Afrika 2000
Zweite Etappe
Freitag, 8. September

Hebt sich von Ferne die Sonne im Osten, geht durch das Lager der Weckruf der Posten: "Auf, Kameraden, sattelt Eure Pferde, weiter geht unsre Fahrt über die weiße Erde!" Lange zuvor war Almut schon wach und sprang durch die Dünen oder lernte Vokabeln, sobald die Lichtverhältnisse die erlaubten.

Es kamen wohl Einheimische vorbei, um Benzin zu schnorren, aber das betraf nur Peter. Der schickte sie zum Teufel. Wer nicht zahlt bekommt nichts. So ist's richtig. Das mußte ich noch lernen, und zwar ganz schnell. Sah auch gar nicht schwierig aus. Man braucht nicht erst loszuballern. Allein mit der richtigen Haltung kann man sie dazu überreden, sich zu schleichen.

Um Neun brachen wir auf. Heute stand Sand auf dem Speiseplan. Immer wieder sandeten wir ein, meist abwechselnd. Und immer wieder buddelten wir denjenigen frei, der sich festgefahren hatte. Jean war der einzige, der nie ausgegraben werden mußte. Dem 207 riß ein Sandblech den Tankstutzen an. Er wurde von Daniel notdürftig mit Gummi, Draht und Seife geflickt. "Afrika - Patt problämm". Der VW-Bus lief einmal ziemlich heftig vorn und hinten auf Grund, jedoch wurden keine Schäden gemeldet. "Made in Germany". Gegen Mittag wurde der Sand glühend heiß. Das hieß auch, daß er sehr locker war. In den Morgenstunden, wenn der Sand durch den Tau noch etwas fester ist, sollte eigentlich losgefahren werden. Neun Uhr ist zu spät. Am besten fährt man bei Sonnenaufgang los. Da ist es noch kühl, aber man sieht schon genug.

Ich merkte, was es ausmacht, wenn man einen Führer dabei hat. Soufi ließ anhalten und wechselte in den 207er, um diesen als Beifahrer über ein weites Sandfeld zu bringen. Ich sollte anschließend folgen. Er ließ mir lediglich den Hinweis da, nicht in Daniels Spuren zu fahren. Ich fuhr los und schaffte gerade eine Fahzeuglänge, steckte schon in den ersten fünf Metern fest...
...und mußte rückwärts wieder herausgeschoben werden...
Der eine baut Mist, die anderen schieben

Es war zwar auch ein gehöriger Schuß Blödheit dabei, denn Soufi hatte mir beim Aussteigen eigens zweimal gesagt, ich solle ja nicht in die Spuren des 207ers fahren, aber genau das tat ich anschließend. Und hing natürlich fest. Nochmal rückwärts raus, möglichst weit zurück, um Anlauf zu nehmen. Erster Gang, langsam anrollen, dann Vollgas, sobald ganz eingekuppelt war. Bei diesem zweiten Versuch klappte es dann. Ich durchquerte das Sandfeld, das etwa zwei, dreihundert Meter breit war, ohne erneut einzusanden und stellte mich neben den 207er, um auf den VW-Bus zu warten. Er sandete ein und wir stiefelten los, Jean fuhr wieder zurück - hatte ja kaum Probleme mit dem Sand. Als wir auf halben Weg waren, hatten die Insassen den Bus freigeschaufelt und er befand sich wieder auf dem Weg zu den anderen Fahrzeugen und mußte warten, bis wir wieder mit dem Gerät dort angekommen waren.

