Nach dem Essen fuhren wir auf die Autobahn und blieben um 2:45 Uhr (740.291 km) nach der ersten Mautstation an einem seltsamen Gebäude stehen, das sich direkt neben dem Standstreifen befand. Ich parkte möglichst dicht daran. Cat meinte, mir dabei ins Lenkrad greifen zu müssen, weil ich zu weit vom Randstein parken wollte, wobei ich ihn anfauchte und ihn darauf aufmerksam machte, daß wir nicht hier wären, wenn ich nicht dazu in der Lage wäre, ein Kraftfahrzeug alleine zu maneuvrieren. Er ließ es auch künftig bleiben und mußte erkennen, daß er die Höhe des Randsteins unterschätzt hatte. Seine Türe wäre nämlich bei näherem Heranfahren mit ebendiesem Randstein in Konflikt geraten. Das stellte er allerdings erst nach dem Aussteigen fest. Wir legten uns neben das Auto.
In Argentinien in den Anden sah ich ein Schild, das darauf hinwies, daß wir uns auf der PanAmericana befanden. Keiner behelligte uns des Nachts, wir konnten ausschlafen. Catarinas Vorschlag, noch einmal nach Santiago zu fahren wurde abgelehnt mit dem Hinweis, daß wir nur noch vier Tage hatten, bevor das Flugzeug in Lima landete. Wir waren erst jetzt wieder auf Kurs, denn seit Tagen hatten wir uns von Lima entfernt, da wir erst nach Südwesten, dann nach Westen fahren mußten. Wir mußten durch die ganze Atacama-Wüste bis zur peruanischen Grenze, Bordercrossing und dann noch durch halb Peru, das alles in vier Tagen mit einem Auto, das keine 100 km/h fuhr - man will ja die geflickte Gelenkwelle nicht herausfordern. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Mit der Grenze hatten wir eine Zeitzone passiert, die Uhren wurden um eine Stunde zurückgestellt, der Zeitunterschied zu Deutschland betrug nun fünf Stunden. Wir standen um zehn, nun also um neun Uhr auf und fuhren 23 Minuten später los in Richtung Arica und sofort, nach zwei Kilometern, hinein in die nächste Tankstelle. Dort richteten wir uns zurecht, füllten Wasser auf und befanden uns um 9:50 Uhr (740.293) wieder auf der Autobahn. Noch einmal sahen wir den Teil der Anden, den wir überquert hatten in voller Pracht.
Die verschneiten Berggipfel schienen manchmal in der Luft zu schweben, der nicht verschneite Teil der Berge verschmolz fast mit dem Blau des leicht diesigen Himmels. |
Die Panamericana führte von Santiago an die Küste in bestenfalls nordwestlicher Richtung und erst dort, in der Gegend von Viñas del Mar macht sie einen Knick nach Norden. Valparaiso und Viñas del Mar wurden passiert. Es sind nette Urlaubsorte nahe Santiago. Am Meer gelegen und bekannt für gute Meeresfrüchte. Gebadet wird hier im allgemeinen nicht so gern, denn der Pazifik ist recht kalt. Doch auch diesmal wurde hier nicht angehalten - wir hatten wieder mal keine Zeit. Es ist nicht das Geld, was die Reise kostet, das einem wehtut, sondern die Zeit, die man sich nicht nimmt, um die Reise zu genießen.
Catarina meinte, daß das Gehetz nicht sehr viel Sinn hätte, denn entweder schaffen wir es rechtzeitig, oder sie muß sich halt ein Hotel nehmen, das sei sicher nicht das Problem, er erklärte sich sogar bereit, für die Kosten aufzukommen. Stand nicht zur Debatte, und das, obwohl er vollkommen recht hatte. Am 5. August sind wir in Lima, wie, das war egal, nur dort mußten wir sein. Ansonsten gibt's Geschrei.
Nun war die Kamera ganz voll, immer mehr Bilder mußten dran glauben. Die einzige Möglichkeit, sie zu retten bestand darin, irgendwo Disketten zu besorgen und die Bilder darauf zu lagern. Oder aber auf CD. Die wenigsten öffentlichen Computer hatten einen Brenner, aber das war nicht das Problem, denn ich hatte ja einen in Paraguay gekauften externen Brenner im Auto liegen, den ich anschließen konnte. Es ist alles nur ein wenig komplizierter als wenn man einen eigenen Recher hat. Da kann man das dann gemütlich am Abend machen, wenn sowieso nicht gefahren wird.
