Amerika
Land of Hope an Glory, Country of the Free

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Keep, ancient lands, your storied pomp!" cries she
With silent lips. "Give me your tired, your poor,
Your huddled masses yearning to breathe free,
The wretched refuse of your teeming shore.
Send these, the homeless, tempest-tost to me,
I lift my lamp beside the golden door!

Seit vier Jahren funktionierte mein Leben besser als je zuvor. Ich hätte nie gedacht, daß das möglich wäre. Nur eine einzige Sache klappte nicht: Das Visum. Irgendwas muß schließlich schiefgehen, wenn das Leben über längere Zeit "verdächtig gut" läuft. Im August 2007 war es soweit: Eine fette häßliche IRS-Beamtin in Detroit erklärte mir, daß sie mich nicht ins Land lassen würde. Ich Idiot mußte es ja auch ausgerechnet in Detroit versuchen. Die Erfahrungen von 2004 hätten mir eigentlich eine Lehre sein müssen: In Michigan funktioniert nichts. Nach zwei weiteren vergeblichen Versuchen, wieder nach Hause zu kommen, zog ich mich zurück, um die Front zu verkürzen. Allein bei der Vorstellung, wieder wie 2005 in Deutschland festzusitzen, spürte ich, wie mir ein Magegeschür wuchs. Bloß nicht. Damals war das Problem, daß ich keinen Paß hatte. nun war das Problem nicht gar so dramatisch, denn davon besaß ich mittlerweile zwei. Ich bereitete meinen Rückzug nach Norwegen vor. Im Januar hatte ich einen Arbeitsvertrag und kurz darauf eine Wohnung. "Mal sehen, was hier so geht", sagte ich immer, wenn ich gefragt wurde, was ich in Norwegen vorhätte.

Und es ging jedenfalls wesentlich mehr als in Deutschland. Immerhin kam ich als Hilfsabeiter auf knappe 4.000 € netto. Bei knappen nur 25% Steuern war ich auch noch rundum abgesichert. Ich konnte mich nicht beklagen, was die Sicherheit angeht. Aber das tat ich auch nie, als sie fehlte, wie in den letzten neun Jahren. Ich habe sie nie vermißt. In Norwegen begann ich jedoch allzubald die Freiheit zu vermissen. Das liegt nicht an Norwegen. Mit Deutschland verglichen hat man in Norwegen nämlich trotz höherer Sicherheit auch noch mehr Freiheit. Aber ich hatte die letzten vier Jahre nicht in Deutschland, sondern in Kalifornien verbracht, was den Nachteil mit sich bringt, daß man sich überall auf der Welt in irgendeiner Weise eingeent fühlen muß... Für meine Sicherheit kann ich sorgen, ich brauche dazu keinen Staat, der mir eine Sicherheit aufdrängt, die ich nicht will und auch nicht brauche, eine Sicherheit, die man zwangsläufig mit Freiheit bezahlt, bezahlen muß, weil es nicht anders geht. Sicherheit kostet eben nicht nur Geld. Es ist ein großer unterschied, ob man Arbeitet weil man muß, oder weil man selber will. Der durchschnittliche Amerikaner hat vielleicht vier Feiertage im Jahr. Ich habe nie gehört, daß sich jemand darüber beschwert hätte. "A real man makes his own luck". "Jeder ist seines Glückes Schmied", das ist in Deutschland eine Worthülse, in Norwegen Nostalgie, in Kalifornien aber eine Tatsache.

Das ist der Fluch des "Golden State": Alle wollen hin, und kaum einer geht wieder. Und ich weiß nur zu gut, warum das so ist. Jeden morgen aufzuwachen, voller Tatendrang, kein Chef im Nacken, keine fremdauferlegten Verpflichtungen. Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. Ein Tag, an Arbeit reich, allerdings mit dem Bewußtsein, daß man es bis nach ganz oben schaffen kann - wenn man nur will und wenn man kann. Jeder Tag ein Tag der unbegrenzten Möglichkeiten. Dieses Gefühl fehlte in Norwegen. Rundum abgesichert, fester Tagesablauf und die Erkenntnis, daß man das Ende der Karriereleiter erreicht hat. Das ist der Preis für die Sicherheit. Und dieser Preis ist mir zu hoch. Dafür hatte ich ein neues Ziel im Leben: Um jeden Preis muß ich wieder nach Kalifornien und ich bin bereit, alles diesem Ziel unterzuordnen. Alles. Zurück dahin, wo einen niemand fragt, warum man so angezogen ist und nicht anders, wo nicht der Titel wichtiger ist als der Name, zurück dorthin, wo man nicht Jura studiert haben muß, um zu leben, wo man nicht der Gringo ist, wo einem nicht jeder "Osama bin Laden" hinterherzischt, wo mein Leben nicht nur von Vorschriften, Bestimmungen, Verordnungen und Paragraphen bestimmt wird... Wo mich die ach so oberflächlichen Amerikaner stets bei jeder Rückkehr mit "Welcome home!" begrüßen. Ist mir zuvor noch nie passiert - in keinem anderen Land. Und sollte es doch mal jemand zu mir gesagt haben, dann habe ich es jedenfalls nie wirklich so empfunden.