Es ging weiter durch Sandfelder, das Einsanden hielt sich Dank Soufi in Grenzen. Als ich merkte, daß die Karre an Schwung verlor und bald einsanden würde hatte er das schon längst mitbekommen und befahl das entspechende Manöver dorthin, wo der Snad weniger Wellig war. "Izquierda, izquierda. Petit con el volante! Akselähr!" - Dieses spanisch-französische Kauderwelsch heißt zu Deutsch: "Ruder leicht Backbord, Maschine AK voraus!", die anderen fuhren uns hinterher und es klappte. Danach ging es mit Schrittempo über häßliche Steinfelder, mit kleiner Fahrt über nerv- und materialmordendes Wellblech aber auch über weite, weißkiesige Ebenen, auf denen Tempo 100 durchaus drin war - besser zu befahren als die Serir al-Gattusah. Hinzu kam noch, daß das Auto durch die Behandlung in Marokko nicht mehr so stark durchfederte und es daher auch Spaß machte über weite Bodenwellen zu brettern. Mit donnerndem Motor, so schnell wie der Blitz, der Küsteentgegen, im Panzer geschützt...

Blick aus dem VW-Bus Blick aus dem VW-Bus
Hier eine Außenaufnahme bei Tempo 80 (Schätzung). Da aber wir das Führungsfahrzeug waren ist der Daimler wieder nicht sehr gut zu sehen. Der Daimler ist der schwarze Punkt auf halb Zwölf und fährt gerade Vollgas, etwa 100 km/h. Der 207, auf zwölf Uhr, fährt auch Vollgas und das Motorrad, ganz rechts, tuckert gemütlich vor sich hin.

Die Raserei machte richtig Spaß, ich glaube, das Gelände hier ist besser befahrbar als alle Straßen im ganzen Land, wenn man einmal von der Babystraße in Nouadhibou absieht. Soufi erzählte, daß hier eine Straße geplant sei, die in drei Jahren fertig sein soll. Ich kann eines versichern: Auf diesem Stück hier ist nichts überflüssiger als eine Straße, sie wäre sogar hinderlich, da sich auf ihr ein paar Jahre nach dem Bau, ein Trichter an den anderen reiht und der Belag auch wenn sie noch neu ist nicht wesentlich besser sein kann.

Jean umkreiste den Verband, mal war er mitten unter uns, mal fuhr er als kleiner Punkt am Horizont neben uns her, dann wieder voraus. Ihm schien es riesig Spaß zu bereiten, einfach durch die Landschaft zu steuern und sich nicht um Sand und Hügel kümmern zu müssen.

Doch die Raserei nötigte uns auch einige unfreiwillige Aufenthalte auf, da die Fahrzeuge bei Vollgas unterschiedlich schnell waren und somit die Fühlung immer wieder abriß. Halten, sammeln und zusammenbleiben, hieß es immer. Wir konnten aber nur schwer wiederstehen und gaben dem preußischen Drang nach Vorn unserer alten Dieselmotoren nach und rauschten, streckenweise riesige Staubfahnen aufwirbelnd, über diese schönste aller natürlichen Autobahnen. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, Soufi in den VW-Bus zu setzen, so hätten Daniel und ich ein wenig pesen können. Aber die Idee kam keinem.

Sammeln
Jedes Mal, wenn nicht mehr alle Fahrzeuge zu sehen waren, ließ Soufi die Spitze anhalten. Man verliert sich leicht, auch wenn es immer nur geradeaus geht.

Wir donnerten an einer mauretanischen "Autobahnraststätte" vorbei, die aus einigen Fetzen und Brettern mitten im Nichts bestand. Leider hatte ich nicht den Photoapparat, das wäre ein nettes Bild geworden - wenn auch das Schild mit der Aufschrift "Autogrill" fehlte. Wir fuhren quer durch die Ebene, hielten genau Kurs auf die Mitte von zwei nebeneinander liegenden kleinen Hügeln, blieben ab und zu stehen, weil das ein oder andere Fahrzeug im Rückspiegel nicht mehr zu sehen war. Das dauerte nicht ganz eine Stunde, aber es war wunderbar. Der überladene wolfsburger Benziner hatte leider leichte Probleme mit der Kühlung und konnte nicht ganz den stuttgarter Dieseln mithalten.

