meinte, es sei kein Problem, doch wäre es ihr ganz lieb und recht, wenn ich einen Zettel unterschreiben würde, in dem ich sie von jeglicher Haftung freispreche. Kein Problem. "Sind 75 Dollar für Sie in Ordnung?", fragte sie mich noch. "Am Tag?", fragte ich einigermaßen entsetzt. "Nein, um Gottes Willen, für die ganze Zeit. Bis zum 16., sagten sie?" Ich atmete auf. Das ist sehr günstig, muß man sagen. Wir einigten uns dann auf 100 Dollar. Ist immer noch billig, außerdem wußte ich nicht genau, wann ich wieder da sein würde. Anschließend Burger-Essen

Sie würde in die Mittagspause gehen und ich könnte das Auto nach zwei Uhr bringen, wann immer ich wollte. Der Chef, auch ein Bayer, kam noch hinzu. Er selber fuhr einen alten 300SD aus der W116er Baureihe. Obwohl er sich auch einen neueren locker leisten könnte, aber er wollte das Auto nicht hergeben, denn es lief so schön und zuverlässig. "Noch nie Probleme damit gehabt. Man dreht den Schlüssel für eine Viertelsekunde und der Motor läuft, einfach wunderbar." Wieso soll man sich was Neues kaufen, wenn das Alte gut genug ist? Da hat er schon mal vollkommen recht. Sie fuhr unter anderem einen 123er Coupé. Das Auto mit dem Bayernaufkleber, irgendetwas Opel-Astra-Mäßiges, benutzten sie, um in die Arbeit zu fahren.
Um 14 Uhr standen wir wieder da, ich parkte das Auto, zog die Plane darüber, bedankte mich und dann ging es wieder zu Hans. Ich packte meine sieben Sachen und machte mich geschmeidig. Sicherheitshalber stellte ich sicher, daß ich auch bei weiblichem Versagen - ein klassischer Pleonasmus, übrigens - zum Flughafen komme. Gegen 18 Uhr ging ich hinunter zum Löwen, eine letzte Halbe in den Kopf zu schütten. Die Eingangstür war noch nicht hinter mir zugefallen, da höre ich Elke ins Telephon auf Englisch sagen: "Der ist gerade in diesem Augenblick zur Tür hineingekommen." Das konnte nur Tina sein. Sie hielt mir den Hörer hin. Ich überlegte mir, was ich jetzt sagen sollte. "I'm a busy man, come on, let's hear it, whatever it is", wäre es gewesen, aber ich muß mir abgewöhnen, bei Frauen das zu sagen, was ich gerade denke. Funktioniert nicht, die wollen belogen sein. "Tina?" fragte ich in den Hörer hinein, mit einem Ausdruck, der eine seltsame Mischung aus Gewißheit und Angst war. "Hallo. Bin soeben zum Haus hinein, ich hing im Verkehr fest. Ich habe gerade festgestellt, daß der Film nicht mehr dort läuft, wo ich dachte. Das einzige Kino, in dem der noch läuft, ist in Pasadena."
"Und das heißt..?"
"Der läuft dort eine halbe Stunde früher an..."
"Und das heißt jetzt wiederum..?"
"Wir müßten uns etwas beeilen."
"Warum tun wir das nicht?"
"Bist Du fertig?"
"Schon lange. Ich hab nur einen kleinen Koffer..."
"Gut, dann mach ich mich fertig und bin um halb Sieben beim Hans."
"OK, ich wart draußen. Bis gleich."
Ich legte auf. "Was ist?", wollte Elke wissen. "Paßt alles." Das wiederum verwirrte mich etwas. Das klappt ja verdächtig gut... Da ist doch was faul... Ich legte mein Zeug zusammen und Hans und ich warteten vor der Tür rauchenderweis'. Natürlich wurde aus "Halb Sieben" Dreiviertel sieben, aber Tina ist - wie ich selbst - eine notorische Zuspätkommerin. Ich lud mein Gepäck in ihren Toyota und wir fuhren los, am Benz vorbei und dann auf den Hochweg in Richtung Pasadena.
Angenehme Fahrt. Außer, daß neue Reifen fällig sind - aber sicher nicht heute abend.

