USA 2004
Der Monat Mai

Es tut sich nichts besonders Berichtenswertes. Eine neue Möglichkeit, an ein Visum zu gelangen, tat sich auf. Versuchen muß man alles, was geht.
Viel tat sich im ganzen Monat eigentlich nicht. Einige hervorragende Elkeparties ergaben sich. Dadurch, daß der Wirt meinte, Elke entlassen zu müssen, verlagerte sich eben alles von innerhalb des roten Löwens nach außerhalb, auf den Parkplatz, vor Elkes Wohnung. Ich ernannte mich selbst zum Bierholer. Hauptsache, keiner gibt im Löwen sein Geld aus. Bei Elke gibt es Freibier und welches Bier ist schon besser als eben dieses? Irgendwer muß dafür zwar bezahlen, aber das ist es allemal wert. Ich latschte also die paar hundert Meter zum Liquor-Store, gemütlich mit meinem Bier, holte Nachschub, stellte die erste Palette auf den Tresen, holte die zweite. Da sagte mir der Mensch hinter der Theke: "Spinnst Du? Du darfst hier nicht trinken!" Ich sah ihn verdutzt an, sagte "OK" und warf das Bier in den Mülleimer. Vorher nahm ich noch den letzten Schluck - man soll nichts verkommen lassen. Da flippte er völlig aus: "Willst Du mich in den Ruin treiben? Weißt Du, was mich das kostet, wenn sie mich erwischen? Und Du darrfst dann auch ein paar Tausender blechen!!!" Ich checkte gar nichts. "Ja, ist ja gut, ist ja schon alles weg. Was soll der Aufstand überhaupt? Ist doch nur ein Bier..." Aber anscheinend ist das hierzulande ein großes Drama. Ich packte meine Biertüte und machte mich davon. Als ich wieder da war, erklärte ich in die Runde: "Alter, mich haben sie beinahe erschossen, weil ich ein Bier getrunken hab..." "Wo?" "Im Liquor-Store, der Typ..." "Spinnst Du, die kasteln Dich ein!!! Du darfst hier kein Bier auf der Straße trinken. Mach das nie wieder!" "Ah! Gut, daß ich das jetzt erfahre. Wenn ich also das nächste mal in aller Seelenruhe mit dem Bier durch die Straßen spaziere, dann sagt mir das bitte vorher."

Genau das kommt davon, wenn man die guten Bedienungen feuert...

Für den Biergarten gibt es ein Verordnung, die da besagt, daß unter der Woche nach Eilf Uhr kein Lärm mehr gemacht werden darf. "Was kann man denn da machen?", fragte ich mich. Ich ging zum Auto und grub die Kracher aus, die ich noch aus Brasilien mitgebracht hatte. Ich wählte einen der kleineren aus und spazierte damit in der Hosentasche wieder hinauf. Walter kam mit dem Müll raus. "Da fühlt sich einer ganz wie zu Hause", brüllte ich über das Parkdeck, als er gerade spastenhaft versuchte, den Müll in den Container zu befördern. Checkt der verkalkte Trottel natürlich nicht im Ansatz, ist ja klar. Als er wieder hineinging ins Büro, plazierte ich den Knaller am Fensterbrett und schritt wieder davon, ohne ihn anzuzünden. Nach einer Weile steckte ich mir eine Cigarette an. Stilhalber sollte man dazu natürlich eine Zigarre wählen, wie die Handgranatenwerfer im Ersten Weltkrieg, aber mangels Zigarren, mußte eben eine Cigarette her. Bis an den Feind macht' ich mich ran und zündet' dann die Handgranate an. Ein Knall durchriß die laue Abendluft, alle Köpfe drehten sich umher. "Was war das denn?" Ich sah unschuldig in die Luft und pfiff die Melodie von "Argonnerwald" in den Abendhimmel. Leider ist der idiotische Wirt wider Erwarten nicht an einem Herzinfarkt gestorben, sondern kam hinausgewankt, verstört hin und herblickend. "Dreck. Ist der Hund immer noch nicht verreckt..." "Warst Du das?" "Was?" "Der Krach! Spinnst Du, die machen uns den Laden zu." Quaak! Ach, diese doofen Deutschen... Verstehen einfach keinen Spaß.

