Persien 2006
Montag, 25. September

Um halb acht versuchte Almut angeblich mich zu wecken. Ich weiß nichts davon. Ich erinnerte ich mich schwach daran, daß ich am Abend zuvor noch rumgetönt hatte, wir sollten schon vor acht an der Botschaft sein, bevor man wieder vor lauter Türken den Schalter nicht sieht. Immer noch ist es mir rätselhaft, was diese Leute dazu bewegt, freiwillig in einen Polizeistaat umzusiedeln. Aus dem Acht-Uhr-Plan würde nichts mehr werden. Logikbedingt, denn es war schon kurz vor Neun, als Almut bei der Botschaft anrief, bei der - wer hätt's gedacht - keiner ans Telephon ging.

Frühstück gab es keines. Wir fuhren direkt zur Botschaft. Plan: Almut rauswerfen, sie holt ihren Paß und wir treffen uns am Café Tarçin. Als wir bei der Botschaft vorfuhren, war die Demo gegen alles schon lange im Gange. Es hilft nichts. "Raus!", sagte ich zu Almut. Sie ging. Doch ich fuhr nicht gleich weiter, sondern wartete. Vielleicht geht es ja schnell. Ich beobachtete ein wenig die Gegend. genau auf zwölf Uhr standen zwei Polizisten, also mußte ich den Kopf so halten, daß sie nicht meinten, ich würde sie anschauen, sonst schicken sie mich womöglich weg. Genau auf neun Uhr befand sich ein Schild. Ich verstand natürlich kein Wort, stand aber auf dem Standpunkt, daß es auf Englisch oder mindestens auf Deutsch dastehen würde, wenn es an mich gerichtet wäre. Ging mich also nichts an. Die Polizisten unterhielten sich und sahen immer wieder zu uns herüber. Ich sah bewußt weg und beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Dann stieg ich aus. "Ich geh schnell zur Almut, paß auf's Auto auf", sagte ich und stieg aus. Ich wußte zwar nicht, ob Michl mich überhaupt vernommen hatte, aber dafür wußte ich, daß er es nicht merken würde, wenn sich einer jetzt einfach ins Auto setzte und damit abhauen würde. Ich ging zu Almut und halt ihr ein wenig beim Vordrängeln. Sie meinte, wir sollen ins Café gehen und dort auf sie warten, es sieht aus, als würde es länger dauern. So ging ich eben wieder zum Auto zurück, die beiden Polizisten befanden sich auch noch auf dem Weg zum Auto. Ich setzte mich hinein und kaum war die Tür zu, stand er schon am Fenster, zeigte abwechselnd auf das Schild und auf das Kabäuschenn, in dem er sich noch kurz zuvor befunden hatte und redete und redete. Wie macht man dem Hampelmann jetzt klar, daß nicht alle Deutschen Türkisch können. Ich versuchte es mit: "Alter! Hasch Du g'sagt mei Omma kann ned schwimm'?" Aber es halt nichts. Keiner verstand den anderen, bis sich ein weiterer Typ einschaltete, der wohl zu der Menschenmasse vor dem Tor der Botschaft gehörte. Er bot sich an, als übersetzer. "Er sagt, warum Du hier stehen? Da Geschribben, Du nix stehen hier", sagte er. "Schild türkisch, ich doitsch, nix verstähn", sagte ich. Er übersetzte es dem Polizisten, der daraufhin wieder anfing, aufgeregt zu reden, auf sein Häuschen zu zeigen. "Er sage, er mache Zeichen zu Arkadasch, sage hier nix stähn blaibe." Aha, also, während ich bei Almut war, versuchten die beiden Polizisten auf dem Umweg über Michl das Auto von dort wegzufuchteln. "Das bringt unheimlich was", sagte ich zu ihm. Merken die denn nicht, daß der nichts merkt? Lauter Deppen hier. Ich fuhr einfach ein paar mal um den Block und dann in Richtung Café.

