Afrika 2000
Erste Etappe
Montag, den 21. August

Kilometerstand bei Abfahrt in Augsburg: 635.000 km

Der Tag begann schon mitten in der Nacht. Nora stand um 7:00 Uhr auf der Matte. Ich hatte sie am Abend zuvor herbestellt, denn das Auto mußte noch ein letztes Mal in die Werkstatt, um sich Herrn Weißens Segen abzuholen und mit zwei Autos irgendwohinzufahren gestaltet sich auch mit Führerschein schon etwas schwierig. Wir fuhren also los. Kilometerstand: 634992 km. Mehr als acht Kilometer durften vor der endgültigen Abfahrt nicht mehr gefahren werden - wie sähe das denn aus? Auf dem Weg zur Werkstatt bemerkte ich, daß mit der Lichtmaschine oder der Batterie etwas nicht stimmte. Ich hatte am Tag zuvor beim Beladen des Autos die Musik laufen, also tippte ich auf die Batterie. Das war das erste, was ich in der Werkstatt bekanntgab.
Wir ließen den Benz da und fuhren mit Papas Galaxy wieder heim. Das war bestimmt das letzte mal, das ich dieses Auto fuhr, denn bei meiner Rückkehr würde ich es wahrscheinlich auf irgendeinem Schrottplatz besuchen können. Baujahr 97, 300.000 km und fault schon auseinander.

Wir fuhren zum Bürgerbüro in Haunstetten, um den Benz auf meinen Namen umzumelden. Eigentlich hätte das bereits am Freitag geschehen sollen, aber als ich zehn Minuten vor Vier dort ankam, erklärte mir die Beamtenkuh, es sei nichts mehr losgewesen und deshalb hätte sie die Computer heruntergefahren. Öffnungszeit ist aber bis 16:00 Uhr und ich dachte, diese Richtzeiten fangen erst ein paar Breitengrade weiter im Süden an. Diese Leute sollte man mit Prügel statt mit Geld bezahlen, denn wenn um 7:20 Uhr schon 30 Leute vor der Tür stehen, dann wird trotzdem erst um halb geöffnet. Es war eine Sache von 10 Minuten, und das Auto lief wieder auf Markus Besold, das bedeutete, daß es heute losgehen mußte. Es fehlten nur noch einige Kleinigkeiten zum Einpacken, das Auto und der Rest der Besatzung.
Nächster Punkt war das Einpacken des restlichen Zeugs und ein nochmaliges durchgehen der Materialliste. Es fehlte einiges, aber was jetzt nicht da war, wurde kurzerhand gestrichen. Mist, Mensch! Ein Jahr lang Zeit gehabt, aber immer auf den letzten Drücker. Nun raste die Zeit...
Kurz vor Zehn ging es ab zum Bahnhof, Almut und Joe, ihren Bruder, abholen. Sie waren bereits fertig bepackt und abmarschbereit, ich war noch Stunden davon entfernt, also auf dem schnellsten Wege wieder heim.

18. August 2000
Bei der Abschiedsparty im Kreise der Geschwister.

Schnell etwas einwerfen, da das Frühstück bei dem Gehetz ausgefallen war, dann schnell zur Apotheke. Auf eine Prophylaxe verzichtete ich zwar bewußt, da das meiner Ansicht nach einen alten Hut bringt, aber falls man sich dann doch so eine Malaria einfängt, dann sollte man nicht ganz ohne irgendein Medikament dastehen. Und noch einige andere Medikamente gingen mit, jetzt, da ich es schon mal zur Apotheke geschafft habe.
Meine liebe langjährige Nachbarin stattete mir noch einen Besuch ab - nach Jahren - und wurde gleich eingespannt, denn das Auto war abgesegnet und stand auch abmarschbereit, man konnte es abholen. Von wegen man... Als es halb zwölf war, zogen wir zu Dritt los, holten das Auto und meiner Nachbarin gebührte die Ehre das Auto zum letzten mal heimzufahren. Meine arme Kupplung tat mir furchtbar Leid, aber das ist wohl bei Frauen genetisch bedingt. Ich verstehe nur nicht, warum es hießt, Frauen wären so feinfühlige Wesen. Die können ja von einer Planierraupe noch was lernen...