Gegen Ende des Monats wurde ich zu Industrial Metals beordert. Stahl abholen. Ich gab die Bestellung auf und fuhr vor die Halle, vor der die Ware ausgeliefert wird. Das dauerte und dauerte und ich schlief schließlich ein. Drei Stunden später wachte ich auf. "Ist denn der Stahl immer noch nicht da?" Als ich wieder zum Auto zurückging sprach mich ein Amerikaner an. Scheinbar aus dem mittleren Westen. Er fragte mich, wo zur Hölle ich mit diesem Auto hergefahren sei. "Aus Deutschland." "Hast Du es von Deutschland hierherverschifft?" "Nein, eigentlich von der Elfenbeinküste nach Brasilien, dann auf der Panamericana von Argentinien nach L.A." Er hatte einen 300 Turbodiesel und sei auch einmal bis Panama hinuntergefahren, in den 80ern. Wenn ich irgendwelche Teile für das Auto bräuchte, sollte ich mich bei ihm melden. Er gab mir seine Telephonnummer. Dann stellte er mir sein Auto vor. Dullen an den Seiten. "Mein Gott, was machst Du denn mit dem schönen Auto?" "Das war ich nicht, das war meine Frau. Die ist übrigens Kolumbianerin" "Dann warst es doch Du! Du sollst der Frau kein Auto geben. Einen Kinderwagen oder einen Einkaufswagen, das darf sie fahren. Aber kein Auto und schon gar keinen Mercedes und wenn doch, dann ist es eine todsünde, ihr einen echten Mercedes zu geben..." Bei allem Schmarrn, den ich über Frauen schreibe - oft dachte ich, es sei so übertrieben, daß es kein Mensch wirklich ernstnehmen kann - aber sie schaffen es doch immer wieder, mich davon zu überzeugen, daß es doch untertrieben erscheint. Ich habe neulich auf einer 123er-Seite zwei Unfälle mit 123ern gesehen.beide male waren Frauen am Steuer, beide Male wurde versucht die Sicherheit, die der 123er bietet, zu unterstreichen.beide Male kam ich zu dem Schluß, daß der 123er zu sicher ist. Denn leider überlebten die Insassinnen ihr Verbrechen auch noch. Überhaupt finde ich, daß jeder, der ein solches Auto zerstört, sofort getötet werden sollte, Geschlechtsunabhängig und ich nehme mich da keinesfalls aus. Wer diese Auto antastet, Volksgenossen, der muß gnadenlos zusammengeschlagen werden... Das ist eine Versündigung an menschlichem Erfindergeist, an den höchsten Werten unserer Kultur schlechthin.

Doch genug davon... Er gab mit die Nummer von Metric Motors, nachdem ich ihm die Geschichte von Destroit erzählt hatte, für die man mich in einem normalen Rechtsstaat sofort an die Wand stellen und erschiessen hätte müssen. Er meinte, die könnten das Problem für mich regeln, sofern ich zahlen könnte. Auch erzählte er etwas über einen 140-Liter-Tank für 123er-Limousinen. Das bedeutete über 500 km Einsatzradius und das wäre eine interessante Sache. Doch dazu muß erst der 200er von Destroit seinen Weg nach Kalifornien finden.

De conductoribus Mercedibus (oder so ähnlich):
Sie halten stets eisern zusammen,
Kameraden auf Leben und Tod...