Ich drehte bei jedem Halt den Bug in den Wind, es war nicht sehr heiß, doch auf diese Weise hielt ich die Temperaturnadel unten. Alter Trick aus Libyen. Die Heizung kam nie zum Einsatz. Hört sich blöd an, aber manchmal muß man in dieser Gegend Heizung und Gebläse auf die höchste Stufe schalten, um den Kühlkreislauf zu erweitern und um dadurch die Motortemperatur unterhalb des kritischen Bereiches zu halten. Brauchten wir diesmal nicht, der Tropenkühler arbeitete gut.

Ein einsames Kamel
Ein Wüstenschiff achtern querab...

Danach machten die Steinfelder der Raserei ein Ende. Schade. Hätte wegen mir gerne so weitergehen können bis zum letzten Dünencordon vor dem Strandabschnitt. Die letzte Hürde vor der berüchtigten Küsten Strecke, die schon so manchen seinen Fahrbahren Untersatz kostete. Auf beides war ich schon sehr gespannt. Bisher stad aber nie in Frage, ob wir es schaffen würden. Zuversicht ist das völlig falsche Wort. Jedem einzelnen war klar, daß wir es schaffen, die Frage war nur wie. Das Ziel bestand nicht darin, Nouakchott zu erreichen, sondern darin, das Auto ohne Schäden dorthin zu bringen.

Langsam begann die Landschaft grün zu werden. Komisches Grün, erst blaß und bald schon ganz saftig, will gar nicht hier herpassen. Wir sahen auch von Weitem ein paar vereinzelte Kamele. Langsam hieß es wohl Abschied nehmen von der Sahara. Oder war das nur ein Zeichen dafür, daß wir uns der Küste näherten? Man weiß es nicht. Doch ab jetzt würde es generell immer grüner werden. Viele mögen das, für uns bedeutet das in erster Linie: Erschwerte Nachtplatzsuche, Menschen, Kosten, Müll und Lärm.

Ein paar Stunden kämpften wir noch mit Steinen und Wellblech, dem man selten ausweichen konnte. Dem Daimler hatte ich vor der Abfahrt für 800 DM ganz neue 185R15 gekauft, extra verstärkt, damit das Reifenfiasko von Libyen im letzten Jahr sich nicht wiederholt. Wir hatten damals sieben Reifen dabei und hatten es geschafft, uns acht Platten einzufahren, nur weil ich Penner wieder glaubte, am falschen Ende sparen zu müssen. Dabei ist sparen bei den Reifen sogar machbar. Abgefahren dürfen sie sein. Reifen mit Profil graben sich leichter im Sand ein, als abgefahrene Reifen. Aber sie dürfen auf keinen fall alt und porös sein. Die Reifen, die wir damals dabei hatenn hatten gutes Profil, waren aber alt. Und so verabschiedete sich einer nach dem anderen. Aber die neuen hielten nun, sie waren auch pervers schwer, die Dinger...

Wir waren schon fast an der Küste. Einzig und allein wartete nur noch eine riesige Düne darauf, überwunden zu werden. Wir hielten an, kochten Tee und ließen den Reifendruck auf 1,4 Bar hinten und 1,2 Bar vorne ab - befohlen war "Wahid Kilo, un kilo", also ein Bar, aber das hielt ich für unvernünftig bei dem Gewicht.

Teepause vor dem erstürmen des letzten Dünen-Cordons.

