England 2009
Januar

Silvester war groß, denn es wurde seit Jahren mal wieder mit meiner Lieblingsnachbarin verbracht. Gleich am ersten Januar flog ich jedoch wieder zurück nach England. Da waren die Flüge am billigsten. Vom Flughafen aus ging es zuallererst ins Zetland Arms, auf ein Becks. Unter den Blinden ist der Einäugige König - will sagen: Wenn man nur die englische Plörre zur Auswahl hat, lernt man schnell ein Becks schätzen.

Am 8. Januar hatte ich einen Termin beim "Job Centre", was das Gegenstück zum deutschen Arbeitsamt sein dürfte. Es sieht auch ähnlich aus wie dort: Es gleicht einem orientalichen Bazar und man hört alle Sprachen, nur kein Deutsch. Aber ich wollte nur meine Sozialversicherungsnummer abholen. Dazu mußte ich einen Zettel ausfüllen, meinen Paß abgeben und fünf Minuten warten. In diesen fünf Minuten wird mein Antrag gegengelesen, damit sich da keine Fehler einschleichen. Dann kann man wieder gehen. Den Rest bekommt man dann per Post zugeschickt.

Am 12. Januar hatte ich meine Theorieprüfung. Nichts hier mit Fahrschule und diesem ganzen Dreck, an den ich mich noch gut aus Deutschland 1993 erinnern konnte. Es läuft eher so wie in Amerika: Es geht darum, die Prüfung zu schaffen. Ich hatte mir bei Amazon die Fahrbögen in Form von CD bestellt und ging sie durch. Irgendwann kann man sie dann einfach. Vor der Prüfung bekommt man einen Zettel zugeschickt mit der Bestätigung und der Wegbeschreibung. Als ich den durchlas, mußte ich feststellen, daß die theoretische Prüfung aus zwei Teilen besteht: Einmal die Fragebögen und einmal war da die rede von so einem "Hazard Awareness". "Was soll denn das sein?", fragte ich mich, blieb mir aber zunächst die Antwort schuldig. Ich durchstöberte die CD und fand es dann. Dabei handelt es sich um Videos aus der Perspektive des Fahrers, in denen man immer dann klicken muß, wenn sich eine große Gefahr anbahnt. "Wird wohl kein Problem sein", dachte ich mir in meinem jugendlichen Schwachsinn. Ich machte vier Videos. Mehr waren zeitlich einfach nicht drin, ich mußte zur Prüfung. Leider hatte ich bei allen vier Videos gnadenlos versagt.

London Bridge
Auf dem Weg zur Theorieprüfung: Britain at War

Als ich zur Prüfung ging, rechnete ich eigentlich damit, daß ich durchfliegen würde. Aber da ich schon die horrende Summe von 39 £ bezahlt hatte, wollte ich es zumindest versucht haben. Aufregen kann ich mich hinterher immer noch. Ich ging hin, alles ging sehr schnell und sehr freundlich. Das Warten, das, was ich am meisten vor Prüfungen hasse, das fiel erstaunlicherweise aus. Gleich in medias res. Zwanzig Minuten später händigte man mir das Ergebnis aus und gratulierte mir zur bestandenen Prüfung. Fragebögen: Null Fehler. Hazard Awareness gerade noch bestanden. Aber bestanden ist bestanden. Sofort rief ich meinen Fahrlehrer an und meldete das. Er teilte mir mit, daß ich einen Termin vereinbaren sollte und ihn anschließend anrufen.

Am 14. Januar fing ich tatsächlich wieder einmal an zu arbeiten. Nun war ich offiziell "Games Localization Tester" bei Testronic Labs, einer Firma mit Niederlassungen in London, Warschau, Tokyo und Burbank - California, Luftlinie wenige Kilometer von Zuhause. Das bedeutete, daß ich fortan fürs Computerspielen bezahlt wurde. Habe schon von schlechteren Jobs gehört.