Ein paar Tage später rief er mich an. Er hätte mit Metric Motors telephoniert und die hätten ihm gesagt, daß alles kein Problem sei. Ich sollte dort einmal anrufen. Ich tat dies. "Metric Motors, Guten Tag..?" "Grüß Gott, mein Name ist Besold, ich hab ein Problem." "Ja? Um welche Art Problem handelt es sich denn?" Ich schilderte ihm die Sache, daß es ein 200er sei, in den USA nie verkauft, gab ihm meine eigene Nummer und die Nummer des Mechanikers in Destroit und er meinte, er würde mich am nächsten Tag anrufen, um mir die Einzelheiten durchzugeben. Tatsächlich klingelte am nächsten Tag das Telephon und Metric Motors war dran. Es würde um die 4000 Dollar kosten, falls der Motor einen Blockriß hätte, seien um die 600 Dollar hinzuzurechnen und das verschiffen kostet 150. "Soll ich ihnen einen Check schicken?" "Nein, nicht nötig, zahlen Sie einfach alles, wenn alles fertig ist. Das kann allerdings einige Wochen dauern, da die Teile aus Deustchland bestellt werden müssen." "Kein Problem, ich habe es überhaupt nicht eilig..." Ha! Wie das läuft! Kalifornien. Man kann es einfach nicht mit Destroit vergleichen. Zufall? Mag sein. Ist mir schnurzegal. Diese Anhäufung von Zufällen ist jedenfalls ein guter Grund für eine Meinungsbildung.
Nichts. Ich fragte sie eigens noch, ob ich nicht die Verschiffung im Voraus bezahlen sollte. "Nein, ganz sicher, ist schon in Ordnung, wir machen dass und schicken Ihnen dann die Rechnung. Wenn Sie wollen, bauen wir Ihnen den Motor auch ein." Das wäre mir am liebsten. Aber ich bin erstaunt über den Service. Der Witz ist, vor allem, daß ich die 5000 Dollar im Moment gar nicht habe. Das ist ungefähr mein Monatsverdienst, alledings geht ein guter Teil davon in der Dummheit wieder drauf. Daher weiß ich auch nicht, ob ich das Geld am Start haben werde, wenn es soweit ist. Aber das beweist nur eines: Wenn es nicht klappt, dann liegt es einzig und allein an mir. Keine Schuldzuweisungen möglich.

Und wo das Geld hinkommt, das weiß man. Ich zog nach Pasadena um. Es war an der Zeit, meine eigene Bleibe zu suchen. Das Problem dabei war, daß ich - wie ich es auch drehe und wende - keinen besseren Platz finde, als direkt neben dem Roten Löwen. Das ist meine Drehscheibe. Hier begann alles, hierhin kehr ich immer wieder zurück - besser gesagt: hier kehre ich immer wieder ein. Hier nahm alles seinen Anfang, hier kam ich an, mit nichts in der Hand. Ich hatte zwei Tonnen Stahl und eine gesperrte Kreditkarte. Das war alles. Ich bin sonst kein Mensch, der in Kneipen herumlungert, auch keiner, der Alkohol trinkt, aber der Rote Löwe, irgendwann in den 60ern von einem Italiener gegründet, und die Umstände, unter denen ich kam, änderten das grundlegend. Ich trank nie Bier. Schmeckte nicht. Auch sonst kein Alkohol, aus dem gleichen Grunde Außerdem mußte ich immer fahren. Ich wollte fahren, ich war in Deutschland derjenige, der immer fuhr, damit die anderen saufen konnten. So kam jeder zu seinem Zweck. Die einen suffen, der Besold fuhr. Doch hier ist nur äußerst selten jemand, der gefahren werden möchte - wenn nicht gerade Wolfgangs Scout in der Werkstatt weilt. Und der Weg zum Auto ist weiter, als der Weg zum Schlafgemach. Deutsches Bier schmeckt am besten, wenn man es nicht in Deutschland trinken muß. Nun, so ergab es sich, daß ich seit einem Jahr wie ein Landsknecht in der Kneipe wohne - allerdings: Wenn ich nicht gerade in der Arbeit bin. Es ist keine Seltenheit, daß mal 70 oder 80 Dollar an einem Tag liegenbleiben. Das, wenn mir einer vor einem Jahr erzählt hätte, dann hätte ich ihm einen Vogel gezeigt. Ich kann mit 5 Dollar am Tag leben. Aber, wenn Geld da ist, dann hau ich es meistens auch auf den Kopf. Das hatte ich nie unter Kontrolle. In Brasilien kam ich mit 20 Dollar im Monat bestens aus, hier wird das hundertfache benötigt. Auf der anderen Seite war mein Einkommen in Brasilien auf diese 20 Dollar beschränkt. Das hat sich mittlerweile verzweihundertfacht. Die Ausgaben damit auch. Und ich muß rückblickend bemerken, daß ich jetzt auch nicht besser oder schlechter lebe, als ich es damals tat.

