Libyentour 1999
Mittwoch, 15. September

Auch auf tunesischer Seite ging es relativ rasch, denn sie war schon um 0:45 (23:45 Uhr tunesische Zeit) Uhr beendet. Noch 32 Stunden bis zum Ablegen der Fähre. Im Vergleich zum letzten Jahr hatte sich in Tunesien einiges gebessert. Ich kann mich erinnern, daß damals unser Wechselgeld von 9 TD einbehalten wurde (siehe Libyen 98 Teil III). Dieses Jahr bezahlte ein Zöllner den einen Dinar für uns. Gut. Nun schulden sie mir nur noch 8 TD. Trotzdem: am Besten gleich weg. Auch die libyschen Dinare wurden nicht - wie es immer noch üblich ist - eingewechselt. Die brauchen wir vielleicht doch noch, und sei es doch nur, um sie an die Wand zu hängen. Wir fuhren in Richtung Tataouine und suchten uns einen Nachtplatz in einer Gegend, die ziemlich verlassen schien.
Als die Nacht ihren wohltuenden Schleier vom Land nahm, zeigte sich, daß das hier mit Wüste nichts mehr zu tun hatte. Wir standen eher an einem Acker mit Feldweg daneben. Egal. Weiter...
In Medenine wurden 50 US$ gewechselt und wir fuhren auch gleich weiter. Ich war mal wieder in ein Gespräch vertieft. Es ging um Südafrika, und da war ich natürlich ganz Ohr und das Autofahren erledigt das Unterbewußtsein. Plötzlich gibt mir ein Polizist auf dem Krad ein Zeichen zum Anhalten.
"Mist! Auch das noch. Was will denn der jetzt?"
Almut erklärte es mir: "Den hast Du gerade überholt, der fuhr vor dem grünen VW-Bus her."
"Hä? Was'n für'n VW-Bus? Hab' ich nicht gesehen. Aber was soll das? Bin doch nicht zu schnell gefahren und es kam ja niemand."
"Schon, aber da war Überholverbot."
"Oooo...stimmt. Hier muß man ja wieder auf die Schilder achten." Ich hielt also an und der Polizist erzählte mir irgendwas auf Französisch. Ich muß ihn angeschaut haben, als hätte er gerade aramäisch gesprochen und sagte "Wissen's des war aso... Ich hab's verwechselt, weil... Hilfe! Almut, hab Angst! Mach was!" Almut kurbelte das Fenster herunter und schwallte ihn auf Arabisch voll. Das funktionierte schon besser. Sein Gesicht wurde äußerst freundlich und er war ganz entzückt, daß eine Europäerin Arabisch konnte. Er sagte ihr dann, sie soll "ihrem Mann" doch bitte sagen, daß er auf die Verkehrsregeln achten möge und ließ uns ungeschoren davonfahren. Passt. Harri saß auf dem Beifahrersitz und Almut hinten. Diese Sitzordnung wurde während der ganzen Reise beibehalten, denn erstens sieht es für einen Araber blöd aus, wenn Frau vorne sitzt und zweitens wird bei Polizeikontrollen immer der Fahrer angesprochen, so daß es besser ist, wenn sie versteht, was die Leute da sagen.
Wir fuhren weiter und vielleicht noch 35 Kilometer vor Kairouan passierte, was wir alle befürchtet hatten und woran wir uns schon fast gewöhnt hatten: Wieder ein Platten... wieder hinten links und wieder der Hankook, wie es der Monteur in Schweyrif prophezeit hatte.

"Oaner geht no..."