Ich konnte es nicht glauben. Ein halbes Jahr, nachdem ich sie zum ersten male fragte, ob sie mit mir ins Kino geht, waren wir tatsächlich auf dem Weg dorthin. Ich wagte nicht direkt zu fragen, was das jetzt sollte. Damals lehnte sie ab mit dem Hinweis auf ihren Boy-Friend. Jetzt geht es auf einmal, der Boy-Friend sagt nichts dazu, weil er nichts davon weiß. Auch recht. Versteh einer mal diese seltsamen Geschöpfe. Ich habe es von jeher gehaßt, mich mit sowas zu befassen. Das deprimierendste an der ganzen Sache ist einfach, daß ich doch schon wieder dabei bin. Was macht man nicht alles für eine grüne Karte? Wie oft frag ich mich das noch? Aber ich mag sie, und wenn sie noch so spinnt. Wenn man erst mal günstiger positioniert ist, dann kann man den Dachschaden schon wieder reparieren. Natürlich niemals ganz, das geht nicht, ist auch gar nicht erstrebenswert, sonst wird am Ende noch ein Mann draus und das wäre etwas unpassend, aber man kann schon einiges geraderücken. Aber: Erst mal hinkommen, ich Ochse, hinkommen zu der Position. Das wird noch ein langer, steiniger Weg.
Der Film, City of God, im Original "Cidade de Deus", ist eine nette Komödie, spielt in Rio, nicht gerade in der feinsten Gegend. Aber witzig, besonders bei der Szene, bei der der eine dem bescheuerten Rotzkind in den Fuß schießt. Ich hab mich vielleicht weggeschmissen vor Lachen. Es fand natürlich außer mir keiner witzig, aber mit Sicherheit lag das nur daran, daß der Joke bei den Untertiteln nicht so rüberkam, wie er gemeint war. Ich habe allerdings erst nach dem Film gecheckt, daß er gar nicht als Komödie gemeint war. Das passiert mir jedes Mal. Genau wie damals bei Schwindlers Liste.

Nach dem Kino hatten wir eigentlich vor, noch etwas zu essen. Nur wo? Am Flughafen ist dieses nette Restaurant, was aussieht wie eine riesige, vierbeinige Spinne. Also direkt zum Flughafen, so kann man bis zuletzt sitzenbleiben und romantisch den Chianti in sich hineinschlürfen. Wir fuhren in das Parkhaus am Flughafen und verfuhren uns darin und landeten am Ausgang. "Kommt man irgendwie näher an dieses Restaurant ran mit dem Auto", fragte Tina die schwarze Kassiererin. Die verneinte, also fuhren wir rückwärts zurück und suchten einen Parkplatz. "Die hat aber nicht amerikanisch geklungen", bemerkte ich. "Nein, die war vermutlich Afrikanerin..." Als wir einige Minuten später vor dem wegen Umbau geschlossenen Restaurant standen sagte Tina: "Das hätte die uns eigentlich auch gleich sagen können, daß das Restaurant geschlossen ist." Ich nickte. "Wenigstens wissen wir jetzt, daß die Kassiererin Afrikanerin ist", stellte ich resigniert fest. Klar konnte sie mit der Meldung überhaupt nichts anfangen. Diese Art von hirnlosen Optimismus gibt es nur in Afrika und den muß man erlebt haben. Die schicken Dich zu einem Postamt, das schon seit den 60ern geschlossen hat und finden das normal. Für den Durchschnittsafrikaner ist es auch egal, ob ein Postamt auf oder zu hat. Was soll er dort?

Ade, mein liebes Mägdelein
Schon wieder muß geschieden sein...

Wir irrten noch eine dreiviertel Stunde am Flughafen umher und suchten einen Platz, an dem ein Drink serviert wurde. Im letzten Eck war das der Fall. Wir zogen das Auto nach. Raus aus dem einen Parkhaus, hinein in das nächste. "Nimm Deine Sachen gleich mit, sonst mußt Du hinterher wieder zum Auto herlaufen", riet mir Tinchen. "Nein, die Sachen bleiben da. Du läufst nicht allein zum Auto zurück. Wäre ziemlich punktlos, Dich jedesmal nach der Arbeit die drei Inches zum Auto zu geleiten, Dich aber alleine quer durch den ganzen Flughafen laufen ließe, meinst nicht?" Die Kassiererin ist schließlich Afrikanerin, nicht ich. Wir saßen noch eine kurze Weile im Restaurant im ersten Stock, tranken unseren Drink.
"Wie fühlst Du Dich?"
"Nun... Vorhin im Kino? Wie der König der Welt. Mittlerweile fühl ich mich wie Jesus!"
"Jesus?"
"Ja, wie Jesus am Abend bevor er ausgeliefert wurde, um es präziser auszudrücken."
"Warum ist das?"
"Lange Geschichte. Und eine unnötige noch dazu. Bräuchtest mich nur heiraten, dann könnte ich mir den nun beginnenden Zirkus sparen... If they should catch me, think only this of me: I'll be back to get ye..."
Ich sah auf die Uhr. Nicht ganz fünfzehn Minuten übrig. "Es wird langsam Zeit, schöne Frau..." Wir gingen zum Auto, ich holte mein Zeug, bedankte mich für den Abend und ging zum Flugzeug, in der Hoffnung, es doch noch zu erwischen. "Soll ich hier Kreise drehen, falls Du das Flugzeug verpaßt?" "Nein, laß mal. Der nächste Flieger geht in der Früh erst und da ist es besser, wenn ich am Flughafen bleib. Höchste Zeit. Ich ruf Dich an." Und weg war ich. Immer alles in letzter Sekunde.


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