Ein Leser schrieb mir mal, ich solle doch bitte erklären, warum ich mich nicht für eine "wirklich freie Zone" entschieden hätte. Das habe ich. Und das kann ich erklären: Man hat auf der einen Seite Systeme wie in Deutschland, Österreich, Schweiz, Skandinavien. Die sind präventiv, was in der Praxis heißt, daß man ständig am blechen ist. Strafen, Gebühren, Auflagen, Verordnungen, egal was, man zahlt einfach für nichts und wieder nichts, nur weil es Gesetz ist. Jeder zahlt. Der Vorteil: Keine Korruption in den unteren Rängen. Der praktische Nutzen: Keiner.
Man hat auf der anderen Seite Systeme wie im restlichen Europa, Südamerika, Afrika, oder in vielen arabischen und asiatischen Staaten. Die sind mehr oder weniger repressiv. Da zahlt jeder, der nicht dazu in der Lage ist, das System so zu bearbeiten, die Rechtsprechung so zu manipulieren, daß er seine Vorteile daraus zieht. Das Gesetz ist der Beamte, dem man gerade gegenübersteht...

Kalifornien (ich will nicht für ganz Amerika sprechen) ist in meinen Augen der beste Kompromiß. Da sind Gesetze oft nur dazu da, um festzulegen, wer schuld ist, nachdem etwas passiert ist. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Auch dort kann man einen Bullen nicht mit fünfhundert Euro schmieren, dieser Vorteil bleibt also erhalten. Man kann aber davon ausgehen, daß es keinen Bullen interessiert, wenn man mitten in der Nacht über eine rote Ampel geht oder fährt, wenn man vorher sich vergewissert hat, daß nichts kommt. Die haben besseres zu tun. Man wird auch nicht einfach so angehalten und muß sich auch in der Regel nicht gegen irgendwelche unberechtigten Geldforderungen wehren. Dort muß man erst mal Scheiße bauen, dann gibt es eine Strafe, die dafür aber saftig ausfällt. Beispiel: Bei wesentlich rasanterer Fahrweise dort habe ich in vier Jahren einmal ein Speedingticket über 800$ bekommen (mittags mit 56 mph vor einer Schule erwischt. Max. Speed: 25). Hier bekommt man bei zwangsläufig deutlich moderaterer Fahrweise ständig irgendwelche lästigen 50- oder 100-€-Strafen weil man mit 80 Nachts durch eine Baustelle fährt, bei der in vielen anderen Ländern inklusive USA höchstens ein Schild „Achtung Baustelle“ angebracht wäre. Und Blitzer habe ich dort nie gesehen. Dort ist nicht der Mensch für das Gesetz da, sondern umgekehrt, und jeder kann machen, was er will - solange, bis er eben Scheiße baut.

