England 2010
Montag, 12. April

Es waren zwar nur 30 km, aber in Grenznähe. Dem prähistorischen Revierverhalten der Deutschen braucht man nicht mit der Idee des vereinten Europas kommen. Das wäre so, als würde man einem Neanderthaler eine Kreditkarte erklären wollen. Auf der anderen Seite bin keiner, der alle erdenklichen Nachteile auf sich nimmt, nur um ja auf Nummer Sicher zu gehen. Eh ich mich versah war ich schon auf deutscher Seite.

Hinein!
Stern voran, drauf und ran, setzt auf Deutschlands Dach den roten Hahn!

Ich wollte eigentlich in Frankreich noch tanken, aber dafür war es nun zu spät. Mit leuchtender Reserveleuchte ging es weiter. Sowas darf eigentlich nicht passieren. Nun gilt's. Rein, Spiegel anbringen und wieder raus. Der Hinweg war kein Problem. Wolfi war nicht da, aber er hatte den Spiegel auf dem Armaturenbrett eines dunkelblauen 123er liegen. Ich sollte ihn mir einfach nehmen.

Nun aber nichts wie weg. Ich stieg ein und fuhr die gleiche Strecke wieder zurück. Auf der Landstraße zwischen Langenberg und Neulauterburg floß der Verkehr gerade noch so mit 60 oder 70m km/h vor sich hin. Und da standen sie auch schon, westlich der Straße auf einer Bucht, und ich bekam dieses Gefühl wie Eiswürfel im Magen. "Scheiß Bullen!" Ich fuhr weiter, beobachtete sie allerdings im Rückspiegel. Sie wurden immer kleiner, und gerade als ich dachte, meine Paranoia hätte mir einen Streich gespielt, da setzten sie sich in Bewegung. Das war schon einige Male passiert. Vielleicht war es auch nur Zufall. Ich beobachtete sie weiter im Außenspiegel. Wenn sie anfingen zu überholen, war es an der Zeit zu verschwinden. Da! Aus der LKW-Kolonne stach etwas blau-silbernes heraus, verharrte eine Weile und zog dann raus. Mein Herz fing an zu rasen. Ich zog weit nach rechts, versuchte eine Möglichkeit zu finden, die Straße zu verlassen. Links und rechts war Wald. Über die Grenze würde ich es nicht schaffen. Bei einem Fledweg zog ich dann hinaus und fuhr in den Wald hinein, außer Sichtweite von der Straße. Sie dürfen mich nur nicht im Auto erwischen. Zur Not konnte ich die Geschichte erzählen, daß mein Kumpel gerade beim Pilzesammeln sei oder sowas. Ich wartete eine Weile und rauchte eine Cigarette. Nun mußten sie vorbei sein. Ich stieg ein, drehte um und reihte mich wieder zwischen die LKW. Schön mit wenig Abstand dahinterbleiben. Ich versuchte zu sehen, ob die Bullen noch dawaren. Gerade so, daß ich die Kolonne sehen konnte, fuhr ich hinter dem LKW her. Nichts. Hoffentlich haben die Schweine nicht wieder irgendwo angehalten. Dieses Licht der Reserveleuchte trug nicht gerade zu meiner Gemütsberuhingung bei. Wenn ich hier liegenbleibe, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ankommen. Dann muß ich ihnen erzählen, daß mein Kumpel gerade beim Dieselholen ist. "Wie lang geht denn dieses Kackland noch? So groß ist es doch gar nicht mehr!", fragte ich mich, während die sich in Richtung Grenze bewegende Blechlawine immer langsamer zu werden schien. Das GPS zeigte auch keine Ausweichstelle mehr an vor der Grenze, und einfach anhalten war auch nicht. Ich Idiot. Ich hätte einfach ein paar Stunden warten sollen. Andererseits wären dann womöglich schon wieder neue Bullen dagewesen. Und wer weiß ob sie überhaupt hinter mir herwaren oder ob sie nur losgefahren sind, um eine Leberkässemmel zu kaufen. Keks sagte mir noch, es sei Rheinland, nicht Bayern. Aber erst vor kurzen hatten sie mich in Flensburg in Grenznähe rausgezogen. Nun war es nicht mehr weit bis zur Grenze. Die Station war auch noch da, die Geschwindigkeitsbegrenzungen auch. Ich versuchte zu sehen, ob irgendwelche Kontrollen dort stattfanden, aber es sah aus, als ob alle Autos einfach ohne anzuhalten durchfahren. So auch ich. Frei! So habe ich mich noch nie gefreut, endlich in Frankreich zu sein.

www.dieselcoupe.de
Beim ersetzen des Rückspiegels...