Auf beiden Seiten der Straße waren Kakteenplantagen. Das Handtuch, das ich vorne in das Fenster geklemmt hatte wirkte wahre Wunder. Draußen war es sehr heiß, aber die Klimaanlage mußte auf Minimum laufen, da es sonst "zu kalt" wurde. So muß es sein. Leider kam ich auf diesen Trick erst in Tunesien. In Libyen wäre er auch verkehrstechnisch geschickter gewesen, weil man den Rückspiegel außerhalb der Ortschaften nie braucht.Wir hatten ja in der Zwischenzeit schon etwas Routine, wenn es um Reifenwechsel ging. Das Dumme war nur, daß wir eben nicht mehr in Libyen waren. Auto hoch, Reifen ab und darauf warten, daß vielleicht mal einer anhält. Zum Latschen hatte ich keinen Bock. Almut hätte das nicht gestört, wahrscheinlich hätte sie auch noch den Reifen getragen, aber wir wußten zunächst nicht, wohin. In Libyen hätte das erste Auto gestoppt, hier mußte man länger warten. Nach einer Zeit hielt ein Taxi an und der Fahrer sagte, das sei die falsche Richtung. Sieben Kilometer zurück läge eine Ortschaft - die wir alle übersehen hatten. Ist ja schon mal was. Also stellten wir uns auf der anderen Seite der Straße an. Wieder nach einer Weile hielt erneut ein Sammeltaxi an. Reifen aufs Dach und zum nächsten Reifenhändler - "one Dinar". Dort einen Schlauch einziehen lassen - war nicht viel teurer als in Libyen - und ab zum Sammeltaxistand. Dort warteten wir, bis sich genug Leute eingefunden hatten und fuhren dann wieder mit dem Reifen auf dem Dach zum Auto zurück. Wieder kostete es "one Dinar". War günstig, aber kostete Zeit. Beim Reifenaufziehen krachte noch schnell der Wagenheber zusammen, ich konnte die Hände aber noch rechtzeitig aus dem Radkasten herausziehen. Die wären wahrscheinlich ins Reifenprofil integriert worden. Doch nicht so weit her mit der Routine... Vielleicht trete ich beim nächsten mal die Feststellbremse?
Wir sahen zu, daß wir nach Tunis kamen. Möglichst ohne weitere Zeit- und Geldverluste, denn sonst würde es wieder knapp werden mit beidem. Wenn in Tunis ein Reifen ausfiele, dann wäre ich zur Not auch auf der blanken Felge auf die Fähre geeiert und hätte in Italien den ADAC kommen lassen müssen. Da wir schon in Kairouan waren, wollten wir auch einen kleinen Abstecher zu einer der ältesten Moscheen machen. Hier bekamen wir eine Gratisprobe tunesischer "Gastfreundschaft", wie sie im Buche (z.B. im Göttler) steht: "Wer wiederholt in anderen Sahara-Ländern unterwegs war, kennt die oft falschen oder mit Hintergedanken verbundenen Rituale der Gastfreundschaft: Die Einladung zum Tee, um ein Verkaufsgespräch zu führen, die Einladung zum Essen, um die Adresse des Gastes zur Erlangung eines Einreisevisums erbitten zu können... immer dem Motto folgend: 'Sei mein Gast, damit ich Dich um etwas bitten kann.' " Wir fuhren also frisch, fromm, fröhlich, frei durch Kairouan, als uns zwei junge Burschen ein Zeichen gaben, das Fenster herunterzukurbeln. Bitte... Harri dachte sich wohl auch nichts und tat dies. Sie fragten auf Deutsch (!), was wir denn suchten. Wir erklärten, wir wollten die und die Moschee besichtigen. Sie gaben uns ein Zeichen, ihnen zu folgen und fuhren voraus. An der Moschee erklärten sie, man dürfe hier nicht parken. Sie würden uns zum Parkplatz führen. Gut, wir fuhren ihnen nach. Sie sagten, daß die Moschee geschlossen hätte, wir aber von diesem Dach dort einen guten Blick auf sie hätten und Photos machen könnten. Die zwei, Almut und Harri gingen mit, während ich es vorzog, im Auto sitzen zu bleiben. Wir waren schließlich in Tunesien, wo es viele Touristen gibt und wo viele Touristen sind, ist viel Geld und wo viel Geld ist, da sammeln sich allerlei zwielichtige Gestalten. Als einer davon bemerkte, daß ich nicht mitgegangen war, kam er zurück und sagte, ich solle doch auch aussteigen. Ich sagte ihm, daß ich lieber im Auto sitze, weil es mir draußen zu heiß wäre und mich sowieso nicht für Kultur interessierte, doch er ließ sich nicht abwimmeln. Er erzählte, daß Kairouan die Hauptstadt der Teppichknüpferei sei und daß das sehr interessant sei. "Mag sein. Tibetanische Literatur ist sicher auch sehr interessant, aber nicht für mich." Meine Freunde wären schon oben. Also gut. Ich machte den Motor aus, sperrte ab und ging in die "Teppichknüpferei" hinein. Ein Mann, Mitte vierzig, stand am Eingang und hieß mich auf Deutsch willkommen. Er sagte, ich solle die Treppen hinaufgehen, meine Freunde wären dort oben. Das Treppenhaus war ziemlich dunkel und als er mir sagte, er könne nicht mit, da sein Knie weh tat, kam mir das Ganze etwas suspekt vor. Oben war nichts zu hören. Ich ging hinauf und sicherte immer nach hinten, damit nicht einer auf die Idee kam, die Tür hinter mir zuzuschlagen und zu