Dann gibt’s auf den Deckel, und zwar gescheit. Aber man kriegt nicht schon auf den Deckel, bevor man überhaupt irgendwas gemacht hat, nur weil die Möglichkeit besteht, daß vielleicht was sein könnte, oder nur, weil man gegen ein bescheuertes Gesetz verstoßen hat, ohne aber de facto auch nur jemanden dadurch belästigt zu haben. Vor einer halben Stunde bin ich aus dem Knast gekommen. Ich saß dort, weil ich ohne Führerschein unterwegs war. In Kalifornien hätten sie mich gar nicht erst angehalten, und wenn doch, hätten sie mich auch ohne weiterfahren lassen, auch wenn sie nach dem Führerschein gefragt hätten und ich keinen habe. Aber wehe man erwischt mich ohne Führerschein und betrunken und dann noch bei entsprechender Fahrweise. Dann scheppert’s. Der Nachteil: Die Rechtssicherheit fehlt. Aber da sollen von mir aus die Hunde draufkacken, denn davon hat man nichts außer Kosten. Wie gesagt: Auf dem Friedhof habe ich noch mehr Rechtssicherheit. Wenn ich weiß, daß ich nichts darf, und folglich auch nichts mache, komme ich nicht mit dem Gesetz in Konflikt. Ganz einfach. Und wem das gefällt, der ist hier gut aufgehoben.
Eine Mehrwertsteuer (was ist das überhaupt für ein Schwachsinn? Ist das Zeug, das ich erwerbe, dann mehr wert?) gibt es nicht. Aber eine Sales-Tax. Meines Wissens liegt die bei 8,25 %. Aber wie wäre es, wenn man sich die Kfz-Steuer genauer besieht? Die beträgt nämlich 8,25% des Preises, den man für das Fahrzeug bezahlt hat. Dann kann man das Auto 20 oder 30 Jahre fahren und gut ist’s. Erst, wenn man das Auto wieder verkauft, muß der Käufer über den Kaufpreis wieder 8,25% errichten. Einmal im Jahr zahlt man die Registration, wenn man mag, kann man auch eine Versicherung abschließen (bei der Zulassung nicht Pflicht) und den Sprit muß man zahlen. Eine jährlich wiederkehrende Steuer, die nicht nur nicht weniger, sondern immer mehr wird, ist dem Kalifornier unbekannt.

Als ich mein Business aufgemacht habe, hat mich das 300 US$ gekostet. Eine License wollte niemand sehen. Und die Car-Pool-Lane ist auch eine feine Erfindung. Weil das Autofahren dort so billig ist, fährt jeder im eigenen Auto. Meistens fahren Leute zu zweit oder zu dritt nur zum Flughafen und da ist es ganz gut, wenn man die Car-Pool-Lane benutzen kann, denn da geht es i.d.R. wesentlich schneller voran.
Das mit der fehlenden Prostitution stört mich persönlich nicht besonders. Aber selbst die gibt es, man muß nur genau hinsehen und ein bißchen suchen… Wenn man dazu zu faul ist, dann kann man immer noch nach Nevada fahren. Das ist nicht weit. Auch das Rauchverbot läßt sich umgehen, wenn man es geschickt anstellt. Das Wischi-Waschi-Rauchverbot hierzulande ist deutlich behinderter.

Unnötig anzuführen, daß man dort von seinem Bruttolohn viel mehr behalten kann als hier. Dort gibt es keine Sozialversicherung, dafür hat der Penner auf der Straße auch keinen Anspruch auf einen Farbfernseher auf Staatskosten. Es kommt dort auch nicht vor, daß Leute arbeiten und zusätzlich noch Wohngeld beantragen müssen, weil ihnen das erwirtschaftete hinten und vorne nicht langt, wie es hierzulande immer öfter der Fall ist. Der Staat holt sich seine 30% Steuern und der Rest bleibt einem selber überlassen. Der Verdienst ist vergleichsweise höher, die Lebenshaltungskosten niedriger. Reguliert wird das vom Markt. Man hat als Unternehmer den Druck des freien Marktes, aber auch freie Hand. Hierzulande hat man den Druck des freien Marktes und gebundene Hände. Das ganz abgesehen davon, daß man hier nicht einfach einen Laden aufmachen kann, wenn man Lust dazu hat.

Dort kann jeder sich einen alten El Camino kaufen, sich vor das Bauhaus stellen und den Leuten anbieten, die soeben gekauften Möbel zum Kunden nach Hause zu bringen und sie aufzubauen. Der darf dann auch eine Rechnung stellen. Er braucht keine Versicherung, kaum Startkapital, er muß nur irgendwie denken, daß er handwerklich geschickt ist. Das reicht. Das kann er machen so oft er mag. In Deutschland wäre da sofort die Gewerbeaufsicht auf dem Plan erschienen und der angehende Unternehmer hätte eine saftige Strafe zu blechen. Drüben hingegen kann er, wenn er gut ist, bald sein Gewerbe anmelden - er möchte ja gerne seinen Wagen, seinen Sprit, seine Kosten von der Steuer absetzen. Wenn es schlecht läuft, kann er sich auf etwas anderes verlegen (Demolition, Transport, u.v.a.m.), und so irgendwann herausfinden, womit er sein Geld verdienen will. Er wurstelt sich irgendwie durch, bis er etwas findet, das einträglich ist. Das ist hierzulande nicht möglich. Hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Hier muß man erst ein Gewerbe anmelden, bevor man überhaupt irgendwas anfängt. Wenn es nicht läuft, dann ist man schon vor dem ersten Auftrag pleite und braucht nicht nochmal zur Bank gehen und um einen Kredit betteln. Drüben ist es genau anders: Erst wenn der Laden einigermaßen läuft, wird das Gewerbe angemeldet.

