Persien 2006
Donnerstag, 21. September

Ich parkte das Auto und ging mit Almut hinein, um die Zimmer anzusehen. Ich war mittelmäßig begeistert, fragte nach, ob man hier Brot haben könnte und als das bejaht wurde, checkten wir ein. Auch wenn die Atmosphäre seltsam war, das ganze einen äußerst unseriösen Eindruck machte, blieben wir. Wenn man einmal für New Theme Construction in L.A. gearbeitet hat, erhält man erst einen Begriff vom Sinn des Wortes 'unseriös'. Wir hatten einfach keinen Bock mehr, das Auto noch x Mal von uniformierten Eseltreibern auseinandernehmen zu lassen.

Ich gab die Pässe ab, zahlte, während die anderen das Gepäck auf das Zimmer brachten. "Kannst Du nicht einfach die ganze Tasche mitnehmen?", fragte ich Michl. "Doch, aber warum soll ich das machen, wenn ich nicht alles brauch, was drin ist?", war seine Gegenfrage. "Because, you jibbering imbecile, es morgen früh wird, bis Du fertig wirst, das auszusortieren, was Du brauchst. Und weil ich keinen Bock drauf hab und den Kofferraum jetzt zumach, ob Du fertig bist, oder nicht. OK?" Er nahm die ganze Tasche und wir gingen hinein.

Das Zimmer hatte nur zwei Betten, wir waren aber drei. Er fragte nochmals nach, ob das in Ordnung sei. "Jaja, das paßt schon. Er kann zur Not auf dem Balkon schlafen." Der Typ verstand kein Wort, aber das war auch egal. Ich ging mit Michl noch auf den besagten Balkon, um eine Cigarette zu rauchen. Von unten klang das Tekkno-Geschepper zu uns hoch. "Wo sind wir hier bloß gelandet?", fragte ich und blies den Rauch in die dunkle Nacht. "Ah!, egal...", sagte Michl. Recht hat er.

Aus irgendeinem Grunde erinnerte mich das Bild an einen Ego-Shooter Namens 'Blood'.

Das Zimmer ließ sich nicht mangels Schlüssel nicht zusperren. Ich ging hinunter und fragte nach dem Schlüssel. Nach kurzer Suche, wies er uns kurzerhand das Nebenzimmer zu. Da stank es nach biligstem Parfüm und auch sonst sah es nicht mehr ganz so frisch aus. "OK, paßt schon", winkte ich ab, "wir behalten das da..." Nacheinander gingen wir zum Duschen. Die Dusche war elektrisch. Wenn man auf Warm stellte ging das Licht aus. Ich fand heraus, daß man es eine Weile auf warm lassen, dann erst das Wasser einschalten mußte, damit es wirklich einigermaßen warm rauskam. Es war etwas kompliziert, aber ich bekam es hin. Dann ging ich wieder ins Zimmer.

