Panamericana-Tour 2002
Sonntag, 6. Oktober

Epilog

Um sieben Uhr ging der Streß schon wieder los: "Wenn Du duschen willsch, dann musch jetzt aufstehen", weckte mich Gabi, die sich schon zum Tauchen vorbereitete. Und das vor dem Frühstück. Wie soll ich da kotzen? Ich drehte mich um und schlief weiter. "Aha. Du willsch also nicht duschen", schlußfolgerte sie. "Du geistiger Tiefseetaucher!", dachte ich mir, "ob ich dusche oder nicht hängt von genau zwei Faktoren ab: erstens, davon, ob Wasser da ist und zweitens davon, ob ich duschen will oder nicht. Was Du dazu zu sagen hast interessiert mich einen Dreck." Wasser ging, denn sie hatte bereits geduscht. Es war sieben Uhr. Erst in anderthalb Stunden ging es bei der Tauchschule los, die zwanzig Minuten zu Fuß weg ist - wenn man gehbehindert ist. Ansonsten schafft man es auch in zehn Minuten. Nachdem sie ständig weitergackerte und nervte, stand ich kurz nach halb Acht auf. "Ich dachte, das hier ist ein Urlaub. Habe nicht gewußt, daß es ein Kasernenhof ist", sagte ich, während ich ins Bad ging. "Jetzt brauchsch nicht mehr duschen gehen, das hättsch vorher machen können", keifte die alte Schnatter. Ich ignorierte es einfach und ging in die Dusche. Wenn sie es so eilig hat soll sie laufen. Es ist noch mehr als genug Zeit. Ich duschte gemütlich, bei jeder Meldung, die diesbezüglich kam, wurde ich noch gemütlicher. So gemütlich es halt ging, denn das Wasser war in den frühen Morgenstunden nicht warm, sondern eher kalt.

Erst gegen acht Uhr war ich fertig. Zwar reichte es immer noch dicke, aber sie tat gerade so, als ging es um Leben und Tod, und als würden wir nur dann noch rechtzeitig ankommen, wenn wir irgendwie einen Zeitsprung schafften. Ich machte das Auto auf, setzte mich hinein, dann fiel mir ganz theatralisch ein, daß ich mein Feuerzeug im Kofferraum hatte. Zwar waren auch welche in der Kanzel, aber ich wollte das grüne. Also ging ich zum Kofferraum und suchte dort das grüne Feuerzeug heraus. Dann fiel es mir auch noch aus der Hand. "Ach, ich bin heute aber wieder so tolpaschig", säuselte ich vor mich hin, während ich das Feuerzeug umständlich aufhob. "Können wir jetzt endlich fahren?", schrie sie. "Ja, können wir. Ich kann aber auch wahlweise die Batterie leerorgen und dann ganz laut 'Oh!' schreien", sagte ich genervt. "Ja... brauchsch mir nicht zeigen, daß ich von Dir abhängig bin..." Die war zu blöd um zu kapieren, daß es sich genau andersherum verhielt. Ich war ohne ihre Kohle aufgeschmissen, sie bräuchte nur in den nächsten Bus einsteigen. Wäre für sie auch noch billiger. Was sie davon abhielt, das zu erkennen war nur ihre geistige Insuffizienz, denn sie schafft es alleine gerade mal, sich anzuziehen. Für alles andere braucht sie einen Babysitter. Kann nicht mal allein von unserem unterstand zu ihrer Tauchschule gehen. Einfach nur die Straße hinunter bis man nicht mehr weiterkann und dann links bis die Tauchschule kommt. Braucht man nieman anderen stressen, es kostet kein Geld und wer weiß, vielleicht verliert man auf dem Weg das eine oder andere Kilo. Ist ja nicht so, daß sie eine zentnerschwere Ausrüstung zu schleppen hätte.

La colónia, Playa del Carmen, Mexiko.
Auf dem Weg zum Tauchen. Links im Bild eine tote Leiche.

Keine fünf Minuten später waren wir im Parrot-Hotel - fünfundzwanzig Minuten zu früh. "Puh! Das haben wir ja gerade noch so geschafft! War richtig knapp!" - ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Sie murmelte irgendwas, stieg aus. Ich ging mit hinein. Die Tauchschule war auf dem Hotelgelände. Ich ließ mich an der Bar nieder. Das gute an diesen Tauchgängen war, daß sie das Geld nicht mitnehmen konnte. Sie war leider schlau genug, die MasterCard zu verstecken. Das war ihre Lebensversicherung. Aber das Geld langte dafür, daß ich mir eine heiße Schokolade nach der anderen bestellen konnte. Sobald das Schiff abgelegt hatte, stand ich auf und ging ins Internet, um in Ruhe meine eMails zu lesen und zu beantworten.

Schon mittags kamen die aber zurück. Vorbei die Freizeit, weiter geht es mit Intellektualnihilismus. Wir blieben vorerst an der Bar. Gabi bestellte kohlesäurehaltige Erfrischungsgetränke. Die Bardame war Kanadierin und irgendwie ganz offensichtlich fröhlich unterwegs. "Seid ihr zusammen?", fragte sie Gabi. "Nein!" "Oh, I see. Just friends..." "Yes..." Ich mischte mich ein: "Das hat sie gesagt..." Die Bartenderin grinste noch breiter.

Und was gab es zu Mittag? Natürlich wieder Tacos. Ich kann das Zeug nicht mehr sehen, geschweige denn essen. Nach dem Essen: Abflacken am Strand. Daß ihr das nicht langweilig wurde? Für sie fing hier scheinbar der eigentliche Urlaub erst an... Ich machte mich davon mit dem Hinweis, daß ich noch ein paar Sachen zu erledigen hatte. Was denn so wichtig sei. "Vielleicht überlege ich es mir doch, nach Mailand zu fliegen, dann brauche ich einen Stellplatz für das Auto..." Hätte ich irgendwas anderes erzählt, hätte es wieder Diskussion gegeben.