Drüben ist es ganz legal, hier ist es Schwarzarbeit. Geht auch nicht anders, denn ich kann ja keine Rechnung stellen, wenn ich kein Gewerbe hab. Die Option, ohne Gewerbe legal selbständig zu arbeiten gibt es hier nicht. Ist drüben ganz normal. „Aber dann würde das ja jeder machen!“ - Deutsche Denke. Absoluter Schwachsinn. Jeder Amerikaner will so schnell wie möglich sein Gewerbe anmelden, damit er abschreiben kann. Kann er als Privatmann nicht. Aber er ist deswegen kein Krimineller. Aber er darf sozusagen Testfahrten ohne Gewerbeschein machen. Und zwar so lange und so viele er will. Er zahlt ja dafür, denn er hat nicht die Vergünstigungen, die ein Gewerbescheinträger hat. Hier wird man gezwungen, die Katze im Sack zu kaufen…

Ich habe damals Auto für einen Bekannten transportiert. Unversichert. Er ging das Risiko ein, daß ich seine teuren Schlitten in den Graben setzen könnte, vertraute aber meinen Fahrkünsten soweit. Hat Spaß gemacht, und war ein einträgliches Geschäft. Aber illegal. Mein Vater sagte, ich soll mich doch selbständig machen. Hätten die Amis dieses Kackland nur annektiert, dann wäre daraus etwas geworden. Hier hätte ich mir ein anderes Auto zulegen müssen, weil ich mit dem alten 200D die Kisten gar nicht hätte ziehen dürfen. Dann hätte ich mir einen Hänger zulegen müssen, mehrere Versicherungen, Gebühren bezahlen, und was nicht noch alles. Dann hätte ich aber nicht mehr ein Auto für 300 Mark transportieren können, sondern hätte um die 1000 verlangen müssen, allein um die Kosten abzudecken. Und dann hätte mein Kumpel gesagt: Für den Preis kann ich auch eine Spedition beauftragen. Das wäre es gewesen mit der Selbständigkeit, bevor ich nur ein Auto hätte befördern können.
Lange Rede, kurzer Sinn… Jedenfalls ist es immer noch so, daß Amerika das Land der unbegrenzte Möglichkeiten und vor allem das Land Freiheit ist. Freiheit heißt übrigens nicht Sicherheit, im Gegenteil. „Freiheit läßt sich nicht durch Sicherheit gewinnen. Mobilität gewinnt man auch nicht durch Stillstand…“ Was Freiheit wirklich heißt habe ich allerdings auch erst erfahren, als ich selbst im Land der Freiheit war. Wo viel Licht, da viel Schatten, Freiheit hat zuweilen einen sehr bitteren Beigeschmack. Und sie wird erst interessant, wenn ich auch die Möglichkeiten habe, diese Freiheit auszukosten. In der Sahara hat man absolute, grenzenlose Freiheit, zu tun, was man möchte. Man kann alles machen, was man will. Aber viel mehr, als Sand in den Wind werfen, oder Steine fressen und sich freuen, daß es knirscht, kann man nicht. Da ist nichts außer Himmel, Sand und ein paar Steine… So eine Freiheit ist nichts wert.

Ich war nie ein Amerika-Fan. Im Gegenteil. Ich hab in Brasilien mit den Studenten auf 911 angestoßen. Aber ich mußte beschämt stehen und bekennen, daß das, was ich von Kindheit an so gehaßt habe, das beste Land der Welt ist. Das Land, das jedem das größtmögliche Maß an Freiheit zugesteht, und dessen Bürger andererseits aber auch nicht der vollkommenen Staatswillkür ausgeliefert sind. Kalifornien ist der beste Kompromiss. Ich kam mit nichts an - wie ich in vielen anderen Ländern zuvor auch angekommen war. Nie waren die Voraussetzungen so schlecht, wie im Juli 2003, als ich in den USA ankam. Und kurze Zeit später hatte ich meinen eigenen kleinen Laden, einen guten Kundenstamm, am Schluß sogar Angestellte. Those were the best days of my life.

