Panamericana-Tour 2002
Freitag, 2. August

Die Nacht war ziemlich kalt gewesen, wir brachen schon relativ früh auf, nämlich um zehn nach acht (740.942 km). Generalkurs war Nord, Richtung Antofagasta, die Berüchtigte. Das mußten wir heute erreichen. Wir hatten noch drei Tage übrig, am Abend des Fünften mußten wir in Lima sein. Es galt, keine Zeit zu verlieren, denn es waren immerhin noch einige tausend Kilometer. Um 10:10 Uhr (741.086 km) wurde eine viertelstündige Tankpause eingelegt. Danach ging es weiter durch die Wüste immer in Richtung Norden, nur keinen Aufenthalt. Das ist das Schöne an der Wüste, daß man sie sich in aller Ruhe ansehen kann, auch wenn die Maschine Große Fahrt macht. Man kann nicht wirklich etwas verpassen, im Gegenteil, das zeigt erst richtig, wie klein man selber ist und, daß der größte Teil unseres Planeten unbewohnbar ist. Ob Sand-, Stein-, Eis- oder Wasserwüste, es ist ganz egal, leben kann man dort nicht wirklich.

Die Panamericana in Chile.
Chile. Via Panamericana.

Am späten Nachmittag (17:30 Uhr, 741.586 km) hielten wir wieder an der Mano del Desierto, der Hand der Wüste. Ich hatte immer noch das Problem, daß die Digitalkamera voll war. Insofern ersparte ich es mir, Bilder zu machen, ich hatte das ja schon im Jahr davor erledigt. Die Hand liegt etwa 70 km vor Antofagasta, das wir dieses Jahr weit schneller erreichten als im Jahr zuvor. Etwa eine Stunde später waren wir in Antofagasta. Catarina war sehr überrascht, daß plötzlich, mitten in diesem Nichts, eine so fette Stadt auftauchen konnte. Wir fuhren als erstes an eine Tankstelle. Es war bereits dunkel geworden, als wir in Antofagasta ankamen und es galt zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Das tut man am besten an einer Tankstelle. Dort gab es Duschen, allerdings nur mit kaltem Wasser. Ich schnappte mir mein Duschzeug und machte davon und von dem kalten Wasser Gebrauch. Catarina, der wie alle Brasilianer einen Hygienefimmel hat und am meisten nach einer Dusche schrie, hatte es sich anders überlegt. Da entsponn sich wieder einer der typischen Dialoge, bei denen viel geredet und nichts gesagt wird. Die fanden natürlich alle auf Portugiesisch statt, um sie im Deutschen treffend wiederzugeben bedürfte es erst einer Einführung in die südbrasilianische Umgangssprache, was ich mir hier allerdings spare.
"Wieso haben die kein warmes Wasser?" Ich glaubte erst, nicht recht zu hören.
"Ach, Du Schwuchtel, heul halt rum! Wie wenn es nicht schon schwul genug wäre, überhaupt duschen zu wollen... War doch Deine Idee. Aber nein, Madame will auch noch warmes Wasser, womöglich noch ein Schaumbad mit Rosenblättern und eine französische Creme für die empfindliche Haut. Schau mal in Deiner Seitentasche, da muß noch ein rosaroter Nagellack liegen, den meine Mutter hier vergessen hat..." Er ließ sich nicht beeindrucken, keine Dusche für ihn. Naja, was soll's...

Aufnahme vom 9. August 2001.
La Mano del Desierto. Aufnahme stammt vom Vorjahr, aber seitdem hat sich nichts geändert.

Nach der Dusche kümmerte ich mich um das Wohlergehen des Autos. Ölstand prüfen, was nicht leicht war, denn dieser verfluchte Ölpeilstab gibt mir seit neuestem immer verschiedene Werte. Auf der einen Seite über Max, auf der anderen unter Min. Ich steckte ihn wieder zurück, schrie ihm "Drecksweib, verdammtes" hinterher und wollte gerade die Haube schließen, als ein Polizeiauto vorbeifuhr. Es hielt kurz an und der Beifahrer sah zu uns herüber. Ich sah ihn an und wartete ab, was nun geschehen sollte. Er hielt sich ein Auge zu und zeigte mit der anderen Hand auf den Daimler. "Was soll das jetzt?", fragte mich Catarina. "Der will mir mitteilen, daß unser linkes Licht kaputt ist. Stimmt, Mensch, das war es, was ich noch wechseln wollte. Jetzt fällt's mir wieder ein..." Ich gab dem Polizisten durch Nicken und Daumen nach oben ein Zeichen, daß ich es schon wüßte und es auswechseln würde und sie fuhren weiter.

