Fahrt nach Feuerland
Freitag, 28. Dezember 2001

9.30 - 11.45 Lago Torre
Um halb Eins (km 714.483) fuhren wir dann weiter in Richtung Rio Gallegos, wieder stundenlang durchs unwirtliche Patagonien. Aber schön ist's doch. Um 16:17 Uhr (km 714.616) hörte der Asphalt wieder mal auf, wir waren wieder auf Schotter unterwegs. Darauf fuhren wir dann nochmals zweieinviertel Stunden bis zur Grenze. Der Südzipfel ist zwar argentinisch, aber ein Stück Chile liegt wie ein Keil dazwischen. Da muß man durch, das heißt, daß man zweimal auf dem Hinweg und zweimal auf dem Rückweg über die Grenze muß. Die Grenzabfertigung ging recht zügig, nur Früchte mußte man wieder abgeben. Hier empfiehlt es sich, bei den Argentiniern zu fragen, ob sie den aus Chile kommenden etwas brauchbares abgenommen hätten. Das spart Kohle.
In Chile ging er vorerst wieder zügig voran, die Piste war in einem etwas besseren Zustand. Das, wiedrum kann aber auch Einbildung gewesen sein. Auf dem Weg überholte uns wieder das schwarze Motorrad. Ich sah ihn im Rückspiegel und machte ihm Platz, denn ich stelle es mir ziemlich unangenehm vor, auf dem Motorrad sitzend hinter einem rollenden Verkehrshindernis fahren zu müssen, das auch noch Tonnen von Staub aufwirbelt. Er fuhr vorbei - wiener Kennzeichen - bedankte sich, fuhr weiter, aber brauchte heute etwas länger, bis er verschwunden war. Nicht nur, weil er in die gleiche Richtung fuhr. So rasant wie am Vortag war er nicht mehr unterwegs, denn wir waren wieder auf Schotter und mit der schweren Maschine auf solch tückischem Untergrund in der Gegend, in der es alle Motorradfahrer hinläßt, da muß man auf zwei Rädern vorsichtig sein. Den Erwin hatte es damals hier zum ersten Mal auf die Schnauze gelegt, nachdem er die Wahnsinnstour durch Rußland und Nordamerika bestens absolviert hatte. Meist ist es der Wind, aber die Kombination, Schotter und aufgewirbelter Staub kommen zeitweise noch hinzu. Und dann hat man ein Problem, denn hier kommt so schnell keine Hilfe vorbei. Um 19:15 Uhr standen wir an der Magellanstraße. Da kann man nur mit der Fähre rüber. Wir stellten uns an und ich wir sahen ihn wieder. Ich stieg aus und quatschte ihn an. Er wollte in einem halben Jahr in San Francisco sein. So lange hatte er Zeit.

Beim Warten auf die Fähre. Das erste europäische Kennzeichen auf der Tour.