Man kann auch gerne Zahlen sprechen lassen, denn eigene Erfahrungen sind für andere nur bedingt faßbar. Laut WikiPedia gelten heute bis zu 60 Millionen Amerikaner als deutschstämmig. Das ist knapp die Bevölkerung, die das Deutsche Reich um die vorletzte Jahrhundertwende besaß. Zwischen 1820 und 1980 wanderten 6.886.237 Deutsche in die Vereinigten Staaten aus. Wieviele Amerikaner kamen hingegen nach Deutschland? Zweihundert? Viertausend? Ich weiß es nicht. Aber das Verhältnis allein spricht Bände. Und immer noch ist Amerika das Auswanderungsland Nummer Eins im deutschen Sprachraum, davon singt ein jahrhundertealtes Lied:

Ein stolzes Schiff streicht einsam durch die Wellen,
Es führt uns uns're deutschen Brüder fort!
Die Flagge weht, die weißen Segel schwellen,
Amerika ist der Bestimmungsort.
Auf dem Verdecke stehen,
noch einmal anzusehen,
das Vaterland, das heimatliche Grün,
Mann, Weib und Kind, eh' sie von dannen ziehen.
Dort zieh'n sie hin, wer wagt sie, noch zu fragen
Warum verlassen sie ihr Vaterland?
O, altes Deutschland, kannst du es ertragen,
daß Deine Völker werden so verbannt?
Schaut her. Ihr Volksbeglücker,
schaut her, Ihr Unterdrücker,
seht eure besten Arbeitskräfte flieh'n,
seht, wie sie über's große Weltmeer zieh'n.
Wir stehen hier am heimatlichen Strande
und blicken unsern deutschen Brüdern nach.
Nicht Hochmuth treibt sie aus dem Vaterlande,
Nein, Nahrungslosigkeit und Noth und Schmach.
Was hier nicht war zu finden,
wollen sie sich dort begründen;
Sie segeln von dem deutschen Boden ab
und suchen in Amerika ein Grab.

Sie fuhren weg, in Lumpen gekleidet und sie blieben dort. Einige wenige kamen wieder, doch sie trugen nicht mehr Lumpen, sondern saubere olivgrüne Uniformen, und sie kamen nicht mit dem Segelschiff, sondern mit Sturmbooten, mit Panzern und mit Bombern um Deutschland die Quittung vorbeizubringen. Was auch immer Deutschland seinen Auswanderern mitgab, das Wichtigste fehlte: Ein Grund, hinter Deutschland zu stehen. Ich habe das nie verstanden. Nun verstehe ich es. Ich habe erst irgendwo eine Rede des amerikanischen Botschafter James W. Gerard von 1917 gehört:

„Wir müssen diejenigen Deutschen enttäuschen, die immer dachten, die Deutschamerikaner hier würden ihr Hab und Gut, die Zukunft ihrer Kinder und ihren eigenen Nacken riskieren, um für den Kaiser die Waffen zu ergreifen. Der deutsche Außenminister sagte einst zu mir: "Dein Land wagt es nicht, irgendetwas gegen Deutschland zu unternehmen, denn wir haben 500.000 deutsche Reservisten, die sofort mit Waffengewalt gegen Ihre Regierung vorgehen würden, wenn Sie es wagen, gegen Deutschland vorzugehen." Nun, ich sagte ihm, daß das so sein möge, aber, daß wir 500.001 Laternenmasten in diesem Land hätten, und genau da würden die deutschen Reservisten hängen, einen Tag nachdem sie einen Aufstand versuchten. Und sollte es irgendwelche Deutschamerikaner geben, die so undankbar sind für die großartigen Begünstigungen, die sie erhalten haben, daß sie immer noch für den Kaiser sind, dann gibt es nur Eines: Sie zu fesseln, ihnen die Holzschuhe und die Lumpen zurückgeben in denen sie gelandet sind, und sich zurück ins Vaterland zu schicken.“

Original: „We must disappoint the Germans who have always believed that the German-Americans here would risk their property, their children's future, and their own neck, and take up arms for the Kaiser. The Foreign Minister of Germany once said to me "your country does not dare do anything against Germany, because we have in your country 500,000 German reservists who will rise in arms against your government if you dare to make a move against Germany." Well, I told him that that might be so, but that we had 500,001 lamp posts in this country, and that that was where the reservists would be hanging the day after they tried to rise. And if there are any German-Americans here who are so ungrateful for all the benefits they have received that they are still for the Kaiser, there is only one thing to do with them. And that is to hog-tie them, give them back the wooden shoes and the rags they landed in, and ship them back to the Fatherland.“