Ich ging in die Tanke hinein und fragte nach Birnen. Die hatten an Birnen alles Mögliche und Unmögliche da, nur nicht die, die ich brauchte. Es half nichts: Kofferraum auf, die Mun-Kiste ausgraben, aufmachen und darinnen nach der passenden Birne graben. Ich hatte sie gerade in dem Augenblick herausgekruschtelt, als die Herrn Polizei erneut vorbeifuhren um nachzusehen, ob ich sie schon gewechselt hätte. Ich hielt ihnen stolz die ausgegrabene Birne entgegen und grinste sie so breit an, daß mir die Oberlippe aufsprang. Sie nickten zufrieden und fuhren weg. "Wenn ich grün-weiß gestreifte Polizeiautos sehe, dann kommt mir schon wieder die Kotze hoch, verdammt nochmal. Ab nach Peru, da sind sie wenigstens Silber." Weiß gar nicht, warum die Chilenen auch in grün-weiß unterwegs sein müssen, wohl noch ein Überbleibsel aus der Pinochet-Ära. Schaut einfach unsympathisch aus.

Irgendwo im Nirgendwo...
Auf der Straße von Nichts nach Gar Nichts.

"Frag mal bei dem Lasterfahrer nach, wo die LKW-Fahrer hier Rast machen", sagte mir Catarina. "Hast Du eigentlich in Deiner Kindheit länger Balettunterricht genommen? Warum fragst Du nicht selber? Ich hab schon geduscht. Da steht ein LKW, da kannst gleich mal üben", gängelte ich ihn. "Ich kann diese Dreckssprache nicht", sagte Cat nun zum x-ten mal. "Was soll denn das? Du schwuler Depp, das ist exakt die gleiche Sprache, Du mußt alles nur so sprechen, wie Du es schreibst, dann versteht Dich auch jeder..." Es stimmt tatsächlich, die kleinen Unterschiede machen nichts aus, man kann sich trotzdem verständigen. Es gibt einige Wörter, die sind zwar gleich aber bedeuten etwas komplett anderes (z.B. "tirar"), das stört zwar ein wenig, sorgt aber gleichzeitig für Unterhaltung. Aber der gesamte Kontext läßt dann meistens ohne weiteres auf das schließen, was man rüberbringen will. Das Problem dabei ist nur, daß die Hispanophonen (oder wie man die kastilischsprechenden Südamerikaner auch immer nennen mag) wirklich "tirar" sagen, während die Brasilianer aber nur "tschirah" zusammenkauderwelschen können, und damit fängt das Problem an, denn die Spanier verstehen das nicht mehr. Würde er es schreiben und den Zettel hinhalten, wäre wieder alles in Ordnung. Der spanischsprechende Mensch würde es lesen und begreifen. Portugiesisch ist nur entartetes Spanisch, es wurde nach Südamerika gebracht, wo es durch europäische, indigene und negroide Einflüsse dann in seine jetzige Form hineinvergewaltigt wurde. Und das führt dazu, daß ich portugiesisches Portugiesisch, beispielsweise, oft überhaupt nicht als portugiesisch identifizieren kann, geschweige denn verstehen.

Im Spanischen sieht die Sache ein wenig anders aus: Das kastilisch hört sich auch ganz anders an als das spanische Spanisch. Es war nämlich so: Vor einigen Jahrhunderten, als Südamerika schon von Portugiesen und Spaniern kolonisiert war, tauchte in Spanien ein König auf, der nicht nur schwul und behindert war, sondern durch inzestuöse Machenschaften seiner Vorfahren, auch noch zu blöd um zu sprechen. Als sabbernder Idiot auf hohem Throne gab er das Recht, mit der Zunge an den Zähnen anzustoßen automatisch an seine Untertanen weiter und also ward lispeln erst hof- und anschließend salonfähig. In jener Zeit hatten es allerdings solcherlei Stilblüten schwer, über den Atlantik zu schwappen, daher blieb Amerika von dieser Krankheit verschont. In Südamerika wird also nirgendwo gelispelt, es blieb als eine klare, soldatische Sprache erhalten und erfuhr trotz der einzelnen nationalen und regionalen Veränderungen keine Idiotisierung, wie es im spanischen Mutterland eben leider der Fall war. Eine ganze Nation mit Sprachfehler, das ist faszinierend. Ich erinnere mich da an eine gewisse Catalina Navarro-K. Wir nannten sie immer "die Flugboot", nicht nur, weil sie sich mit dem amerikanischen Flugboot die Bezeichnung Catalina teilte, sondern vor allem auch des Aussehens wegen. Der Mund ging Übergangslos direkt in Hals über. Das Kinn hatte man weggelassen, oder es war so vielfach vorhanden, daß man es nicht als einzelnes Gebilde sehen konnte. Eben wie das Vorschiff eines Flugbootes, das gleichmäßig und nahtlos von Flugzeugnase zu Schiffskiel übergeht. Und eben diese Flugboot hatte auch das Problem, daß sie beim Reden immer die Zunge zwischen den Zähnen hatte und nie einen vernünftigen Laut zustandebrachte. Obwohl sie Spanisch erst in der Schule gelernt hatte, bestand sie immer darauf, Spanierin zu sein. Jedenfalls war das Lispeln schon ein guter Anfang...