"Ah! Von wegen warmes Wasser...", sagte Michl, als er vom Duschen zurückkam. Wir aßen das Brot, das man uns gebracht hatte, und das wirklich sehr gut war. Almut hatte noch Brotaufstrich für Michl und mich hervorgezaubert, sie selber aß das Brot mit irgeneiner Pampe, sie aussah wie Meerrettich und aus der Tube kam. Keine Ahnung, was das war, aber da es Almut gehörte, konnte es nicht schmecken.
Als alle im Bad fertig waren, wuchtete ich den Kleiderschrank vor die Tür und war froh, daß er das Manöver mitmachte, ohne sich in seine Bestandteile aufzulösen. Draußen ging der Lärm weiter. Schrille Weiber kreischten durch die Nacht, man kam sich vor, wie auf dem Brocken in der Walpurgisnacht. Irgendein Idiot klopfte an der Tür, nachdem er versucht hatte, sie aufzumachen. Ich schob den Schrank zur Seite und machte auf. Da stand ein Osmane mit einer Wasserflasche und drei Plastikbechern. "Oh, danke, sehr nett!", sagte ich, nahm es ihm ab und schloß die Tür wieder. "Hat einer von Euch einen Köter dabei?", fragte ich überflüssigerweise. Bevor ich das Zeug aus dem Fenster werfen konnte, machte mich Almut wieder mal darauf aumerksam, daß sie sehr gerne Wasser trinkt, und daß mir das auch nicht Schlecht täte. Ich überprüfte, ob der Verschluß noch verplombt war, füllte einen unserer Bescher und reichte ihn ihr. "Was ist das denn? Das komt mir so bekannt vor", fragte ich und zeigte auf das Bett. "Ich hab unsere Decken geholt und das Bett damit bezogen", sagte sie - wie immer ganz ruhig. Sie macht immer die abwegigsten Sachen und wenn man sie fragt, trägt sie ein in einer Ruhe vor, als ob es das normalste von der Welt wäre und man selbst der größte Narr, weil man überhaupt nachfragt. Das war noch nie anders bei ihr. Sie hat jedenfalls in allem eine wesentlich höhere Toleranzschwelle als Michl und ich zusammen. Und wenn sie meint, daß es sich in unsere Decken, die immer zu Staube liegen, bessere wären, als das Bettzeug, das wir hier angeboten bekommt, so kann ich diese Entscheidung nur unterstützen. Unser Bettzeug trägt vielleicht Skorpione und Spinnen mit sich, aber sicher nicht Wanzen und Läuse. "Gute Nacht!"

Um zehn Uhr stand ich langsam auf. Michl war noch im Zimmer, Almut war irgendwo verschwunden. Nichts Neues. Ich stehe auf, gehe duschen, komme wieder, poliere die paar Zähne, die ich noch übrig hab. Michl sitzt derweil auf seinem Bett und macht gar nichts. Er schläft nicht, liest nicht, er starrt einfach mit geschlossenen Augen auf den Boden. Wie wäre es damit, das Zeug zusammenzupacken, es schon mal runterzutragen, die Brauchwasserflaschen auffüllen? Nein. Wieso denn? Es ist doch immer Brauchwasser da, wenn er eins braucht. Das wird schon irgendein Depp erledigen. "Alter, mach irgendwas. Geh duschen, pack zusammen, renn mit dem Schädel gegen die Wand, aber ich trapp Dich aus dem Zimmer, wenn Du einfach weiter gar nichts machst" "Ah!, Herrgott, nie hat man sei Ruh'", sagte er (glaub ich) und ging mit dem Handtuch aus dem Zimmer. " "Erst auf warm stellen und warten", schrie ich ihm nach, "dann nur ganz wenig aufdrehen. Dann kommt's warm." "Ah!, Ooo keee!", sagte er und ging in die Dusche. "Also, der Typ...", sagte ich zu Almut, "wieviele Jahre sind vergangen seit Libyen? Acht! Der hat mittlerweile - im Gegensatz zu mir - sein Abi, hat studiert, studiert nun zum zweiten mal, wird wahrscheinlich noch mit 80 studieren, weil er nicht krank wird, nicht stirbt, nicht geldverdienen muß und nie im Leben eine Stellung kriegen wird. Aber mir kommts so vor, als wäre er noch verblödeter als damals. Der Typ kann nichts selber machen, dem muß man immer sagen, was er tun soll, und wenn er's dann tut, dann kann man sicher sein, daß irgend ein Scheiß passiert." Natürlich ist Almut der vollkommen falsche Ansprechpartner, wenn man einfach nur Dampf ablassen will. Dampfablassen ist ihrer Ansicht nach für Schwuchtel. Ein Mann reißt sich gefälligst zusammen und sie macht das jedem, den ich kenne, vor, mit Ausnahme ihres Bruders Joe, der in Afrika und Marokko dabeiwar. Den bringt nichts aus der Fassung, aber auch rein gar nichts. Aber mit allen anderen verglichen wirkt sie wie eine Selbstbeherrschungsmaschine. Und so verlief dann auch das "Gespräch". Ich fluche los über diesen kompletten Trottel, sie fragte mich, wie lange ich ihn schon kenne. Ich sage, er kann sich ein wenig zusammennhemen und wenigstens für ein Fünferl mal mitdenken, sie wiederholt die Frage. Ich sage, daß der Typ einfach zu nichts zu gebrauchen hat, sie frägt mich, wer ihn den gefragte hat, ob er in den Iran mitfahren will. "Fuck! Mit Logik komme ich gegen die Frau einfach nicht an!" "Doch. Mit Logik schon." "Ach, haltets Euer ganzes Maul! Ihr seids beide fett!", beendete ich die Diskussion.
Und kaum war sie beendet, kam Michl rein und warf im gleichen Augenblick zwei Gläser um. "Aaaaaahhhhhhh!", schrie ich und lief aus dem Zimmer auf den Balkon. Da war ein Köter, also drehte ich um und ging wieder ins Zimmer. "Wer hat denn den beschissenen Köter auf den Balkon gekettet? Fuck!", schrie ich. "Fuck! Fuck! Fuck!" Ist das Auto das einzig vernünftige Wesen im Umkreis von tausend Kilometern?