Ende des Monats kam mich Dilles aus Destroit besuchen. Die Idee war, zusammen ein Geschäft aufzuziehen. Aber es muß sich lohnen, denn für irgendeine vage Vorstellung würde er seinen Job in Destroit nicht aufgeben. Californien, Florida, irgendwas in dieser Richtung. Aber in selbständiger Arbeit und nicht für eine Firma. Er kam an, hatte einen Businessplan, sah sich das ganze an und ließ mir einen 14-Punkte-Plan da. "Wenn das alles erladigt ist, dann ruf mich an und ich komme", ließ er verlauten. Er ist Deutscher. Es muß alles nach Plan verlaufen und den Plan macht er selbst, möglichst hieb- und stichfest. Und es muß auch klappen. "Wenn was danebenläuft, dann trapp ich Dir in den Arsch, das sollst Du von vornherein wissen. Mich interessiert nicht, was Du am Abend gemacht hast - in der Früh wird gearbeitet. Und da wird geklotzt. Alles andere interessiert mich nicht. Wenn wir was zusammen machen, dann heißt das für Dich: Fünf Jahre Vollgas. Ich gebe 100% und das erwarte ich auch von Dir." Das war die Botschaft. Hört sich deutsch an. Aber in diesem Falle habe ich volles Vertrauen, daß es klappen könnte. Kein Traumtänzer, nach der Lebensweise: Ja, man könnte mal, man sollte doch... Nichts. Fester Plan. Das mag ich. Besonders, weil ich dazu niemals in der Lage wäre - viel zu liederlich...

Als wir am Abend von Sana Monica zurückkamen hielt uns ein Motorradpolizist an. Ich stand an der Ampel mit offenem Fenster und plötzlich hörte ich neben mir eine Stimme: "Was sind das für Kennzeichen?" "Hä? Deutsche..." "Pull over!" Ich fuhr rechts ran, aber die Straße war zu bewegt. Er hieß mich rechts abbiegen und dann wieder rechts, auf einen Parkplatz fahren. Ich erklärte ihm, daß ich ein deutscher Tourist sei. Er fragte nach den Papieren. Ich ihelt ihm alles hin. "Was ist das?" "Das ist mein deutscher internationaler Führerschein, das hier die Autopapiere, das hier ist mein nationaler Führerschein und das die deutsche Zulassung..." Er reichte mir alles sofort wieder zurück, als wäre es ganz was Ekelhaftes und fragte mich, wie lange mein Urlaub noch dauern würde. "Aus dem Land werd ich übernächsten Monat sein." "Wie lange bist Du schon auf Urlaub?" "Nun... seit August 2000..?" "Das ist aber ein langer Urlaub. Bist Du Millinär?" "Nein, melde gehorsamst." "Wie finanzierst Du das?" "Naja, my Daddy, you know..." "Was? Dein Vater zahlt dafür, daß Du jahrelang in der Weltgeschichte umhergondelst? So einen Vater möchte ich auch haben. Das ist ja unerhört." "Nein, so ist das nicht. Er zahlt lieber, als daß er mich jeden Tag sehen muß. So ist er mich wenigstens los..." Wir verbrachten anderthalb Stunden am Ort der Kontrolle und unterhielten uns mit dem Polizisten. Er war mit dem Fahrrad durch Europa getourt und erzählte, daß die Leute, besonders in Süddeutschland, äußerst freundlich gewesen seien. Kann ich nicht bestätigen. "Ihr seid winselnd vor jedem Sieger gekrochen...", bleibt mir dazu nur zu sagen.

Der Sheriff auf seiner BMW. Die Harleys fahren wohl nur noch die Polizisten in Zentralamerika...

Ich fuhr mir ihm nach Santa Monica oder Venice (ich kenn mich immer noch nicht aus). Hinaus ging es auf dem Santa Monica Boulevard. Wir latschten am Strand entlang und fuhren dann wieder zurück, diesmal auf dem Sunset. Wir näherten uns einer Kreuzung, die Ampel war rot. Wir waren das erste Auto, das auf die Kreuzung zufuhr, ich hatte schon vom 3. in den 2. Gang geschaltet, um abzudrosseln, da tat es einen Knall und Dilles sagte: "Da vorn hat's grad gescheppert." "Oh, yes, thank you..." War ein schlimmerer Unfall, mindestens waren beide verletzt. Ich weiß gar nicht, wie es dazu kam.

Ein roter Golf war völlig verstört und ein blauer Toyota fuhr nachdem es geknallt hatte noch in aller Seelenruhe gegen den 20 Meter entfernten Randstein. Dort kam er zum stehen und die Hupe began zu Tuten. Meiner Meinung nach deswegen, weil der Kopf des Fahrers auf der Hupe lag. Keiner stieg aus. Auf der Straße, die links einmündete, stand als erstes Auto an der Kreuzung ein Police-Interceptor. Das sind diese brachialen Kärren, mit denen die Polizei hier ausgestattet ist. Die schalteten das Blauweißrotlicht ein und fuhren ein paar Meter vor.

