Anfang Juni kam Almut mit dem Kleinen zu Besuch. Wieder mal Familienleben. Bin einfach nicht der Typ für sowas. Es ist zwar ein nettes Kind, und es ist auch meines, der Lautstärke nach zu urteilen, aber wenn es nervt, dann ist es ihres, und ihres allein. Habe bessere Sachen zu tun im leben, als Kinder großzuziehen, die mir meine Resourcen wegverbrauchen. Ganz abgesehen davon, daß ich der Meinung bin, daß eine gewisse geistige Reife not tut, um so ein Kind großzuziehen. Hätte es wenigstens einen blauen Paß oder zumindest blaue Augen...
Ich muß noch bis Ende des Monats auf der Insel bleiben. Am 28. findet mein LKW-Training statt, und erst dann können wir los. Dummerweise laufen unsere Iran-Visa am 16. ab. Dafür mußte eine elegante Lösung gefunden werden. Elegante Lösungen sind nicht Almuts Sache. Entweder streng nach Vorschrift oder eben gar nicht. Sancta Simplicitas! Warum ist es so schwer, den Leuten klarzumachen, daß Vorschriften für die anderen sind? Ich mußte das also bei der iranischen Botschaft regeln. Schuld war, ganz klar, dieses dumme Kind, das einfach Krank wird und unseren Aufenthalt unnötig verlängert, obwohl wir gerne schon lieber gestern in ihr schönes Land gefahren wären. das klappt meistens. Und wenn es nicht klappt, dann hat man es wenigstens versucht. Was hat man schon zu verlieren? Geld! Und geld hab ich nicht, also Risiko gleich Null. Es klappte. Neue Visa mit alter Nummer und das gegen einen "Unkostenbeitrag" von 30 GBP. Das geht. Vor der Prüfung fuhren wir zu den Orkneys. Als 16-Jähriger habe ich davon so viel gelesen, nun, da ich eh auf der Insel war, wollte ich mir die Sache einmal mit eigenen Augen ansehen.
Wir fuhren los. Als der Tankanzeiger anzeigte, daß im Tank genug Platz war, leerte ich die drei Sonnenblumenölkanister in den Tank. Nun war der Tank voll und im Kofferraum wieder Platz. 15 Liter kosten 12 GBP, das Diesel liegt bei 1,20 GBP. Allerdings ist es mir neulich passiert, daß das Auto erst am Nachmittag nach ausgiebiger Sonnenbestrahlung ansprang, daher möchte ich das Zeug ungern über Nacht im Tank lassen. Also rein damit und gleich verfahren, dann ist es weg. England ist relativ klein und wenn man erst mal außerhalb Londons ist, geht es zügig voran, man fährt auf der Aurtobahn mit 70 Meilen die Stunde (bei einem 200D also mit Vollgas) und muß erst wieder bei Baustellen in Schottland abbremsen. "We Scottisch and you German have one in common: We don't like the English", haben mir schon einige Schotten gesagt. Aber man hat auch noch mehr gemein: Diese dummen, sinnlosen Geschwindigkeitsbegrenzungen. Daran merkt man, daß man in Schottland ist. Ansonsten erinnert es sehr an Nordnorwegen. Schöne Gegend.