Wir packten zusammen und trugen das Zeug ins Auto. Almut machte Anstalten, ihr Gepäck selbst in den Kofferraum zu räumen. "Nein. Nicht. Ich mach das, Du durchblickst das System nicht, das dahintersteckt", sagte ich, sperrte vorne auf und machte die beiden Türen auf der Beifahrerseite auf. Als ich wieder zum Kofferraum ging, war Michls Tasche drin. Ich nahm sie und warf sie im hohen Bogen hinaus. "Ah!, was machsch Du mit meiner Dasch?" Ich beruhigte mich selbst: "Ich habe gerade gesagt, daß der Kofferraum nach einer bestimmten Art und Weise eingeräumt ist, und deswegen räume ich ihn ein. Was hast Du daran nicht verstanden?", sagte ich ganz ruhig und betont sachlich. "Ah! Aber des hasch Du zur Almut gesagt..." Wieder zwang ich mich zur Ruhe. "Ja. Aber wenn ich es selbst zur Almut sage, kannst Du davon ausgehen, daß es für Dich erst recht gilt. Schau mal. Deine Tasche war hier gelegen, ja? Wo hätte ich den Haufen Gepäck hintun sollen, Deiner Meinung nach? Ist ja scheißegal, nä? Ist ja nicht Dein Gepäck, sondern nur das von den anderen, das kann also ruhig liegenbleiben, stimmt's?", fragte ich. "Des hab i doch gar nett g'sagt, aber..." Ich unterbrach ihn: "Das interessiert mich nicht. Ich räume den Kofferraum ein und nicht der, der meint, daß er ihn einräumt. Das habe ich Dir und dem Günther in Norwegen schon erklärt und ich bleib dabei. Ich mache das schon seit ein paar Tagen und ich weiß wie man ihn so einräumt, daß alles reinpaßt und daß alles das griffbereit ist, was man oft braucht. Noch fragen? Wegtreten." Herrgott nochmal. Bin ich Kraftfahrer oder Kindergärtner, verdammte Scheiße?

Vor dem "King's Motel".