Soufi hatte leichte Kopfschmerzen. Dagegen hilft Soufi-Tee, danach kommt man eine Woche nicht zum Schlafen, ist besser als jeder Michi-Metzger-Kaffee. Ich war leicht nervös ob des Bevorstehenden und ging davon aus, daß wir die Nacht buddelnd auf der Düne verbringen würden. Darauf hatte ich keinen Bock. Soufi deutete an, daß unser Benz und der VW-Bus zu schwer seien. Da hatte er recht. Das einzige Auto, das nicht hoffnungslos überladen war, war Daniels 207er. Doch was hilft es groß darüber nachzudenken? Nichts. Wir konnten ihn nicht leichter machen. Sowohl die Ausrüstung, als auch die Insassen wurden später noch benötigt. Wir ließen nichts zurück. Das Nachdenken darüber nagt nur an den Nerven. Am liebsten gleich rein in die Kanzel und dem Unvermeidbaren mit Volgas entgegen, statt hier rumzusitzen und darüber nachzudenken, wie und ob und warum... Warum ist ohnehin die dümmste aller Fragen. "Warum? Weil Deutschland Scheiße ist, Alter. Deswegen!"
Die Autos lagen nun sehr tief, als die Luft aus den Reifen war. Sie sahen aus, als hätte jedes vier platte Reifen. Nun aber los. Vom Die Motoren liefen bereits, wir waren soweit.

Nach dem Tee verschwanden wir in den Autos. Soufi sah sich noch einmal um, ob alle Autos bemannt waren. Ich rauchte an meiner Cigarette und wartete auf das Signal zum Anfahren. Das kam wenig später. "Nun aber los Männer, vom Rumsitzen kommen wir nicht nach Nouakchott! Alles augesessen! Rührt Euch! Ein Lied":

"Heiß über Afrikas Boden, die Sonne glüht.
  Unsere Dieselmotoren singen ihr Lied.
  Deutsche Diesel im Sonnenbrand
  Fahren zur Schlacht gegen Wüstensand!
  Es rasseln die Ketten, es dröhnt der Motor
  Daimler rollen in Afrika vor!"

Ich schnippte die Cigarette aus dem offenen Fanster, legte den Ersten ein und rolte an. Beide Hände am Lenkrad, die die Anspannung war verflogen. Nun Vollgas gegeben, und ran an den Feind. Zwar war das Auto etwas schwerfälliger als sonst, wegen der platten Reifen, aber es ließ sich immer noch gut fahren. Soufi ließ allerdings die Geschwindigkeit herabsetzen, denn der VW-Bus kam nicht hinteher. Er wollte den Verband nicht auseinanderreißen, gerade an kritischen Stellen, wie dieser. Zurückfahren ist nicht. Falls sich der Hinterste festfährt, dann muß marschiert werden. Daher wollte er keinen aus den Augen verlieren. Die Geschwindigkeit betrug streckenweise nur etwa 50 km/h.

Zunächst ging es über die sandige Ebene. Noch deutete nichts auf die nahe Düne hin. Es gab wohl leichte Erhebungen, aber man konnte sie leicht umfahren, das Gelände erlaubte es. Nach einigen Minuten erhob sich der Dünencordon am Horizont. Jean richtete sich auf seiner Ténéré auf, gab Vollgas, zog links an uns vorbei und übernahm die Führung, was uns allerdings nicht viel brachte, denn er fährt auch da noch, wo unsere Kisten längst bis zum Dach im Sand stecken.

Kradmelder vor!
Dünencordon direkt voraus. Entfernung vierzig Hundert.