Nun war alles fertig, die Crew, das Auto, nur der Fahrer fehlte immer noch. Ich ging nochmal an den Computer und bearbeitete die Homepage. Der AOL-Teil konnte von nun an nicht mehr verändert werden. Das Upload-Problem ist bei AOL sehr elegant gelöst: Es geht schlichtweg nicht ohne die Software. Typisch Bertelsmann. Saftladen! Da ist Geocities viel benutzerfreundlicher. Man kann von jedem Internet-Café die Seite aktuell halten. Allerdings empfiehlt sich dennoch ein LapTop. Der fehlte uns leider, war nicht auf die Reihe zu kriegen. Daher kam wieder der altbewährte und schon vor Jahren zum Fahrtenbuch umfunktionierte Casio-Pager zum Einsatz. Dazu das noch ältere Duo, Papier und Stift. Das würde auf kosten der Aktualität gehen, aber es half nichts.

Nora verabschiedete sich nun. Das war etwas, was ich bis Dato nicht kannte. Ansonsten beschränkte ich mich immer darauf, von irgendwoher Postkarten zu verschicken und es ansonsten nach dem bewährten Prinzip zu handhaben: Keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Da das LapTop fehlte war auch die in 8 Monaten zusammengestellte mp3-Sammlung hinfällig. Ich verpaßte mir einen zweckmäßigen Haarschnitt (Deckhaar 3mm, Seite 0,3mm), eine letzte Rasur und dann legte ich die Fahrtenmontur (BW-Hemd u. -Hose, khaki, Springer, Kraftfahrermütze und Sonnenbrille) an. Wurde langsam Zeit, daß die wieder zum Einsatz kam. Elektrogeräte ausstecken, Fenster schließen, Zimmer absperren. Das alles mit gewaltiger Trödelei, doch irgendwann hieß es doch Abschied nehmen von allem und allen.

Es wurde 17:20 Uhr, bis wir endlich loskamen. Leichter Regen hatte eingesetzt, das perfekte Bahnhofs-Szenario.
Willy Forst meinte dazu nur:
"Sag zum Abschied leise 'Servus'
Nicht 'Leb'Wohl' und nicht 'Adieu',
Diese Worte tun so weh.
Doch das kleine Wörterl 'Servus'
Ist ein lieber letzter Gruß,
Wenn man Abschied nehmen muß..."

Irgendwie blieb diesmal bei mir die Aufbruchsstimmung aus, die mich vor jeder Fahrt packte und die mich ein Jahr lang auch fest im Griff hatte. Seit der Rückkehr aus Libyen wünschte ich mir nichts sehnlicher, als Deutschland zu verlassen, möglichst schnell und möglichst lang, damals stand für mich fest, daß bei der nächsten Reise kein Rückfahrticket vorgesehen sein würde. Was soll ich denn hier noch? Seit der Lappen weg war, sah ich nichts außer Rechnungen, Strafen, Bullen und Prozesse weil ich nun mal der Ansicht war, daß man zum Fahren ein Auto braucht und nicht ein schwuchtelrosa Stück Papier. Es gab also nichts, was einen zum bleiben einlädt und da draußen ist eine ganze Welt, die darauf wartet, befahren zu werden, warum also nicht? Das Auto sah das genauso. Jämmerliche 30.000 km in einem Jahr, das ist doch für den Rollstuhl, so alt ist der Daimler dann auch noch nicht...

Nun war es soweit. Alles, was ab jetzt nicht im Auto war, war praktisch nicht mehr existent. Und irgendwie schien alles so irreal, ich fuhr gerade los, ohne den Nullpunkt gefunden zu haben. Ich sah mir die vertraue Gegend wie von Weitem ein letztes mal an. Wieviele tausend mal war ich auf diesen Straßen unterwegs gewesen, bei Tag, bei Nacht, Sommer wie Winter, ob im Nebel, unter Hagel, oder im Sturm. Alles kannte ich, alles sah ich und doch schien es mich nichts anzugehen. Die idiotischsten Gedanken schossen mir durch die Birne. Und das alles nur, weil ich auf dem Beifahrersitz saß. Auf dem Chefsessel komme ich gar nicht auf solch einen Schwachsinn.
Um mich abzulenken widmete ich mich der nächsten Frage: Wie fahren wir am dümmsten nach Barcelona? Ich griff zur Kartentasche, die seit eh und je in der Steuerbordtasche liegt. Aha... drei Michelin, ein augsburger Stadtplan (unheimlich wichtig in Afrika) und keine Europakarte. Kaum hatte ich mich wieder beruhigt, fiel mein Blick auf die leuchtende Reserveleuchte. Großartig, Depp! Hast wohl ein bißchen was vergessen?!