Die nächste größere Stadt war La Serena, aber die schien noch Ewigkeiten entfernt zu sein. Es blieb nichts anderes übrig, als beständig nach Norden zu fahren und darauf zuzuhalten. Catarina nutzte die Zeit, um die Abrechnung für Argentinien fertigzumachen. Argentinien hatte jeden von uns, alles in Allem etwa 100 Dollar gekostet. Das ist gut. Auch wenn wir wußten, daß Chile teurer werden würde, allein schon weil die Strecke viel länger war, so hofften wir doch, zumindest den Tagessatz von 25 US$ für Auto, Tag und Person noch senken zu können. Es stimmt zwar, daß man auf Reisen sehr viel weniger braucht, aber der Hauptposten ist und bleibt nach wie vor der Diesel. Der war zufrieden und verfressen... Solange man sich nicht oder nur wenig bewegt, kann man mit 25 Dollar am Tag leben wie ein König, in Brasilien kam ich damit bestens drei Wochen über die Runden. Wäre ich Nichtraucher, würde das Geld dort für zwei Monate ausreichen. Man mußte nur zusehen, möglichst wenig zu brauchen und das, was man benötigt, möglichst umsonst zu bekommen. Fensterputzen, ein Sandwich als Bezahlung, weiter geht's so in diesem Stil, das wäre perfekt, aber: Es setzt voraus, daß man sehr viel Zeit mitbringt, und die hatten wir gerade nicht. Wir hätten einfach eine oder zwei Wochen früher losfahren sollen...
Um 11:45 Uhr (710.430 km) zeigte sich uns erstmals der Pazifik. |
Es ist eine schöne Strecke zu fahren. Man fährt die Küste entlang, mal auf Meereshöhe, mal hoch über den Wellen. Ich dachte immer, der Pazifik hätte seinen Namen daher, weil er groß, still und friedvoll daläge. Weit gefehlt. Zumindest nicht hier. Man konnte von der Straße aus sehen, wie die heranbrausenden Wogen an Klippen zerschellten, das salzige Naß spritzte haushoch. Im Osten begleiteten uns die weißen Gipfel der Anden in weiter Ferne. Der Daimler kroch die Berge hoch und sauste dann quietschvergnügt wieder Talwärts, nur um wieder mühsam in die Höhe emporzuklettern.
Das große Kreuz, das ich im Vorjahr mit Gabi beobachtet hatte steht definitiv in Coquimbo und nirgendwo anders. Nicht in Viñas del Mar, nicht in La Serena, sondern in Coquimbo. Diesmal stimmt es, denn ich habe eigens nachgesehen. Es kommt oft vor, daß man irgendetwas sieht und es hinterher einfach nicht mehr schafft, es zeitlich und oder örtlich einzuordnen. Dazu müßte man die Disziplin aufbringen, sich alles zu notieren (was, wann, wo). Aber Disziplin ist so eine Sache... Hätte ich sowas, dann wäre ich in München an der Universität und hätte weder Tobruk noch Narvik gesehen - was hätte ich da sollen?