Keine gute Aufnahme, man sieht nich viel. Links der Golf, in der Mitte das Polizeiauto und rechts, der rote Fleck, das ist die Rückleuchte des Toyota.
Aufgenommen am 30. April, 21:18 Uhr.

Die Straße war wohl bis auf Weiteres gesperrt.Wir mußten ausweichen. Zum Glück hatte ich Dilles dabei, ansonsten wäre ich so lange hier herumgeirrt, bis ich jemanden telephonisch erreicht hätte, der mir aus dem Schlamassel hilft.

Doch wir kamen schließlich an, ich brachte Dilles nach Pasadena. Wir unterhielten uns über das Geschäft. "So, ich muß jetzt fahren", sagte ich. "Wohin?", wollte er wissen. "Ich fahr schnell zum Löwen, weil meine hochwohlverehrte künftige Gemahlin jetzt dann bald Feierabend hat..." "Und was machst denn mit ihr?" "Ich geleite sie zu ihrem Auto." "Hast Du jetzt 'nen Vogel? Du fährst eine halbe Stunde, nur um sie zu ihrem Auto zu begleiten?" "Jawohl." "Willst Du mich jetzt verarschen?" "Nein. Ich fahr jetzt dann mal. Bis denn... Angenehme Ruh." Ich fuhr los, kam rechtzeitig an und anschließend fuhren wir noch irgendwohin, um etwas zu Essen aufzustellen. Nicht einfach. "He, das hier ist doch Amerika, wo immer alles 24 Stunden offen hat..." Um 4 Uhr Morgens war es allerdings selbst hier in Los Angeles etwas schwer, ein offenes Restaurant zu finden. Wir fanden dann schließlich eines an der Alvarado. Dort blieben wir dann auch bis etwa gegen 5 Uhr morgens. "Du willst also, daß ich im Juli mit nach Deutschland komme..." "Ja. Wie sieht es aus?" "Ich kann mir das nicht leisten." "Es reicht, wenn ich es mir leisten kann..." "Das Problem ist nicht, nach Europa zu fliegen. Das Problem ist, mir Dir nach Europa zu fliegen..." "Das kann kein Problem sein. Ich hab das selbst schon oft genug gemacht. Mir ist nie etwas passiert." "Ja, aber ich hab einen Freund..." "Ja und? Soll ich dem auch ein Ticket zahlen? Nur Hinflug versteht sich" - am besten in die Mongolei. "Nein, das geht nicht so einfach..." "Was ist denn so kompliziert daran? Erklär mal." "Nein, das kann ich jetzt nicht. Ein andermal, OK?" "Na, gut, Thema für heute abend gestorben." Genau so läuft es imer wieder ab. Es ist zum Verzweifeln. Aber Beharrlichkeit führt zum Ziel. Das sagten schon die Panzerknacker... Und hätte ich mich nicht daran gehalten, säße ich jetzt wahrscheinlich immer noch in einem dieser Fufu-Länder im Süden des Komtinents und würde Löcher in die Luft starren.

Wolfgang hatte sich irgendwann in diesem Monat ein richtiges Auto zugelegt. Einen 450 SE von 1973. Schönes Auto. Doch schon nach einigen Tagen wurde er weiterverkauft. Da kann man keine Furnierplatten hineinladen. Mit dem Scout geht das zwar halbwegs, dafür fährt er nur vom Haus in die Werkstatt und zurück. Ein Dachgepäckträger oder ein Anhänger wären hier die Lösung gewesen.