Wir stoppten am Rasthof Lechwiesen, tankten voll und kauften für 16 DM eine Europakarte. Das war die erste unnötige Ausgabe. Hier konnte ich mich nicht mehr zusammennehmen und beanspruchte meinen Platz auf dem Fahrersitz. Zur Hölle mit den Bullen, was kann schon groß passieren, außer, daß sie einen Brezenmarkt veranstalten? Weiter geht's! Von hier aus sah die Welt schon viel besser aus. Es stimmte wieder alles, genau so, wie es Hans Albers gröhlenderweis' empfiehlt:
"Nach vorn geht mein Blick, zurück darf kein Seemann schau'n..." Die letzten grünweißen Kutschen sahen wir kurz vor der österreichischen Grenze, die selbst passierte. Die standen da und waren so wachsam und hell, wie man es auch von ihren Fahrern und Insassen gewohnt ist. "Verrecke, vermaledeite Pestbrut!"

Um 18:33 Uhr passierten wir die österreichische Grenze und mit einem Schlag löste sich alle Anspannung, die in der letzten Monaten immer mitfuhr, immer auf "Hab' Acht", wo zeigt sich ein Bulle, wie darf ich fahren, wo ist die nächste Möglichkeit unerkannt zu verschwinden? Hier konnte ich wieder fahren, hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein. Und - hoppla - wie es der Zufall will, kurz nach der Grenze finde ich meinen Führerschein wieder. So ein Lümmel! Hat er sich doch tatsächlich ein Jahr lang unter dem Sitz versteckt gehalten, als er gehört hat, daß er eingezogen werden soll. Leider hatten in der BRD die Ämter schon zu, so daß es mir als rechtschaffenen Staatsbürger nicht mehr möglich war, ihn ordnungsgemäß abzugeben. Später halt dann, oder wie die Araber sagen würden "Bukra" (= "Morgen").
Auf der Autobahn ging es zügig voran. Wir folgten immer den Schildern nach Chur. Es ist auch eine gute Gelegenheit, sich auf afrikanische Straßenverhältnisse einzustellen. Der Belag stammt noch aus dem Mittelalter. Aber ich will mich nicht beschweren, wir fuhren ja umsonst, weil das Pickerl doch für bessere Straßen ist, folglich mit dem hier nichts zu tun hat.

Um 19:27 Uhr waren wir wieder in der guten alten Schweiz. Immer nett hier, wenn ich mal viel Geld habe, dann wäre vielleicht ein Alterssitz hier zu überlegen. Schweizer Autobahnvignetten habe ich schon immer gerne gesammelt. Seit 95 habe ich alle Jahrgänge. Die Schweiz ist einfach was besseres, das läßt sich nicht leugnen. Dennoch erlebte ich hier in dieser Hochburg der Ordnung in Europa zum ersten mal in fast einer halben Million gefahrener Kilometer einen Geisterfahrer. An einer Baustelle kam und ein 40-Tonner entgegen. Ich dachte erst, ich sei auf der falschen Spur, wie üblich, wenn etwas nicht so läuft, wie es soll. Als ich feststellte, daß das nicht der Fall war, dachte ich, die Autobahn wäre aus irgendwelchen Gründen hier einspurig. War auch nicht der Fall. Gut. Dann eben Cigarette an. Geisterfahrer waren für mich bis dahin wie Krebs. Schon viel von gehört, passiert immer nur anderen.

Als der überladene Daimler den Gotthardpaß zu erklimmen begann und Chopins 1. Klavierkonzert loslegte, war meine Stimmung wieder gerichtet, die Lust am Reisen endgültig zurückgekehrt, unerschütterlich, wie eh und je. Da es spät war und es in Strömen regnete, bevorzugten die Eidgenossen die häusliche Gemütlichkeit und ließen die Straßen weitgehend unbevölkert. Eine gespenstische Kulisse für den Abschied von Mitteleuropa. Aber durchaus passend...

22:45 Uhr: Bei Como passierten wir die Grenze nach Italien, hier gleich auf die Autobahn und so schön Italien auch ist und so nett die Fahrweise der Menschen hier ist, für uns gab es nur eines: durchbrechen, in Richtung Frankreich. Leider läßt sich Frankreich nicht umfahren (in beiden Bedeutungen) und das kennen wir bereits. Äußerst autofeindlich. Ich versuchte es aber dennoch positiv zu sehen: Immerhin war es die "Grand Nation", was auch immer damit gemeint sein soll, man kann es ja schon mal als Training nehmen, es wird nicht das einzige Nervland bleiben...

In Frankreich interessieren mich die grausam schönen des 1. Weltkriegs, die aber heute nicht auf dem Programm standen, denn Pajero-Igl hatte im Gegensatz zu uns nicht unbegrenzt Urlaub. Alles andere, Eifelturm, Louvre, Triumphbogen, sollen sich andere ansehen, ich fahre sie gerne hin. Das beste an Frankreich ist die Grenze nach Spanien. Aber bis dahin war es noch ein Stückchen Italia...


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