Jedenfalls fehlten unsere Pässe. Das ganze Haus war merkwürdig leise. In der Nacht war hier Walpurgisnacht, nun ist es ein Geisterhaus. Wie man es auch tat, es hatte etwas Gespenstisches an sich. Keine Seele da. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie mit unseren Pässen abgahaut waren. Dazu waren sie zu wertlos. Erst ließ ich in aller Gemütlichkeit den Diesel aus den Kanistern in den Tank, dann kümmerte ich mich um unsere Pässe. Wie entlockt man einem Geisterhaus die Pässe. Ich probierte es mit hupen, umeinanderschreien, böllerwerfen - vor etliche Fenster, aber es tat sich nichts. Ich stiefelte durch das Haus, machte Lärm, aber nichts tat sich. Ab und zu schlug der Wind eine Tür auf oder zu, aber keine Menschenseele tat einen Laut. Ich ging wieder hinunter, warf den Motor an und stellte das Auto genau vor den Eingang. "Das gibt's doch nicht, wo sind denn die?" Sogar die Rindviecher vor dem Hotel waren unruhig geworden wegen des Lärms, aber von den Rindviechern im Hotel keine Spur. Ich ging selbständig auf Paßsuche, fand aber nichts. Das einzig weinrote, das ich sah, waren die Speisekarten. Die Disko, die in Wirklichkeit ein ganz ansehnliches Restaurant war, wäre zur Plünderung freigegeben gewesen - hätten wir nur unsere Pässe. Ein ganzer Kühlschrank voller Efes, ganz allein für Michl, diverse Speisen und Getränke für mich und auf dem Boden jede Menge trockenes Brot für Almut. "Fuck!, das gibt's doch echt nicht. Es kann bei dem Lärm keiner schlafen. Was ist denn das für eine Depperl-Wirtschaft? Gleich schlag ich alles zusammen", fluchte ich im Auto los. Dan brüllte ich in das Hotel hinein: "Heeee! Ihr häßlichen Kanacken! Passport! Wie schaut's aus, Ihr Müll!?!" Ich wartete ab. Konsterniert stellte ich fest, daß sich immer noch nichts rührte. "Hallo? Bin ich im falschen Film? Wir haben bezahlt und wir wollen jetzt weiter. Wo sind unsere fucking scheiß Pässe?", ich war kurz davor, die Drecksbude in Brand zu stecken. "Hast Du in den Zimmern nachgeschaut?", fragte Almut, wieder mal, als ob ich wieder ein Sturm im Wasserglas veranstaltete. Nein, natürlich hatte ich das nicht. Alle Türen waren ja offen. "Dann laß uns nachsehen", trällerte sie frohgemut und wir gingen die Zimmer ab. Im zweiten lag so ein Orientale drin. Eine Wolke, bestehend aus billigstem Fusel und Knoblauchausdünstungen kam mir entgegen und zwang mich fast in die Knie. "He! Franzos! Faulpelz! Aufsteh'n, Jauche pumpen!", schrie ich. Er sah mich verwirrt an, checkte gar nicht was los war. "Passport! Where the fuck are our passports?", schrie ich ihn an. "Ah, Passport, no problem. Sorry." Er ging zu einem anderen Zimmer, wo ein anderer lag. Er lallte irgendwas auf Türkisch, ging dann hinunter und holte unter den Speisekarten unsere drei Pässe hervor. Im selben Moment hätte ich mich ohrfeigen können. Hätte ich nur die beschissenen Speisekarten angehoben. Zwar hätte das mit dem Plündern nicht funktioniert, weil Michl zu faul und Almut zu ehrlich dazu sind, aber wenigstens hätte ich mich umsonst vollfressen können und wir wären mindestens eine Stunde früher losgekommen. Wahlweise hätten wir auch die Bullen holen können, aber die Geschichten, die man mir über die Anno 99 erzählte, waren weniger amüsant...