Als wir uns näherten suchte Soufi nach einer guten Eingangstelle. Sie war links, wo die Düne am niedrigsten war. Als wir langsam an die Ausläufer der Düne kamen, befahl er mir, ja nicht im Traum daran zu denken, den Fuß vom Gas zu nehmen. Er packte seine Pfeife weg, gab mit der Linken aus dem Fenster ein Handzeichen, daß sich die anderen beiden Fahrzeuge hinter uns einreihen. Mit der Rechten schaltete er den Warnblinker an. Ich gab Gas. Dann ging es los. Beschleunigen. Kupplung treten, vierten Gang raus. Kupplung loslassen, Gas, Kupplung sofort wieder treten, dritten Gang einlegen, einkuppeln, Vollgas bei Tempo 80, die Nadel steigt. Der Boden wird weich, das Auto verliert an Schwung. Ich mache mich bereit, in den zweiten Gang zu schalten, sobald die Sechzigermarke erreicht ist. Das merkte Soufi und lotste mich zu einer harten Stelle. "Jetzt ja nicht schalten!" Er gab mir ein Zeichen zum Warten, ich blieb mit meinem ganzen Gewicht auf dem Gas und versuchte mit der Kupplung, die Nadel vom Bereich des zweiten Gangs fernzuhalten und plötzlich wurde es hart und Soufi schrie "Dösiemm!!!" Ich trat die Kupplung, Gang raus, Kupplung loslassen, Vollgas, Zweiter rein und wieder Vollgas, der Motor brüllte wie am Spieß, die 65 gingen durch, ich blieb weiter auf dem Gas und vertraute darauf, daß das stimmt, daß man einen Motor beim Bergauffahren nicht überdrehen kann. Es wurde wieder weich, ich sah die anderen nicht mehr im Rückspiegel, aber stehenbleiben würde niemandem helfen. Weiter mit Vollgas und nur so viel lenken, als es ein Hindernis erforderlich machte. Wer liegenbleibt muß warten, bis die, die oben angekommen sind mit dem Gerät zurückmarschiert sind, um sie zu bergen. Angehalten wird auf keinen Fall. Jetzt ist jeder auf sich allein gestellt. Der zweite Gang hielt, der Daimler kämpfte sich die Düne hoch. Ab und zu leicht ausgleichen, wenn man sich in einer Vertiefung befand. Der Sand spritzte gegen den Unterboden, zwei oder dreimal tauchte das Auto mit dem Bug in eine Sandwelle und uns flog der Sand um die Ohren und in die Augen. Weiter mit Vollgas. Jedes Hindernis, das dem Auto nicht mehr Schaden als den einen oder anderen Kratzer zufügen konnte, wurde einfach überfahren.

So jagten wir die Düne hoch überranten sie im Sturm und kamen oben an ohne einzusanden. Der einzige, der es sich erlauben konnte, selbst hier in aller Seelenruhe zu fahren, wohin er wollte und auch anzuhalten, wo es ihm paßte, um Bilder zu machen war Jean mit seiner von der Last befreiten Ténéré. Wir hielten oben an um uns zu sammeln.

Er arbeitet sich heran.

Im Verlauf dieser Saharadurchquerung überzog sich alles mit einer feinen, gelblichroten Staubschicht. Die Armaturen, die noch vom Sand der letzten Libyentour geschmückt waren, das Lenkrad, die Scheibe von innen und außen, einfach alles, egal, wo man hinsah oder hinfaßte, alles war voller Staub. Auch wenn man sich über die Stirn fuhr, hatte man feinen Sand an den Flossen und einen hellen Fleck an der Stirn. Das störte aber nicht, weil der helle Fleck auch bald wieder aufs Neue vom Staub überdeckt sein würde. "Bestaubt sind die Gesichter, doch froh ist unser Sinn, es braust unser Daimler im Sturmwind dahin!"
Ein, zwei mal hielten wir auf harten Stellen an, da der VW-Bus die Fühlung verloren hatte.

Soufi fragte Peter, ob alles klar sei. "Patt Problemm". Doch die Düne, die doch sehr hoch und scheinbar einige Kilometer breit war, ließ sich weitaus besser befahren, als wir alle gedacht hätte. Gerade bergab. Da konnte man sich sogar ab und zu den Luxus leisten, zu bremsen. Zwar nicht oft und schon gar nicht stark, aber bei Unebenheiten konnte man durchaus damit verhindern, daß das Auto abhob, bzw. mit dem Bug auf Grund lief. Das Auto dankt es einem. Es ist schließlich nicht für den Verkauf gedacht, sondern soll uns noch viele viele Jahre begleiten. Das bereitete allerdings Daniel leichte Probleme. Wir konnten langsamer fahren, weil das Verhältnis von Gewicht zu Bodenauflage bei unserem Fahrzeug günstiger war. Wir hatten größere Reifen,bei annähernd gleichem Gewicht, einen kleineren Radstand, was den Kiel im Verhältnis weiter vom Boden weghielt. Er mußte schneller fahren als wir, um nicht einzusanden, konnte aber nicht überholen, da er nicht wußte, wo es lang ging. Ich bot ihm an, Soufi zu übernehmen. Aber so schlimm war's dann wohl auch wieder nicht, denn Daniel lehnte ab.