Die Atacama, angeblich die heißeste aller Wüsten. Ganz im Hintergrund dennoch die verschneiten Gipfel der Anden, die überhaupt nicht hierherpassen wollen.

Cat ging zum Lasterfahrer und kam nach einer Weile zurück. "Der hat nicht gecheckt, was ich will, jetzt geh Du halt mal hin und frag nach." War mir ja auch klar, daß er das nicht hinkriegt. "Du Tunte! Und wohin soll ich überhaupt gehen? Außer uns war niemand mehr an der Tankstelle, der Laster ist längst weg. Mein Gott... soll ich Dir auch noch ein paar Windeln kaufen und Deine Mamma in Tijucas anrufen?" Ich ging, von irgendwelchen gekonnten und gut plazierten Beschimpfungen Catarinas begleitet, zum Schalter und fragte nach: "Entschuldigen Sie, der Herr. Ich hab da einen schwulen Reisecompagnion und der möchte wissen, wo die LKW-Fahrer hier absteigen und einkehren. Wissen Sie da was?" Er beschrieb mir den Weg zu einem kleinen Haus in der Parallelstraße. Dort könne man duschen und essen und fernsehen. Ich ging zurück zum Auto, machte Meldung, und wir fuhren dort hin. Sah irgendwie komisch aus. Das Haus war außen wirklich winzig, aber innen relativ groß. Catarina orderte eine Mahlzeit und ging in die Dusche. "Verdammt nochmal! Ein einziges Scheißhaus hier. Dann noch so 'ne Badenutte an Bord..." Der Spruch bleibt wohl Teil vom Bordinventar. Ich sah mir derweil die brasilianische Telenovela auf Spanisch an. Das war nett, allerdings ungefähr so, als würde man sich "Das Boot" auf Englisch oder "Full Metal Jacket" auf Deutsch ansehen. Es fehlt einfach was, was man nicht übersetzen kann. Nach etwa einer Stunde kam Catarina wieder aus der Dusche.
"Du hast Dich beim Schminken verschmiert!", begrüßte ich ihn.
"Halt die Fresse! Wo ist mein Essen?"
"Schon lange kalt auf dem Tisch", meinte ich darauf, "vielleicht solltest Du sie bitten, es wieder warm zu machen. Nicht, daß Du krank wirst, weil Du immer so kalte Sachen so schnell runterißt. Oder erst duschen, dann bestellen, statt umgekehrt..."
"Schnauze."
"Alter, schau Dir mal die Novela an. Du kennst sie auf portugiesisch, müßtest eigentlich alles verstehen."
"Hau doch ab mit Deiner Telenovela - Du bist derjenige, der hier schwul ist. Natürlich versteh ich das. Das Problem ist, daß die mich nicht verstehen."
"Ja, und das liegt, wie gesagt daran, daß Du einfach ein Analphabet bist und nicht die Buchstaben so sagen kannst, wie sie dastehen." Er winkte ab zum Themawechsel. "Wie sieht die Abendplanung aus? Ich brauch Internet und Du auch."
"Werden schon was finden..."

Stern voran! Drauf und dran!
Stellt ihn niemals ab, den Dieselhahn...

Nach dem Essen fuhren wir noch in Antofagasta durch die Gegend auf der Suche nach einem Internet-Café und nach einigem Suchen fanden wir sogar eines, das noch offen hatte. Ich besorgte mir ein paar Disketten und begann, die Bilder erst auf den Server und anschließend auf die Disketten zu laden. Als das nach einer Stunde erledigt war, gingen wir auf Nachtplatzsuche. Wenigstens war die Kamera wieder einsatzklar. Und solches Theater könnten wir uns in Zukunft sparen, wenn meine dämliche Schwester es doch noch irgendwie schaffen sollte, den Computer rechtzeitig an den Start zu bringen. Was ich allerdings nicht glaubte, denn dazu braucht man mindestens einen zweistelligen IQ. Ich fuhr lästernd durch Antofagasta und fanden eine Copec-Tankstelle mit angeschlossener Halle und so blieben wir dort übernacht (741.672 km).


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