Wir fuhren los. Irgendwas klapperte und das Fahrgeräusch war ziemlich laut. "Irgendeine Tür ist offen", sagte ich. Almut machte ihre Türe aus, schlug sie kräftig zu und drückte den Knopf hinunter. Ich sah Michl an. Der starrte aus der Scheibe und nahm mich gar nicht wahr. Ich hielt an und starrte ihn meinerseits an. Als ich merkte, daß seinerseits in der nächsten Stunden keine Reaktion kommen würde, wanderte mein Arm langsam zu seinem Türknopf. Wenn der sich nicht hinunterdücken läßt, dann heißt das, die Tür ist nicht richtig verschlossen. Ich drückte auf den Knopf, doch der gab nicht nach. Da platzte mir der Kragen endgültig, ich verpaßte ihm eine Schelln auf den Hinterkopf und schrie ihn an: "Du reiß Dich jetzt bloß mal am Riemen. Wenn Du jetzt fragst, warum, steig ich aus und schlag Dich grün und blau." Michl war aufgewacht. "Ah!, was war jetzt das, bitteschön?" Ich stieg nicht wirklich aus, um ihn zu verprügeln, aber eine ordentloiche Standpauke bekam er doch: "Ich habe gerade gesagt: 'Eine Tür ist offen!' Bist Du behindert? Was gibt's daran zu verstehen? Die Tür von der Almut war's nicht. Meine auch nicht", brüllte ich ihm ins Ohr. "Ah!, ich hab verstanden, daß die hintere Tür offen ist", versuchte er, sich zu entschuldigen. "Es ist mir scheißegal, was Du verstanden hast oder nicht", brüllte ich weiter, "ab jetzt gibt's Watschen. Ich bin kein beschissener Sozialpädagoge und hab keinen Bock mich mit Pseudo-Behinderten rumzuärgern. Ich hab's Dir schon mal gesagt: Laß Dir von der Stadt Gersthofen einen Behindertenausweis ausstellen, dann kannst machen, was Du willst, aber solang Du nicht offiziell Behindert bist, gibt's für behindertes Verhalten a Watschn", so. Das mußte mal gesagt werden. Und wenn er einen Behindertenausweis kriegst, sollte er sich bei der Polizei melden, dann kann bei den gersthofer Bullen außer den Computern und den Hunden noch jemand denken.

Wir fuhren in die Stadt, um verschiedene Einkäufe zu tätigen: Brot, Saft, Wurst und Käse. Ich parkte irgendwo ander Straße und ließ Almut aussteigen. Sie brauchte eine Weile und in der Zwischenzeit entdeckte ich in meiner Brusttasche ein Kleingeld. Ich nahm es, stieg aus und ging in einen Laden, holte ein Tetra-Pack Saft und ging wieder zum Auto. Bald darauf kam Almut wieder zurück mit den Einkäufen. Es konnte losgehen. Während der Fahrt bereitete Almut das Frühstück und reichte es uns vor.

Es mußte auch noch getankt werden. Wir fuhren eine Tankstelle an am Ortsausgang und ließen den restlichen Tank voll. Es war nicht viel, was hineinging. Aber mein Kommentar war bei weitem nicht übertrieben: "So viel Kohle haben wir in der ganzen Zeit im Iran nicht für Diesel ausgegeben..." Das Diesel war hier einfach absurd teuer. Absurd! Über 1,20 €. Das ist schon fast norwegisches Niveau. Wenn sie wenigstens die restliche Infrastruktur auch auf ebendieses Niveau brächten, dann würde ich vielleicht das Motzen bleiben lassen, aber so nicht.

Schafswecksel auf einer Straße, auf der in Deutschland offiziell, in der Türkei inoffiziell keine Geschwindigkeitsbegrenzung herrscht.

Um halb Eins erreichten wir die Kreuzung, an der es nach Mus ging. Wir hielten uns links und fuhren weiter. Es war eine gemütliche Fahrt. Scheinbar hatten wir das Kurdenbebiet verlassen, denn wir passierten keine Militärkontrolle mehr. Almut saß auf dem Rücksitz, aber natürlich nicht so, wie jeder normale Mensch, sondern mit dem Rücken am Beifahrersitz angelehnt, nach hinten blickend. Auf dem Schoß, ihre persische Grammatik. Sie ist überhaupt der einzige Mensch, den ich kenne, der nicht nur sagt "Ich nehme mein Buch mit in den Urlaub und lerne", sondern der das dann auch noch macht.