Auf der Düne
Zweiter Gang, Maschine Äußerste Kraft voraus...

Auch dem Ginster (falls diese Büsche so heißen), auf den auf der Seite, auf der es bergauf ging, keinerlei Rücksicht genommen wurde, konnte hier wieder ausgewichen werden, als es bergab ging, was aber selbst hier nicht immer gelang. Man will zwar nicht mit Absicht die ohnehin kaum vorhandene Botanik zerfahren, wobei ich sicherlich kein Pflanzenfreund bin - außer wenn sich diese schon seit mehreren Millionen Jahren im toten Zustand befinden und Erdöl heißen.

Nicht deswegen, weil man sich bei Bioqueens damit unbeliebt macht. Das "Trockenbiotop Sahara-Gerede", meistens von häßlichen Emanzen mit langen Röcken stammend, die großteils mehr Haare an den Beinen als auf dem Kopf tragen, ist lange nicht so furchterregend wie ihre Gesichter. Doch in diesem speziellen Fall halte ich mich an das, was Martin Semmelrogge meint: "Schimmel ist ein edles Gewächs. In der Art von Hyazinthen. Gerade hier soll man sich über alles freuen was wächst."

Andererseits... Warum muß der idiotische Busch genau da wachsen, wo Autos fahren? Selber Schuld, wenn er hinterher platt ist. Es sterben sowieso nur die Schwachen. Einen gesunden Busch muß man ein paar mal mit einem T34 überfahren, damit er ganz hinüber ist. Nach der Düne, die Dank des extrem niedrigen Reifenluftdrucks und des gutmütigen Diesels ohne Einsanden genommen wurde, konnte man schon das Meer sehen. Wir suchten uns einen halbwegs befahrbaren Weg hinunter.

Auf der Düne
Auf dem Dünen-Plateau.

Das Gute war, daß es nunmehr nur noch bergab ging. Der Motor nahm das dankbar zur Kenntnis. Es um Welten gemütlicher zu, als auf der Fahrt hinauf. Der Dritte Gang kam immer mehr zum Einsatz. Es wurde nur noch an kritischen, also weichen Stellen heruntergeschaltet und manches mal auch Vollgas gegeben. Der Boden wurde ein wenig härter, wohl von der Feuchtigkeit. Wäre schön, wenn es so bliebe, doch bald schon, wurde der Boden ziemlich schlackig.

Manchmal sah es irgendwo verlockend eben aus, aber Soufi zeigte immer wieder auf die Piste, sobald ich abseits davon fahren wollte, um dem immer wieder aufkommenden Wellblech zu entgehen. Als ich einmal beinahe im Schlamm feststeckte, glaubte ich ihm endlich. Nicht, daß es tragisch wäre, hier festzustecken. Es droht noch keine Gefahr Seitens des Meeres, aber es stinkt alles erbärmlich nach verwesendem Fisch.

Die Küste war erreicht.