Ich dachte mir, ich verbringe die Zeit bis Almuts Ankunft im Internet. Vergiß es. Im ersten Café konnte ich den LapTop nicht anschließen, im Zweiten ging das zwar, ich bekam aber keine Verbindung, weil der Laden WPA-Verschlüsselt war. Gerade als ich loswettern wollte, kam auch schon Almut an. "Schon fertig?" Die hat ihn bloß aus der Schublade holen müssen... Dafür hat's aber ganz schön lang gedauert.
Almut ging in das erste Internet-Café. Mußte noch nachsehen, was der letzte Stand war mit Libyen, ob es stattfindet, oder nicht. Wenn nicht, können wir vielleicht doch in den Libanon. Michl und ich stellten uns auf die Straße und rauchten eine Cigarette. Zwar hatte Almut uns darauf aufmerksam gemacht, daß Ramadan war, und daß es begrüßenswert wäre, wenn wir uns auch daran hielten, zumindest in der Öffentlichkeit, aber das funktioniert so nicht. Michl hatte es vergessen. Er würde das niemals aus Absicht irgendwas machen, was einen anderen Menschen ärgert. Er macht's aus Zerstreutheit. Und ich rauche eben dann, wenn mir danach ist. Auf der anderen Seite habe ich noch nie dem Winterdienst in Deutschland einen Vorwurf gemacht, wenn seine Mitarbeiter die Straßen nicht Räumen, nur weil Ramadan ist. Sollen die entscheiden, und wem's nicht paßt, der kann den Bus nehmen oder daheimbleiben. Außerdem gilt der Ramadan nur für Islams. Wir, hingegen, sind seit Generationen Katholiken.

Zum Zahnarzt. Wir stiegen in ein Taxi, hielten ihm eine Adresse hin, der Typ fährt und fährt und fährt. Nach zwanzig Minuten läßt er uns aussteigen und deutet auf die Straße. Es war eine Einbahnstraße, daher stiegen wir schon hier aus, anstatt ihn noch zehn oder zwanzig Minuten durch das Einbahnstraßengewirr zu jagen. Wir gaben ihm dennoch ein paar MickyMaus, allerdings nicht soviel, wie er erwartet hätte, nach dem Motto: "No Mercedes, no money just for driving about". Wir gingen zu Fuß weiter in die Straße hinein. Nach einem zwanzigminütigen Marsch, der uns an der schwergesicherten Amerikanischen Botschaft vorbeiführte, kamen wir beim Zahnarzt an - und stellten fest, daß wir nur zwei Straßen weiter in das Taxi gestiegen waren: Mehr gezahlt und dafür auch noch mehr gelaufen, als wenn wir gleich zu Fuß gegangen wären. Für den Rest des Tages verzichteten wir auf Taxis.

Buschtaxi in Ankara.

Der Zahnarzt hatte Mittagspause bis halb zwei, so nutzten wir die, um zu dem anderen Zahnarzt zu gehen. Wir latschten ganz Ankara zu Fuß ab, bis wir schließlich in einer Zahnarztpraxis standen. Die Helferin erklärte, wir sollen uns die Überschuhe anziehen, die in einem Schirmständer waren. Wie an diesen Religiösen Stätten. Ich dachte, nur in Deutschland sei es furchtbar schlimm, wenn einer mit den Füßen den Boden berührt.
Es gibt ein paar Bräuche im Islam, die gehören einfach nochmal aufgearbeitet. Wenn die Leute nicht vom Boden fressen würden, bräuchten sie auch nicht jedesmal die Stiefel ausziehen, bevor man das Haus betritt. Sie schreiben auf den Ämtern schließlich auch nicht auf Schreibtüchern, die auf dem Boden ausliegen, sondern auf Schreibtischen. Und wenn sie schon so ein Theater machen, dann sollen sie richtige Üerschuhe anbieten, und nicht Badehauben für Neugeborene. Almut hatte damit weniger Probleme, aber bei mir schnalzten die Teile immer nur weg und flogen quer durch's Zimmer, wobei sie den Baustellenschlamm ordentlich im Warteraum verteilten. So ein Schmarrn. Ich hatte drei von den Teilen an jedem Fuß. Keines davon war mehr ganz.

Der Arzt konnte deutsch. Sehr gut, sogar. Und er zog mich vor, nachdem er fragte, wie lange wir in Ankara seien und wir mit "Bis nach der Behandlung" geantwortet hatten. Ich kam also auf den Sessel und er fuhrwerkte mir etwa eine Stunde im Maul umeinander - ohne Narkose, weil ich eingangs meinte, daß ich nicht der Sohn von Bill Gates war. Die Rechnung betrug 55 YTL, also um die 27 €.

