9.30 - 11.45 Lago Torre
Um halb Eins (km 714.483) fuhren wir dann weiter in Richtung Rio Gallegos, wieder
stundenlang durchs unwirtliche Patagonien. Aber schön ist's doch. Um 16:17
Uhr (km 714.616) hörte der Asphalt wieder mal auf, wir waren wieder auf
Schotter unterwegs. Darauf fuhren wir dann nochmals zweieinviertel Stunden bis
zur Grenze. Der Südzipfel ist zwar argentinisch, aber ein Stück Chile
liegt wie ein Keil dazwischen. Da muß man durch, das heißt, daß
man zweimal auf dem Hinweg und zweimal auf dem Rückweg über die Grenze
muß. Die Grenzabfertigung ging recht zügig, nur Früchte mußte
man wieder abgeben. Hier empfiehlt es sich, bei den Argentiniern zu fragen,
ob sie den aus Chile kommenden etwas brauchbares abgenommen hätten. Das
spart Kohle.
In Chile ging er vorerst wieder zügig voran, die Piste war in einem etwas
besseren Zustand. Das, wiedrum kann aber auch Einbildung gewesen sein. Auf dem
Weg überholte uns wieder das schwarze Motorrad. Ich sah ihn im Rückspiegel
und machte ihm Platz, denn ich stelle es mir ziemlich unangenehm vor, auf dem
Motorrad sitzend hinter einem rollenden Verkehrshindernis fahren zu müssen,
das auch noch Tonnen von Staub aufwirbelt. Er fuhr vorbei - wiener Kennzeichen
- bedankte sich, fuhr weiter, aber brauchte heute etwas länger, bis er
verschwunden war. Nicht nur, weil er in die gleiche Richtung fuhr. So rasant
wie am Vortag war er nicht mehr unterwegs, denn wir waren wieder auf Schotter
und mit der schweren Maschine auf solch tückischem Untergrund in der Gegend,
in der es alle Motorradfahrer hinläßt, da muß man auf
zwei Rädern vorsichtig sein. Den Erwin hatte es damals hier zum ersten
Mal auf die Schnauze gelegt, nachdem er die Wahnsinnstour durch Rußland
und Nordamerika bestens absolviert hatte. Meist ist es der Wind, aber die Kombination,
Schotter und aufgewirbelter Staub kommen zeitweise noch hinzu. Und dann hat
man ein Problem, denn hier kommt so schnell keine Hilfe vorbei. Um 19:15 Uhr
standen wir an der Magellanstraße. Da kann man nur mit der Fähre
rüber. Wir stellten uns an und ich wir sahen ihn wieder. Ich stieg aus
und quatschte ihn an. Er wollte in einem halben Jahr in San Francisco sein.
So lange hatte er Zeit.
Beim Warten auf die Fähre. Das erste europäische Kennzeichen auf der Tour. |
Er war Profiphotograph und stellte fest, daß er zuviel Gepäck dabeihatte.
Das könne er unmöglich mit hinaufschleppen. Er müsse einen guten
Teil davon in Punta Arenas / Chile mit der Post heimschicken. Unter anderem
auch einige Objektive, bedauerlicherweise. Ich erzählte ihm von meiner
Tour im Juli, wo ich teilweise auf Wegen gefahren war, die er vorhatte zu bereisen.
Er fragte mich zu verschiedenen Pisten in Peru. Ich erzählte ihm von der
Piste von Arequipa nach Juliaca, die eigentlich inzwischen Asphaltiert sein
sollte. Wir hatten damals eine Baustelle befahren und ich hatte Gerüchte
vernommen, daß da nun Asphalt sei. Aber wissen konnte ich es nicht. Am
besten hinfahren und schauen, das ist meistens das einzige, was hilft.
Die Fähre kam und wir fuhren drauf. Es kam und kam keiner zum Kassieren.
Ich sah mir erst mal die berühmte Magellanstraße an. Das war sie
also. Sah aus, wie ein großer See. Und der Wind schien hier noch stärker
zu sein als an Land. Nachdem ich mir die Gegend angeschaut habe, ging ich ins
Büro und sah mir die Preise an: 15 US-Dollar oder wahlweise 21 argentinische
Peso. Es standen auch andere Währungen da, aber uns interessierten nur
die beiden, weil wir nichts anderes hatten. Sonderbar. In Argentinien ist der
Peso immer noch einen Dollar wert, aber wohl nur noch da. Außerhalb davon
gibt keiner mehr einen Pfifferling dafür. Umso weniger versteh ich, warum
die Leute in Argentinien den Dollar nicht nehmen wollen. Gerade in so einer
Zeit bin ich froh um jeden Peso, den ich noch schnell in einen Dollar verwandeln
kann, bevor der Peso den Bach runtergeht - und die, die sich an ihn klammern
gleich mit. Wir zahlten in Dollar, denn wir hatten die Peso 1:1 gewechselt und
hätten, wenn wir in Peso gezahlt hätten, als 21 Dollar abgedrückt.