verriegeln. Oben vernahm ich deutsche Wortfetzen, also waren sie doch oben. Gut. Und ein Blick aufs Auto hatte man von der Dachterrasse aus auch. Noch besser. Nach den Ausführungen schickte man uns alle wieder nach unten, wo der Mann Mitte Vierzig schon auf uns wartete. Er hieß uns Platz nehmen und ließ einen Pfefferminztee anfahren. Tja, und nach einigen Ausflügen in die christliche und islamische Religion und Anekdoten über seine Töchter sahen wir uns auch schon mitten in einem Verkaufsgespräch verwickelt. Er ließ Tonnen von Teppichen heranschaffen und erzählte zu jedem, was das für ein einmaliges Wunderwerk orientalischer Handarbeit sei und daß die Teppiche die kommenden Jahrtausende überdauern würden und eine gute Geldanlage wären. Es half nichts, als ich ihm erzählte, daß wir nur das Geld haben, das wir für die 50 libyschen Dinare an der Grenze bekommen hätten; das seien weniger als 50 tunesische Dinare, die wir zum Essen und eventuell für Reifen bräuchten. Sofort erklärte er, wir könnten mit D-Mark oder EC-Karte bezahlen. Hatten wir natürlich auch nicht, wer nimmt schon nach Libyen eine EC-Karte mit? So ein Blödsinn. Hätte uns genausogut nach indischen Rupien fragen können! Wir ließen uns nichts andrehen; ganz abgesehen davon, daß wir wirklich kein Geld hatten, außer Reiseschecks. Und was um Himmels willen hätten wir mit Teppichen anfangen sollen? Was wir nicht ganz verstanden, war, daß er plötzlich so über die Libyer schimpfte. Das seien doch alles Diebe, Betrüger und Verbrecher. Neid? Egal. Soll er weiterschimpfen ("Was stört es eine libysche Akazie...?").
Wir bedankten und höflich und versuchten möglichst bald ins Auto zu kommen. Er fragte noch, ob wir Reifen zu verkaufen hätten - ja, aber nur zerfetzte. Das verstand auch wieder keiner, wir wollten es auch gar nicht verstehen, sondern nur möglichst schnell nach Tunis. Als wir schon alle im Auto saßen und losfahren wollten kamen wieder die zwei Typen, die uns mit dem Roller vorausgefahren waren und verlangten "Trinkgeld für Benzin". Ich wollte ihnen schon ein paar Münzen geben, doch da kam zum ersten mal auf der Reise Protest der Beifahrer auf. "Alter, laß stecken, wo kommen wir denn da hin? Wir haben sie um nichts gebeten." Recht hatten sie. Danke. Servus... und weg. Von jetzt ab würden wir uns nicht mehr anquatschen lassen. Den Libyern gleichen die Tunesier nicht..."zu tief ist es gefühlt!"
Wir gingen nun dazu über, das Geschwätz eines jeden, der uns ungefragt ansprach, als potentiell infektiös zu betrachten, um uns weitere Unannehmlichkeiten und Zeit zu ersparen. Als Almut und Harri in einem Laden waren, um Getränke zu besorgen, sprach mich der Nächste an, keine Ahnung, was er außer Geld noch wollte, ob er Französisch oder Arabisch redete, jedenfalls antwortete ich immer nur böhmischen Stumpfsinn, gerade so, als wäre es ein deutscher Polizist: "Ja, genau. Das ist mir auch passiert, als ich neulich beim Frisör saß." oder "Nein, da haben Sie nicht Recht, ich habe nämlich erst vor zwei Wochen im 'Prager Tagblatt' gelesen, daß blau schwerer ist als rot."
Wieder dieser Drang, möglichst schnell dieses Land zu verlassen. Es gefiel uns immer noch nicht so recht, obwohl immerhin die Polizisten auf ihrem "Seid-lieb-zu-den-Touris-sonst-geht-das-Geschäft-kaputt-Lehrgang" gut aufgepaßt hatten. Bis Tunis wurde nicht mehr angehalten. Es regnete zwischendurch. Am frühen Abend waren wir in Tunis. Wir kauften im Supermarkt (so etwas hatten wir schon seit einem Monat nicht mehr gesehen) die Zutaten fürs Abendessen. Wir wollten eigentlich nocht Karthago besichtigen. Das kannte ich noch aus dem Lateinunterricht ("ceterum censeo Carthaginem esse delendam"), aber entweder hatten die Römer das so gründlich erledigt, daß man bis zum heutigen Tag nichts mehr davon sieht, oder wir waren einfach zu blöd, es zu finden.

Das Schild hinter dem Auto mit der Aufschrift "Carthague" war das einzige, was wir von Karthago sahen.

Keiner konnte uns sagen, wo es mehr zu sehen gab. Vielleicht muß man doch mit einem Reiseunternehmen nach Tunesien fahren, um etwas von der vielgepriesenen Kultur mitzubekommen. Oder man muß sich mehr Zeit nehmen. Das ist sowieso das A und O in Afrika.
Wir fuhren an den Strand, wo wir zu Abend aßen und blieben dort über Nacht. Wir waren so pleite, daß ein Platten uns vor ein größeres Geldproblem gestellt hätte. Die Temperatur war angenehm. Einige Katzen nervten, aber die Tunesier ließen uns in Ruhe. Almut und Harri schliefen draußen. Ich zog wieder die Rückbank vor. Man konnte sogar bei offenem Fenster schlafen, denn Mücken gab es hier nur eine und die hatte ich in der Nacht erschlagen.


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