In Wirklichkeit ging ich ins Internet. Blöd, daß sie nicht mit dem Geldbeutel an den Strand kann. Ich versumpfte im Internet und kam dann irgendwann nach vier an den Strand. "Deswegen hab ich keinen Bock drauf, daß Du selbständig durch die Gegend fahrsch. Da weiß man nie, wann Du wiederkommsch. Wennsch sagsch eine Stunde dann werden auch mal zwei draus", empfing mich Gabi. "Hast jetzt irgendeinen superwichtigen Geschäftstermin verpaßt?" Darum ging es nicht, sondern darum, daß man so nicht planen kann. Was es zu planen gab, blieb mir im Dunkel verborgen. Unterstand, Einkaufen, Strand, Stadtbummel. Was anderes tut sie eh nicht, und wann was an der Reihe war, war fast vollkommen egal.

Die Bar des Blue-Parrot-Hotels
Die Outdoor-Bar des Blue-Parrot...

Was die vermeintliche "Planung" tatsächlich über den Haufen warf, war sie selbst, die in ihrer Blödheit den Schlüssel zum Zimmer verschmissen hatte. Das stellten wir fest, als wir an der Pension waren. Die hat nur den Schlüssel dabei und ein Handtuch und schafft es, 50% der Sachen auf die sie aufpassen sollte, zu verlieren. Der Hausbesitzer war mit der ganzen Familie ausgeflogen. Warum auch nicht? Es war Sonntag, da ist wohl Familientag. Auch in Mexiko. Was soll man machen? Es war fünf Uhr. "Vielleicht kommen sie ja bald". Wir warteten. Ich las ein Buch, Gabi auch. Irgendwann wurde es dunkel. Ich schlug vor, daß wir einfach an den Strand fahren sollten. "Und dann kommen die und wir sind nicht da. Tolle Idee!" Fand ich schon. Wenn sie wieder kommen bleiben sie da und wir können den Schlüssel dann einfach bei ihnen abholen. Aber nun wurde es dunkel und ich konnte die Buchstaben nicht mehr erkennen. Man kann zwar das Licht anmachen, dann muß man aber auch das Fenster zumachen und das war nicht auszuhalten. "Aber wir könnten wenigstens zum Supermarkt fahren und was zum Essen holen." Dazu ließ sie sich überreden. Wir fuhren hin. Der Supermarkt hatte eine sehr schöne und sehr große Bäckereiabteilung. Diesmal war ich der, der den Einkauf in die Länge zog, indem ich immer wieder irgendwo hinlief.

Wieder beim Auto, das unter einer Laterne geparkt stand, packte ich mein Buch aus. "Brauchsch jetzt net zum lesen anfangen!", nervte sie. "Wieso? Ist doch egal, ob wir hier warten oder dort. Deswegen kommen sie auch nicht schneller..." Aber hier hatten wir Licht und keine Mücken. Dort waren überall Pfützen, die ideale Brutstätte für die Drecksviecher, außerdem mußte ich zum Lesen das Licht im Innenraum anmachen, und das ist für die Viecher wie eine Lichtreklame für Freibier. Wieder brauchte ich eine Fragestellung, die die Antwort schon mit sich brachte: Was nervte mich mehr? Die Mücken oder Gabi Z. L.? Wir fuhren los in die Colónia zur "Pension" zurück. Dort parkte ich das Auto, machte das Licht im Innenraum an und das Fenster blieb selbstredend offen. Die Mücken kamen auch sofort. Auf die ist Verlaß. Bei mir war es schwierig, an Blut zu kommen. Meine "peinlichen Klamotten" hielten mir die Viecher vom Leib. Ich mußte nur Kopf und Hände schützen. Das endete für die Viecher meist tödlich. Die hatten bei Gabi leichteres Spiel. Im Dschungelkampf haben die Hauptdarsteller auch "peinliche Klamotten" an, und keine Bermudashorts und Trägerhemden - warum? Wahrscheinlich weil sie alle dumm sind... Jedenfalls war Gabi beschäftigt. Ich hatte meine Ruhe und konnte lesen, während sie ihre dumpfe Warterei nur unterbrach, um auf die Mücken oder auf den Herbergsvater zu schimpfen. Auf alles andere auch, nur nicht auf ihre eigene Blödheit, den Schlüssel verloren zu haben. Seit Stunden saßen wir nun herum und warteten und warteten. So was Dummes! Wir können doch auch später hierher. Welche geheimnisvolle Kraft wohl Gabi dazu bringt, stundenlang in einem Auto zu sitzen und gegen die Windschutzscheibe zu starren? Nicht irgendwetwas Sinnvolles zu tun, oder irgendeiner Tätigkeit nachzugehen, sondern einfach nur in dumpfe Warterei zu verfallen. Das verstehe ich nicht. "Jetzt könnten sie aber wirklich mal langsam heimkommen. Aua! Scheiß Viecher!" Doch sie kamen noch lange nicht. Erst gegen Zehn, also nach fünf Stunden, kamen sie heim. Ich ging gleich hin und fragte nach dem Schlüssel. "Die Dicke hat den Schlüssel verloren. Hast Du einen Ersatz?" Den hatte er. Da er aber den Schlüssel nachmachen mußte, würde das Zehn Dollar kosten. Paßt schon. Nicht mein Problem. Weder hatte ich Geld, noch den Schlüssel verschlampt. Mit weggehen am Abend wurde es heute nichts.


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© by Markus Besold