In La Serena angekommen (17:00 Uhr, km 740.784) gingen wir in eine Shopping Mall um die Vorräte zu ergänzen. Als wir wieder herauskamen, hatte die Sonne ihr Bett schon hergerichtet, um sich schlafen zu legen. Wir waren davon noch weit entfernt. Die Treibstoffleuchte brannte zwar schon seit geraumer Zeit, allerdings war mir das irgendwie entfallen, ich war zu sehr damit beschäftigt, an Internet oder Disketten zu kommen. Die Kamera war voll und mich störte es gewaltig, keine Bilder mehr machen zu können. Wir fanden nichts und fuhren weiter. Nach dreißig Kilometern kam ich drauf, daß wir jederzeit mangels Kraftstoff liegen bleiben mußten. "Alter, ich hab das Tanken vergessen in La Serena..." Er langte sich an den Kopf, "Du bist doch aber auch ein Pferd. Bei der Mall war eine Tankstelle... Riesengroß." Ich lachte, "Und wo ist die Mall jetzt?" Weit hinter uns war sie geblieben. Super... Umdrehen, Zeit verlieren oder weiterfahren und hoffen, daß eine Tankstelle kommt - und im Zweifelsfall sehr viel Zeit verlieren. Die Gegend sah nicht danach aus, als könnte es da irgendwo eine Tankstelle geben. Wir waren zwar noch am Pazifik, aber das bedeutet gar nichts, das nächste Kaff kam laut Karte in 50 Kilometern, aber selbst wenn die Tankstelle dort offen wäre, würde sie uns nichts nützen, denn wir hatten keine fünf Liter mehr im Tank. Wir waren bereits in der Wüste. Ich leitete ein Wedemanöver ein. Es war fraglich, ob wir es überhaupt bis nach La Serena zurück schaffen würden. Ich bin einfach ein Organisations-Genie. Doch Catarina meinte, daß auf unserem "Wendeplatz" Zapfsäulen wären. Eine nähere Inspektion ergab, daß sie seit Jahren außer Betrieb waren, allerdings war gleich nebenan ein Restaurant. Ich ging hinein und fragte nach Diesel. "Diesel? Haben wir nicht." Ich fragte nach der nächstmöglichen Tankgelegenheit.
Wo die blauen Gipfel ragen Lockt so mancher steile Pfad. Immer vorwärts ohne Zagen, Bald sind wir dem Ziel genaht. Schneefelder blinken, Schimmern von Ferne her, Lande versinken Im Wolkenmeer |
"La Serena". Nur reichte das Diesel nicht mehr. Das waren genau so Sachen, die einfach nicht vorkommen dürfen. Liegenbleiben mit fünf leeren Dieselkanistern auf dem Dach, das ist lachhaft. "Wem gehört denn der Laster da draußen?", fragte ich. Ein jüngerer Typ meldete sich. Ich ging zu seinem Tisch und fragte ihn, ob er bereit wäre, mir 20 Liter zu überlassen. "Das geht nicht, der Laster gehört nicht mir, sondern meiner Firma." Schmarrn... "Paß auf. Wo fährst Du hin? Nord oder Süd?" "Nach Süden", antwortete er. Ich fuhr fort: "Gut. Du gibst mir 20 Liter, ich zahle Dir etwas mehr, als es an der Tankstelle kostet. Du Tankst morgen in La Serena, Deine Firma weiß davon nichts, den Rest behältst Du. Ansonsten kann ich nämlich nicht weiterfahren und wein' Dir den restlichen Abend ins Ohr... Ganz laut!" Er willigte ein. Wir gingen hinaus, ich nahm einen Kanister und einen Schlauch und begann das Diesel aus des LKWs Tank abzupumpen. Es war 19 Uhr (740.784) und somit dunkel. Wir gingen zu dritt hinaus. Ich steckte den Schlauch in den Tank des Lasters, saugte daran und ließ das Diesel in den leeren Kanister fließen. "Bist Du sicher, daß Du weißt, was Du da tust?", fragte mich Catarina. "Alter, ich hab schon Diesel aus Lastwagen gesaugt, da hast Du noch in die Windeln gemacht, laß mal. In zwanzig Minuten haben wir 200 km mehr im Tank. Zahl Du schon mal... Und frag, wie das Kaff hier heißt!" Es hieß Caleta de Hornos. Kennt kein Mensch - steht auch nicht in der Karte...
Ich ließ den Inhalt des Kanisters in den Tank laufen, und zurrte dann den Kanister wieder auf dem Dach fest. Das dauerte am längsten bei der ganzen Aktion, die einfach nur planlos war, von vorn bis hinten. Als wir wieder im Auto saßen war die Leuchte erloschen. Wir konnten weiter. Nach genau anderthalb Stunden waren wir in Vallenar (740.935 km) und erst dort fanden wir eine Tankstelle. Natürlich brannte die Leuchte längst wieder, aber nun wurde vollgetankt. Wir fuhren noch bis viertel Zwölf und blieben dann wieder an einer Tankstelle über Nacht. (740.942 km)