Nun waren alle gespannt, wie es weitergehen würde. Die Strecke am Meer würden wir wohl heute nicht mehr schaffen. Es war schon später Nachmittag und Feierabendstimmung machte sich breit. Die nnächste Stadt ist Nouakchott, außer Fischerdörfern gibt es hier draußen nichts. Und die Nähe zur Küste stellte sicher, daß unser Nachtplatz um Welten schlechter ausfallen mußte, als der, den wir noch gestern hatten. Küsten bedeuten Leben. Sie sind also nicht nur klimatisch sehr unangenehm (hohe Luftfeuchtigkeit), sondern sie ziehen auch Menschen an, weil die ja die Fische fangen. Und wo Menschen sind, da ist Ärger vorprogrammiert. Davon kann die Erde ein Lied singen, die sich Jahrmillionen friedlich vor sich hindrehte und immer zufrieden war, bis diese Menschenbrut innerhalb weniger Jahrhunderte plötzlich alles durcheinanderbringen mußte.

Die beiden Benze fuhren sich tatsächlich auch noch einmal fest. Der 200D im Sand, der 207er in der Schlacke. Aber es waren keine Staatsakte, die Autos wieder freizukriegen. Einmal mußten wir uns wieder Landeinwärts bewegen, weil die schweren LKW uns den Gefallen getan hatten, die an sich passable Piste mit tiefen und noch tieferen Spurrillen zu versehen, so daß einige Engstellen für uns nicht mehr passierbar waren.

Hier steckte der 207er gerade.

Gegen Abend passierten wir ein ganz ekliges Fischerdorf, das eigentlich eine Anhäufung von stinkenden und halbverfaulten Bretterverschlägen ist. Über der ganzen Gegend lag das Aroma verwesender Fische. Am Ende des Dorfes war eine stinkende und nicht weniger verfaulte Hütte, vor der ein Walfischgerippe lag und in der ein Beamter saß. Er wollte 2.000 Oguya für die beiden großen und 1.000 für unser kleines Auto. Der Schweizer kannte diese Prozedur wohl, denn er bat uns, ihn machen zu lassen. So gingen er und Soufi zum Herrn Autorität. Alle anderen blieben am Auto.

"Was schwimmt?", fragte ich Dirk. "Was schon... Die wollen Geld." Ich Ahnungsloser fragte Dirk, für was wir denn Zahlen sollen? "Für diesen Haufen Müll hier, der sich Dorf schimpft. Doch logisch, oder?" Wir zahlten Dank dem Schweizer nichts. Auch Soufi regte sich furchtbar über das Kasperl im Häuschen auf. Das sei "no correto", das sei Diebstahl, wir sollen uns beim Botschafter beschweren usw. Den Botschafter wird das allerdings wenig bis gar nicht interessieren. Deshalb ist er wohl Botschafter und sitzt im Ausland, muß sich nicht mit dieser Art Dreck herumärgern und kann im Schutz des Diplomatenstatus lukrativeren, aber nicht weniger unseriösen Geschäften nachgehen.

Wellblech
In Reih und Glied über das Wellblech.

Mich interessierte hauptsächlich das Walschiffgerippe, das neben dem Haus lag. Während also Peter mit dem Hans Wurst verhandelte, besahen Daniel und ich die Überreste dieses riesigen Meeressäugers. Sowas hatte ich mal als Bub im Senkenbergmuseum gesehen, aber so sah das Teil wesentlich echter aus.

Vorletztes Jahr hatte ich aus Libyen einen Kamelschädel mit nach Hause gebracht. Aber das kann ja jeder. Einen Walschädel vorne am Kühler, das ist nicht so was Ordinäres, das hat schon eher was Exotisches. Der Kopf von dem Viech war allerdings größer als der Gepäckträger, daher war er als Mitbringsel ungeeignet. Mitbringsel ist sowieso falsch, Deutschland lag nicht auf der Route. Konnte gar nicht danebener sein.

Daniel war nicht ganz so größenwahnsinnig und begnügte sich mit einer Rippe. Als er sie gerade zum Auto tragen wollte, befahl ihm der Beamte, das sofort zurückzulegen - wahrscheinlich steht die Rippe unter Naturschutz und kostet extra. Fall erledigt. Nix darf man...

