Persien 2006
Sonntag, 24. September

Von den vorbeifahrenden Autos in der Nacht ließen wir uns nicht stören. Ich selbst bekam jedenfalls nicht mir, ob eines vorbeifuhr. Und geregnet hatte es offensichtlich auch nicht, denn als ich aufwachte, war der Himmel zwar immer noch bewölkt, aber der Schlafsack nur von Tau naß, nicht aber von Regen. Und Almut war natürlich wieder irgendwo in der Landschaft beim Energieverschwenden. Wie lange halten solche Brennstäbe?, fragte ich mich. Ich stand auf und begann sofort damit, die Schlafsäcke und Decken aufzuhängen, damit sie halbwegs trocknen. Die Plastikdecke war patschnaß. Ich zog den Draht am Endtopf wieder mal nach. Ein Traktor fuhr heran, und wir unterhielten uns eine Weile mit dem Bauer, sogut es ging. Der Bauer fuhr weiter und während er aus dem Bild verschwand, tauchte Almut darin wieder auf. "Ich habe eine Schildkröte gesehen", zwitscherte sie. "Ganz allein Schildkröten anschauen und mich hier flackenlassen... Häng Dich mal da hin", sagte ich zu ihr und hielt ihr das eine Ende der nassen Plastikdecke hin. Dann gingen wir nebeneinander die Piste eine Weile in eine Richtung und wieder zurück, solange bis die Decke wieder trocken war.

281.232 km
Das übliche Bild des Nachtplatzes bei Tag.

Um 10:45 Uhr ging es los, weiter in Richtung Konya. Zehn Minuten später hatten wir wieder die Hauptstraße erreicht, bogen links ab und fuhren weiter in Richtung Konya. Die Fahrt dauerte eine dreiviertelstunde, dann waren wir angekommen. Wir mußte zu irgendeiner Moschee, oder zu irgendeine Museum, ich weiß nicht genau. Wir fanden es jedenfalls. Und als wir uns gerade fertigmachten, begrüßte uns eine türkische Familie aus dem Saarland. Die Mutter war gerade zu Besuch, sie lebte schon seit 25 Jahren in Deutschland, dennoch war die Unterhaltung ähnlich flüssig wie die, die wir mit dem Bauer in der Früh hatten. Soviel zur gelungenen Integration.

Wir gingen daraufhin ins Museum. Es kostete sogar Eintritt - Unverschämtheit. Darinnen soll ein Maulana / Mevlana zur letzten Ruhe gebettet sein. Ich versteh von dem ganzen Zeug ja nichts, aber interessanter als die Ausstellungsstücke fand ich Almuts Antworten auf meine blöden Fragen. Daß beispielsweise die meisten Wissenschaftler, derer sich die Araber rühmen, Perser waren, das wußte ich nicht. Was ich auch nicht wußte, und was mich am meisten überraschte, war die Feststellung, daß die arabische Schrift jünger ist als die griechische und sogar als die römische. Nie hätte ich das gedacht. "Die sind ja noch dümmer als die Germanen", die mit ihrer abgekupferten Runenschrift ankamen, hunderte von Jahren, nachdem die Griechen schon Gesetzesbücher und dergleichen erschaffen hatten.
Aber die Araber hatten ja bereits zwei fertige Alphabete. Die hätten ja nur eines sich aussuchen und verbessern brauchen. Stattdessen erfinden sie diese Krakelschrift, die kein normaler Mensch lesen kann, weil sie so blöd ist. Und sie erfüllt nicht mal ihren Zweck, da sie die Vokalzeichen selten bis gar nicht verwenden. Man muß das Wort kennen, um es lesen zu können. "Hmml" kann also demnach Hammel, Himmel oder Hummel heißen. Dabei ist eine Schrift eigentlich dazu da, um Wörter aufzuzeichnen, nicht dem Wanderer lustige Rätsel aufzugeben, deren Auflösung nirgends zu finden ist. So passiert es eben, daß eine Moschee plötzlich sechs Türme hat, statt goldener Türme. Wahrscheinlich ist das Wort "sechs" mit dem Wort "Gold" gleich. Einige Striche und Punkte falsch oder gar nicht gesetzt und schon gerät alles aus den Fugen. Was das ganze eben so absurd erscheinen läßt: Sie hätten es besser wissen müssen, denn die Griechen haben es ihnen vorgemacht: Man ordnet einem bestimmten Laut ein bestimmtes Zeichen zu. Damit läßt es sich arbeiten. Alles andere ist Schwachsinn. In dieser Beziehung werden sie höchstens noch von den Briten übertroffen, die zwar über ein ausgereiftes Alphabet verfügen, aber nichts damit anzufangen wissen. Das ist noch dümmer. Read, read, read (ried, räd, räd - warum?). Statt sich die halbe Welt unter den Nagel zu reissen hätten die Herren Engländer mal gut daran getan, weiter die Wände ihrer Höhlen zu beschmieren, dann hätten sie vielleicht heute noch eine richtige Sprache. Die Amerikaner sind entschuldigt - ihre "Sprache" war schon völliger Müll, als sie drüben ankam. Sie haben sie nur noch ein wenig vereinfacht. Mir hat in Destroit mal ein Engländer gesagt: "First the french came along and raped our language, centuries later the americans did the same..."