Erst mal tanken. Ich fuhr die nächstgelegene Tankstelle an. Sie haben mich nicht gekriegt - wenn sie es überhaupt drauf angelegt hatten. Aber mir hat das gereicht. Der Rest der sollte eine Spazierfahrt werden. Nach dem Tanken ging es weiter, zurück an die eigentliche Front und dann hoch bis nach Dünkirchen. da ich keine Ahnung hatte, was die Fähre kostet, ließ ich meine Schwester das nachsehen. Sie rief kurzdarauf an, und nannte Preise zwischen 28 und 60€. Nicht schlecht. Ich dachte immer, das ginge in die Hunderte. In Luxemburg muß man tanken. So hatte es mir Keks auch aufgeschrieben. Mein Problem bestand hauptsächlich darin, daß Luxemburg so mickrig ist, daß man schon wieder fast draußen ist, wenn man hineingefahren ist. Ich mußte also noch einmal umdrehen, da ich mich schon wieder an irgendeiner Grenze befand. Ich tankte voll und kaufte auch gleich mein Frühstück, Mittag- und Abendessen in einem: Orangensaft, Baguette und Salami. Als ich mich wieder ins Auto setze, bemerkte ich, daß die Betterieleuchte leuchtete. Ist klar, daß nach der langen Standzeit die ganzen Wehwehchen nun ans Tageslicht kommen. Aber besser jetzt als auf dem Weg nach Pakistan. Es war nach fünf, zu Mercedes brauchte ich nicht mehr. Die hatten wahrscheinlich eh schon zu. Aber erfahrungsgemäß hält sich der Saft relativ lange, wenn man mit den Verbrauchern sparsam umgeht. Als erstes nahm ich das Bedienteil des Radios ab. Scheinwerfer erst bei völliger Dunkelheit einschalten, Scheibenwischer wurden gerade nicht benötigt. Im Stau huppte ein LKW mehrfach und hörte erst auf, als ich ihn fragend ansah. Er zeigte auf Hintenrechts und führte seine waagrechtgehaltenen Hände zusammen. Das bedeutet in internationaler Verkehrszeichensprache: Pneu steuerbord achtern platt. Scheiße, das auch noch. Nun mußte ich den Kompressor anschließen, der von der Batterie gespeist wurde, die nicht geladen wurde. Und wieso war der scheiß Reifen überhaupt platt? Der ist nagelneu! Ich pumpte ihn am Standstreifen stehen wieder auf, während ich die Zeit nutzte, um mir mein Baguette zu belegen - ohne Messer etwas ungewohnt. Als ich fertiggegessen hatte, war der Reifen auch schon wieder fit und wir fuhren weiter. Was kommt als Nächstes?

Ich fuhr in Richtung Dünkirchen. Geschichtsrächtiger Boden ist das. Mancher Brite ließ hier sein rotes Blut. Das war der Sieg, der vor die Hunde ging. Nach Dünkirchen war eine Niederlage Deustchlands nur noch eine Frage der Zeit, zumindest habe ich das so interpretiert. Hier ließ man die Briten fliehen, statt die Panzer hineinzuschicken und das gesamte BEF gefangenzunehmen oder zu vernichten. Leider war es auch an diesem Montag genau siebzig Jahre später auch wieder zappenduster. Das hier kannte ich bislang nur aus Büchern, und daran würde der heutige Tag nichts ändern. Außerdem war mir gerade nicht nach Strandspaziergängen zumute. Es war windig und mir war schlecht. Ich parkte das Auto ab, ging hinein und fragte nach einem Ticket. 55€ sollte es kosten für Mann und Auto. Zwei Stunden dauert die Überfahrt. Wunderbar! Ich zahlte und es hieß, die Fähre ginge um Mitternacht. Auch gut. Bis dahin waren es noch gute zwei Stunden.

Vor der Fähre, die britische Grenzkontrolle. Das war wohl gemeint mit "There is a corner somewhere that is forever England". Kofferraum durchsucht, gute Reise gewünscht und weiter ging's. Ich dachte, ich stelle mich vor die Fähre und warte mit laufendem Motor bis die nächste kommt, aber man schickte mich auf die Fähre. Ohne extra zu erklären, daß meine Ticket für die Zwölf-Uhr-Fähre ist, folgte ich den Anweisungen des Personals. So stand ich dann im Frachtraum und es war kurz vor zehn. Auch gut. Auto zu, hinauf in die Bar und schlafen. Geweckt wurde ich von einer beleibten Negerin, die breit grinsend meinte, ob ich denn kein Zuhause hätte. Ich war verwirrt, sprang auf, rannte los. "He, das ist die falsche Richtung!", sagte sie und lachte mich aus. Ich rannte in die andere Richtung. Es war wie auf einem Geisterschiff. Solche Erlebnisse hat man in England wohl öfter. Ich ging in den Frachtraum, aber der war leer. Ich rannte auf und ab, bis ich jemanden fand und fragte den, wo denn mein Auto sei. Mit typisch britischer höflichkeit antwortete er, daß er sehr bedauere mir darüber keine Auskunft geben zu können, da er mein Auto nicht kennen würde, aber daß es mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit exakt dort stünde, wo ich es abgestellt hätte. "Und wo war das?", fragte ich. "Nun, ich nehme an im unteren Deck, da hier keine Autos mehr stehen." "Danke, Herr Sir!" Das ist mal ein Kundenservice, da können sich die Krautfresser was davon abschauen. "Des wois doch ii need, wo Dei Auto isch! Schau daß rauskommsch, ii wui Feierabmd macha!", wäre die deutsche Antwort gewesen. Ich stolperte die Treppen hinunter und stand tatsächlich vor dem Blauen. Einmal muß er jetzt noch anspringen. Einmal. Das tat er auch, als wäre nichts. Nun ging es hinaus, die white cliffs of Dover entlang in Richtung East-London. "Fahr, alter Diesel, hinaus in die Freiheit..."

Wenig später stand der Benz dann vor der Haustüre. Ich trug mein Gepäck hinauf. Mir war kotzübel. Das letzte Mal, als ich dieses Problem in nüchternem Zustand hatte war, als ich einmal von Argentinien zurück nach Brasilien fuhr. Damals mußte mich meine Mitbewohnerin Traudl reparieren, heute übernahm das meine Mitbewohnerin Lucienne. Beide medizinstudiert, beide Südamerikanerinnen. Manche Sachen ändern sich eben nicht...


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