Wir fuhren immer weiter nach Norden, bis nach John O'Groats, von wo aus die Fähre auf die Orkneys geht. "Hier ist noch mal eine Tankstelle, sollen wir hier volltanken?", fragte Almut. Doch ich war zu faul zum Aussteigen und antwortete: "Nein, das machen wir später, damit die Mischung im Tank nicht zu dick ist." Als wir eine gute dreiviertel Stunde später in John O'Groats ankamen, erkannten wir erst nach mehrmaligem Auf- und Abfahrens des Fährhafens, daß leider kein Irrtum vorlag und wir tatsächlich am Fährhafen waren. Ticket-Schalter, Snack-Bar, Schiffe, Hafenarbeiter, und was man sonst noch mit einem Fährhafen asoziiert, alles Fehlanzeige. Abgesehen von Land und Meer und einem kleinen Pier gab es keine Gemeinsamkeiten mehr. Jede Menge Schrott, zwei große Laster, von denen allerdings nur einer eine Zugmaschine hatte und ein Container, auf dem handschriftlich und halb vergilbt die Abfahrtszeiten von der Fähre standen. Der einzige Mensch weit und breit war der Fahrer des LKW. Ich ging zu ihm hin und fragte, ob "das hier" der Hafen sei, von dem aus die Fähre nach Scapa Flow geht. Er antwortete in diesem witzigen schottischen Akzent, daß dem zwar so sei, ich aber vor morgen früh neun uhr kein Glück haben werde. Büro? Auskunft? Vergiß es. Die einzige Auskunft weit und breit gab Gas und fuhr mit seinen 44 Tonnen Ladung los und verschwand bald hinter der nächsten Kurve und wir zweieinhalb Deppen sahen ihm nach. Nur das Meer und unser Diesel rauschten gemeinsam ihr uraltes Lied. "And now what?", fragte ich. "Da war ein Bed & Breakfast vorhin", sagte Almut. "Wo?", wollte ich wissen. "Bei einer roten Telephonzelle." "Bitte nicht so genau, das kann ich mir nicht alles merken." "Bei einer Kurve", fügte sie hinzu. "Ach, die Kurve!!! Diese Angabe ändert natürlich die komplette Situation. Jetzt weiß ich, vowon Du sprichst." Natürlich reihte sich in den letzten 100 Kilometern eine Kurve an die andere. Wir fuhren den Weg zurück, den wir gekommen waren. "Da, schau, sag ich doch. Hier ist die Telephonzelle und da die Kurve!", bekam ich zu hören. "Ach, klar. Mei, bin ich dumm!" Wir checkten ein. Aber ich mußte noch tanken und fuhr also wieder los. Im Garmin die nächste Tankstelle eingegeben und los ging's. Nach zehn Meilen war ich da. Sie hatte zu. Nächste. Auch zu. Das ist wohl überall auf der Welt gleich, wenn man einen gewissen Breitengrad überschreitet. Das war in Finnland so, in Schweden, in Norwegen, in Kanada, in Alaska und auch in Argentinien: Nichts los. Die Leute schlafen am hellichten Tag. Auch sehen die Tankstellen ähnlich aus. Die Zapfsäulen wohl aus den 50ern oder 60ern, die Anzeigen sind noch diese Ringe, die sich drehen. Natürlich kann man selbst hier überall mit Kreditkarte bezahlen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der Schalter besetzt ist. Und das war er nicht. Auch weit und breit kein Auto unterwegs, gar nichts. Ich kam mir vor wie das einzige Lebewesen weit und breit, wie in einem Zombie-Film. Die vierte Tankstelle und das Ergebnis war wieder dasselbe: Alles tot. Nicht ein Licht, nirgendwo. An keinem Pub, an keinem Haus, nirgendwo. Nach geraumer Zeit fand ich dann eine Tankstelle. Während ich tankte, fiel mir auf, daß es genau die Tankstelle war, an der Almut vor Stunden gefragt hatte, ob wir nicht Tanken sollen. Zurück zum "Bett und Frühstück". Sehr englisch eingerichtet. Mit typisch englischer Elektrodusche. Zuletzt habe ich sowas in Süidamerika gesehen. Technisch sind die Briten eindeutig etwas zurückgeblieben. Aber man kann nciht alles haben. Die Deutschen sind dafür geistig zurückgeblieben und das ist viel ärgerlicher. Selbst finanziell. In einem technisch zurückgebliebenen Land kann man mit "Technology and Know-How made in Germany" nämlich gut Geld verdienen, wenn man es geschickt anstellt. Auf dem Tresen ein Gerät eines deutschen Herstellers, mit dem man mit Kreditkarte zahlen kann - etwas, was man in Deutschland nur an internationalen Tankstellenketten findet. Technisch war Deustchland schon immer Jahrzehnte voraus, geistig immer Jahrhunderte hinterher. Ich legte mich ins Bett und schaltete den Fernseher an. Es lief passenderweise "Highlander".