Im Amerika, da ist der Mensch noch was wert, da wird das Herz noch gewogen. Hast Du was, dann bist Du was - ja. Aber dort hat man - erstrecht als Europäer - die Möglichkeiten, die man nirgendwo sonst bekommt, nämlich mit nichts anzufangen und etwas daraus zu machen. You start with nothing and you make something out of it. That’s what Amerika is all about. Und wenn man scheitert, dann hat man entweder richtig Pech gehabt, oder man ist selbst schuld. Vom Staat braucht man keine Hilfe zu erwarten. Keiner geht davon aus, daß der Staat eine Fürsorgepflicht hat. Das ist deutsches Gejammer. Der Staat will seine Steuern und gibt einem dafür die Opportunities. Ansonsten kann man im Prinzip machen, was man will und kann. Keiner quatscht einem dazwischen. Steinway. Ein dummer Schreiner. Aus Deutschland ausgewandert, in Amerika sein Glück gefunden. Nicht nur war er kein Instrumentenbauer, nein, er hat auch noch gleich den Klavierbau revolutioniert. Heute spielen Steinway-Pianos in der obersten Liga. Schwarzenegger. Ein steierischer Bauerntrampel, dem alle gesagt haben, der würde es nie in die Movies schaffen. Nicht nur hat er das hinbekommen, er hat auch noch die Galionsfigur der gegnerischen Partei weggeheiratet, schwimmt in der Kohle und ist zu guter letzt auch noch Governator geworden. Nicht, weil er ein toller Hecht mit vielen Muskeln war, sondern nach eigenem Statement „just because of the great opportunities this Country gave me“. Die deutschen Kern- und Raketenwissenschaftler, die gegen Ende des Krieges nach Neu Mexiko verschleppt worden waren, von denen Jahre später kaum einer in seine alte Heimat zurückwollte. Das sind nur die bekanntesten. Beispiele gibt es auch unter Normalsterblichen unzählige. Und so ist es heute auch noch. Was habe ich dort Menschen kennengelernt, die heute drüben x Häuser besitzen, die nur eine karge Rente oder Harz 4 hätten, wären sie in Deutschland geblieben. Einfache Kellnerinnen, die zweimal die Woche arbeiten, und sich mittlerweile mit 27 zum Manager im Roosevelt hochgearbeitet haben, die selbe Kellnerin, die noch vor wenigen Jahren in München fünf Tage die Woche kellnerten um gerade mal ihre Miete zahlen zu können. So wäre es wohl auch geblieben, wäre sie nicht nach Amerika gegangen. Einst illegale Mexikaner, die als Handlanger angefangen haben und heute mit Immobilien handeln und sich eine goldene Nase verdienen, obwohl sie nur gebrochen Englisch sprechen. Angestellte Vertreter einer deutschen Firma, die auf den Trichter gekommen sind, daß man Zahnbohrer auch für Edelsteine einsetzen kann. Die Firma verbot es ihm - typisch Deutsch - er macht eine Firma auf, kündigt und kauft bei derselben Firma die Bohrer und verkauft diese weiter an Juweliere weiter - typisch Amerikaner.

Es geht alles, man muß nur können und vor allem wollen. Kein Staat verpflichtet einen dazu, eine Krankenversicherung zu haben. Das bleibt jedem selbst überlassen - die Konsequenzen allerdings auch. Das ist der Nachteil. Und für mich persönlich ist Amerika das Land, in dem es selbst ein Komplettversager wie ich es noch zu etwas bringen kann. Aber ich war wieder zu blöd, mich um mein Visum zu kümmern. Nicht „Pech gehabt“, sondern „Selbst schuld“. Ich werde das schon wieder irgendwie richten. Auch das ist Amerika: Jeder bekommt eine zweite Chance.
Und auch wenn Amerika noch nicht perfekt ist, wenn es auch dort viele unsinnige Gesetze gibt, wenn viele Veteranen an Ampeln stehen und betteln, wenn Gangs manche Stadtteile beherrschen, trotz alledem: Es ist das Land, das der Perfektion am nächsten kommt. Dort zählt noch der Mensch. God bless America!


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© by Markus Besold