England 2010
Mai

Ich stellte sehr bald fest, daß das Auto zwar immer noch das schönste Fortbewegungsmittel ist, aber in London zu jeder Tageszeit auch das langsamste. Am schnellsten ist man mit der U-Bahn unterwegs, wenn man bedauerlicherweise zu der Bevölkerungsschicht zählt, die sich keinen privaten Hubschrauber leisten können. Immerhin tat sich eine neue Einkommensquelle auf, dank dem alten Benz. Es kann ja nicht nur Nachteile haben, mit dem Auto unterwegs zu sein. Nebem dem Testen von Computerspielen widme ich mich nun auch dem Reparieren von fehlkonzipiertem englischen "Contraptions" - man kann es nicht anders bezeichnen, und dem herumfahren von Leuten, die bei anderen Leuten die Miete einkassieren. Das führt meist dazu, daß meine Miete entfällt und zusätzlich noch ein Bonus rausspringt. Den Treibstoff kauft man beim ASDA in Form von 15-Liter-Sonnen-Blumen-Öl-Kanistern. Was am allerwichtigsten ist: Gearbeitet wird, wenn man Lust dazu hat. Wäre nicht das europäische Wetter, das Autounfreundloiche Konzept der Stadt und der Frauenmangel, würde ich glatt länger als nötig in England verweilen. Aber so, muß ich feststellen: Es ist zwar alles nett, aber das Ziel heißt nach wie vor: Heim nach Kalifornien.

Doch solange ich an diesem Konzept noch arbeite, kann man trotzdem sich die gegend hier mal genauer unter die Lupe nehmen. In meiner Vorstellung gibt es in England vier Dinge zu sehen: Den Big Ben, Leicester Sqaure, Piccadilly und die Stonehenge. Der Big Ben hat mich ähnlich enttäuscht wie damals das Empire State Building: Ich hatte ihn mir viel größer und mächtiger vorgestellt. Leicester Square und Piccadilly kenn man aus dem Song "It's a Long Way to Tipperary", aber die kennt man mittlerweile zur Genüge. Also packte ich meine alten Nachbarinnen aus den 90ern ein und wir fuhren zur Stonehenge. Da liegen Steine in eigenartigen Positionen und das sieht man sich halt an, wenn man schon mal da ist. Genauso, wie ich mir damals gesagt habe, ich fahre nach Amerika, wenn ich schon mal da bin, nur damit ich mir selber hinterher nicht den Vorwurf zu machen brauche, ich hätte es nicht wenigstens versucht. Es würde mich einfach ärgern, wenn ich mir etwas nicht angesehen hätte, als ich die Chance hatte, was ich dann unter großen Schwierigkeiten nachholen müßte.

Stonehenge
Stonehenge.

Ich hatte schon wieder in mein lockeres Leben zurückgefunden. Der Mai war geprägt von Besuch. Gearbeitet wurde, wenn Zeit dazu war. Eigentlich sollten wir längst schon auf dem Weg nach Pakistan sein. Aber wie es nun mal so ist mit Plänen, die mich tangieren, sie gehen unweigerlich schief. Es ist ein Axiom. Auch wenn ich diesmal gar nichts dafür konnte. Die Prüfung für den LKW-Führerschein findet nun mal erst am 2. Juli statt. Da beißt die Maus keinen Faden ab. So lange mußte ich mir hier noch das Leben so angenehm wie möglich machen. Und das läßt sich hier tun...

Wir fuhren hinunter zun den weißen Klippen von Dover. Zwar wunderte ich mich, warum ich plötzlich mit meinem englischen Mobiltelephon in einem französischen Netz eingeloggt war, aber das hinterte mich nicht daran, einen Brocken aus den Klippen zu brechen und auf ihnen herumzuspazieren. Und je mehr ich das tat, desto mehr reifte in mir die Überzeugung heran, daß es mal langsam wieder auf die Straße gehen muß. Hier herumspazieren kann ich auch noch, wenn ich richtig alt bin. Und sei es nur, um die Frage derer zu beantworten, was ich den zu tun gedenke, wenn ich alt bin, wo ich doch nichts in die Rentenkasse einzahle. Da liegt noch die andere Hälfte des Globus die befahren werden will, und das werde ich sicher nicht schaffen, indem ich hier sitze und Löcher in die Luft starre. Und da ich mittlerweile meinen Platz auf Erden gefunden habe, nämlich Kalifornien, sollte ich das mit dem restlichen Globus zuvor erledigen.

The White Cliffs of Dover
There'll be blue birds over
The white cliffs of Dover,
Tomorrow, just you wait and see.

Solange es noch nicht losgehen kann nach Pakistan, besch:aftigte ich mich mit britischer Literatur aus dem Ersten Weltkrieg. Die Stahlgewitter von Ernst Jünger gehörten seit 2000 zur Bordbibliothek. Es wunderte mich gar nicht, daß von englischer Seite nichts Neues kam. Die gleiche Misere hüben und drüben. Und alles für den Arsch. In einem der Bücher - geschrieben von einem Australier - las ich eine Passage, die alles zusammenfaßt: "We came along a grave with the inscript in Fritz: 'Hier ruht ein unbekannter Engländer'. The British and the Germans. Friends in death, but enemies in life. What's the point?' " Da kann man sich nur freuen, daß man mit den Tommies in einem Pub sitzen kann, statt Handgranaten nach ihnen werfen zu müssen.

Von nun an führt die Bordbibliothek jedenfalls nicht mehr nur deutschsprachige Bücher. eine Bordbibliothek ist wichtig. Diese wurde nicht in erster Linie dazu angelegt, um die Allgemeinbildung zu erweitern - Einbildung ist schließlich viel Wichtiger und Bildung überlasse ich getrost der Frau Dr. Besold, da sie besser damit umzugehen weiß - sondern sie war nur dazu da, um nie in dumpfe Warterei zu verfallen. Grenzer, Beamte, Deutsche, was so des Weges kommt. Der imaginäre Dialog: "Was? Du stellst Dich quer? Na, gut, dann les ich eben ein Buch. Ein Buch! Weißt Du überhaupt, was das ist, Du Ochse? Das ist eine Aneinanderreihung von Blättern, auf denen Buchstaben stehen, die im Gegensatz zu Dir einen Sinn ergeben." Auch wenn ich den Sinn selten erfasse, aber ich stelle oft hinterher fest, daß die Zeit nicht verschwendet war und ich dennoch an mein Ziel gelangt bin. Es sind Stunden, die man auch damit hätte verbringen können, sich ein Loch in den Bauch zu ärgern. So muß man das sehen...


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