Er war Profiphotograph und stellte fest, daß er zuviel Gepäck dabeihatte. Das könne er unmöglich mit hinaufschleppen. Er müsse einen guten Teil davon in Punta Arenas / Chile mit der Post heimschicken. Unter anderem auch einige Objektive, bedauerlicherweise. Ich erzählte ihm von meiner Tour im Juli, wo ich teilweise auf Wegen gefahren war, die er vorhatte zu bereisen.
Er fragte mich zu verschiedenen Pisten in Peru. Ich erzählte ihm von der Piste von Arequipa nach Juliaca, die eigentlich inzwischen Asphaltiert sein sollte. Wir hatten damals eine Baustelle befahren und ich hatte Gerüchte vernommen, daß da nun Asphalt sei. Aber wissen konnte ich es nicht. Am besten hinfahren und schauen, das ist meistens das einzige, was hilft.
Die Fähre kam und wir fuhren drauf. Es kam und kam keiner zum Kassieren. Ich sah mir erst mal die berühmte Magellanstraße an. Das war sie also. Sah aus, wie ein großer See. Und der Wind schien hier noch stärker zu sein als an Land. Nachdem ich mir die Gegend angeschaut habe, ging ich ins Büro und sah mir die Preise an: 15 US-Dollar oder wahlweise 21 argentinische Peso. Es standen auch andere Währungen da, aber uns interessierten nur die beiden, weil wir nichts anderes hatten. Sonderbar. In Argentinien ist der Peso immer noch einen Dollar wert, aber wohl nur noch da. Außerhalb davon gibt keiner mehr einen Pfifferling dafür. Umso weniger versteh ich, warum die Leute in Argentinien den Dollar nicht nehmen wollen. Gerade in so einer Zeit bin ich froh um jeden Peso, den ich noch schnell in einen Dollar verwandeln kann, bevor der Peso den Bach runtergeht - und die, die sich an ihn klammern gleich mit. Wir zahlten in Dollar, denn wir hatten die Peso 1:1 gewechselt und hätten, wenn wir in Peso gezahlt hätten, als 21 Dollar abgedrückt. Und wir zahlten als letztes, denn als ich fragte, wie die denn kontrollieren wollten, wer gezahlt hätte und wer nicht, sagte er mir: "Das ist ganz einfach. Es fehlt ein Auto, der war noch nicht hier. Solang der nicht zahlt, bleiben die Rampen oben". Ich meinte: "Ich bin der, auf den sie warten, hier ist ihr Geld. War nur so 'ne Frage..." Die Fähre fuhr insgesamt genau zwanzig Minuten, dann waren wir in der "Provincia Tierra del Fuego", zu Deutsch auf Feuerland.
Wir fuhren hinunter von der Fähre und gleich weiter in Richtung argentinische Grenze, die wir noch heute passieren wollten. Wir hatten nur noch kurz das Wasser aufgefüllt. Der Österreicher war schon längst weg, als wir weiterfuhren. Erst war noch Asphalt da, doch der hörte schon bald auf und wir waren wieder, nach dem Passieren einer Baustelle, auf Schotter unterwegs. Wieviele Tausend Kilometer nun schon? Doch wir sahen den Wiener bald wieder. Er stand am Straßenrand und sah etwas frustriert auf den Weg. Ich hielt an. "Alles klar?" Er winkte ab. "Ich weiß gar nicht, warum ich Idiot das mache. Wohl, weil man muß, wenn man schon mal hier ist. Und so schlecht wie die Piste nach El Chaltén ist die hier nicht." "El Chaltén?" fragte ich, "wo war denn das gleich wieder?" Peinlich, aber ich wußte es echt nicht mehr, vor lauter Calafates und Chalténs und Cerro Sowiesos. "Das war da, wo Du im Auto gesessen bist und geschlafen hast." Richtig, beim Fitz Roy, da fällt's einem glatt wieder ein. Auch er war also die Schweinepiste nach El Chaltén gefahren. Almut reichte ihm erst mal einen Apfel, den er genüßlich in sich hineinaß. Er hatte wirklich hervorragendes Kartenmaterial, da konnte man genau sehen, wo Piste und wo Asphalt war. Von nun an hatten wir nur noch Piste vor uns, von kleinen Abschnitten abgesehen. "Die einzigen, vor denen ich echt den Hut ziehe, das sind die Radler. Hier fährt man ständig in Kurven, die in die eine Richtung gehen, bei denen man sich aber in die entgegengesetzte lehnen muß, wegen dem Wind." Wir fuhren irgendwann weiter, wollten beide noch die Helligkeit ausnutzen, es war nämlich stark bedeckt. Er fuhr ein wenig nach uns los, überholte uns wieder, fuhr weiter.
Der Boden wurde bald spürbar weich. Der Schotter war noch nicht plattgefahren. Es dauerte nicht lange, da war der Wiener wieder vor uns. Ich wollte ihn nicht überholen, denn er war ja an sich schneller, aber der Schotter machte ihm mehr zu schaffen als uns. Ich hielt auch guten Abstand, um ihn nicht zu bedrängen. Man spürte förmlich, wie er kämpfen mußte, um nicht hinzufallen.beide Beine waren zur unterstützung ausgefahren, aber wenn die 400 kg, die das Motorrad samt Gepäck gerne gewogen haben mochte, erst mal am Kippen sind, dann hält die gewiß keiner mehr so leicht. Ich drosselte und blieb brav etwa 100 Meter dahinter, wir fuhren etwa 60 km/h, schneller nicht. Wenn es ihn nun doch böse zerlegen sollte, hätten wir ihn wenigstens irgendwohin schaffen können. In einer Rechtskurve an einem Hang dachte ich, es wäre soweit. Der Kies war tief, auch das Auto ließ mit der Reaktion auf die Lenkbewegung ziemlich lang auf sich warten. "Auweh... jetzt sammer soweit", dacht ich, oder sagte es vielleicht, sogar, denn für die Kurve waren wir zu schnell, auch der Wiener. Ich bremste, die Reifen wühlten sich in den Kies, man spürte, wie das Auto tiefer und tiefer sank, dann ging ich wieder von der Bremse und rollte fast im Schrittempo weiter, immer den Blick auf das Motorrad, das geradewegs auf den Abgrund zurutschte. Die Räder waren so tief im Kies, daß es nur noch geradeaus rutschte, er stemmte sich mit beiden Füßen auf den Boden, als wollte er dadurch die Bremsen unterstützen. Kurz vor dem Abgrund kam er zum stehen und tat erst mal nichts. Da wäre es ganz schön hinuntergegangen. Er stand einige Sekunden wie versteinert, dann kam das Zeichen "Alles in Ordnung", wir sollten weiterfahren, er käme schon klar.
Wir hatten das Geleit verlassen und fuhren nun weiter Richtung Grenze. Wir erreichten sie um 22:15 Uhr (km 714.871) der Papierkram war gleich erledigt, man erklärte uns, die argentinische Grenze sei noch ein paar Kilometer weiter, als wir rauskamen traf gerade der Wiener an der chilenischen Grenze ein. Er suchte sich ein Hotel, denn er hatte keinen Bock mehr. Wir fuhren weiter, erledigten auch die argentinische Einreise ohne Probleme und waren um 23:10 Uhr (km 714.885) fertig. Fast eine Stunde für eine Grenze. Das war eindeutig zu viel.


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