281.301 km
Das Maulana-Mausoleum.

Atatürk hat das erkannt und in der Türkei über Nacht dafür gesorgt, daß diese Kasperl-Schrift verschwindet und durch lateinische Buchstaben ersetzt wurde. Da mußte, laut Michl, auch der achzigjährige Opa wieder die Schulbank drücken und der arabische Unfung wurde nur noch dort verwendet, wo er nicht stört: An Gemälde oder Fresken. Almut meinte zwar, daß es dann oft schwerfällt, die Herkunft eines Wortes zu bestimmen, etwa vergleichbar damit, daß man nun meint, Telephon mit F schreiben zu müssen. Doch meiner Meinung nach wird dieses Argument dadurch entkräftet, daß die Schriftgelehrten es sehr wohl wissen, woher das Wort kommt und der Pöbel es auch so nicht weiß.

Als wir nach geraumer Zeit aus dem Museum kamen, suchten wir die Gegend nach einem Lokal ab, in dem man etwas essen konnte. Wir liefen die Gegend ab, aber fanden nichts Brauchbares. Ich blieb in einem Waffenladen hängen und ließ die anderen ein wenig weitersuchen. Doch sie wurden nicht fündig. Also gingen wir zum Auto zurück. Ich hatte Almut bei mir eingehakt und ging über die Straße auf das Auto zu und die Neugier trieb mich soweit, daß ich ihr das Bein stellte. Bei der nächsten Szene klebte sie an der hinteren Seitenscheibe des Daimlers und sah mich fragend an, als warte sie auf eine Erklärung. "Das hat ja gar nicht gescheit funktioniert - aber besser, als ich gedacht hätte. Das hab ich früher bei meiner fetten Schwester oft gemacht und die lag dann immer am Boden wie ein nasser Sack", erklärte ich vorwurfsvoll. "Hättest mich wenigstens vorwarnen können", sagte sie. "So blöd werd ich sein. Dann lieg' ja ich am Boden, das ist nicht halb so witzig". Jetzt waren wir wieder quitt. Schließlich hat sie mich in Marokko den hundsschweren Rucksack durch die ganze Medina schleppen lassen. Und immerhin weiß ich nun, wie es sich anfühlt, wenn man einen Dr. stolpern macht.

Wir fuhren in die Stadt, parkten irgendwo und gingen dann auf einen Hügel, auf dem Michl einige Restaurants gesehen haben wollte. "Da hinten beim Aladin-Platz", hieß es. Die Restaurants waren auch tatsächlich vorhanden. Die hätte ich in hundert Jahren nicht bemerkt. Wir gingen hinauf, setzten uns und warteten auf einen Kellner. Der kam, brachte die Karten und ging wieder. Vierzig Minuten vergingen, in denen die Kellner sich gegenseiteig an Lethargie und Begriffsstutzigkeit übertrafen. Keiner kam, um die Bestellung aufzunehmen, also ging ich hinein und bestellte drei Tee, zwei Toast und zwei Cola. Wieder eine halbe Stunde später kam das Zeug - alles auf einmal. Was soll's. Wir zahlten lieber gleich.

Das Wetter war irgendwie seltsam. Es sah verdammt nach Regen aus, aber es blieb trocken. Der nächste Wegpunkt war Ankara. Ich mußte zum Zahnarzt. Die sind hier billiger als in Deutschland. Wenn ich erst wieder in den USA bin, werde ich für sowas keine Zeit haben, die Arbeit erledigt sich nicht von selbst. Da kann ich mir nicht freigeben, um nach Tijuana zum Zahnarzt zu fahren. Außerdem tat der Zahn jetzt weh und nicht erst später. Wenn ich denke, daß ich noch vor sechs Jahren über erstklassige Zähne verfügte. Das ganze Gebiß makellos, keine Karies, keine Plombe. Und jetzt, sechs Jahre später, ist alles verkommen. Alles hat seinen Preis. Aber das Risiko nimmt man vorher in Kauf. Ein einfacher Zweig ist dem Vogel lieber als ein goldener Käfig.