14:45 Uhr: Wir passieren Bingöl. Jenes Kaff, in dem am 6. April 1999 eine Bombe hochgegangen war, was der Grund dafür war, daß sie uns damals nicht in die Stadt Siirt hineingelassen hatten. Doch Siirt lag diesmal nicht auf dem Weg, so fuhren wir dort auch nicht hin. Aber bestimmt hätte der Polizeichef sich an mich erinnert.

15:50 Uhr / 280.335 km: Wir glaubten, die Militärkontrollen un hinter uns gelassen zu haben. Fehlanzeige. Man hielt uns an und Zwei Soldaten Namens Özlan und Özgür durchsuchten das Auto. Einer konnte sogar leidlich Englisch. Ich fragte ihn, bei allem Respekt, was der Unsinn denn soll. Wir seien Touristen und hätten mit "Eurem Krieg" nichts zu tun. Wir sind in den letzten drei Tagen in der Türkei öfter kontrolliert worden, als Westler im Iran in fast einem Monat und ich denke, daß dieser Quatsch nichts bringt, und daß die Leute, die Zeug schmuggeln, mit Sicherheit nicht kontrolliert würden, weil "der Chef von Deinem Chef es mit den Leuten so ausgemacht hat. Also, bitte, laß uns einfach weiterfahren und nimm nicht alles auseinander. Das haben Deine Kollegen seit vorgestern schon hundertmal gemacht und glaubst Du wirklich, daß ich hier wäre, hätten sie eine Atombombe in meinem Koferraum gefunden?" Er tue ja auch nur, was ihm befohlen wurde, es sei nicht, um mich zu ärgern. "Das ist schon klar, aber es bringt nichts und es nervt mit der Zeit, auch wenn alle sehr korrekt und höflich sind", sagte ich. "I see what you are saying", sagte er, reichte mir die Pässe und sagte "Have a nice trip." Versuch das mal bei einem deutschen Bullen. Da steht man eine Woche später noch da und schraubt die Karre zusammen.

Die Strecke war ab und zu serpentinig. Aber meistens ging es bergab und es war sehr schön zu fahren. Immer versuchen, Ideallinie zu fahren. Überholen war entweder nicht notwendig, oder aber kein Problem. Ran, raus, rein, weiter. Den entgegenkommenden Verkehr konnte man an den meisten Stellen vernachlässigen. Wenn man knapp am zu überholenden Auto vorebeifährt und links genügend Platz läßt, dann fährt der Entgegenkommende ohne weiteres an einem vorbei. Das hier sind keine dilettantischen Perser, sondern Osmanen, die wissen, was sie tun. Das Teilstück machte wirklich Spaß zu fahren. Alles wurde nur mit dem Gaspedal reguliert, die Bremse wurde kaum benötigt.

Hier eine der vielen langgezogenen Kehren. Man muß nur rechtzeitig vom Gas.

Bei 280.409 km tankten wir wieder. Und wieder sah ich vor meinem geistigen Auge die Dollarscheine wegfliegen. "Ich will wieder in den Iran!", schrie ich "Hier ist doch schon wieder alles Scheiße!" Aber es half nichts, wir mußten weiter.
Wir näherten uns Malatya. Im Augenwinkel sah ich etwas, das ich für eine Schildkröte hielt. Ich hielt an, legte den Rückwärtsgang ein, und fuhr zurück zu der Stelle. "Wo ist sie?", fragte ich Almut. "Wer?" "Na, die Schildkröte..." Sie sah nach. "Also, ich seh nichts", sagte sie. Ich stieg aus, zog mir die Arbeitshandschuhe an. "Das gibt's doch nicht. Grad war sie noch da..." Ich stieg wieder ein und fuhr weiter. "Was hättest Du damit wollen?", fragte Michl. "Na, über die Straße tragen, was sonst? Suppe kochen?" "Kann ja sein..." Nein, kann nicht sein. Schildkröten und Igel zählen zu den lieben Viechern. Die darf man nicht überfahren.