 

In dieser Woche arbeiteten wir bei einer gewissen Deiähn Parkinson. War wohl in den 60ern oder 70ern eine Berühmtheit, hat bei einer Fernsehshow ('The prize is right' ~ 'Der Preis ist heiß'). Hat einen oder mehrere Miss-Amerika-Wettbewerbe gewonnen. Das war damals. Mittlerweile könnte sie sogar Miss Bildung werden. Sie wohnt in dem größten Haus, das ich je sah. Dieses teilt sie sich mit ihren eilf nervigen Kötern. Allein dafür sollte man eigentlich einen hunderter mehr pro Tag verlangen. Daß diese arme reiche Frau ihr ganzes Leben auf ihr Aussehen aufgebaut hat, das merkt man ihr an, schon bevor man sie zu Gesicht bekommt. Geld ist alles, was sie davon letztenendes hatte. Doch davon nicht zu knapp. Wir bastelten ihre Küche um. Irgendwie kam mir das alles etwas schräg vor, schon fast etwas morbid. "So ein riesiges Haus und doch so eine kleine Welt", war mein Kommentar. Ein G-Modell, ein Lincoln und in der Garage noch ein völlig verstaubter 560 SL mit 4000 Meilen. Im Haus sieht es mehr aus, wie auf einem afrikanischen Möbelmarkt, wo kein Stück zum anderen paßt, kein Raum zum anderen. Doch wer zahlt schafft an. Flipperraum, Badezimmer, so groß, daß darinnen bequem eine vierköpfige Familie wohnen könnte, riesige Räume, die entweder leerstanden oder besser leergestanden hätten.

Und sie selbst ist eine sonderbare Erscheinung. Ein Contractor ist angeblich geflogen, weil er einen der nervigen Köter angeschrien hatte. Hunde sind ja schön und gut, wenn sie tot sind. Aber wenn man arbeiten muß und noch eine Birne aufhat vom Vortag, dann sind bellende Köter das letzte, was man braucht. Ich bin ein extrem lärmunempfindlicher Mensch. Afrika hat mich in dieser Beziehung gestählt. Doch Hundegebell macht mich aggressiv, das ist die eizige Lärmquelle, die ich sofort am liebsten erschießen möchte. Alles andere, Autos, Hupen, Presslufthämmer, Artillerie, aber bei Hunden, da windet sich mein Trommelfell in Schmerzen und die Nerven laufen Amok. Kinder hatte sie nie, nun ist dieser Zug abgefahren. Schon Jahre davor fuhren ihr die meisten ab. In dem ganzen Haus sucht man vergebens nach geistigem Reichtum. Hätte man sich ja statt der Bronzezebras im Garten kaufen können. Nur Bücher über alle möglichen Köter. Es scheint so, als ob sie das Leben ihrer Köter nun in den Mittelpunkt stellen mußte. Bei den Bemerkungen, die ich während der Arbeitszeit losließ, bekam ich von Wolfgang meist die Antwort: "Du bist so ein gehässiger kleiner Giftzwerg!", woraufhin ich antwortete: "Ich bin nicht klein...", oder "Freundlichsein kostet extra... und in diesem Falle ist es nicht wenig..."

Eines Mittwochs hatte mich Mademoiselle Du Vaux auch noch beinahe umgebracht. Man kommt in die Mittelbar, freut sich auf seinen Mittwoch, denkt sich nichts böses und plötzlich steht man Johanna gegenüber. Das war vieleicht ein Shock gewesen. "Was machst Du denn hier? Wo ist... Wo ist meine Bedienung?", fragte ich sie einigermaßen entsetzt. "Die ist im Krankenhaus..." "Was? Oh, nein... O, jeeee, was soll nur aus mir werden? Ich Unglückseliger, ich..." "Muß Liebe schön sein..." Find ich auch immer witzig, wenn es andere sind, die daran krepieren. "Magst Du trotzdem was zum Trinken?" "Ja, Wodka. Wenn ich schon sterb, dann will ich wenigstens vorher noch feiern." Wenn es nur was zu feiern gäbe... Aber nun hatte ich genug Zeit, mir einen Grund zum Feiern einfallen zu lassen. Nach einigen Stunden ging der Vorhang zu, ich erinnere mich noch dunkel daran, daß mir der Parkplatz zu eng vorkam, und ich Schwierigkeiten hatte, den Hauseingang zu treffen.
Schwierig aus verschiednen Gründen,
war das Schlüsselloch zu finden....

Der Eingang des riesigen Hauses.