Der früheste Termin für die Fahrprüfung war am 19., die Prüfungsstelle irgendwo weit draußen im Westen. Dazu mußte ich drei weitere Fahrstunden buchen: Eine, um dort hinzufahren, eine für die Prüfung und eine, um zurückzufahren. Hier fährt man nur mit dem Prüfer. Der Fahrlehrer bleibt am Prüfungszentrum und schlürft derweil Kaffee. Wir alsohingefahren, Prüfung gemacht, 35 Minuten, dann zurück zum Prüfungszentrum. Ich dachte schon, ich hätte einen Hund reingehauen und es nicht gemerkt, aber der ältere Brite sagte nur: "Wollen Sie den Führerschein beantragen oder sollen wir das für Sie machen?" "Hab ich denn bestanden?" "Sehr wohl, Sir!" "Was kostet es denn, wenn Sie das mit dem Führerschein machen?", fragte ich. "Genausoviel, wie wenn Sie das machen, also nichts." "Gut, dann machen Sie das..." Der Fahrlehrer kam zurück und wollte einsteigen. "Falsche Tür - in England sitzt der Beifahrer links", sagte ich ihm. "Willst Du fahren?", fragte er überrascht. "Natürlich. Was für eine Frage! Ich bin der Fahrer. Relax, sit back and enjoy..." "Aber Du hast doch bestanden!" "Eben! Los, jetzt!" Ich fuhr den weg zurück nach Hause. Nun noch ein anständiges Auto her und ich fühle mich wieder wie ein junger Adler, da bin ich mir ganz sicher.

Soho
...und abends wird gefeiert. Blick vom O'Neil's auf China-Town.

Vier Tage später lag der Führerschein im Briefkasten. Sehr gut. Das wäre schon mal erledigt. Allerdings ist der Führerschine noch nicht ganz vollwertig, denn es handelt sich um den schwulen europäischen Führerschein, mit dem man nur bis 3,5 Tonnen und das auch nur ohne Anhänger fahren darf. Ich wollte aber mindestens in den Stand versetzt werden, in dem ich war, bevor mir die scheiß Krautfresser den Führerschein hinterlistig geraubt haben, also rief ich sofort wieder bei der zuständigen Stelle an und erkundigte mich. Da fängt das Theater an: Man kann einen Schein für den Anhänger machen, ist nicht schwer, ist auch nicht teuer. Aber um auch einen 7,5-Tonner fahren zu dürfen, ist wieder eine Prüfung fällig und um den auch noch mit Hänger fahren zu dürfen, ist eine weitere Prüfung fällig. Ich beschloß also, gleich den Führerschein Klasse 2 zu machen. Bis 44 Tonnen mit Anhänger, damit wäre alles abgedeckt. Also ließ ich mir alle Unterlagen kommen. Die kosten nichts, ebensowenig wie der neue Führerschein, den man beantragen muß.

Führerschein
Diesmal kriegen sie uns nicht, I WO. Diesmal nicht!

Das nächste Problem war das Auto: Das stand in dieser Drecksstadt am Alpenrand und hatte keine Bremsen. Irgendwie muß ich es hinkriegen, daß die Bremsen nach Augsburg kommen, das Auto dort auf mich zugelassen wird und ich damit dann nach England fahre. Hört sich einfach an, aber zunächst scheiterte das Vorhaben schon allein daran, daß in diesem mittelalterlichen Agrarstaat im Herzen Europas niemand etwas mit iner Kreditkarte anzufangen weiß. "Um Gottes Willen, da muß man 2% Gebühr zahlen. Dann lieber gar kein Geld verdienen."

VISA
In einem nicht sehr feinen Viertel in Campinas, Brasilien:
"Akzeptiert hier - und wo immer Du auch hingehst: Master Card"

Das gilt natürlich nur für Länder, die geistig zumindest schon im Neogen angekommen sind. Und damit ist Deutschland schon mal aus dem Spiel. Hätten sie damals doch bloß auf Henry Morgenthau gehört, dann wären die armen Schweine dort wenigstens schon ein paar Jahrhunderte weiter. Nun muß man anfangen, sich jemanden zu suchen, der die Bremsen besorgt und Bar oder in Naturalien bezahlt, der aber auch gleichzeitig Kreditkartenzahlungen akzeptiert, oder zumindest einen PayPal-Account hat. Aber nein, das hat man ja auch nicht, weil das alles zu unsicher ist. Stattdessen wirft man lieber mit Bankkontoverbindungen umher, was natürlich wesentlich sicherer ist. Anstatt Geld zu verdienen, bangt man um die paar Groschen die man für harte Arbeit bekommt, also, wenn das nicht buchstäblich "arm" ist... Aber liegt in der Natur der Sache und ist nicht weiter verwunderlich. Im angelsächsischen Sprachraum sagt man "to make money", der deutsche Knecht sagt "Geld verdienen" - kommt von dienen.