Gegen 15:00 Uhr bliesen wir zum Aufbruch. Es geht nach Ankara, mit einem kleinen Abstecher über den Tuz Gölü, oder Tuzsee, wie man auf Deutsch sagt, eventuell mit Übernachtung dort. Wir stiegen ins Auto ein und verließen Konya. Weit war es nicht, bis zum See, keine 150 km, aber wir mußten die Hauptstraße verlassen und auf eine kleinere abbiegen. Die Nebenstraße war zwar von rauhem Belag, aber wenig befahren und für türkische Verhältnisse sogar ganz gut. Schlaglöcher sahen wir nur sehr wenige und man konnte ohne große Lenkbewegungen ausweichen.

Es waren viele Spatzen im Tiefflug unterwegs. Die meisten konnte man durch Hupen zum Flugrichtungswecksel bewegen, aber ein Spezialist war dabei, der hielt es nicht für nötig, Notiz von uns zu nehmen. "Autsch!", sagte ich, mit einem Gesicht, als hätte ich in eine Zitrone gebissen, "Den hat's jetzt förmlich derbaatzt. Rein gefühlsmäßig, würde ich sagen, er hat die Spurstange erwischt. So ein Depp!" Das wäre grad so, als würde ich einen Öltanker übersehen, der mit 120 auf mich zurast. Jetzt weiß ich, warum man den Ausdruck "Spatzenhirn" benutzt.

Wenige Kilometer später endete die Straße an einem Tor. Und dieses war verschlossen. Wir kamen nicht rein. Also kehrten wir wieder um. Die Nebensaison hat hehrich auch ihre Nachteile... Ich hielt nach einer Weile an und ließ mir von Michl die Karte erklären. Wir wollten noch versuchen, nach Süden auf eine Nebenstraße der Nebenstraße abzubiegen, um an den See zu gelangen. So fuhr ich los und bog schon bald links ab. Der Belag wurde noch ein wenig rauher. Wir hielten Ausschau nach Feldwegen, die in Richtung See führten. Es waren abgeerntete Äcker zwischen uns und See, aber keine Feldwege. Auch das, was so aussah, enpuppte sich, wenn man sich näherte, als gepflügtes Ackerstück oder als Feldabgrenzung. Und alles sah ziemlich sumpfig aus, um den See herum.

281.442 km
Der Tuz Gölü.

Einmal landeten wir auf einer scheinbar verlassenen Farm, dann gaben wir auf. Nach einer Weile waren wir wieder auf der Hauptstraße und fuhren mit Volldampf in Richtung Ankara. Die letzten paar hundert Kilometer vergingen relativ flott, der Verkehr nahm stetig zu. Als wir durch die Vororte fuhren fing es an zu regnen. Auf der Schnellstraße zum Zentrum kamen wir an einem Sonntagnachmittagunfall vorbei, der sich wohl gerade erst ereignet haben muß. Polizei noch nicht da, drei oder vier Autos waren über die drei Fahrbahnen verteilt, einen Stau gab es noch nicht.

Das Hotel von der Herfahrt kam nicht in Frage. Ich brauche keinen Kamkeltreiber, der mein Auto einparkt und damit am nächsten aneckt. Die Verantwortlichen in dem Hotel haben wirklich Talent: Von den Millionen, die sie zur Auswahl haben, stellen den einzigen volljährigen Türken als Einparker ein, der nicht autofahren kann. Wir fuhren zu dem im Lonely-Planet beschriebenen Hotel Pinar. Dort quartierten wir uns ein. Der Preis war OK und das Restaurant gegenüber auch. Daran, daß die Bestellung optisch nicht im geringsten zu den Bildern in der Speisekarte paßt, hatten wir uns schon längst gewöhnt. Wenigstens stimmen in der Türkei die Zutaten zu 80% überein. Im Iran bewegt sich dieser Übereinstimmungsprozentsatz im unteren einstelligen Bereich.

Autobahn nach Ankara. Landstraße zum Tazsee.

 


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