Türkeitour 1999
Sonntag, 4. April

Nach einem guten und reichlichen Frühstück (auch für den Daimler, der bei km 3.529 wieder mal vollgetankt wurde) ging es trotz aller Warnungen und Bedenken weiter in Richtung Osten; zu groß war die Neugier.
In Malatya sollte es wieder irgendwelche Bekannte geben und Malatya ist nicht weit vom Berg Nemrut entfernt, der eventuell noch mitgehen sollte. Aber wie immer wurde erstmal drauflosgefahren und dann erst nachgedacht und sowas wie ein Plan entworfen, welcher aller Erfahrung nach sowieso nicht oder nur teilweise hinhaut. Das ist auch recht so, denn wenn man keinen Plan hat, wo man am Abend landet, auch nichts unplanmäßig verlaufen kann.
Die Landschaft bot - wie zu erwarten - wieder einiges für's Auge. Flache Wiesen links und rechts der Straße und im Hintergrund hohe, schneebedeckte Berggipfel, die aussahen, als wären die mit aller Gewalt hierhertransplantiert worden, denn sie hatten hier eigentlich nichts zu suchen. Oder wir fuhren durch ein sehr, sehr breites und sehr, sehr flaches Tal und wußten es nicht - kann auch sein...
Das Kassetendeck spielte eine Kassette mit türkischer Musik nach der anderen ab, obwohl Beethoven oder Brahms meiner Meinung nach besser zu dem gepaßt hätten, was sich draußen abspielte. Aber mit dieser Meinung war ich - wie so oft - allein und völlig überstimmt, denn der Stimmenwert männlich zu weiblich von zwei zu eins wurde dadurch wettgemacht, daß ich nicht der Mann mit dem Geld bin - war ich nie - und wer zahlt schafft an. Der Hauptgrund war aber der, daß das Deutsch als Bordsprache vorübergehend aufgehoben zu sein schien und zu solch hoher Meister Klänge will der türk'sche Laut nicht passen. Nur gut, daß der Diesel eine sehr vertraute Sprache sprach - war die einzige, die ich im Augenblick verstand.
"Es donnern unsre Motoren
Ihr eisernes Lied in die Welt...

Stufe 1: Asphalt noch weitgehend in Ordnung.

Wir verzichteten auf das noch auf den Skandinavienfahrten übliche Mittagessen aus der Bordküche. Dies ist zwar sehr gemütlich, aber doch recht zeitraubend. In Skandinavien war klar, wieviel Zeit und welche Strecke, aber hier wußten wir gar nichts. Das türkische Essen ist nicht das schlechteste und es ist alles sehr billig, daher also anhalten, Essenholer aussenden und auf dem Chefsessel warten.
Die Entfernung von Nevsehir nach Malatya beträgt ungefähr 417 km und die Fahrt dauerte etwa fünfeinhalb Stunden. Weniger wegen Verkehr, denn der war praktisch kaum vorhanden, oder zahlreicher Pausen - Photographieren, Essenfassen, Getränke- und Cigarettenvorrat aufstocken - sondern vor allem wegen der kurvigen, schlecht asphaltierten und mit Schlaglöchern übersäten Straßen. Je weiter man in den Osten vordrang, desto schlechter schienen sie zu werden.
Der Daimler wurde vor der Abfahrt mit vier 185R15-Reifen bestückt. Alle vier persönlich von David Bothen erhalten. Es war fraglich, ob diese Fahrten auf solchem Untergrund sehr lange mitmachen wollten. Das Ersatzrad würde uns im Falle eines Falles nicht von großer Hilfe sein, denn abgesehen davon, daß es platt war, lag es auch noch in Augsburg. Sich zu fragen, was man in so einem Fall tun soll, denn das Umkehren bringt ebenso viel wie das Weiterfahren in der Hoffnung, die Straßen würden wieder besser. Und nachdem als gesichert gelten darf, daß auch die Türken Reifen benötigen, kann man nur hoffen, daß es bis zum nächten Reifentandler nicht weit ist. Doch den brauchten wir dann letztenendes doch nicht, denn die Reifen hielten heldenhaft bis zum letzten Meter. Ein herzliches Dankeschön an David Bothen.

Stufe 2: Löchriger Asphalt.

In den Straßenzustand kann man immer wieder allerlei hineininterpretieren, zum Beispiel, daß der Osten der Türkei wohl eher das Hinterland ist, um das sich die Regierung in Ankara wenig oder gar nicht kümmert. Hier schickt man alle die hin, deren Qualifikation nicht ausreichend ist, um weiter im Westen arbeiten zu dürfen. Ob das wohl die waren, die damals in den 60ern dem Ruf nach Arbeit im fernen Deutschland gefolgt sind? Ich weiß es nicht. Weitaus mehr Sorgen machten einfach die Straßen. Die Schlaglöcher in dem löchrigen Aspalt wurden immer größer, unsere Geschwindigkeit immer niedriger.

Stufe 3: Asphalt fehlt ganz.

Eigentlich ging es schon wieder besser, denn wenn der Asphalt erst einmal weg ist, dann sind zwar mehr Schlaglöcher und Unebenheiten da, aber da diese weniger scharfkantig sind und der alte Daimler doch noch eine recht gute Federung hat geht das schon. Freilich geht das auf den Schnitt, aber lieber spät ankommen als nie, zumal wir ja keine Termine hatten. Beruhigend war zunächst der Gedanke, daß es viel schlimmer nicht kommen könnte, vorausgesetzt, der Himmel öffnet nicht seine Schleusen und die ehemalige Straße wird zum grundlosen Morast. Aber danach sah es nicht aus. Eher das Gegenteil war der Fall, es wurde immer trockener.

Stufe 4: Fehlender Asphalt durch Staub ersetzt.

Ich versuchte eine Taltik, um die Marschgeschwindigkeit nicht zu arg abfallen zu lassen: Im Vertrauen darauf, daß der Vordermann eine bessere Sicht hatte als ich und die Strecke kannte, worauf sein Tempo schließen ließ, folgte ich möglichst dichtauf seinen Spuren. Das kostete mich zwei Scheinwerfergläser.
Und das mit den Schlaglöchern habe ich auch ein wenig unterschätzt. Wollte mir weismachen: "Ganz einfach geht das. Mit einem Trick:" Einfach möglichst schnell über die Schlaglöcher brettern, damit das Rad gewissermaßen darüberhüpft. "Gar nicht schlecht, der Trick. Bloß... klappen muß er." Da die Streckenführung, besonders im Gebirge, das brettern oft nicht zuließ, klappte er eben nicht immer. Mit der Zeit gewöhnten sich auch die schlafenden Beifahrerinnen an die gelegentlichen sehr lauten Schläge und schreckten nicht mehr jedesmal hoch.
Gegen acht Uhr abends hatten wir Malatya erreicht. Dort sollten wir die Nacht verbringen. Im Gespräch mit den ortskundigen Familienmitgliedern ließen wir uns davon überzeugen, daß wir uns die falsche Jahreszeit ausgesucht hatten, um zum Nemrut zu fahren und ließen von unserem Vorhaben ab, einen Abstecher dorthin zu wagen.


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