Und wir zahlten als letztes, denn als ich fragte, wie die denn kontrollieren
wollten, wer gezahlt hätte und wer nicht, sagte er mir: "Das ist ganz
einfach. Es fehlt ein Auto, der war noch nicht hier. Solang der nicht zahlt,
bleiben die Rampen oben". Ich meinte: "Ich bin der, auf den sie warten,
hier ist ihr Geld. War nur so 'ne Frage..." Die Fähre fuhr insgesamt
genau zwanzig Minuten, dann waren wir in der "Provincia Tierra del Fuego",
zu Deutsch auf Feuerland.
Wir fuhren hinunter von der Fähre und gleich weiter in Richtung argentinische
Grenze, die wir noch heute passieren wollten. Wir hatten nur noch kurz das Wasser
aufgefüllt. Der Österreicher war schon längst weg, als wir weiterfuhren.
Erst war noch Asphalt da, doch der hörte schon bald auf und wir waren wieder,
nach dem Passieren einer Baustelle, auf Schotter unterwegs. Wieviele Tausend
Kilometer nun schon? Doch wir sahen den Wiener bald wieder. Er stand am Straßenrand
und sah etwas frustriert auf den Weg. Ich hielt an. "Alles klar?"
Er winkte ab. "Ich weiß gar nicht, warum ich Idiot das mache. Wohl,
weil man muß, wenn man schon mal hier ist. Und so schlecht wie die Piste
nach El Chaltén ist die hier nicht." "El Chaltén?"
fragte ich, "wo war denn das gleich wieder?" Peinlich, aber ich wußte
es echt nicht mehr, vor lauter Calafates und Chalténs und Cerro Sowiesos.
"Das war da, wo Du im Auto gesessen bist und geschlafen hast." Richtig,
beim Fitz Roy, da fällt's einem glatt wieder ein. Auch er war also die
Schweinepiste nach El Chaltén gefahren. Almut reichte ihm erst mal einen
Apfel, den er genüßlich in sich hineinaß. Er hatte wirklich
hervorragendes Kartenmaterial, da konnte man genau sehen, wo Piste und wo Asphalt
war. Von nun an hatten wir nur noch Piste vor uns, von kleinen Abschnitten abgesehen.
"Die einzigen, vor denen ich echt den Hut ziehe, das sind die Radler. Hier
fährt man ständig in Kurven, die in die eine Richtung gehen, bei denen
man sich aber in die entgegengesetzte lehnen muß, wegen dem Wind."
Wir fuhren irgendwann weiter, wollten beide noch die Helligkeit ausnutzen, es
war nämlich stark bedeckt. Er fuhr ein wenig nach uns los, überholte
uns wieder, fuhr weiter.
Der Boden wurde bald spürbar weich. Der Schotter war noch nicht plattgefahren.
Es dauerte nicht lange, da war der Wiener wieder vor uns. Ich wollte ihn nicht
überholen, denn er war ja an sich schneller, aber der Schotter machte ihm
mehr zu schaffen als uns. Ich hielt auch guten Abstand, um ihn nicht zu bedrängen.
Man spürte förmlich, wie er kämpfen mußte, um nicht hinzufallen.beide
Beine waren zur unterstützung ausgefahren, aber wenn die 400 kg, die das
Motorrad samt Gepäck gerne gewogen haben mochte, erst mal am Kippen sind,
dann hält die gewiß keiner mehr so leicht. Ich drosselte und blieb
brav etwa 100 Meter dahinter, wir fuhren etwa 60 km/h, schneller nicht. Wenn
es ihn nun doch böse zerlegen sollte, hätten wir ihn wenigstens irgendwohin
schaffen können. In einer Rechtskurve an einem Hang dachte ich, es wäre
soweit. Der Kies war tief, auch das Auto ließ mit der Reaktion auf die
Lenkbewegung ziemlich lang auf sich warten. "Auweh... jetzt sammer soweit",
dacht ich, oder sagte es vielleicht, sogar, denn für die Kurve waren wir
zu schnell, auch der Wiener. Ich bremste, die Reifen wühlten sich in den
Kies, man spürte, wie das Auto tiefer und tiefer sank, dann ging ich wieder
von der Bremse und rollte fast im Schrittempo weiter, immer den Blick auf das
Motorrad, das geradewegs auf den Abgrund zurutschte. Die Räder waren so
tief im Kies, daß es nur noch geradeaus rutschte, er stemmte sich mit
beiden Füßen auf den Boden, als wollte er dadurch die Bremsen unterstützen.
Kurz vor dem Abgrund kam er zum stehen und tat erst mal nichts. Da wäre
es ganz schön hinuntergegangen. Er stand einige Sekunden wie versteinert,
dann kam das Zeichen "Alles in Ordnung", wir sollten weiterfahren,
er käme schon klar.
Wir hatten das Geleit verlassen und fuhren nun weiter Richtung Grenze. Wir erreichten
sie um 22:15 Uhr (km 714.871) der Papierkram war gleich erledigt, man erklärte
uns, die argentinische Grenze sei noch ein paar Kilometer weiter, als wir rauskamen
traf gerade der Wiener an der chilenischen Grenze ein. Er suchte sich ein Hotel,
denn er hatte keinen Bock mehr. Wir fuhren weiter, erledigten auch die argentinische
Einreise ohne Probleme und waren um 23:10 Uhr (km 714.885) fertig. Fast eine
Stunde für eine Grenze. Das war eindeutig zu viel.