Die sind nett, machen kaum Dreck, keinen Lärm und ich mag sie. Köter hingegen kann man nicht genug überfahren - man muß es bloß so machen, daß man sie mit dem Rad erwischt und nicht mit der Mittelschürze, sonst verbiegt es die. Und auch bei Katzen ist es mir auch ziemlich egal, ob sie verrecken, verhungern - außer es sind Van-Katzen, mit verschiedenfarbigen Augen.

Kurz darauf passierten wir den berühmten Euphrat. Wo er mit dem Tigris zusamenließt, war die Kultur entstanden, so lernten wir im Geschichts- und im Religionsunterricht. Das jagt einem schon ein bißchen Schauer über den Rücken. Wären diese Flüsse woanders hingelaufen, dann müßten wir Panzer aus China importieren, oder würden mit Keulen durch die Gegend springen. Man ist sich gar nicht bewußt, welch schlimmes Schicksal uns dadurch erspart geblieben ist, daß ein Zufall es gewollt hat, daß eine Kultur entsteht. An einer Baustelle hielten wir. Von dort aus hatte man einen guten Blick.

Im Hintergrund der Euphrat.

Um fünf nach sechs trafen wir in Malatya ein. Auch hier war ich 1999 schon mal, aber das hieß noch lange nicht, daß ich irgendwas wiedererkante, geschweige denn, daß ich wußte, wie es ins Zentrum ging. Das überließ ich Michl. Sehir Mekezi, oder so, stand für Zentrum. Den Schildern folgte ich, bis wir da angekommen waren, wo die Schilder aufhörten. Das muß das Zentrum sein. Das war es auch. Zunächst suchten wir eine Wäscherei. Das war, neben Internet, auch eine Sache, die sie an der Grenze nicht hatten: einen Waschsalon.

Wir fragten an einem Laden, offensichtlich soetwas wie eine Polsterei, wo es denn zur nächsten "Çamasir Makinsi Otomatik" (Automatische Waschmaschine) geht. Er stieg gleich ein und gab mir Fahrtrichtungsanweisungen. Wir parkten irgendwo, er sagt, wir sollen unsere Çamasir einpacken und mitkommen. Almut und Michl blieben beim Auto, ich zog mit ihm los. Sein Name war Ugur. Wir betraten einen Waschsalon. Als der Typ anfing, alle Klamotten einzeln aus der Tüte zu ziehen, stoppte ich sein Vorgehen und sagte: "Çamasir Makinasi!" Er antwortete: "Dry clean". Ich packte alles wieder ein. Ugur sagte: "No problem", ich fragte den Ladenbesitzer, wieviel es kostet. 60 YTL und es ist in zwei Tagen fertig. "OK. Taschakur, Teschekür, wie auch immer, paßt schon." Ich nahm den Wäschesack wieder an mich. Ugur fragte irgendwas auf Türkisch. Ich zeichnete ihm auf: Istanbul - Çamasir Makinasi - 19 YTL. Malatya - 60 YTL - no good. Wir fuhren wieder zurück zum Laden, an dem wir ihn aufgegabelt hatten. Er überredete uns zum Aussteigen. Wir gingen hinein, nahmen Platz. Der Chef des Ladens stellte sich vor. Sein Name war Abdullah, wörtlich übersetzt, der Knecht Gottes. Er brachte uns Tee. Natürlich sprach auch er keinen Fetzen Englisch, aber er machte uns klar, daß Ugur mit mir zu einer Wäscherei fahren würde und Michl und Almut derweil dort bleiben konnten.