Auf dem Rückweg ging ich in einn Internet-Café, in dem ich den LapTop anschließen konnte. Immerhin klappte das auch noch. Als jedoch nach einer halben Stunde die Verbindung einfach abreißt und sich nicht mehr aufbauen läßt, gehe ich wieder zu den anderen. Nun war alles erledigt, was wir in der Türkei zu erledigen gehabt hatten und eigentlich blieb nur eine Frage offen: "Was ist jetzt mit Libyen?" Also, meiner beruflichen Karriere wäre es doch sehr zuträglich, wenn wir in den Libanon fahren würden. Almut legt eh keinen Wert auf Karriere und Geld, also wäre das ein weiterer Grund, den Libanon Libyen vorzuziehen, zumal sie nichts gehört hatte. "Ich seh's schon kommen, daß wir jetzt nach fucking Deutschland hetzen, wie die Idioten und dann aus Libyen nichts wird, aber dann komme ich persönlich nach Leipzig gefahren und brech Deinem Proffessor für Idiotie ein paar Finger. Was ist denn das für ein Depperlverein? Gibt's da wenigstens Kohle dafür?" "Nein", sagte Almut. "Wer hat den Flug gezahlt?" "Ich", sagte sie wieder. "Springt dabei irgendwas für Dich raus, oder ist das wieder so eine Gutmenschen Aktion, um notleidenden Blattläusen zu helfen?" Sie faselte irgendwas von wegen ehrenamtlicher Bibliotheksverwaltung. "Das ist doch schon wieder so eine für Dich typische Scheiße. Da haben sie wieder eine Blöde gefunden, die irgendwelche Drecksarbeiten macht, auf die keiner Bock hat. Wer arbeitet auch umsonst? - außer Dir, natürlich. Ehrenamtlich, wenn ich das schon höre. Kriegsch Du fett viel Ehre, Alter!" Bin sowieso algerisch gegen jegliches Ehrgeschwätz. Es wird wohl diesmal nichts mit Libanon. "Das regt mich jetzt so stark auf..!" Mit diesen Worten, von denen Almut behauptet, sie würden eher zu einer beleibten fünfzigjährigen Dame passen, als zu mir, beendete ich meinen sachlichen Diskurs und steckte mir eine Cigarette an.

Auf dem Weg aus der Stadt hielten wir noch beim Atatürk-Mausoleum an. Das Auto durfte nicht hinein. Almut und Michl sstiegen schon mal aus, während ich einen Parkplatz suchte. Als ich einen gefunden hatte, ging ich wieder zum Eingang. Das muß ich mir doch ansehen, das Grabmal von Kemal Atatürk, der Mann, der bei Gallipoli den Tommy versohlt, der den Türken lesen und schreiben beigebracht und der dieses Kopftuch abgeschafft hat, liegt hier in seinem Sarg.
Am Eingang kam einer im schwarzen Anzug auf mich zu und sagte irgendwas. "I Versteh di need, wannst so bleed doherpleschlst", sagte ich. "Bisch Du Deutsch, oda?", fragte mich sein Nebenmann. "Oh, sie sprechen ja ganz natürlich. Verzeihung. Ja, ich Deutsch und ich möchte da hinein." Kein Problem, ich solle nur meine Sache in die Schüssel dort legen und durch den Metalldetektor gehen. Ich tat dies und sagte nichts. Vielleicht wissen die Leute hier nicht, daß Atatürk schon ein paar Jahre tot ist und es nicht das primäre Ziel von Al Qaida ist, ihn nochmal zu erschießen.

Nach der asphaltierten Straße kam ein gepflastertes Stück.

Das war unter aller Sau. Die Steine sind so saublöd verlegt, daß man ständig umknickt und so unregelmäßig, daß man immer genau schauen muß, wo man hintritt. So ein Schmarrn! In den USA wäre ich kurz davor, irgendjemanden zu verklagen.
Es waren ein paar Touristen da und ein paar Soldaten. Der Wachwechsel, muß ich sagen, sah ziemlich erheiternd aus. Das geht ja gar nicht, daß zwei Soldaten mit weißen Gamaschen sich in Bewegung setzen und dabei aussehen wie richtige Hampelmämer. Das müssen sie noch üben. Sollen ein paar ehemalige Rotarmisten einstellen für 3 YTL in der Stunde und schon schaut das aus wie bei den alten Preußen.
Den Fahnenwechsel sahen wir auch. Da wird also die türkische Fahne eingeholt, feierlich zusammengefaltet und dann wird eine andere Fahne, aber ebenfalls die türkische, wieder hochgezogen. Welcher Sinn dahinter steckt wird bei der Prozedur nicht erklärt. Auch sieht es nicht besonders soldatisch aus, wenn einer der Männer wie ein Känguru hochspringt und versucht, die im Winde flatternde Fahne zu greifen. Wart halt ab, die kommt schon von selber. Es sieht alles sehr Mächtig aus, aber so richtig Stil haben sie nicht bewiesen. Das wenn Atatürk wüßte...

Auf dem Rückweg zum Auto sahen wir sogar ein Opfer der schlechten Pflasterung: Ein junges Mädchen konnte nicht mehr laufen und wurde von ihrer Freundin zurückgeschleppt. Wenn einem schon sowas passiert, dann sollte es in den USA sein, da bekäme sie jetzt wahrscheinlich soviel Kohle, daß sie auf ihren Fuß gern verzichten könnte, weil sie nie mehr zu laufen bräuchte.