Es ist zwar erheiternd, daß gerade die Leute, die sowieso in einem totalen Überwachungsstaat leben, der ihnen gerade genug zum Leben läßt, damit sie ihm weiter dienen können, sich mit allem abfinden und alles in Ordnung finden, was sie staatlicherseits auferlegt bekommen, andererseits am meisten von Privatspähe faseln. Das bestätigt nur wieder meine Theorie, nach der immer dort wo von einer Sache oft die Rede ist, wenig davon tatsächlich vorhanden ist. Der Staat darf in die intimsten Bereiche eindringen, keiner widerspricht, im Gegenteil! - aber ansonsten wird sofort Zether und Mordio geschrien, die Jalousien heruntergelassen und nur noch durch die Schießscharten gespäht. Bloß niemandem Auskunft geben, alles streng geheimhalten! Entweder sind die Deutschen Paranoid, oder der Rest der Welt. Ich tippe mal auf letzteres, denn das deutsche Verhalten war von jeher der Weisheit letzter Schluß. Gott weiß alles, aber der Deutsche, der weiß alles besser. Ich, jedenfalls, biß da auf Granit. Moderne Zahlungsmethoden, unkomplizierte Abwicklung, nach neun Jahren ist man da verwöhnt. Da bestellt man und erwartet die Lieferung, und nicht Antworten wie "Sonst noch Wünsche? Vielleicht noch einen Maikäfer gratis dazu?" Die Lösung scheint, wie so oft, jenseits des großen Teiches zu liegen.

Ich machte mich also daran, die Bremsen zu bestellen. Nun stand mir meine ureigene Blödheit wieder im Weg, denn ich hatte keine Ahnung, was genau ich eigentlich bestellen muß. Mit "Bremsen für den 126er" kam ich nicht weit. Das hatte ich sofort gemerkt, denn auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten können sie ohne Teilenummern nicht viel anfangen. Aber wie stellt man die Teilenummern fest? Und woher weiß ich, was ich alles brauche, um zu vermeiden, daß ich zwangig Bestellungen abgeben muß? Also wieder zurück, über den Kanal nach Osten und die Spezialisten kontaktieren - natürlich erst, wenn ich Zeit dazu habe. Und das letzte, worauf ich Lust habe, wenn ich um acht oder halb neun von der Arbeit nach Hause komme, ist mir den Kopf über solche Sachen zu zerbrechen. Ich Idiot hätte einfach die Bremsen lassen sollen wie sie waren. Die Karre hat doch TÜV, da interessiert es keine Sau, ob die Bremse vorne links geht oder nicht. Aber nein, ich mußte in einem Anflug von blindem Aktionismus wieder performen, und natürlich kam dabei wieder nichts als Mist heraus. Nun ist alles in der Garage zerlegt, die Bremsen gehen nicht mehr schlecht, sondern überhaupt nicht, und ich stehe da ohne Auto und schau recht blöd mit dem Ofenrohr über den Kanal ins Gebirge. Es hilft auch nicht, wenn der eine oder andere Schlaumeier mit dem abgedroschen Spruch "Vorher denken!" daherkommt - ich habe doch gedacht.

Merry Olde England
Merry Olde England

Es wäre auch alles gar nicht so tragisch, wenn man nicht von 6:00 bis 20:00 uhr jeden Tag inklusive Wochenende arbeiten würde. Ich bin dafür einfach nicht geschaffen. Es ist ein Traumjob, der beste, den ich je als Angestellter hatte. Man muß nichts Schweres heben, man läuft nicht Gefahr, vo einem Gerüst zu fallen, oder von irgendwas getroffen zu werden, was seinerseits vom Gerüst fällt, man hat immer saubere Finger, kein Chef nervt einen, daß irgendwas schneller gehen muß, man darf den ganzen Tag lang Computerspiele spielen, und schlecht bezahlt ist es beileibe nicht. Aber auf Dauer ist es, was es ist: Lohnarbeit, die sich auf Dauer nicht lohnen kann. Da ich im deutschen Team bin, läuft alles wunderbar, weil meine Kollegen alle arbeitswütig sind und alles sehr gut und sehr sauber erledigen. Befehlsempfänger, wie man es von anständigen Deutschen erwartet. Und der Besold im Windschatten hinterher, es ist wirklich ein schlauer Job. Aber eben ein Job. Das kommt vom norwegischen Wort "jobber" und bedeutet Arbeit...


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