iPodIch fuhr mit ihm in seinem Tofas, oder wie diese umgebauten Fiats heißen, bis zu einer Büglerei. Das war anscheinend ein Kumpel von ihm und er überredete ihn, die Wäsche trotzdem zu waschen. Ich wartete so lange, bis sie fertig war, dann wollte er sie Bügeln. "Ja, he! Ja, he! Was machen Sie denn da?" Bügeln, damit sie trocken wird. "So ein Schmarrn, pack ein, die trockent von selber", sagte ich. Er fragte nach den zwanzig YTL, nahm sie und gab sie seinem Kumpel. Meinte, das sei genug. Es würde auch nicht mehr kosten, wenn er es trocken bügelte. Aber es paßte trotzdem. Wir einigten uns darauf, daß er die Wäsche einfach hängen lassen soll, bis der Laden schließt. Wir würden wieder kommen und sie vorher abholen. Zumindest glaubte ich, daß sie das verstanden hatten, zumal sie extra einen geholt hatten, der mit Computern arbeitete und daher ein wenig Englisch konnte. Wir fuhren zurück zur Polsterei. Dort saßen Almut und Michl. Almut offenbarte mir auch gleich, daß wir herzlich eingeladen seien, bei Abdullah zu übernachten. Ein Blick auf die Uhr verriet, daß es halb neun war. Draußen regnete es. "Also", legte ich los, "es ist fast neun. Bis die Wäsche fertig ist, ist es neun, und dann noch in die Pampa fahren, feststellen, daß es immer noch regnet, kein Zelt dabeihaben und dann wieder so ein Hotelerlebnis wie letzte Nacht? Ich würde eher sagen, daß wir edas Angebot annehmen." Man stimmte mir zu - ohne Widerspruch mach das irgendwie keinen Spaß...

Ich fuhr Ugur hinterher, erst zur Wäscherei, die Wäsche abholen, dann zu Abdullah. Ugur verabschiedete sich und kam hinterher mit der ganzen Familie wieder. Seine Tocher hieß iPod oder so ähnlich, hörte sich jedenfalls an wie ein Drucker oder irgendein Peripheriegerät für einen Rechner. Den Namen kann ich mir nie merken, nur die Übersetzung: Seide. Sie war auch ziemlich frech, aber nicht auf unangenehme Art, sondern vielmehr auf eine witzige. Und der Sohn hieß Kahn, wie Oliver. Das war Absicht. In Peru traf ich einen kleinen Jungen, dessen Mutter mir erzählte, daß sein Name Klinsmann sei. Das war noch 2002, bevor er Nationaltrainer war. Fußballer tragen eben mehr zur Völkerverstänigung bei als die beschissenen Politiker. Es ist also nur recht und billig, wenn sie auch mehr verdienen.

Ugur mir Frau und Sohn.

Spät abends, nach dem Kickboxkampf, der im Fernsehen übertragen wurde, verabschiedete sich Ugur. Abdullah zeighte uns noch sein Photoalbum aus der Zeit, als er noch in der Armee war. Er ließ sich nicht ausreden, daß ich Soldat war. Ich hatte eine Uniform, also war ich Soldat. So wie er. Ich sah mir die Bilder an. Abdullah auf Wache, Abdullah auf Manöver, Abdullah im Kreis der Kameraden, Abdullah hinter dem MG. Ich deutete auf das MG und schrieb "MG1?" auf ein Stück Papier. Er strich die Eins durch und machte eine 42 draus und gerade begeistert war er. "German machinegun, very good, very good". Noch von altem Schrot und Korn, sozusagen. Beide Waffen sind im Grunde ein und die selbe, nur hat man die Schußfolge des MG42 nach dem Krieg von 1.800 auf 1.500 Schuß heruntergeschwuchtelt und das ganze Teil dann MG1 genannt - blödsinnig, wie der Deustche nun mal so ist. Man benennt Sachen um und schon ist alles in bester Ordnung, denn es kommt nur auf die (politisch) korrekte Artikelbezeichnung an. So ist es bei allem anderen auch. "Ich sage nicht mehr Neger, sondern Afro-Afrikaner, und schon habe ich genug getan, habe ein reines Gewissen und es können mir Hungersnöte, Bürgerkriege und alles andere, was dazugehört egal sein, ich bin ein Gutmensch."


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