Am nächsten Tag ging ich in die Arbeit. Frank rief mich irgendwann an und meinte, der Tafi hätte ihm erzählt, daß sein Wohnzimmer wie eine Brennerei riecht. Dabei habe ich eigens noch den Ventilator laufen lassen und die Tür nach Außen aufgemacht. Ich war nicht wirklich einsatzfähig, aber was sollt's. Anwesenheit zählt. Ich war bei der Arbeit, draußen, natürlich, denn drinnen darf man ja nicht rauchen (eine Baustelle, auf der man nicht rauchen kann... und arbeiten soll man auch noch) und wankte in die Küche. Vor mir stand Wolfgangs eheliche Hausfrau Beth. Architektin, ihres Zeichens, und starrt mich mit ihren blauen Augen an. "Hallo, wie geht's Dir?" Ich lasse mich rückwärts gegen die Glastür fallen. "Mir ging es gut, bis ich Dich gesehen hab. Jetzt geht's mir wieder schlecht. Aber ich hoffe, ich muß Deine Anwesenheit nicht lange ertragen. Dein Ehemann ist übrigens fett und häßlich. Ach, jaaa..." Neben ihr stand Miss Bildung und war ob meiner Redensweise einigermaßen entsetzt, während die angesprochene sich überhaupt nicht beeindrucken ließ. "Pico (das ist Beths Papagei) läßt sagen, daß er Dich lieb hat." "Gut", sagte ich, "und ich hoffe, er stirbt bei einem häßichen Autounfall." "Und Oskar (das ist ihr Hund) liebt Dich auch." "Lebt also immer noch? Wie eklig..." Da fuhr die Hausherrin dazwischen. Sowas dürfe ich nicht einmal denken, sonst würde mir was ganz Schlimmes passieren. Aber das auch noch mit einer tiefernsten Miene, als ob sie das selbst wirklich fest glauben würde - heilige Einfalt... "Mir ist schon was ganz Schlimmes passiert", sagte ich, sah Beth an und meinte, "als ich gerade zur Tür hineinkam und Dich gesehen habe." "Och, Du armer Kerl, aber denk dran, wie schlimm das für Deine Eltern gewesen sein muß, als Du passiert bist." Da mußte ich lachen. "He, der kann ja lachen", stellte die Hausherrin fest. "Warum magst Du denn keine Tiere?", wollte sie wissen. "Das stimmt nicht, ich mag Tiere. Adler, Pferde, Ratten, Fledermäuse, Löwen, Elephanten - (leise) sogar manche Frauen... (wieder lauter) aber das heißt nicht, daß ich die da haben möchte, wo ich wohne. Ähm... und schon gar nicht dort, wo ich arbeite. Ich mag auch Hunde und Katzen und Kakerlaken, so ist es ja nicht. Sind nützliche Tiere. In Brasilien, zum Beispiel", erzählte ich ihr mit viel künstlicher Begeisterung und gespieltem Pathos, "da dachte ich mir, ich tue etwas für die Allgemeinheit. Einen Dienst für die Gesellschaft. Dort gibt es so viele Schlaglöcher und keiner stopft sie, weil Korruption. Da zog ich immer täglich los und bemühte mich, möglichst viele Schlaglöcher mit Hunden zu füllen. Da muß man natürlich einige Male drüberfahren, damit das eben wird. Meistens quillt dann der Hund links und rechts über das Schlagloch hinaus und dann muß man ihn falten und wieder hineinlegen und wieder drüberfahren, solange bis..." Da läuft die andere weg, als hätte ich jetzt etwas ganz furchtbar Schlimmes gesagt. Die Bauarbeiter, die herumstanden haben den Joke scheinbar kapiert, aber diese Frau war wirklich seltsam. Mit soviel Geld sich selbst an so einen Ort zu ketten, das kann nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Aber ich möchte nicht anfangen, von Zimmern zu erzählen, die ausschließlich dafür da sind, fünf bescheuerte Hunde zu unterhalten, die man in Deutschland als "umgebaute Kanalratten" bezeichnen würde. DVD-Player und alles da, nur, damit die Köter fernsehschauen können. Mit Polstersessel und allem, was der Mensch braucht, der Hund aber eigentlich nicht. Meiner Meinung nach sollte man die Köter ins Irrenhaus stecken, die Alte einschläfern und mir ihre Millionen in Pflege geben. Das arme Geld, muß da die psychischen Störungen ausbaden. Krank. Die Woche war schnell vorbei und ich war froh, aus diesem Irrenhaus entkommen zu sein. Da geh ich nicht mehr hin. Außer, die Kohle stimmt, aber den Stundensatz, den ich dann verlangen würde, könnte sich diese Dame überhaupt nicht leisten. Nicht mal Bill Gates könnte das, das glaube man mir.


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