Hinter einer Düne am Strand außer Sichtweite der Müllhalde Namens Mamghar blieben wir übernacht, es stank bestialisch, die Luft war naß, aber was soll man machen? Die Auswahl war ziemlich begrenzt: Entweder man gewöhnt sich dan oder eben nicht. Steht jedem frei. Ich las einmal, daß an der Westfront im ersten Weltkrieg oft die Tabaksrationen erhöhte, wenn der Leichengeruch während der Sommermonate zu arg wurde. Ich folgte diesem Beispiel in der Hoffnung, es würde helfen.

Walschiffsgerippe
Das Blauwalgerippe.

Soufi zeigte uns einen Platz, an dem wir unser Lager aufschlagen konnten. Die Besatzungen des 207ers und des VW-Busses machten sich daran, unsere Wagenburg zu bauen. Einen Baustein mußte ich ihnen allerdings noch vorenthalten: Der Braune wurde noch gebraucht, Soufi blieb nämlich heute im Dorf bei Bekannten oder Verwandten übernacht. Er sagte mir, ich solte ihn morgen gegen 10 Uhr in der Früh abholen. Joe nahm ich mit, weil ich sonst mit meinem Orientierungs-Unsinn den Weg zurück zum Nachtplatz nie mehr wieder gefunden hätte. Wir lieferten ihn ab und fuhren im Eitempo wieder zurück und stellte den Benz an den für ihn vorbereiteten Platz. In der Mitte der Wagenburg wurde unser Zelt aufgestellt.

Die Schweizer kochten im 207er wieder allerlei feines Zeug zusammen. "Was steht auf dem Speiseplan?", fragte ich in die Runde. Peter antwortete irgendwas, das ich nicht verstand. Am Schluß fiel das Wort "Chräsi", das ich nach mehrmaligem Nachfragen als Käse entziffern konnte. Das hieß also Rotwein mit Gemüse für die Pflanzenfresser, Käse-Cretin für Normale Menschen. Wir hatten auch Zuschauer, die da saßen und fasziniert zusahen, was wir für einen Fallschirm aufbauen (das Zelt). Wir aßen und es war noch genug da, so daß auch unsere Zuschauer etwas abbekamen, doch die wollten nichts. "Gibt denen ja nichts!", sagte Dirk zu ihr, als sie einem einen Teller von dem Gemüsezeugs reichen wollte, "Da ist Alkohol drin, die flippen aus."  Und vom Käse-Cretin war nicht genug da. Erst wird unter der Besatzung brüderlich geteilt, erst der Rest geht an den Rest.

Marion war eine halbe Stunde lang wie vor den Kopf geschlagen und verstand die Welt nicht mehr, warum die nichts haben wollten. Sie bot ihnen auch extra nur den Salat an, weil da kein Alkohol drin war. Wer frißt denn schon Salat? Sie wollten nichts, nur zuschauen. Sie nervten aber nicht und wer Französisch konnte, unterhielt sich mit ihnen.

Dorfstraße
Beim verlassen des widerlichen Dorfs mit dem entsprechend widerlichen Polizeiposten.

An diesem Abend stellten wir fest, das Jonny Cola viel besser klingt als Jean Nicolas und so wurde er kurzerhand umgetauft. Ich überließ ihm meinen Platz im Zelt, und zog es vor, die Nacht im Auto zu verbringen. Er bedankte sich, lehnte ab und sagte, er möchte lieber bei seiner Maschine schlafen. Hätte - nein, hab' ich genauso gemacht. Ich verstehe ihn da vollkommen. Er schlief immer auf der Windleeseite seiner Ténéré. Da das allein gar nichts bringt, befestigte er eine kleine Plane am Motorrad, die ihn gegen den Wind schützte und ihm gleichzeitig als Isomatte diente. Der Gestank ließ nicht nach. Cigarette an, Schulterzucken... Man gewöhnt sich daran. Was bleibt einem denn auch anderes ubrig? Gute Nacht...


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