Um halb secht fuhren wir weiter in Richtung Istanbul. "Was wollen wir eigentlich da?", fragte ich. "Eigentlich nichts", sagte Almut, aber vergewisserte sich nochmal. "Also, wenn Du nichts vorhast in Istanbul, ich bin soweit fertig". Gut, dann paßt es ja, dann können wir durch die schwule Landenge einfach durchbrettern. War das das Marmara-Meer? Keine Ahnung, jedenfalls war es die Ursache für die hohe Luftfeuchtigkeit und ich war nicht besonders gut darauf zu sprechen.

Kurz nach Ankara hielt ich an einer Tankstelle. Es regnete. Ich fuhr erst ein wenig auf und ab auf der Suche nach der Dieselzahpfsäule. Die Scheinwerfergitter hatten einen Nachteil: Um die Scheinwerfer zu reinigen braucht man Werkzeug. Ich löste die oberen Laschen, klappte die Gitter nach vorn, reinigte die Scheinwerfer und schraubte alles wieder zusammen. Dann fuhren wir los. Wenige Kilometer nach der Tankstelle hörte ich ein Geräusch auf dem Dach. "Was war das denn?", fragte Almut. "Da hat halt wieder irgend so ein Arschgesicht vergessen, die Werkzeugkiste zu verschließen", schrie ich, ließ das Auto auslaufen und stieg aus. Die Werkzeugkiste war offen und stand auf dem Gepäckträger. Es wunderte mich gar nicht, daß der Kasten nicht runtergerutscht war, daß ich auf der Strecke von der Tanke bis hierher nicht einmal leicht bremsen mußte, obwohl die Straße ziemlich kurvig war. Ich hatte schon immer mehr Glück als Verstand - das schafft man in besonderen Fällen auch dann, wenn man als Pechvogel bekannt ist.

Noch einmal das Atatürk-Mausoleum...

Ich sah mir das ganze an. Es fehlten die Schraubenzieher. Ich machte die Haube auf. Einer lag hinter dem Wasserbehälter. Ich nahm ihn und tat ihn in die Kiste. Der andere hatte das Geräusch auf dem Dach verursacht und hing da im Zurrgurt. Ich warf alles in die Kiste, stellte fest, daß der dritte Schraubenzieher fehlte, verzurrte alles, stieg wieder ein und fuhr weiter. "So eine Blödheit!"

Wir kamen um 21:10 Uhr (218.821 km) an unserem Nachtplatz vorbei, an dem wir auf der Hinfahrt zwischen Istanbul und Ankara geblieben waren. Diesmal fuhren wir weiter. Noch über eine Stunde. Dabei kamen wir irgendwie auf den Konflikt zu sprechen, der zwischen Gabi und Cat auf der Fahrt von Peru nach Mexiko entstanden war. Cat bevorzugte immer Tankstellen, Gabi bevorzugte die Pampa, mir war es gleich. Es hatte beides Vor- und Nachteile. Die Tanke bringt die nütliche Infrastruktur mit sich, fließend Wasser, trockene Schlafgelegenheit, nicht zuletzt Diesel. Aber an der Tankstelle sind meistens auch Menschen und man muß immer auf der Wacht sein, gerade in Südamerika, wo Menschen die unangenehme Eigenschaft haben, besonders "schlau" sein zu wollen.

Und so blieben wir heute an einer Tankstelle - zur Abwechslung. Es war 22:45 Uhr, als wir ankamen. Ich parkte neben einem LKW, fing an, das Zeug auszupacken. Da kam der Tankwart an. Ich verstand ihn nicht, aber er machte einen netten Eindruck. Er sah nicht so aus, als wollte er uns wegschicken, sondern mehr so, als wäre er neugierig. Er fragte mich, was ich vorhätte. "Bett aufbauen, schlafen", fuchtelte ich ihm. Er zeigte nach oben, hielt isch dann mit der linken Hand den rechten Oberarm und umgekehrt, weas heißen soll: "Es wird kalt." Ich winkte ab, deutete auf uns und sagte "Aleman", er fing an zu lachen. Almut lag schon da, da meinte er, der Boden sei doch hart. Ich zog Almut das Kopfkissen weg. "Das passt schon, die schläft normalerweise auf Glassplittern", sollte das heißen. Ich gab ihm eine Cigarette und steckte mir selbst eine an. Er konnte zwar noch immer nichts mit uns anfangen, aber er ging, immer noch in dem Glauben, es würde kalt und hart werden. Wir blieben dennoch neben dem Auto liegen, aber falls es regnete, bräuchten wir nur unser Bett nehmen und es unter das Dach tragen, das etwa fünfzig Meter weiter lag, vor den Werkstätten.


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